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ARCHIV
für hessische Geschichte
und Altertumskunde
Herausgegeben von
Julius Reinhard Dieterich und Karl Bader
Neue Folge. V. Band
DARMSTADT 1907
Im Selbstverlag des Historischen Vereins für das Großherzogtum Hessen
BEITRÄGE
zur Geschichte der Universitäten
MAINZ und GIESSEN
Herausgegeben von
Julius Reinhard Dieterich und Karl Bader
DARMSTADT 1907
Im Selbstverlag des Historischen Vereins für das Großherzogtum Hessen
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ÜB'.».
Der HISTORISCHE VEREIN
für das Großherzogtum Hessen
zur dritten Jahrhundertfeier der
ALMA MATER LUDOVICIANA
Inhalt.
Seite
Beiträge zur Geschichte der Universität Mainz 1 — L21G
I. Professor Dr. Gustav Bauch, Breslau: Aus der Geschichte
des Mainzer Humanismus 3 — 86
II. Pfarrer Professor 1). Dr. Franz Falk, Klein- Winternheim:
Jakob Weider, der erste Rektor der Mainzer Hochschule
(1478—1483) 87—93
III. Oberlehrer Lic. Fritz Herrmann, Darmstadt: Die Mainzer
• Bursen „Zum Algesheimer" und „Zum Schenkenberg" und
ihre Statuten 94- D24
IV. Oberlehrer Professor Dr. Heinrich Schrohe, Mainz: Die
Wiederbesetzung erledigter Professuren. Ein Beitrag zur
Mainzer Universitätsgeschichle des ausgehenden IG. sowie
des 1 7. Jahrhunderts 125—164
Y. Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Stieda, Leipzig: Wie
man im 18. Jahrhundert an der Universität Mainz für die
Ausbildung von Professoren der Eameralwissenschaft sorgte 165- -216
Beiträge zur Geschichte der Stadt und Universität Gießen . J17 — ->\i
VI. Archivdirektor Dr. Gustav Freiherr Schenk zu Schweins-
berg, Darmstadt: Alt-Gießen 219 251
Anhang: Giessa Hassorum. Eine in Kupfer gestochene
Ansichl der Stadt aus dem .Jahre 1612 252 254
VII. Pfarrer I). Dr. Wilhelm Diehl, Hirschhorn: Neue Bei-
Iräge zur Geschichte von Johann Balthasar Schuppius in
der zweiten Periode seiner Marburger Professorentätig-
keit (1639—1646) 255—326
VIII
Seite
VIII. Oberlehrer Dr. Wilhelm Martin Becker, Darmstadt: Zur
Geschichte des Pennalismus in Marburg und Gießen . . 3*27 355
IX. Oberbibliothekar b. Gr. Hofbibliothek Dr. Ludwig. Voltz,
DarmstadI : Zwei Hessen-Homburgische Prinzen als Gießener
Studenten (1722—1723) 356—374
X. Bibliothekar b. Gr. Hofbibliothek Prof. Dr. Karl Bader,
Darmstadt: „Von tödlichem Ableiten und solenner Beerdi-
gung Rectoris Magnifici" 375 — 389
XL Oberlehrer Prof. D. Dr. Erwin Preuschen, Darmstadt:
Symbola. Aus alten Gießener Stammbüchern 390 — 40.")
XII. Hülfsbibliothekar b. Gr. Hofbibliothek Dr. Karl Esselborn,
Darmstadt: Karl Ludwig Wilhelm von Grolman in Gießen 4U6 — 161
XIII. Haus- und Staatsarchivar Dr. Julius Reinhard Di et er ich,
Dannstadt: Ein Gießener Professor als hessischer Staats-
minister 402—514
XIV. Frau Emi Dieterich, Darmstadt: Register 515—530
XV. Bemerkungen zu den Abbildungen und Tatdn .... 531
Nachtrag zum Beitrag VI: Alt-Gießen 532
Beiträge zur Geschichte
der Universität Mainz.
Belüge /.. Gesch. d. Universitäten Mainz u. Gießen
Mainz um 1450.
I.
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus.
Von Gustav Bauch.
Die Mainzer Universität galt im Anfange des XVI. Jahr-
hunderts gewissen Zeitgenossen sozusagen als eine Spezial-
universität für die Juristen und die Humanisten oder Poeten.
Das bezeugt in recht wenig freundlichem Sinne ein
grämlicher Bericht1, den 1511 in Leipzig am Alten hängende
Artisten und Theologen, die sich über die Entwicklung der
1502 und in den folgenden Jahren von dem Herzog Georg
von Sachsen anläßlich der Gründung der bald zugkräftigen
neuen Universität, in Wittenberg angeordneten Reformen
amtlich aussprechen sollten, an den Herzog sandten.
Darin heißt es: „Über alle obgemelte stucke wollen E.
F. G. gnediglich hertzlich betrachten, das dise uniuersitet
nach dem bildtniß der Parisischen, dye do aller uniuersi-
teten mutter ist, durch hochloblicher gedecht.nis E. F. G.
vi Meldern ist fundirt und gestifftct, in welcher alleweg den
vorczug hat Studium philozophie, artium und theologie, wie-
wol man auch iura und poeten list. Es haben also dye
Leyptzischen lange das lob bey andern uniersiteten ge
habt, das sie gute philozophi weren. Darauß gekommen,
das Ingelstadt durch doctor Adorff, Wittenbergk durch
Meilerstadt, Franckfurt durch Wympina als gelerte phi-
1 Codex diplomaticus Saxoniae Regiae, II. XI, 317, 318 (No. 252).
Zur Datierung vergl. F. Geß im Neuen Archh für Sächsische Geschichte,
XVI, 85.
4 Gustav Bauch.
lozophos uffgericht seyn und erwachsen. Es hat auch Stu-
dium philozophie biß doher E. F. G. uniuersitet erhalden,
wenn alleweg dye meisten schuler in derselbigen gewest
seyn. Darumb solch fundament zurutten und weyter ein-
zureumen andern faculteten, wird zu großem ungedeyen
reychen. Und so iura und poetica sollten dye obir-
handt haben, wurd eyne Mentzische uniuersitet ge-
lieren, do es sich dermaßen heldt. Es seint aber
allenthalb offtmals aide» kaum hundert supposita."
Es ist. kaum nötig, besonders zu betonen, daß dieses
schroffe, einseitige Urteil über die Mainzer Universität ten-
denziös übertrieben ist; denn wir können gerade dort trotz
des trümmerhaften Zustandes der Überlieferung wie sonst
nicht bei allen alten Universitäten den Nachweis führen,
daß alle Fakultäten, auch die damals in Deutschland meist
blutarme medizinische, Zeichen von ihrem lebendigen Da-
sein hinterlassen haben. Und wenn wir soeben das Be-
dauern über den trümmerhaften Zustand der Nachrichten
zur Geschichte der Alma Mater Moguntina äußerten, so be-
trifft die Klage ganz im besonderen eben den von Leipzig
aus so mißtönend stigmatisierten Humanismus.
Den scheinbaren Widerspruch in diesem Forschungs-
befunde durch den Aufweis von wiederaufgefundenen und
periodenweise geordneten Fragmenten in objektiver Dar-
stellung aufzulösen und durch die Betrachtang des huma-
nistischen Spezialgebietes von Mainz die allgemeine Ge-
schichte des deutschen Humanismus zu fördern, diesem
Zweck sollen die folgenden Zeilen gewidmet sein. Und
unter diesem Gesichtspunkt, möge sie auch der gütige Leser
würdigen. —
Wenn jemand sich in Übertreibungen bewegt, so liegt
doch manchmal den Extravaganzen ein positiver Kern zu-
grunde, und so war es auch bei den morosen Leipziger
Magistern, die sich am liebsten mit dem „Ouieta non mo-
vere" hätten beruhigen lassen. Es war das unbehagliche
Empfinden, daß das ihnen ehrwürdige, gewohnte und auch
bequeme Alte unter den sich in der wissenschaftlichen Welt
allmählich vorbereitenden Neuerungen doch schon leise zu
wanken anfing und daß die augenscheinliche Geneigtheit
des Herzogs Georg für das Neue noch Schlimmeres für
Leipzig fürchten ließ. Was war nun aber das Neue, das
sie so perhorreszierten und das in Mainz schon in die Er-
scheiiiung getreten sein sollte? Das Jus und die Poetica!
Da Leider R. Stintzing in seiner Zusammenstellung
der Entwicklung des Rechtsstudiums an den deutschen Uni-
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus. 5
versitäten im zuendegehenden Mittelalter2 Mainz ganz über-
gangen hat, müssen wir diese Lücke ausfüllen.
Es war hier nicht das Jus canonicum, das zu dem alten
eisernen Bestände der Universitäten gehörte, gemeint, son-
dern das stärkere Auftreten des Jus civile, das wegen seiner
wachsenden praktischen Bedeutung immer größere Berück-
sichtigung seitens der Landesherrn der Universitäten ver-
langte und das in Leipzig noch immer eine schwächliche
Existenz hatte3, während es in Mainz von Anfang an vor-
handen und nicht bloß wohlgelitten war, sondern gleich-
mäßig weiter gepflegt wurde.
Man hätte in Leipzig nicht auf Paris zu exemplifizieren
brauchen, man hätte auf die echte Tochter von Paris in
Deutschland, Köln4, man hätte aber auch, was noch näher
lag, auf Leipzigs Mutter, Prag5, zurückgreifen können, w€
überall das kanonische Recht überwog und in der Reprä-
sentation der Universitäten dabei doch von geringer Bedeu-
tung war, und wo, wenn auch Doctores iuris utriusque pro-
moviert wurden, das kaiserliche Recht trotz des Titels nur
so nebenbei und bruchstückweise in die Vorbildung der
Promovenden mit einbezogen wurde.
Als die eigentliche deutsche Juristenuniversität, die man
in Leipzig auch 1511 noch nicht hätte nennen dürfen, galt
im XV. Jahrhundert Erfurt.6 Der Stifter der Universität
Mainz, Erzbischof und Kurfürst Diether von Isenburg,
damals Kanonikus in Mainz, hatte vom Wintersemester 1432
ab in Erfurt studiert, wo das bürgerliche Recht schon seit
1409 vertreten war. Als Rektor des Sommersemesters 1434
wird er zwar nur als „in artibus baccalarius" bezeichnet,
doch war diese Stufe in der artistischen Gradleiler auch
die erste Stufe zum juristischen Studium wegen der Vor-
übung in der Kunst zu disputieren; er ist sicher als Stu-
diosus iuris in Erfurt zu denken. Da seine neue Universitäl
Mainz sich gerade durch die Pflege der Jurisprudenz aus-
zeichnete, wollen wir auch noch ein Wort über die Be-
deutung des Jus an einer Universität, die einen geistlichen
Herrn zum Begründer hatte, einfügen, das uns dann zum
Humanismus überführen soll.
Man muß den anachronistischen Standpunkl verlass sn,
als wäre es zu jenen Zeiten schon [lassender gewesen,
2 II. Stintzing, Ulrich Zasius. 3231
3 E. Friedberg, Das Collegium Juridicum, 28f., 30 f.
4 R. Stintzing, a. a. <>., 329. •■ R. Stintzing, a. a. 0., 325.
r' Th. Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft. Die Juristen
der Erfuiter Universitäl im 14. und 15. Jahrhundert.
6 Gustav Bauch
wenn alle, die sich dem geistlichen Stande zuwandten,
Theologie studiert hätten; Kanoniker und angehende Bischöfe
aber hatten, so paradox das klingen mag, um zu selb-
ständigem Urteil und Einfluß zu gelangen, Jurisprudenz
ebenso nötig oder bisweilen fast nötiger wegen der infolge
der auf weltlichem Besitz fundierten Bistümer und der
anderen kirchlichen Stiftungen ihnen zur Erhaltung der
Grundlage ihrer Existenz obliegenden und unumgänglich
notwendigen Verwaltungsgeschäfte. Es war gewiß er-
wünscht, wenn ein Bischof, ein Dechant, ein Archidiakonus,
ein Kanonikus oder jeder Vicarius in spiritualibus (das
Vikariat war häufig, später bisweilen regelmäßig mit dem
Generaloffizialat verbunden) theologische Kenntnisse hatten,
doch konnte auch in den meisten von diesen Stellungen
Kenntnis des kanonischen Rechts nicht recht entbehrt
werden. Prediger konnten des theologischen Wissens nicht
entraten und waren deshalb oft gelehrte Theologen, man
denke an Geiler in Straßburg, an Biel und Wimpfeling
in Speier, an Lutre,a, Zehender und Nausea in Mainz;
für alle höheren Geistlichen, ja selbst für Pfarrer genügte
in der Praxis das von theologischen Kenntnissen, was für
die Erlangung der Priesterweihe allgemein vorgeschrieben
war, und das bedurfte keines großen Studiums. Daher wurde
das juristische Studium, wie z. B. die Forschungen an
italienischen Universitäten nachweisen, im Mittelalter be-
sonders stark von Angehörigen des geistlichen Standes ge-
trieben. Diether hatte dazu auch noch, wie aus dem vor-
liegenden Tatbestande hervorgeht, die Wichtigkeit des Zivil-
rechts erkannt und deshalb für beide Zweige des Rechts
in Mainz von Anbeginn gesorgt, ohne die Theologie und
ihre Amme, die Philosophie (Mainz scheint der Via moderna
angehört zu haben), wie die Medizin zu vernachlässigen.
Von Legisten können wir7, ohne daß Vollständigkeit
zu erreichen wäre, doch, weil auch die Nachfolger Diethers
sich seinen Intentionen anschlössen, eine immerhin respek-
table Reihe anführen: Wigand Kennicken aus Paderborn,
Doctor legum und Professor, Kantor zu St. Viktor und
schon Sekretär Adolfs IL, gestorben 1480 als Dechant zu
St. Bartholomäus in Frankfurt; Alexander Theodorici
aus Memmingen8, Doctor legum und Licentiatus canonum.
7 Zum Folgenden vergl. II. Knodt, De Moguntia litterata Common. II,
5, 52, 53, 54, 5."».
! Nicht Meinungen oder Meiningen. Er ist Anfang 1467 in Heidelberg
als Alexander Theodriei de Memmingen diocesis Augustensis immatrikuliert
und am 13. .luli 14<iS Üacralaureus artium in via moderna geworden.
Alis der Geschichte des Mainzer Humanismus. 7
1483 Dekan, 1496 Prokurator am Reichskammergericht;
Georg Schrauff, Doctor legum, 1488 Rektor (f 1504);
1488 Elorentinus Holtzweiler und Johannes Mergent-
heim, Doctores legum, Mergentheim auch kurfürstlicher
Rat; Jakob Koler, Doctor legum, 1493 Dekan und Judex
generalis (f 1498); sein Nachfolger Nikolaus Finck aus
Lorch, Doctor legum (1504); Lambertus Richtergin aus
x\achen, Doctor legum und 1501 Ordinarius; Rolinus Tinc-
toris, Licentiatus legum und Lektor, 1509 Doctor iuris
utriusque; Johannes Fürderer oder Kühorn, Doctor
legum, c. 1508; Dietrich Gresemund Junior, Doctor
legum, der in einer Nachricht von seinem Tode Ordinarius
genannt wird9; Konrad Weidmann, Doctor legum und
1518 Ordinarius.10
Die Leipziger hatten nicht unrecht, Juristen und Poeten
in einem Atemzuge zu nennen. Noch zog ein großer Teil
der Scholares iuris nach Italien, in das Mutterland der
juristischen Studien, besonders die Legisten und die Be-
flissenen des vollen Jus utrumque, da in Deutschland doch
im ganzen das Jus civile sich an den Universitäten lang-
sam einfand (in der kaiserlichen Residenz Wien z. B. erst
1493) oder einnistete. Dort lernten sie die humanistische
Eloquenz kennen oder zogen bald dahin, um sie sich bei
solchen Lehrern, wie Philippus Beroaldus11 in Bologna
anzueignen, die Eloquenz, die für die höhere Beamten-
laufbahn einschlagende Juristen vor 1500 schon vonnöten
war1-', wenn sie bei Verhandlungen und Staatsaktionen als
Oratoren zierliche (docti) Reden halten oder als Kanzler und
Sekretäre elegante Briefe schreiben wollten. Sie und andere,
die als Dozenten an deutsche Universitäten übergingen,
pflegten die Erkenntnis auch ihren Verwandten und Schülern
einzupflanzen. Der Verbreitung dieser Anschauungen wird
man inne, wenn man die Schüler des Konrad Celtis im
Wiener Poetenkollegium13 und die Jakob Lochers in Ingol-
stadt — bei diesem spricht sogar die Ansetzung seiner Lehr-
9 Zu Dietrich Gresemund Junior vergl. weiter unten.
10 Zu Konrad Weidmann verirl. weiter unten hei Johannes Rhagius
und den Epistolae obscurorum virorum.
11 Hierzu vergl. die Dedikationen seiner Werke. G. Bauch, Die Re-
zeption des Humanismus in Wien, Ml.
12 Da ist. es rechl charakteristisch, wenn, wie Wimpfeling in seiner
Expurgatio contra detractores sagt, Pfalzgraf Philipp „decreueral in suo
gymnasio (d. h. in uniuersitate Heidßlbergensi) lectiones nouas in oratoria,
in poetica, in graecis literis (cum legistarum collegio) instituepe".
13 G. Bauch, Die l!eze|ifi<>n des Humanismus in Wien, 1 16.
8 Gustav Bauch.
stunden durch die Universität dafür u - - oder die Erziehung
der Söhne des Pfalzgrafen Philipp in Heidelberg15 und in
Mainz betrachtet. Auch unter den aufgezahlten Mainzer
Legisten werden wir Vertreter dieser Richtung finden.
Unsere Darstellung aus der Geschichte des Mainzer Hu-
manismus werden wir jedoch nicht mit der Vorführung
eines humanistisch gebildeten Juristen, sondern eines Me-
diziners einleiten, den wir an die Spitze stellen, weil er
am frühesten ans unserer Schar, schon vor dem wirklichen
Inslebentreten der Universität, in Mainz war und dann zu
ihr übertrat. Das ist Dr. Dietrich Gresemund der Ältere.
Dietrich Gresemund ist eine allen Mainzer Forschern
wohlbekannte Persönlichkeit, und doch hat sich niemand
um die Zeilen aus kompetenter Feder näher bekümmert,
die sich über seine Stellung zum Humanismus scharf und
deutlich aussprechen. Er war in Meschede in Westfalen ge-
boren, weshalb die Angehörigen seiner Familie in Mainz
manchmal Meschede genannt wurden16, und stammte aus
einer Literatenfamilie. Sein Bruder, Magister artium Got-
schalk Gresemund, der im Sommersemester 1424 die
Universität Erfurt bezogen hatte, bekleidete in den Winter-
semestern 1437 und 1445 und im Sommersemester 1456
das Rektorat der Universität und waltete im Wintersemester
1457 als Vizerektor. Er war nach Absolvierung der arti-
stischen Studien Doktor und Professor der Theologie und
Kanonikus, später Dechant zu St. Marien. Ein anderer
Bruder, Hermann Gresemund, kam im Wintersemester
1445 nach Erfurt und führte als Magister artium und Bac-
calaureus theologiae formatus im Wintersemester 1463 das
Rektorat. Dietrich Gresemund folgte seinen Brüdern im
Wintersemester 1455 nach Erfurt17 und trat dort ein halbes
Jahr nach Berthold von Henneberg und ein halbes Jahr
vor Rudolf Agricola ein. Er wurde im Jahre 1459 Bak-
kalar und 1465 Magister der Künste. Als Erfurter gehörte
er wie seine Brüder zu der scholastischen Via moderna,
die allein daselbst vertreten war. In Italien lag er dann
medizinischen Studien ob und ließ sich als Doctor medicinae
zuerst in Speier nieder und darauf in Mainz. Kurfürst Adolf
14 G. Bauch, Die Anfänge des Humanismus in Ingolstadt, 84.
1:' Lehrer der Söhne waren: Adam Werner, Konrad Celtis, Johann
Reuchlin, Oecolampadius, Johannes Rhagius Aesticampianus.
1G Vergl. H. !■'. Singer, Der Humanist Jakob Merstetter, 50, wo der
Sohn Theodor Meschede Leg. Mr. Del', heißt.
17 (i. Bauch, Die Universität Erfurt im Zeitalter des Frühhumanis-
mus, 50.
Aus Mer Geschichte des Mainzer Humanismus. 9
machte ihn 1470 zu seinem Leibarzt und ebenso Kurfürst
Berthold 1484, der ihn auch als Rat aufnahm.18 Ein Be-
weis des Vertrauens war es, daß Berthold ihn i486 mit
Dr. Alexander Theodorici und Magister Andreas
Eber als Vertreter dreier Fakultäten, mit Ausschluß der
Theologie, zum Bücherzensor des Erzstifts Mainz bestellte.19
Wohl schon in Erfurt, wo der fahrende Poet Peter
Luder aus Kißlau 14G1 und 14G2 lehrte20, vom Humanismus
beeinflußt, brachte er aus Italien eine feine humanistische
Bildung mit heim und gehörte zu so früher Zeit schon der
schärferen Richtung des Humanismus an, die bereits an
eine Reform der Fniversitäten in ihrem Sinne dachte. Hier-
über belehren uns Äußerungen seines Sohnes Dietrich
und W i m p f e 1 i n g s und auch seine Freundschaft mit K o n r a < I
Celtis.
Daß Wimpfelings enthusiastische Worte an Dietrich,
den Sohn, bisher so wenig Berücksichtigung gefunden
haben, erklärt sich wohl daraus, daß man seine etwas
'geschraubten Sätze nicht richtig verstanden hat, und
weil er gerade an der Stelle, an der er die Bildung des
Vaters lobend anerkennt, eine Bezeichnung gebraucht, die
leicht falsch verstanden werden kann. Er sagt nämlich
1493 in der Widmung seiner Elegantiae maiores21: „Ich weiß
nicht, Dietrich, ob ich Deine geistige Begabung eher als
die väterliche Unterweisung loben soll, so sehr gefällt mir
beides. Denn weder würde ohne einen gewissen eigen-
artigen Vorzug Deines Fleißes der Vater selbst mit großer
Mühe etwas ausrichten, noch hätte Dein recht zartes Alter
schon ein so gehäuftes Studium der humanen Wissen-
schaften bewältigt, wenn es nicht den hervorragenden und
andere weit übertreffenden Führer und Lehrer in den guten
Wissenschaften zur Verfügung hätte. Daher werde ich Dich
loben, solange ich lebe; ich werde aber auch Deinen hoch-
gelehrten Vater loben, der, obgleirli er ein Deutscher, doch
ein sehr großer Liebhaber der italienischen Eloquenz (italice
eloquencie), im Vertrauen auf die wunderbaren Gaben Deines
(icist.es glaubte, daß Du in der Rhetorik und Poetik unter-
wiesen werden krümlest." Und zum Schluß schreibt er
1 Joannis, Scriptores historiae Moguntinae, III. 393.
>'•< I'. W. I'.. Roth im Katholik 1898, II, 243.
2" <;. Bauch, a. a. 0., III.
21 Jacobi I ymphelingi Sletstatensis Elegantiarum medulla. oratorie-
que preeepta. In ordifiem inuentu facilem. copiose. clare breuiterque n dueta
0. 0. und .1. (Mainz, Peter Friedberg), I".
-l Widmungsbrief: 17. kal. Kovbr. L493
10 Gustav Bauch.
noch : „Lebe wohl und bringe mich durch dieses Werkchen
Deinem Vater nahe".
Die italische Eloquenz ist. hier natürlich nicht in der
Bedeutung von Gewandtheit in der italienischen Sprache,
sondern schon von der verfeinerten lateinischen Beredsam-
keit der italienischen Humanisten zu nehmen, von der
Wimpfeling und andere seiner humanistischen deutschen
Zeitgenossen noch weit entfernt waren.
Seine entschieden gegnerische Stellung zu der üblichen
Behandlung der lateinischen Sprache an den deutschen
Schulen und Universitäten werden wir mit den Worten
seines Sohnes aus demselben Jahre später beleuchten. Da
Wimpfeling den Vater ausdrücklich als den einzigen Lehrer
des Sohnes in den Humaniora preist, ist dies wohl auch
zugleich ein Zeichen dafür, daß damals die Gelegenheit,
sich humanistisch zu bilden, in Mainz trotz der Universität
noch ziemlich sparsam geboten war.
Hiemach wäre Dietrich Gresemund, der Vater, der
Ahnherr des Mainzer Humanismus. Sein Sohn erwies
sich damals schon und noch mehr nachmals als eines
solchen Vaters durchaus würdig, denn dieser ist der erste
Mainzer Humanist geworden.
Um 1480 ungefähr bewegte sich ein Mann als Scholar
der Medizin in Mainz, der zwar eigentlich niemals . selbst
ein wirklicher Humanist geworden ist, der aber doch eine
Rolle in der Geschichte des Humanismus gespielt, hat, der
nachmalige erste B.ektor der Universität Wittenberg, Martin
Polich von Mellrichstadt in Franken, und deshalb meist
kurzweg Meilerstadt genannt.22 Es ist nicht ausge-
schlossen, daß er dort, etwa in der Atmosphäre Grese-
munds, humanistische Keime aufgenommen oder vorher
schon in Leipzig aufgenommene weiter entwickelt hat. Im
Sommersemester 1470 Leipziger Student, 1472 Bakkalar
und im Wintersemester 1475/70 Magister der Artes, hatte
er fleißig ausgearbeitete thomistische Vorlesungen gehalten,
in Mainz wurde er Doktor der Medizin und 1482 Leibarzt
des jungen Herzogs Friedrich von Sachsen, der später
als Kurfürst den Namen Friedrich der Weise erhielt.
Melierstadt hat 1486 seinen Freund und zukünftigen So-
da len Konrad Celtis dem Herzog Friedrich bekannt ee-
macht und dadurch der Krönung des ersten Laureaten in
Deutschland durch Kaiser Friedrich III. in Nürnberg 1487
'-' Vax .Mail in Polich vergl. G. Bauch, Geschichte des Leipziger Früh-
humanismus, 7f. etc.
AuS der Geschichte des Mainzer Humanismus. 11
vorgearbeitet; denn Kurfürst Friedrich von Sachsen war
Pate bei diesem Akte. Daß Polich nicht erst infolge seines
Verkehrs mit Celtis zum Humanisten wurde, läßt sich aus
geinen poetischen Versuchen in den achtziger Jahren, z. B.
ans seinem heroischen Gedicht auf den 1486 gestorbenen
Kurfürsten Ernst von Sachsen, folgern; denn Verse hätte
er, der Scholastiker, doch wohl kaum in einem Jahre
schreiben gelernt. Als seine Mainzer Lehrer in der Medizin
sind wohl Gresemund und Dr. Peter von Viersen, der
als erster Ordinarius der Medizin 1480 dem Rektorat der
Universität vorstand, und vielleicht auch Dr. Albrecht
von Minsingen23, den Kurfürst Diether 1478 zu seinem
Leibarzt und "Rate machte, zu betrachten. Er ist auch kein
verächtlicher Mediziner gewesen, sondern hat durch seine
medizinischen Produktionen der Universität, die ihm den
Doktorhut verlieh, Ehre gemacht und ohne Schwierigkeit
den Weg von den Arabisten zur klassischen Medizin ge-
funden.
Nur durch einen zufälligen Umstand, die Wirkung
eines Empfehlungsbriefes, erfährt man von einem fahrenden
Poeten, doch einem Poeten ohne Verse, der kurz nach
Mfellerstadt in Mainz aufgetaucht sein muß, von dem
Doktor des kanonischen Rechts Johannes Riedner von
Ludersheim bei Nürnberg, dem Freunde Peter Schotts
aus Straßburg und des berühmtesten böhmischen Huma-
nisten und vornehmen Herrn Bohuslaus Lobkowitz von
Hassenstein. Mit diesen Männern hatte Riedner in
Bologna Freundschaft geschlossen, wo er schon als Magister
von 1473 an kanonisches Recht studierte. Im Winter-
semester 1479 trat er in Krakau als Poeta auf und im No-
vember 1480 ebenfalls als Poeta in Rostock. Daran schloß
sich sein Aufenthalt in Mainz, der durch die Erfurter Matrikel
bezeugt ist.24 Dort trug ihn im Wintersemester 1482 der
Rektor Graf Philipp von Solms mit den Worten in (\;\*
Alhiini ein: ,, Johannes Ryedner de Luderßheim, iuris p n
tificii doctor, gratis ob reuerentiam uniuersitatis huius et
rectoris studii Maguntini." Er kam also recta via ans Mainz,
doch ist leider der Name des Mainzer Rektors niclil über
liefert, der mindestens durch seine Empfehlung eine freund-
liche Gesinnung für das Studium humanitatis an den Tag
gelegt hat. Verse sind von Riedner gar nicht bekannt,
23 Zu Viersen und Minsingen vergl. II. Knodt, a. a. »>., II, 2, 6, 61;
zu Viersen auch Roth, a. a. 0., L15.
24 G. Bauch, Die Universitäl Erfurt, 56f.
12 Gustav Baurh.
er behandelte mehr stilistisch-rhetorische Disziplinen und
fand endlich 1484 eine feste Anstellung als Poeta et Orator
in Ingolstadt, wo er 1491 ein Stein des Anstoßes für Ko ri-
nn I Celtis wurde, der ihn als vetulus poeta verächtlich
angriff und seinetwegen erst 1494 dort dasselbe Ziel er-
reichte.
Wenn dieser Fahrende so ohne Sang und Klang durch
die Hörsäle von Mainz gegangen ist, kommt man wohl leicht
zu der Frage, ob nicht ein anderer aus der beweglichen
Schar der Wanderpoeten deutlichere Spuren von seiner
Anwesenheit in Mainz zurückgelassen hat. Nur an Celtis
wäre hierbei zu denken, aber auch seine Einwirkung auf
die Mainzer Verhältnisse außer durch seine Schüler und
Sodalen ist ziemlich schemenhaft. Erst Aesticampianus
hat nachweislich befruchtend auf empfängliche Geister ge-
wirkt. Doch bevor wir zu Celtis und Aesticampianus
übergehen, haben wir dem Sohne und Schüler Gr e Se-
nium! s unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Nur einem
Mainzer Gelehrten wollen wir noch den Vortritt können,
der vermutlrch anregend für Gresemund gewesen ist, weil
dessen Biograph Gebwiler seine historischen Studien be-
sonders hervorhebt und die Publikationen Gresemunds
das ebenfalls bestätigen, wie er denn auch schon in seinem
ersten Jugendwerke auf die Geschichte hinweist, deren
antike Vertreter doch damals immer wie die anderen pro-
saischen Autoren unter den Begriff Rhetorik subsumiert oder
nach der Weise der Scholastiker gar unter die Poeten ein-
gereiht wurden. Dieser erste Mainzer Humanist mit nicht
bloß sprachlichen und poetischen, sondern auch mit histori-
schen Interessen war Ivö Wittich aus Hamelburg25, der
Sohn des Klaus Wittich und seiner Frau Margareta.26
Ivo Witt ich war im Sommersemester 1473 in Leipzig
immatrikuliert worden wie schon im Sommer 1463 ein Jo-
hannes Witt ich de Hamelborgk, der wohl sein Bruder
gewesen ist, und hatte im Wintersemester 1475 das ar-
tistische Bakkalaureat erworben, war aber dann zum Stu-
dium des kanonischen Rechts übergegangen und Doctor
decretorum geworden. Zu der Zeit, als Konrad Celtis
nach Leipzig kam, 1486, unterrichtete er in Magdeburg
mit dem italienischen Humanisten Fridianus Pishinucius
25 Zu Ivo Wittich vergl. Roth, a. a. <>., 1061; lt. Knodt, a. a. 0.,
Sf. ; <;. Bauch; Geschichte des Leipziger Frühhumanismus, 6f., li>, 21, 22.
20 Für die Eltern, die Roth fälschlich Ivo and Katharina, nennt, vergl.
Wittichs Legitimationsbrief im Zentralblati für Bibliothekswesen, XIV, 52(3.
Aus «.der Geschichte des Mainzer Humanismus. 13
aus Lucca den jugendlichen Erzbischof Herzog Ernst von
Sachsen, Pighinucius in der besseren Latinität und
Wittich im Jus. Das Zusammensein mit dem fein ge-
bildeten italienischen Poeten hat ihn in seinen humanisti-
schen Neigungen und Studien gefördert, aber an seiner
gut deutschen Gesinnung nichts geändert. Beide hielten
mit Celtis, der zeitweise auch in Magdeburg geweilt hat27,
auf brieflichem Wege freundschaftlichen Verkehr. Noch 1487
war Wittich in Magdeburg und trat in diesem Jahre, mit
Pighinucius vereint, als Herausgeber eines römischen
Historikers hervor. Auf der Rückreise von der Vermählung
der Schwester des Erzbischofs Ernst, Mar gare ta, mit
dem Herzog Heinrich von Braunschweig-Lüneburg im
Februar 1487 unterhielt sich der gelehrte Rat und Orator
Ernsts Johannes Wolf von Hermannsgrün", ein
Schüler des Pomponius Laetus, in Halberstadt mit Pighi-
nucius über römische Geschichte, und man kam dabei auf
Florus zu sprechen. Wolf besaß eine Handschrift des Florus
und schickte sie einige Tage später Pighinucius. Nach
dieser guten Handschrift gaben Wittich und Pighinucius
den Autor heraus, und Wättich las in Leipzig darüber.
Zu seinen Zuhörern zählte der junge Konrad Wimpina.29
In der Widmung des Florus an Erzbischof Ernst hat Pighi-
nucius sich scharf gegen die leeren scholastischen Haar-
spaltereien und das zwecklose übermäßig lange Verweilen
bei den logisch-dialektischen Disziplinen ausgesprochen und
er hat damit die humanistische Parole zum Kampfe gegen
das Althergebrachte in Leipzig ausgegeben.
Ans so guten und schneidigen Vorbedingungen kam
Witt ich nach Mainz und er ist hier, obgleich bald viel-
seitig als juristischer Gelehrter und Fachmann tätig und
verwandt, nicht wie so mancher andere Mann der Praxis
den Bestrebungen seines Vorlebens untreu geworden und
hat dadurch dem Humanismus in Mainz mehr genützt, als
das die flüchtigen Zugvögel der fahrenden Poeten imstande
waren. Wir lassen zuerst die Entwicklung seiner Laufbahn
am Rhein an uns vorüberziehen.
Am Dienstag nach [nvoeavit 14(.)1 nahm ihn Kurfürst
Berthold von Henneberg zu seinem Ral und Diener
auf, ein Verhältnis, in dem sich Witt ich zur Zufriedenheil
seines Herrn vollkommen bewährte. Den 3. November 1495
-' Nach einem Briefe Adam Werners von Themar an Celtis in Celtis*
Codex epistolaris.
28 (i. JBauch, Die Universität Erfurt, 107f.
29 (i. Bauch, Geschichte des Leipziger Frühhumanismus, 7.
14 Gustav Bauch.
wurde er in Frankfurt als erster mainzischer Beisitzer des
Reichskammergerichts von dem Kammerrichter GrafenEitel
Friedrich von Zollern in Pflicht genommen, und am
4. Mai 1496 befreite ihn, der noch Subdiakon war, Ber-
thold von der nach kanonischem Recht durch sein
Assessorat am Reichskammergericht hervorgerufenen Irre-
gularität nnd öffnete ihm dadurch den Weg zu den höheren
Weihen und zu höheren geistlichen Würden. Zum Jahre
1499 soll er dann seine Stellung am Reichskammergericht
niedergelegt haben.30 1494 war er in seiner Eigenschaft
als kurfürstlicher Rat mit am kaiserlichen Hoflager in den
Niederlanden und saß in Antwerpen in Sachen des Bischofs
von Worms Johannes von Dal'berg contra Worms zu
Gericht. Später, 1498, fiel ihm in den Streitigkeiten zwischen
dem Bischof und der Stadt noch eine, allerdings erfolglose,
Vermittlerrolle zu. Am 18. Dezember 1494 wurde er und
der Doctor legum Johannes Schad, ebenfalls in Antwerpen,
von Maximilian I. beauftragt, dem kaiserlichen Sekretär
Matthäus Lans; aus Augsburg, dem der Kaiser die Licentia
in legibus verliehen hatte, die Doktorinsignien zu erteilen.31
Lang, damals schon und später als kaiserlicher Locuin-
tenens in noch höherem Grade eine bedeutende Persön-
lichkeit am kaiserlichen Hofe, ist der nachmalige Bischof
von Gurk und Kardinal-Erzbischof von Salzburg. Im Jahre
1499 erhielt Wittich von Bertholcl die durch den Tod
des Matthäus Eber wein erledigte Lektoralpräbende zu
St. Viktor und wurde damit Ordinarius des kanonischen
Rechts an der Universität. Das Jahr 1501 brachte ihm die
Würde des mainzischen Sigillifer. 1504 endlich hatte er
das Rektorat der Universität inne, nachdem er 1501 und
1502 ihr Kanzler gewesen war. Zu dem Kanonikat bei
St. Viktor und einem andern bei Beatae Mariae Virginis
ad Gradus empfing er 1506 noch eins an der Kathedrale zu
St. Johann in Breslau.32 Am 4. Dezember 1507 ist er aus
diesem Leben allgeschieden, er gehörte aber zu den bevor-
zugen Privatleuten, die ein bleibendes Andenken in der
deutschen Literatur haben.
hie ;in der Elbe in ihm geweckte Vorliebe für die Ge-
schichte33, der er an (\rv Pleiße darauf durch Vorlesungen
3» Harpprecht, II. 50, 60.
:!l Paul Legers, Kardinal Matthäus Lang, 74, wo für Joani Iuoni zu
lesen ist. — :i- Vergl. hierzu den oben zitierten Legitimationsbrief.
'■'■'■ Roth, 111, berichtet, daß Wittich mit Konrad Peutinger im Brief-
verkehr gestanden und L503 sich Ihm ihm nach dem Erscheinen seiner
Arbeit über «ist- und weströmische .Münzen erkundigl habe. Diese Arbeit
hat wahrscheinlich heute die Wiener Hofbibliothek handschriftlich aus dem
Besitz Peutingers.
Au* der Geschichte des Mainzer Humanismus. 15
Rechnung getragen hatte, pflegte er am Rhein weiter und
bewährte sie in zwiefacher Weise. Zunächst stiftete er
1504 als Rektor eine Lektur für Geschichte an der Uni-
versität und dann beteiligte er sich an einem großen Über-
setzungswerke, das der erste Inhaber seiner Lektur, Doctor
Legum Bernhard Schöfferlin3*, begonnen hatte. Es ist
sonderbar, daß die landläufigen Darstellungen der wissen-
schaftlichen Renaissance dieser Seite des Humanismus meist
nicht gerecht werden oder sie gar nicht kennen, so daß
man leicht zu der falschen Anschauung kommt, als wären
die Humanisten weltfern auf romantischen Wolken über
die Masse des deutschen Volkes, also ohne jegliche Fühlung
mit ihm und ohne Streben danach, hinweggeschritten. Für
die Humanisten am Rhein und zu dieser wie zu der fol-
genden Zeit eilt das in keiner Weise, denn hier, in Heidel-
berg, in Straßburg und in Mainz, suchte man. von patrioti-
schen, pädagogischen und moralischen Gesichtspunkten ge-
leitet, positive Früchte aus dem Studium des Altertunis
auch anderen, die der lateinischen Sprache nur wenig oder
gar nicht mächtig waren, zugänglich zu machen.
Wie Schöfferlin nach Mainz gekommen ist, entzieht
sich der Kenntnis, vielleicht setzte er sich dort zur Ruhe.
Er war in Eßlingen geboren und am 19. Oktober 1454 als
Student in Heidelberg; eingetreten, wo er am 10. Juli 145b'
Baccalaureus in artibus viae modernae wurde. Seine juristi-
schen Studien hat er, nach seiner humanistischen Bildung
zu schließen, in Italien gemacht. Im Jahre 1485 war er
Assessor des württembergischen Hofgerichts, dem auch
Johann und Ludwig Vergenhans (Nauclerus), Martin
Nittel und Johann Reuchlin angehörten. Mit Reuchlin
war er befreundet. Im Jahre 1495 wurde er erster, vom
Lande Schwaben präsentierter Beisitzer des Reichskammer-
gerichts und als solcher am 2. November in Frankfurt
vereidigt. 1499 winde er aufs neue Rat bei Herzog Fl rieh
von Württemberg, vorbehaltlich seiner Stelle bei dem
Reichskammergericht, und 1500 schwäbischer Bundesrichter
namens der Städte. Schon 1503 ist er in Mainz mit der
Übersetzung des Livius für die Schöffersche Offizin be-
schäftigt gewesen.
Von welchen Anschauungen getragen er an diese lite-
rarische Aibeii ging, das gibt seine Vorrede wieder. Er
sagt: „So ich ol'H und vil by mir selbs betrachl bab. was
einem weltlichen man allermeist zu vernunlTl dienen, zu
:;' Zu Schöfferlin vergl. Roth, a. a. <>.. 1021'.: Harpprecht, II. 62, 03.
16 Gustav Bauch.
m;i nheit. (virtus) und einem tugenrichen leben bringen müchl.,
find ich nach mynem bedunken nit nützers noch frucht-
barlichs, dan ilyßig historien und alt geschienten ze lesen,
wa die allein ordenlich, als sich des die alten Roemer
geflyssen haben, beschriben werden ; wan von inen ein
yde geschieht warlich, wie sich die an ir selbes begeben
hat, mit allen umbstenden, Worten und tatten, daran icht
gewesen ist, beschriben wirt. Wa das nit beschicht, moecht
syn, das sich uff historien zu geben, kleine frucht gebar.
Dan was hilfft mich oder warzu dienet es mir. das ich weiß,
das die Roemer ir küng vertrieben und ein ander regiment
an sich genommen haben, so ich nit weiß, warumb und uß
was Ursachen es besehenen ist." Ebenso setzt er ausein-
ander, wie wichtig und lehrreich es sei, die Taten Scipios
zu betrachten : „das dynet einem yeden, der sich in ritter-
lichen oder weltlichen Sachen üben soll und muß, daruß
nympt der alt wißheit, der hing manheit und geschiklicheit
und lernet, wie man sich zu tugenten keren, schand und
laster flihen und myden soll" etc. Zu der Entwicklung Roms
von geringen Anfängen zur Weltherrschaft, dem Rückgang
und Verfall bemerkt er : ,,das dynet nit wenig einem yden,
der von gott dem almechtigen darzu angesehen und ver-
ornet ist, das er land oder stett regieren soll". Zum Schluß
spricht er von seinem nationalen Standpunkt aus: ,,So ich
nun befynd, das in tütscher zungen sollicher waren und
recht beschribner historien großer mangel ist, hab ich
Bernhard us Schoeferlin, doctor in keyserlichen rechten,
mir selber fürgenommen, mit hilft des almechtigen gotz,
der myn vernunfft und zungen leyten wol, dem gemeinen
nutz zu gut, zu lob und eer tütscher nation zu beschriben
die lochten waren roeniischen hystorien von Ursprung der
stall Rom, wie sie von erst gebuwen ward, wie ir regiment
von anbegynn durch die küng, darnach durch iarlichen
gewalt zweyer burgermaister, die sie Consules genent halten,
und eins ratz ein lange zyt bestanden sy, wie ouch das
roemisch volck durch die gemeind oder zuniftmeister, die
sie Tribunos plebis genannl haben, den hogsten gewalt an
sich und die gemeind pracht hat und wie es am ledsten zu
(\cv Monarchia, das ist zu <j;ewall und regiment eins einigen
menschen kommen sy, dadurch die keyserlich würde iren
Ursprung und anfang genommen hat, und was zwytragti-
keit, krieg und stryl sich darunder zwyschen fründen und
tynden begeben haben, tch würd ouch zu synen zyten der
tütschen manheil und tugent nit vergessen, sonnder orden-
lich beschriben, was in vor l'ünITzehenhundert iaren mit den
Aus nler Geschichte des Mainzer Humanismus. 17
Roemern und ander nation begegnet ist, wan ich fynd
souil manheit und ritterlichs werben von inen beschriben,
das sie in dem für alle nation gelobt syen." Nachdem er
noch darüber Auskunft gegeben hat, daß er eklektisch ver-
fahre und frei übersetze, kommt er zuletzt mit einem Hiebe
gegen die literarischen Neigungen der Zeit, einem schul-
meisterlichen Gegenstück zu den satirischen Intentionen <\<'*
Cervantes: „Ich hoff, es soll zu dem mynsten mer nutz
pringen, dann das man die fabel, die man nennet die ritter-
bucher, die erdachte, ungeschehene, ouch ungloepliche ding
in. sich halten, lese, die ouch den menschen zu sollicher
vernunfft und geschiclicheit als dise warhafftige hystorien
nit sturen noch pringen mügen".
Schöff erlin starb nach Vollendung der beiden ersten
Teile, wahrscheinlich noch 1504, und Witt ich führte das
Unternehmen fort. Er setzte mit dem Kriege der Römer
gegen Philipp von Mazedonien ein und schloß den dritten
Teil mit dem Regierungsantritte des Perseus (Ruch XXXI
bis XL) ; 1505 erschien die stattliche, vornehm gedruckte
Ausgabe. Ihre Wiederholung und Erweiterung zeigt, daß
die Mühe der beiden Gelehrten nicht verloren war.
In der dem Rande vorgesetzten Widmung an Kaiser
Maximilian I., in der der Verfasser ohne Namensnennung
nur mit ,,ich" spricht, steht das bekannte Zeugnis für die
Erfindung der Buchdruckerkunst in Mainz durch Johann
Gutenberg, das Johann Fust und Peter Schöffer nur
den Ruhm der Weiterbildung der schwarzen Kunst zuge-
steht.35 Da sich die Vorrede Schöff erlins unmittelbar
hinter dem Register anschließt, so ist doch wohl dieser der
Verfasser der Widmung36, und das würde die Bedeutung
des Zeugnisses noch heben, da in Eßlingen, der Heimat
Schöffer] ins, schon in den siebziger Jahren ein tüchtiger
alter Drucker, Konrad Feyner aus Gerhausen, tätig war,
der ihn doch am Ende über den Ursprung der Typographie
genügend halle unterrichten können.
Sonderbarerweise hat Johann Schöffer, der doch
bald mit seinen gefälschten Angaben über die Erfindung
hervortrat, nichl nur hier die Widerlegung seiner Lügen
3:' ... in welicher Stadt anch anfengklicb die wunderbare kunsl dei
Trückerey und Im ersten von dem kunstreichen Johan Güttenbergk,
du man zall nach Christi unsers heren gehurt Tausenl vierhundert!] und
fünffzig jare. erfunden und darnach mit vleyß, kosi und arbeyf Johan
Fausten und Peter Schoeffers zu Mentz gebesserth und bestendig
gemacht ist worden.
"'; II. Heidenheimer Irin für Ivo Wittich ;ils Verfasser ein. Zeitschrift
für Bücherfreunde, 2. Jahrgang, II, 368 f.
Beitrüge z. Gesell, d. Universitäten Mainz u. Gießen. '-'
1s Gustav Bauch.
selbsl abgedruckt, sondern er hat sie auch ruhig in den
Wiederholungen des Livius von 1514 und 1523, die doch
auch von ihm hergestellt wurden, unverändert stehen lassen.
Wittich hat allen Mainzern sichtbar durch einen in
seinem Rektorats] ahre, 1504, gesetzten Denkstein gleichfalls
sein Zeugnis für Gutenberg vor aller Welt abgelegt.37
I ml mag auch die Revolutionszeit diesen Stein vernichtet
haben, die Federn der Historiker und die Lettern der Drucker
haben dieses unanfechtbare Zeugnis der Wahrheit auch
für alle Zeilen sichergestellt. So haben die beiden humani-
stischen Freunde der Geschichte für die Geschichte der
Menschheil und der Verdienste der Deutschen um sie ein
Monumentum aere et saxo perennius geschaffen.
Reicher an eignen Werken und Editionen als Wittich
und auch produktiv in Versen, die wir von Wittich gar
nicht besitzen, war Dietrich Gresemund der Jüngere38,
obgleich sein Leben noch rascher ablief als das Wittichs;
aber er war auch seßhafter in Mainz und hatte zugleich
einen größeren Freundeskreis, der ihn immer wieder zu
literarischen Arbeiten anregte.
Als Riedner in Mainz lehrte, war er ein Knabe von
fünf Jahren. Er ist 1477, obwohl stets Moguntinus genannt,
weil er als ganz kleines Kind nach Mainz kam, in Speier
geboren. Seine Mutter Barbara war eine Irhelin oder Im-
molar i a.
Wie oben berührt wurde, übermittelte ihm der Vater
eine tüchtige humanistische Vorbildung nach italienischem
Vorbilde, die von Besuchern des väterlichen Hauses schon
an dein Kinde bewundert wurde, und ließ ihn zwar an der
i riiversität die dialektischen Studien in via moderna ver-
folgen, doch nur soweit, als für einen Juristen nötig er-
schien. Durch eigene Erfahrungen belehrt, wollte er nicht,
daß der Sohn bis zum Magisterium fortschritte, damit er
nicht zwecklos seine geistigen Fähigkeiten und die kostbare
Zeit in den üblichen leeren Wortgefechten der Logiker —
die Modernen galten darin als die Weitschweifigsten ver-
geudete. Während dieser Vorbereitungszeit, bereits 1493,
wandle er sich auch schon den ersten Studien im Zivil-
recht zu.39
In diesem Jahre trat dev Vierzehnjährige, wohl durch
1 Vergl. II. Heidenheimer, Vom Ruhme Johannes Gutenbergs, 26f.
Zu Dietrich Gresemund Junior vergl. die liebevolle Darstellung
Heidenheimers in <\<-i Zeitschrift liir Kulturgeschichte, X. F. 1, III, 21f.;
G. Bauch im Archiv für Literaturgeschichte, XII, 346f.
'' lv Hartfelder, Adam Werner von Themar, 19.
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus. 19
einen Besuch bei seinen Verwandten in Speier, mit W im-
pf el in g in Verbindung, der einen großen und dauernden
Einfluß auf seine ganze humanistische Richtung gewann,
und den er deshalb dankbar als seinen Lehrer verehrte.
Man könnte auch sagen: damit beginnt die Wimjpfe-
lingsche Periode des Mainzer Humanismus. Ebenso
knüpfte er 1493 mit dem pfälzischen Prinzenerzieher Adam
Werner von Themar auf brieflichem Weg? an und durch
Verse, die beide bis zum Jahre 1495 miteinander wechselten.
Der Anknüpfungspunkt war das Gedicht, das Werner zu
den Versen Wimpfelings De conceptu et triplici Mariae
candore beigegeben hatte, und das Gresemund durch Zu-
Sendung eines eigenen zum Lobe Wimpfelings erwiderte4-0,
welches an Kurfürst Berthold, dem Wimpfeliiig sein
Werkchen gewidmet hatte, gerichtet ist. Der Schluß preist
Berthold, und das wollen wir aus weiter unten noch
zu erörternden Gründen nicht seitwärts liegen lassen, als
Gönner der humanistischen Dichter :
. . . res placida est magisque multo,
Quod, Bertholde, tibi, beate presul
Moguntine, dicauit hoc celebre
Carmen, tu solita benignitate
Donis atque doces amare Musas.
Eternum merito tibi parandum est
Nomen post cineres cado tepentes.
Mit einem andern, wohl 1495 entstandenen Gedichte,
einer Elegie, feierte er Berthold als Säule der Kirche,
als Hüter des Reichs, als treuen Helfer Maximilians und
als unermüdlichen Anwalt des ewigen Landfriedens.11
An dem Briefwechsel nahm auch ein Schüler Werners
teil, der nachmalige Lehrer Philipp Melanchthons,
Peter Günther aus Neustadt an der Haardt, und kam da-
durch ebenfalls in Freundschaft mit Gresemund. 1496
war Günther Schulmeister in Oppenheim und Freund und
wissenschaftlicher Helfer des Stadtschreibers und Druckers
Jakob Kübel.1- Im Sommer 1517 stand er, nun Magister
artium und Doktor heider Rechte, der Fniveisilät Heidel-
berg als Rektor vor. Lud L521 gab Johann Schöffer in
Mainz zwei Bücher De arte rhetoriea, von ihm heraus.*3
to k. Hartfelder, a. a. 0., 93. - « K. Hartfelder, a. a. <>., '.»1.
42 Vergl. Das Bistum Wurms in den Historisch-politischen Blättern,
Jahrgang 1876, II, (.):iii.
±s Petri Guntheri iurisconsulti, et oratoris, ac | tae laureati de
arte rhetoriea libri duo, eloquentiae candidatis mire utiles futuri & breui-
tate praeeeptionum, & exemplorum uarietate. Moguntiae M. IX XXI. 4°.
2*
•jii Gustav ßaucb.
Hier heißl er auf dem Titel noch Orator ac poeta laureatus.
Wir werden ihn später als Streitgenossen für Wimpfeling
Seile an Seile mit Gresemund antreffen.
Als dritten im Jahre 1 193 gewonnenen Freund Grese-
munds haben wir noch den Benediktinerabt zu St. Martin
in Sponheim, Johannes Trithemius, anzureihen, denn
schon am 1. Januar 1494 schrieb er an diesen als an einen
Bekannten und ehrte ihn mit der Anrede Praeceptor. In
einem Briefe dankte Werner Gresemund für die Zu-
sendung seiner Lucubratiunculae.44 Das war die erste,
Trithemius gewidmete Arbeit, die der bei der Abfassung
erst sechzehnjährige Gresemund 1494 durch die Presse
ausgehen ließ. Sie bildet unter der Form eines Traumes
ein dreiteiliges Werk, das 1493 in Mergenthai entstanden
war, wohin er vor einer pestartigen Seuche geflüchtet war.
Ihr Titel heißt: Theoderici Gresemundi iunioris Mo-
guntini lucubraciuncule bonarum Septem artium liberalium
Apologiam eiusdemque cum philosophia dialogum et ora-
tionem ad rerum publicarum rectores in se complectentes.45
Sie sind begleitet von Applausen von Johannes Trithe-
mius, Konrad Leontorius aus Maulbronn, dem Zister-
zienser, von Jakob Wimpfeling und dem Regularkano-
niker in Heina Rutgerus Venrai Sicamber, die sich sämt-
lich nur auf das erste Stück beziehen. Trithemius und
Wimpfeling hatten wohl die andern Dichter angeworben,
die Verse aller bildeten eine nicht verächtliche Glorie für
das jugendliche Haupt des Verfassers. Es wird uns später
klar werden, wie gewichtig immerhin die Jünglingsarbeit
iu dein damit auch in Mainz beginnenden Kampfe gegen die
alles überwuchernde scholastische Methode mitspricht.
Iu der Einleitung zum ersten Dialoge, der zwischen
den Inlerlocutores Chiron und Aristobolus geführt wird,
die Dietrich zum Schiedsrichter angerufen haben, ergeht
sich der Verfasser in sehr scharfen Ausdrücken cremen den
Haufen der träfen Priester, denen der Name der guten
Künste so verh.il.ii sei, daß sie die Gelehrsamkeit der Schande
gleichachten und Unterrichtete mit unauslöschlichem Hasse
\ erfolgen.
Her Dialog spinnt sich nun in der Weise ab, daß
Aristobolus die einzelnen „Artes" angreift, ohne auch nur
eine gelten zu lassen, und Chiron, der die Ansichten Grese-
u K Hartfelder, a. a. 0., 85 X.
1 ' Imprt in oobili ciuitate Moguntina per Petrum Fridbergensem
Anno virginei partus. M. cccc. xciiij. 1".
Aus'der Geschichte des Mainzer Humanismus. 21
munds vertritt, sie verteidigt; keiner überzeugt den andern,
obwohl ihre Grimdanschauimgen zusammentreffen.
So behauptet Aristobolus, die Grammatik sei gering
zu schätzen, da sie ad bene beateque viuendum keine Be-
deutung habe, sich nur mit der lateinischen Sprache be-
schäftige und höchstens für Knaben gut sei. Chiron wendet
dagegen ein,- sie sei nötig zum Verständnis der Werke be-
rühmter Männer, in denen die besten Vorschriften für Er-
reichung der Tugenden überliefert würden, deren Kenntnis
zur Verbesserung der Sitten und damit ad feliciter viuendum
viel beitrage. Die Grammatik erstrecke sich auch auf die
griechische Sprache. Aristobolus wirft bei Chirons Auf-
zählung der grammatischen Elemente ein, daß die Knaben
nicht so unterrichtet würden. Denn es würden ihnen die
Regeln der Modi significandi beigebracht, die von einem
Nutzen für die Erwerbung der lateinischen Sprache so weit
entfernt zu sein schienen wie der Sanid, den man auf er-
tragfähigen Acker streut, um Früchte zu erzielen, von der
Fruchtbarkeit. Chiron meint darauf, auch vieles andere
minder Nützliche geschähe in altem Schlendrian, woraus
dann der von Aristobolus angedeutete Vorteil hervorgehe.
Es sei eitel und eine Schädigung der jugendlichen geistigen
Anlagen, wenn man sie unnützer Weise mit den Modi signi-
ficandi belaste, deren gründliches Verständnis einen Philo-
sophen erfordere. Daher glaube auch er, daß es mit dem
Zwecke der Grammatik nichts zu schaffen habe, sondern
daß die kostbare Zeit verschwendet, die Geister verpfuscht
und für die höheren Wissenschaften verdummt würden,
wenn ihnen von trägen und deshalb ungelehrten Lehrern
nur die alte Barbarei, die sie von ihren Lehrern gehört
hätten, trotz des jetzt vorhandenen Reichtums an bewährten
Grammatiken, vorgesetzt winde. Die Lehrer führten die
verschiedenen Erklärungen der Verse des Alexander Gallus
an, dächten die Berechtigung aller Einteilungen ans, häuften
die unnützen und ganz dunklen Kralle der Regimina, die
von den Knaben nicht verstanden würden, zusammen, sie
zimmerten das unentwirrbare Labyrinth der fünf Figuren,
trügen jene allen Streitfragen und Behauptungen vor, v<m
dem Vokativ, von den unpersönlichen Verben und von den
Gerundien. Ganz zu schweigen von der weitschweifigen
und verzwickten Behandlung der temporalia des Donalus,
von den verworrenen Redereien über die Hindernisse der
Konstruktion des Alexander Gallus, von den unaufhörlichen
Zweifeln, die sowohl im Donatus wie in dem Alexander
mit einer langen Reihe von vielen Argumentationen den
Gustav Bauch.
Köpfen der Knaben eingepfropft würden, so daß ein Jüng-
ling, der fünfzehn Jahre die Schulen und Universitäten be-
sucht hatte, gefragt, was ihn die Lehrer gelehrt hätten,
geantwortel habe: ..Die beiden Teile des Alexander". Da-
her geschehe es, daß manche, die bei unsern Landsleuten
Magister der Philosophie hießen, wenn sie die Universitäten
verließen und unter wirkliche Gebildete kämen, weder la-
teinisch zu reden noch Gedichte zu schmieden, noch Briefe
abzufassen, keine Geschichten zu erzählen, noch sich über
die Geheimnisse der Moral und der Natur auszusprechen
wüßten, <'h<'ii weil sie ihre ganze Lebenszeit mit den Modi
signiflcandi und der Quiddität der Nomina und den ver-
zwickten Universalien und den übrigen Nichtigkeiten dieser
All hingebracht hätten. Purer Wahnsinn sei es, mit so
leeren Lehren das jugendliche Alter zu ruinieren, da mit
einfacher Behandlung, die keinem Ekel errege, besser zum
Ziele zu kommen wäre. Bestätigend sagt Aristobolus, die
klugen Italiener lehrten mit Weglassung der Schwierig-
keilen ihren Jünglingen eine kürzere und vorteilhaftere
Grammatik, die dann so schnelle Fortschritte machten, daß
sie in ii zwanzig Jahren zu dem Doktorat in den höheren
Fakultäten gelangten. Und er spricht sich mit dem Vorbe-
halt, daß er von der Grammatik überhaupt nichts wissen
wolle, noch schärfer dahin aus, daß die „Gramrnatelli"
keine bessere Methode hätten ausdenken können, die Bil-
dung aufzuhalten und problematisch zu machen, und daß
Pluto, der Gott der Unterwelt (hier dem Teufel gleichge-
setzt), um die von Jupiter gestreuten Samen zu vernichten,
diese uik ntwirrbar verfilzten Irrtümer den Menschen ein-
gegeben habe.
Wenn wir den Disput über die Grammatik so ausführ-
lich wiedergegeben haben, so war die Bedeutung des Gegen-
standes für jene Zeit, für das Jahr 1493, und für das
rheinische Gebiel der Anlaß dazu; denn erst 1496 erschien
Wimpfelings [sidoneus, von Jakob Hau aus Straßburg
dem Straßburger Scholastikus Heinrich von Henneberg,
dem Bruder Bertholds, gewidmet, auf dessen Vorschläge
für die Reform des grammatischen Unterrichts so oft, wenn
auch nicht ganz mit Recht, als epochemachend für ganz
Deutschland hingewiesen wird, ohne daß man Gresemunds
gedenkt. Gresemund hat also doch wohl seine Ideen mehr
vom Vater als von Wimpfeling übernommen, obgleich,
wie wir hervorzuheben nicht unterlassen wollen, die Aus-
führungen Wimpfelings in dem [sidoneus, besonders in
den Kapiteln \< und 21, inhaltlich und bisweilen fast wört-
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus. 23
lieh mit denen Gresemunds übereinstimmen und es uns
schwer fällt, Wimpfel.ing als den Nehmenden und nicht
als den Gehenden zu hetrachten. Beide, Gresemund und
Wimpfeling, haben in den grammatischen Reformen schon
1482 den Wiener Humanisten Bernhard Perger mit seiner
Grammatica nova nicht bloß als theoretischen Vorläufer,
sondern als* praktischen Vorherausführer ihrer Wünsche ge-
habt.46 Gresemund der Ältere stand vielleicht auf dessen
Schultern.
Nachdem alle sieben Künste durchgehechelt sind, wird
Gresemund, der von vornherein für Chiron gestimmt war,
durch die Erscheinung und Bitte der sieben Künste noch
mehr in seinem Urteil bestärkt und entscheidet, ein jugend-
licher Salomo, in allen Punkten gegen den Angreifer. Von
der Logik saut er, sie sei so zu berücksichtigen, daß man
auf sie nicht allein Mühe verwende, damit nicht die Zeit,
die für bedeutendere Disziplinen verwendet werden müßte,
bei ihrem Betriebe verbraucht würde. Aber die jungen
Leute müßten sich mit zuerst auf sie legen, da sie zu
vielem diene. Das ist das Urteil des Vaters, dev nicht wollte,
daß sein Sohn das philosophische Magisterium erwarb, da-
mit er nicht seine guten Anlagen und die kostbare Zeit in
überflüssigen dialektischen Haarspaltereien verschwendete.
Die Astronomie (Astrologie), deren Vorhersagungen
Aristoboliis als „Astronomorum commentum" behandelt hat,
nimmt er in Schutz, weil sie die Himmel offenbare und
den .Menschen die Geheimnisse der Unsterblichen eröffne ;
dadurch pflege sie auch den Staaten bisweilen sehr zu
nützen.
Diese Deklamation fand bei den Zeitgenossen lebhafte
Anerkennung, die sich nicht nur in den angehängten
Applausen ausspricht, sondern auch zu mehrfacher Wieder-
holung durch den Druck führte.47 Dadurch wurde sie natür-
lich auch ein humanistisches Agitationsmitte] im Kampfe
gegen die mittelalterliche Behandlung des Lateins. Die Vor-
liebe übertrug sich nicht auf die beiden folgenden Stücke
dieses Erstlingswelkes, den Dialog Gresemunds mit der
Philosophie und die Hede der Oratoria an die Staatslenker.
Der einzige Konrad Celtis hat ein Hexastichon daran ge
wagt, den eisten Dialog und die Geheimnisse der Philosophie
zu lohen, aher es blieb in seinen Epigrammen begraben.48
4G (I. Bauch, Die Rezeption des Humanismus in Wien, IM.
47 Hierzu vergl. Heibig, Bibliophile beige, \l" annee, L876, 22f., 209f.
:- Epigramme; ed. Hartfelder, III. 13: De Gresmundo. Von Hart-
felder fälschlich auf den Vater bezogen.
Gustav Bauch.
Das Zwiegespräch mit der Philosophie, das mehr Leben
und Geschick als der erste Dialog zeigt, schließt sich an
Defensio an. Die Philosophie bittet Gresemund, auch
ihre Verteidigung zu übernehmen. Er erklärt sich dazu
bereit, doch verlang er, daß sie zuvor ihre eigne Sache bei
ihm Eühre, damii er wisse, wie er sie gegen die Angriffe
i belwollender schützen könne. Er fragt sie, warum sie
dulde, daß so viel Unheil und Verwirrungen entstünden.
Philosophie behauptet, das sei nicht ihre Schuld; da
die Fürsten auf ihren Rat nicht hörten und der Auswurf
der Menschen den Sitz einnähme, auf dem sie sonst bei
Jen Fürsten zu ruhen gepflegt habe. Gresemund verweist
sie auf die Hülle ihrer fünf Töchter, der Physik, Metaphysik,
Ethik, Mathematik und Logik, und der fünf Töchter der Logik,
der Grammatik, Poetik, Dialektik, Rhetorik und Historik.
Mit Hülle i lieser Nachkommen solle sie an die „Reforma-
lio reriini publicarum" gehen.
Ha rauf erzählt die Philosophie, was sie schon versucht
haue. Su- habe erkannt, daß die gefährliche Krankheit von
dem Haupte ausgegangen sei. Daher sei sie sofort zu den
Fürsten geeilt, habe aber infolge des Einflusses der
schlechten Ratgeber tauheu Ohren gepredigt und sei schließ-
lich durch bewaffnete Trabanten hinausgewiesen worden.
Ähnlich sei es kurz darauf der Concordia ergangen, und
als sie für diese eingetreten, sei sie hinausgeworfen worden.
Hierauf habe sie den Versuch gemacht, die Fürsten anzu-
sehen, wo sie, von ihren schlimmen Ratgebern getrennt,
sie vielleicht geduldiger anhören würden. Sie habe dazu
ein Gastmahl der Kaiser, Könige und Fürsten erwählt und
sich ihrer Schwester Justitia als Botin bedient. Diese sei
aber von den Dienern als ihr verwandt erkannt, und mit
Schlägen abgewiesen worden, bis man sie rufe. Auf ihrem
Heimwege sei dieser ein scheußliches Weih, eine Megäre,
begegnet, die sich zu dein Mahle der Fürsten begab, um
Gifl in ihre Becher zu schütten, daß keiner, der davon ge-
trunken, ruhen könne, bis er seinen Staat zu Grunde ge-
richtel habe. Auf die Qehentliche Bitte und die Anrufung
des Zeus und des Sfyx stand die Furie von ihrem Plane
ab; doch sagte sie hei ihrem Verschwinden, daß die Rat-
geber der Fürsten von ihrem Tranke schon vielfach ge-
nossen hätten.
Nach diesem fehlgeschlagenen Versuche habe sich die
Philosophie zu den Fürsten privatim begeben und geneigtes
Gehör gefunden; diese hätten um ihre Hülfe und ihren Rat
gebeten. Sie habe ihnen geraten, die Reformation hei sich
AusVier Geschichte des Mainzer Humanismus. 25
selber zu beginnen und dann die übrigen durch ihr Bei-
spiel zur Integrität aufzurufen. Zuerst aber müßten sie
die schlechten, habgierigen, unbilligen, grausamen, unge-
gelehrten, hochmütigen und Aufruhr erregenden Menschen
aus ihren Beratungen entfernen, die am meisten die Ruhe
der Staaten störten, und dafür gelehrte, rechtschaffene, ge-
rechte, friedliebende, treue, verschwiegene und kluge Männer
zu Rate ziehen. Die Fürsten nahmen die Ermahnungen
gnädig auf, zweifelten aber, daß ihre Vasallen ebenso bereit-
willig sein würden. Sie beauftragten die Philosophie, zu
diesen Fürsten und zu den Leitern der Städte zu gehen und
sie zu einer Versammlung zu berufen. Auch die Unter-
fürsten nahmen sie freundlich auf; nicht so die Lenker der
Städte, die sich nach ehrenvollem Empfange hochmütig er-
wiesen und erst nach eindringlichen Ermahnungen ihren
Starrsinn fahren ließen.
Hier tritt nun noch eine weibliche Erscheinung hinzu
und warnt vor dieser Nachgiebigkeit, da in den Städten
auch noch die schwankende Meinung des „Vulgus ignobile"
dazu käme. Diese Frau entpuppt sich als Veritas, die
Schwester der Philosophie. Gresemund hat sie nicht er-
kannt, weil ihr Gesicht von Narben entstellt ist. Sie hatte,
lange abwesend, überall in Lebensgefahr, alle Klimata
durchwandert und endlich, .schwer verwundet, in einem
Kloster liebreiche Aufnahme gefunden. Die Philosophie
nimmt sich nochmals der Städte an und verweist auf die
'Fürstenzusammenkunft, wo ihre Enkelin Oratoria sprechen
werde
Oratoria warnt die Fürsten vor Schmeichlern und
fordert von ihnen, nach dem Vorbilde römischer Feldherren
auch mitten in den Geschäften die Wissenschaften und die
Philosophie zu pflegen. Der ungebildete Fürst sei dem Ein-
flüsse schlechter .Männer leicht ausgesetzt; der unterrichtete
sei schwerer zu täuschen. Sie sollten Gelehrte begünstigen,
um durch sie unsterblich gemacht zu werden; nicht bloß
Pferde, Hunde und Jagdfalken sollten sie ernähren. Staat
und Kirche würden dadurch neuen Glanz erhalten. Dann
aber sollten sie Gerechtigkeit üben; jedoch so, daß sie als
Ausfluß der Frömmigkeit erschiene, und gleichmäßig gegen
Freund und Feind. Sich selbst aber müßten sie durch
Continentia im Zaume hallen.
Sodann mahnt sie zur Eintracht. Papsl Alexander
und Kaiser Maximilian sollen für Eintracht in beiden
Ständen des Staates sorgen. Alexander, „numen in terris
choruscans maximum", solle dem geistlichen Stande in
26 Gustav Bauch,
Heiligkeil der Sitten vorangehen; der mit jedem Verbrechen
belastete, fast zugrunde m-richlete Stand müsse sich wieder
erheben; doch müsse der Papst die Reformation „a maiori-
bus" beginnen. Von Maximilian wird vor allem verlangt,
daß er alle Fürsten und Völker einige, um sie zur Aus-
rottung der Türken zu führen. Die Versammelten erklären
nach Beendigung der Rede, daß sie ihnen angenehm ge-
wesen und daß sie ihnen auch für die Zukunft nützlich
sein solle.
Die scharfen Ausfalle, der Widerspruch der berührten
Verhältnisse mit der Wirklichkeit erklären wohl hinlänglich,
daß diese beiden Altschnitte der Lucubratiunculae nicht
wieder abgedruckt worden sind. Die Idee zu diesen Stücken
mas Gresemund wohl durch die Lektüre von Maffeo
Veggio empfangen haben. Fast zwei Jahrzehnte später
hat wieder ein Deutscher, Johann von Kitzscher, das-
selbe Fahrwasser aufgesucht49, aber er tat es als ehemaliger
Schüler des Philippus Beroaldus und älterer Mann und
auch nicht, nur zu deklamatorischen Zwecken. Grese-
münds, eines halben Knaben, Leistung, der Italien noch
nicht gesehen halle, ist daher um so respektabler. Man
denke, welche Midien Philipp Melanchthon auf-
wenden mußte, um in Vv'ittenberg Deklamationen, zusammen-
hängende prosaisch-rhetorische Darstellungen, auf die Bahn
zu bringen50, und er hat sie doch dann noch zum guten
Teil für den Vortrag — selbst geschrieben.
(i res ein und fand aber auch für das ganze Werk schnell
genug einen dauernden Lohn durch eine Rezension, die
ihm, so jung er war, kaum erst am Anfange literarischer
Tätigkeil und als Lebendigen in einen von den großen
papierenen Friedhöfen aufnahm, die die von manchem um-
sonsl ersehnte literarische Unsterblichkeit, ob auch nicht
immer „sans phrase", garantieren. Der Pate des Werkes,
l'ri i hein i äs. reihte ihn mit den größten Lobsprüchen auf
den neuen Cicero in seinen Catalogus illuslrium virorum51
trotz seiner Jugend ein, weil er Bücher „wie ein Mann"
chrieben bähe.
Er tat dies aber nicht allein wegen der ihm durch die
Widmung widerfahrenen Ehre; der Knabe stellte sich ihm
0 Bauch, Johann von Kitzscher, im Xeuen Archn für Sächsische
nte, NX. 31 1 1
'•• Bauch, Die Einführung der Melanchthonischen Declamationen
an der Universität zu Wittenberg, Breslau L900.
' Cathalogus illustrium virorum Germaniam suis ingeniis et lucu-
!"'; Il1"1 omnifariam exornantium domini Johannis Trilomii abbalis Span-
'"■• - et( 0. 0. u. .1. (Peter Friedberg, Mainz 1495), 1".
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus. ^7
auch noch 1494 zur Seite in seinem gegen den Bruder
Wigand Wirt wegen der Immaculata conceptio geführten
Streite. Als er mit seinem Tractatus de laudibus sanctis-
sime matris Anne hervortrat52, hatte er um der verstärkten
Wirkung willen eine stattliche Reihe von Poeten dafür
mobil gemächt in dem Streite reichten sich die sonst,
doch bei den Theologen so verschrieenen Poeten mit den
strengsten Theologen die Hand. Trithemius selbst schritt,
auch als Poet voran. Dann folgten Konrad Celtis,
Dietrich Gresemund der Jüngere, Rudolf von
Langen, Jodocus Radius (Ascensius) Gaudensis, Rudger
von Venrai, Dr. Jodokus Reissei, der Aachener Patrizier,
Adam "Werner von Themar und Johannes Herbst aus
Lauterburg, einer immer den andern an Enthusiasmus für
die heilige Anna überbietend. Gresemund war mit seinem
Tetrastichon so unter die vornehme Gemeinde der nam-
haften Poeten der Zeit aufgenommen.
Die Lucubratiunculae trugen ihrem Verfasser nicht nur
den Reif all des Trithemius und seiner Freunde ein, er
beklagt sich in mehreren, seinem zweiten prosaischen Werke
angehängten Gedichten, daß ein falscher Freund hinter
seinem Rücken behaupte, sie seien mit fremdem Hammer
und Amboß geschmiedet. Der Zoilus hatte wohl nicht ganz
unrecht, wenigstens was die Selbständigkeit des Urteils an-
betrifft. Das Ruch, in dem sich der verletzte Autorenstolz
äußert, ist: Podalirij Germani cum Catone Certomio de
furore germanico diebus genialibus carnispriuij Dialogus.53
Das Werkchen ist von Versen der gekrönten Dichter
L. Joannes Cuspinianus und Jacobus Canter Frisius
begleitet54 und unter dein letzten Februar 1495 dem Mainzer
Kanzler Georg von Helle, Pfeffer genannt, gewidmet.
Die Interlocutores des Dialogs sind der Deutsche Podalirius
Ecdicetes und der Italiener Cato Certomius. Cato urteilt,
seinem Namen gemäß sehr streng und abfällig über die
tolle Ausgelassenheit des Karnevals bei den Deutschen, den
er in Speier kennen gelernt hat. Nach langem Disput mit.
dem Verteidiger Podalirius, der Gresemund Gelegenheit
gibt, seine klassische Gelehrsamkeil zu zeigen, läßt er sich
aber doch bereit finden, jetzt in Mainz daran teilzunehmen.
52 De laudibus sanetissime matris anne tractatus perquam utilis
domini ioannis tritemij abbatis spanheimensis ordinis diui patris benedicti.
Impressum in nobilj ciuitate Maguhtina per petrum Friedbergensem Amin
virginei partus Mccccxciiij xij. kalendas Augusti.
53 Ohne Druckyermerk (Mainz. P. Friedberg), -I". Ausführlich be-
handelt von II. Heidtenheimer in der Zeitschrifl für Kulturgeschichte, N.
(4.) F., III, 21 f. — :,i Zu diesen beiden Männern v'ergl. weiter unten.
Gustav Bauch.
Da jedoch verdirbt sich Gresemund absichtlich oder un-
absichtlich die Pointe selbst, indem er den Genossen Catos
Munacius als im Gedränge verwundet einführt. Natürlich
bedankl sich nun Cato trotz des Protestes des Podalirius
dafür, sich an dein (Jnfuge zu beteiligen.' Dieses Zwiege-
spräch isi viel lebendiger und plastischer als die abstrakten
Lucubratiunculae und zeigl dalier noch mehr wie jene,
daß die Zeitgenossen nicht ohne Grund das Talent des
jungen Mannes bewunderten. Der Zwiespalt, des Dialogs
wiederholt sich auch in den Begleitversen. Cuspinianus
Lobl zwar den noch so jungen Verfasser, die Hoffnung
Deutschlands, doch weniger das verrückte Faschingstreiben;
Canter lobi gleichfalls Gresemund und ziemlich ironisch
auch den Karneval.
Wenn man den heiteren Gegenstand dieses Dialogs
betrachtet, wird man nicht geneigt sein, zu glauben, daß
Gresemund um dieselbe Zeit, als er das Buch schrieb,
daran dachte, ins Kloster zu gehen55, und doch ist dem
so. Am 11. April 1495 schrieb Trithemius an Konrad
Celtis, Dietrich sei vor zwei Monaten heimlich, vor seinem
Vater fliehend, zu ihm geflüchtet und halte um Aufnahme
unter die Mönche gebeten. Trithemius, der ihm nicht
gern willfahren wollte, zog ihn hin. Inzwischen besann sich
Dietrich, durch Briefe und Boten des Vaters bewogen,
eines andern und kehlte nach Hause zurück. Der Grund
der plötzlichen Abwendung vom Irdischen war ein Fehl-
tritt: famulam domus grauidam reddidit ; die Furcht vor
dem Vater hatte den schnellen Entschluß hervorgerufen.
Nach diesem Zwischenfalle schickte ihn der Vater nach
Italien, der Heimat der juristischen Studien. 1495 war er
in l'adiia und 1 197 ist er in das Album der deutschen Nation
in Bologna eingetragen. Dorl studierte er gleichzeitig mit
Thomas Wolf Junior''1, dem „Echo" Wimpfelings. Ein
anderer Bologneser Freund war der nachmalige Sekretär
Maximilians I., i\n 1504 bei dem Kaiser für Aldus Ma-
nuiius wirkte, als dieser seine Akademie nach Deutschland
verlegen wollte, Johannes Collaurius Firmianus."
Ihm widmete er eine Elegie „Epicurus", die ein beschei-
denes, anspruchsloses Leben preist. Den legistischen Doktor-
Da I olgende nach einem Briefe des Trithemius an Celtis in Celtis'
epistolaris.
• Zu Thomas Wolf Junior vergl. Ch. Schmidt, Histoire litteraire de
G. Knod, Deutsche Studenten in Bolo-na. i;t2. Xo. 4278;
G. Bauch, Die Universitäl Erfurt, L28f.
\nln\ für Literaturgeschichte, XII. 355, Anm. 1; G. Knod, a. a. 0.,
262, No. L802; Studi e documenti, VIII, 282
Aus*der Geschichte des Mainzer Humanismus. 29
hut erwarb er 1498 in Ferrara. Diesen italienischen Lorbeer
mußte er dann, als er in Deutschland einen Lehrstuhl an-
strebte, noch einmal verteidigen, weil einige transalpine
Universitäten in dem Rufe standen, gegen Geld und gute
Worte die akademischen Ehren zu übertragen. Darauf lehrte
er trotz seiner Jugend unter großem Beifall das kaiserliche
Recht. Hier.onymus Gebwiler, der dies erzählt58, nennt,
die Universität nicht, es kann aber nur Heidelberg gemeint,
sein, wo Gresemund am 29. Mai 1499 immatrikuliert worden
ist. Ähnliche Schwierigkeiten machte 1507 die juristische
Fakultät in Leipzig dem in Bologna promovierten Freunde
des Aesticampianus Dr. Heinrich Schmidberg, und
Dr. Christoph Scheurl trat deshalb für ihn ein.59
In Heidelberg wohnte Gresemund im Hause des
.„Wirtes der Philosophen", wie man im Kreise der Sodalilas
literaria Rhenana sagte, und Spezialfreundes des Konrad
Celtis wie auch Vertrauten des edlen Wormser Bischofs
und pfälzischen Kanzlers Johann von Dalberg Johannes
Vigilius60, und lebte mit dem seit 1498 wieder nach Heidel-
berg zurückgerufenen Wimpfeling in engem Verkehr.61 Bei
den „somatischen" Mahlen im Hause des Vigilius trat er
auch Johann Reuchlin näher.
Der überaus fruchtbare Wimpfeling brachte ihm eben-
falls Gelegenheit, den Griffel zu führen. So als Wimpfe-
ling und eine große Schar seiner Schüler und Verehrer
sich im Juli 1499 mit einer an Kurfürst Philipp und seine
-Söhne gerichteten Epistel für die Gleichberechtigung der
Modernen oder Nominalisten mit den Antiqui oder Realisten
an der Universität verwendeten.62 Unter den 51 Poeten, die
das Gesuch mit Versen in die Öffentlichkeit geleiteten, steht
an zweiter Stelle, hinter dem Theologen Jodokus Gallus
aus Ruffach und vor Jakob Wimpfeling, Dietrich
Gresemund. Der im Oktober 1499 beendeten Adolescentia
Wimpfelings63 gab er wieder an zweiter Stelle nach Jo-
dokus Galz ein Tetrastiehon „contra mendaciuni" bei. Bei
58 Bei Historia de violata Cruce 1514.
59 Neue Mitteilungen des Thüringisch-Sächsischen Vereins, XIX, 404.
60 G. Bauch, Die Rezeption des Humanismus in Wien, TU.
61 G. Knod, Wimpfeling und die Universität Heidelberg (Zeitschrift
für die Geschichte des Oberrheins, N. F. I), 321 f.
62 G. Knod, Zur Bibliographie Wimpfelings (Zentralblatt für Biblio-
thekswesen, V), 474, No. 2; H. F. Singer, her Humanist Jakob Mer
stetter, 24 f.
t;:' Uns liegt die Ausgabe vor: Adolescentia Jacobi wimphelingij cum
nouis quibusdam additionibus per Gallinarium denuo reuisa ac elimata.
Straßburg. Martin Flach, 1511.
30 Gustav Bauch.
den 47 Poeten, die hier mitwirkten, findet man Peter
C.üiil her, Johannes Immolarius Nemetensis, wohl einen
Verwandten Gresemunds, und Johannes Heusegen
(Oecolampadius) Wynspurgensis, den wir nochmals mit
Gresemund zu erwähnen haben werden.
Schwierig ist, da wir keine genauere Datierung und
auch keine anderen Verbindungsfäden auffinden können,
eine eigene Publikation Gresemunds aus demselben Jahre
in dem richtigen Zusammenhange unterzubringen. Er hielt
bei einer Synode unter dem Vorsitz des Erzbischofs Bert-
hold in Mainz eine Rede, die gedruckt vorliegt.64 Er er-
scheint in dieser Ansprache als strenger Sittenrichter. Den
belesenen Humanisten zeigt der Eingang, worin er nach-
weist, wie hoch die Priester in der heidnischen Vorzeit bei
Ägyptern, Galliern, Babyloniern, Indern, Äthiopen, Römern,
Hebräern und unseren deutschen Vorfahren geschätzt
wurden, und wie sehr der Priesterstand durch die christ-
liche Religion an Bedeutung zugenommen habe. Daher aber
müßten die Sitten des Standes auch als Norm für ein gott-
seliges Leben gelten können, und die Geistlichen hätten,
wenn sie unwürdig seien, einst härtere Strafen als die
übrigen Menschen zu erwarten. Er muß hiernach doch
wohl schon 1499 eine kirchliche Position in Mainz gehabt
haben.
Wenn sein Biograph Gebwiler erzählt, er habe sich
aus Liebe zur Religion und zu den Altertümern nach Rom
begeben, das er aber bald, der Stadt überdrüssig, wieder
verlassen, so muß das etwa 1501 geschehen sein, denn am
31. Juli 1501 ist er in Siena nachweisbar. Wir werden nach
Gebwilers Äußerung- wohl nicht fehlgreifen, wenn wir in
diese Zeil die beiden sehr scharfen Epigramme Grese-
munds gegen das Rom Alexanders VI. setzen, die seiner
einstigen Hede der Oratoria so entgegengesetzt sind, viel-
leicht das Beste, das seine Muse hervorgebracht hat.65 Das
fhema des ersten ist, daß Venus für den Ehebruch mit
Mars sich von diesem habe Rom schenken lassen und dort
nun gebiete, das des zweiten, daß nicht, mehr Simon Petrus
als Stellvertreter Christi in Rom weile, Petrus sei zum
Fischfange zurückgekehrt, Simon sei geblieben.
1 Oratio Tl lorici gresemundi ad sanctam synodum Moguntinam
leganti ima Ohne Druckvermerk (Eist, Speier) 4°. Das Jahr ist auf
der Rückseite des Titels angegeben.
Pasquilli extatici, seu tvuper e coelo reuersi . . cum Marphorio
colloquium etc. o. <>. a. .1.. S. l'.K), 202. !•:. Bßcking, ülrichi Hutteni
opera, III, 77.
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus. 31
Auf dem Rückwege nach der Heimal winde Grese-
mund in Straßburg von einem Freunde dem Johann
Geiler von Kaisersberg zugeführt, der Neigung für den
bescheidenen jungen Mann gewann. Damals wird er wohl
auch zu der /war erst 1503 erschienenen, aber von \V im-
pf eling schon quinto Idus Sextiles 1501 den Liebhabern
der guten Künste ,,ex heremitorio diui Guilhermi*' gewid-
meten Ausgabe von Magnencij Rabani Mauri De Laudibus
sancte Crucis opus66 seine zwei Gedichte hinzugefügt haben.
Poetische Genossen waren hierbei Johann Reuchlin, Jo-
dokus Gallus, Johannes Gallinarius aus Heidelberg
und Georg Simler aus Wimpfen. Bald rief eine Fehde
Wimpfelings Gresemund mit zum literarischen Kampfe.
Wimpf eling hatte 1501 in seiner Germania ad rempublicam
Argentinensem67 den Nachweis zu führen gesucht, daß Straß-
burg und die übrigen Städte des Rheins niemals dem galli-
schen Reiche angefügt gewesen seien. In seinem patrioti-
schen Eifer schied er nicht zwischen Gallien und Frankreich,
und daher ist seine ganze Beweisführung, nebenbei auch
in den Beweismitteln, etwas wunderlich. Die Schwächen
der Deduktion forderten den bekannten Humoristen Thomas
Murner zum Angriff heraus, ohne daß freilich auch er
Klarheit in die Sache gebracht hätte. Daß er gegen den
hochverehrten Wimpf eling geschrieben68, bei ihm von
veterana deliratio gesprochen und mit Bezug auf die von
diesem zitierten sieben Zeugen gesagt hatte: „Wer von
sieben sagt, der lügt gern", das war für die zahlreichen
Anhänger Wimpfelings zuviel. Eine Defensio Germaniae
Jacobi Wimpfelingii trat zuerst Murner entgegen.69 Den
Reigen eröffnete darin Peter Günther, der sich hier den
Beinamen Murena zulegt, mit einem derben Briefe an den
Leser, precipue Argentinensibus. Das Hauptstück der Samm-
lung, auch an Grobheit, ein Brief des Thomas Wolf
Junior, ist auch in eine /weile Verteidigungsschrift auf-
genommen: In hoc 1 i hello hec conlinenlur Versiculi Theo-
dorici Greseniundi Legum Doctoris Epistole Thome
Wolffij iunioris. Decretorüni Doch Carmina Esticam-
piani Poete laüreati Teträstichon Jacobi Wimphelingi.
66 Pforzheim, Thomas Anshelm Martio mensc. M. V. III. etc. 2°.
67 Impressa per industrium Johannem Prüß Ciuem Argentinen. Tre
decimo kalendas Januarij. Anno Millesimo quingentesimo primo. Vergl
Archiv für Literaturgeschichte, \ II, 1661
68 Neudruck: Thomae Murner Argentini Ordinis Minorum Sacre Theo-
logie Baccalarii Ciacouiensis ad rempublicam Argentinam Germania n
Impressum Genevae per Jul. Guill. Fick L874.
69 Impressum Fribv. o. J. 4°.
32 Gustav Bauch.
Epistola Thome .\l u in er. Lector eme et gaudebis. Joannes
Strosack Eeliciter impressit.70 Der Sammler dieser Pam-
phlete ist Gresemund, er widmete Wimpfeling das Buch
(Ex Spira V. id. Nouemb. 1502). In seinem ersten Gedicht
behauptet er, die Germania Wimpfelings gefalle allen
Gelehrten, nur ,,merdosae cuidam cueullae" nicht, denn
„asinus rudis praeoptat auro stramina nihilque est porco
cum cithara"; im zweiten wehrt er sich dagegen, daß
AI urner ihn, den Deutschen, zu einem Franzosen machen
wolle; im dritten beklagt er die Germania, daß nicht ein
König, ein Kaiser oder der Türke ihr Verstümmelung drohe,
sondern eine übelbekannte Kutte, ein „semimortuum ca-
dauer", weil sie, der guten Mutter überdrüssig, Gallien
vorzieht, wo das leichte Gehirn hätte geboren werden
müssen.
Als Thomas Wolfs Bruder Amandus, den er jeden-
falls auch von Bologna her kannte, 1504 starb, tröstete
er Thomas mit einem Briefe, den Wimpfeling 1513 seinen
Concordata Principum Nationis Germanicae einverleibte.71
Im Jahre 1505 gab er zu dem von Wimpfeling dem
Kurfürsten von Mainz Jakob von Liebenstein gewidmeten
Soliloquium pro pace christianorum et pro Heluecijs ut
resipiscant. Ad honorem Regis Romanorum et principum.
Ad cautelam etiam Ciuitatum Sa. Ro. Imperij : ne apostate
fiant. ein Dodekastichon. Etwa 1505 muß er auch sein
umfangreichstes poetisches Werk geschaffen haben.
Fieberkrank behandelte er infolge eines Gelübdes die
von der Legende in das Jahr 1383 versetzte Verstümmelung
eines Kruzifixes durch einen Spieler namens Schelkropf.
Gresemund geht ab ovo aus, "behandelt zuerst in großer
Ausführlichkeit mit vielen gelehrten Zitaten die Geschichte
des Spiels und die schändlichen Folgen 'des Spiellasters
und erzähll dann, wie Schelkropf in der WTut des Spiel-
verlustes ein Kruzifix und die Statuen der Mutter Jesu
und des heiligen Johannes verstümmelt habe, wie aus den
Wunden der Bilder Blut geflossen sei und Schelkropf dafür
den Feuertod erlitten habe. Das didaktisch gedachte mora-
lischc Gedicht ist ohne poetischen Wert. Ein handschrift-
liches Exemplar hängte der Dichter nach seinem Gelübde in
der Kirche B. Virginis in cainpis auf.
Wimpfeling hätte das Werkchen, das ihm sympathisch
70 0. 0. und J. 40.
71 <•. Knod in L. Geigers Vierteljahrsschrifl für Kultur und Literatur
d< r Renaissance, II, 278.
Au§ der Geschichte des Mainzer Humanismus. :::!
war, gern gedruckt gesehen, aber Gresemund konnte sich
dazu nicht entschließen.72 Dagegen wünschte er schon 1506,
damit es einen größeren Wirkungskreis bekäme, daß Se-
bastian Brant die Historia de violata Cruce in deutsche
Reime übertrüge. Er beauftragte Johannes Viffilius, der
nach Straßburg reiste. Brant, mit dem er selbst noch nicht
bekannt war, seine Bitte vorzutragen. Er schrieb auch
selbst (19. Oktober) an Brant und bat auch Wimpfeling,
auf Brant einzuwirken (20. Oktober). Aus dieser Über-
setzung scheint nichts geworden zu sein. Dafür predigte
Geiler, dem die Dichtung auch sefiel, 1511 darüber. End-
lieh konnte Wimpfeling 1512 die gedruckte Historia73 dem
Mainzer Kanonikus Dietrich Zobel von Giebelstadt,
den Gresemund „virum profecto nobilium eruditissimum
et eruditorum nobilissimum" und seinen Freund nannte,
widmen. Gresemund äußerte den Wunsch, daß die Leiter
der Schulen und besonders Hieronymus Gebwiler in
Straßburg, Johannes Sapidus in Schlettstadt und Ger-
vasius Sopher in Offenburg das Gedicht vor den Schülern
behandeln möchten, um die jungen Leute vom Spiel ab-
zuhalten. Mindestens Gebwiler hat das auch getan und
1514 eine neue Aussähe mit Schoben für y\^\\ Schulgebrauch
davon veranstaltet und eine warme Vita des damals schon
verstorbenen Verfassers beigegeben.74 Die erste Aussähe
schon ist durch poetische Beistücke von Hieronymus Pius
Baldungus, dem Wiener Schüler des Celtis und Uni-
versitätslehrer in Freiburg, von Hieronymus Vehus, dem
badischen Kanzler, und Icolampadius geschmückt.
Gresemund erstieg in .Mainz in der kurzen Spanne
seines Lebens eine ganze Reihe von Eh renstufen, wie Ber-
thold, so hat ihm auch Jakob von Liebenstein sein
Vertrauen geschenkt. 1505 wurde er Kanonikus zu St.
Stephan, 1500 Provikar für den vielfach abwesenden Grafen
Wilhelm von Höllenstein und Generalvikar des Erz-
bischofs Jakob, 1508 Protonotar und Judex generalis sedis
Moguntinae, L509 Diffinitor cleri minoris bei St. Stephan
und L516 Scholastikus bei demselben Stift. Von seinem
•- Für das Folgende vergl. G. Knod, Zur Bibliographie Wimpfelings,
a. a. ().. 470.
7:' Historia violate erücis Theodorici Gresemundi. Excussum A.gen-
tinae (!) in edibus (vulgo) zum thioriarion: per Renatum Beck. Anno
M. D. XII. Decimoquinto Kai. April. V>.
7! Theoderici Gresemundi. Carmen de Historia Violatae Crucis. El
eius vit;i. Cum interpretati* Hieronymi Gebuileri Scholarum Summi
templi Argentoracensium moderatoris. Excusum Argentine per Renal
Beck einem Argentinensem. Amin M. D. Xllll. 1°.
Beitrage z. Gesch. d. Universitäten Mainz u. Gießen. 3
4:; Gustav Bauch.
Biographen wird er uns als tüchtiger und gerechter Richter,
als fromm und ladellos in seinem Privatleben, geschildert.
Seine amtliche Tätigkeil ließ ihm noch Zeit für weitere
Verfolgung seiner humanistischen Studien and die Pflege
i\n- Freundschaft.75
Eine Lieblingsbeschäftigung Gresemunds war das
Sammeln anfiker Münzen und Inschriften. Beatus Rhe-
nanus, der ihn 1.509 besuchte und bei ihm für Jacobus
Faber Stapulensis nach dem Directorium speculantis des
Cusanus forschte, bewunderte seine reichen Funde753 und
ermahnte ihn, in der ihm gewidmeten Ausgabe der apo-
kryphen Werke des Pomponius Laetus von 1510, diese
Antiquitäten nach dem Beispiele des Konrad Peutinger
herauszugeben. Gresemund willfahrte vorläufig nicht, da-
für ließ er in demselben Jahre erscheinen: In hoc libello
subieeta continentur Valerii Probi interpretamenta litterarum
singularium in antiquitatibus Romanis, cum plerisque circa
singulas litteras additionibus. Idem Valerius Probns de
abbreuiaturis Nominum ciuium Romanorum. In iure ciuili
de legibus, et plebiscitis. De actionibus. De edictis perpe-
iuis. De ponderibus. De numeris. Pomponij Laeti libellus
de Romanorum magistratibus. Idem de sacerdotijs Ro.
[dem de diuersis Legibus Ro.76 Dieser Sammlung ist ein
Brie! Wimpfelings beigesellen. Er hatte auf einer Reise
nach Worms Gresemund in Mainz besucht und bei ihm
die nun gedruckten erbten und unechten Stücke gesehen
liml forderte ihn auf, diese, die gesammelten Antiquitäten
und die Violata Crux herauszugeben und den versprochenen
Katalog der Bischöfe und Erzbischöfe von Mainz zu ver-
lassen, (i resemund hat nur den Interpretamenta bei jedem
Buchstaben (X ausgenommen) lange Ergänzungen beigefügt,
alle übrigen Sachen sind schon in früheren Drucken so
vorhanden. In einem Üriefe an den Leser versprach er,
daß bald seine, dem Dietrich Zobel gewidmeten, in Mainz
und Umgebung gefundenen Antiquitäten erscheinen würden.
Diese beabsichtigte Publikation wurde durch den Tod ver-
' Hin irger Freund Gresemunds war auch Joannes Adelphus
Mulingus, '1er ihm unter 'lein 1. März 1508 Hermolaus Barbaras gegen die
lasziven Poeten widmete. Bei Margarita Facetiaram Alfonsi
Regi \ afre dieta etc. Straßburg L509.
■ (i. Knod, Zur Biographie and Bibliographie des Beatus Rhenanus,
Zentralblatl für Bibliothekswesen, II, 260. A. Horawitz und K. Hartfelder,
Bri isel des Beatus Rhenanus, 27, 28.
Impressum Oppenheim . anno . Domini millesimo . quingentesimo de-
eimo. i1 ist von Wimpfeling. Vergl. Kap. VIII der Diatribe
de proba institutione puerorum etc. Hagenau L514.
Aus "der Geschichte des Mainzer Humanismus. 35
eitelt, Gresemund hatte schon, wie Johann Huttich an
Zobel schrieb77, seine Antiquitäten dem Typographen über-
geben, sie gingen jedoch nach seinem plötzlich erfolgten
Tode durch die Fahrlässigkeit des Druckers verloren. Ob
der auch von Irenicus erwähnte 7S Katalog der Mainzer
Bischöfe wirklich geschrieben vorhanden ist, läßt sich nicht
nachweisen. - Gebwiler berichtet noch von Gesängen
(Gresemund war also auch Musiker) und vielen Epitaphen.
Im besten Mannesalter starb Gresemund im Oktober
1512 an einem Bruchleiden. Sein Bild gibt uns Gebwiler
mit den Worten: „Dietrich war von schlankem Körper,
mittlerer Statur, mit wohlgestaltetem Antlitz, dunklem Haar,
grauen Augen, ruhigem Gemüt, ohne Galle, ohne Anmaßung,
ohne Stolz, ohne Affekte, ohne Lästerung, ohne Falschheit".
Durch eine Äußerung des Altvaters des thüringischen
Humanismus Conradus Mutianus Rufus nach dem Er-
scheinen der Exegesis des Irenicus erfahren wir, daß er
1502 in Mainz mit Gresemund herzliche Freundschaft ge-
schlossen hatte.79 Beatus Rhenanus zählte ihn in einem
Briefe vom 1. März 1512 an Jakobus Faber Stapulensis80
unter den Deutschen auf, „omnem latinomm splendorem
complectentes", und Erasmus setzte ihm 1516 in der Aus-
gabe der Werke des Hieronymus81 das schöne Denkmal:
„Postremo [Moguntia] non solum veterum, hoc est alienis,
clara litteris, sed et suis ingeniis illustrata, quippe quae
cum alios permultos omni doctrinae genere praestantes viros
edidit tum vero praecipue Theodoricum Gresmundum,
hominem ab ipsa natura ad humanitatem, ad bonas
litteras, ad eloquentiam illam vere Atticam sculptum
et factum".
In der Biographie Gresemunds sind uns drei Männer
begegnet, die auch noch ein paar Worte erfordern: Celtis,
Cuspinianus und Canter.
Gern würden wir über des ersten gekrönten deutschen
Poeten Konrad Celtis Beziehungen zu Mainz recht viel
berichten, aber das meiste von dem, das er über seinen
Aufenthalt dort selbst erzählt, ist der poetischen Fiktion
seiner dritten Liebe zu Ursula Galla gewidmet. Er ist
vermutlich im Sommer 1494 und im Herbst 1495 in Mainz
77 Vorrode zu den Collectanea. S. w. unten. Vergl. auch G. Knod,
a. a. 0.. 261.
78 Germaniae exegesis, 71b.
™ K. Gillert, Der Briefwechsel des Conradus Mutianus, 266.
80 G. Knod, a. a. 0., 2G5; A. Horawitz und K. Hartfelder, Brief-
wechsel des Beatus Rhenanus, 41.
81 Omnium opp. Divi Eusebii Hieronymi Stridon. tom. I, fol. 40b.
3*
::i; Gustav Bauch.
gewesen. Seine Ode an Dietrich Gresemund den
Älteren, in der er diesen „hospitem siuini Mogundinum"
nennt82. Int so wenig Inhalt und auch so wenig Lokalfarbe,
daß mit ihr nicht viel anzufangen ist. Sie könnte 1494
geschrieben sein. Daß er Dietrich den Jüngeren, den
Stern des Hauses, darin gar nicht erwähnt, ist mindestens
auffallend. Sein Epigramm auf die Lucubratiunculae, das
eist nach dem Drucke geschrieben ist83, mag wohl in das
Jahr L495 gehören. Von in Mainz gehaltenen Vorlesungen
verlautet nichts.
Eher wird es uns gelingen, etwas über Johannes
Cuspinianus festzustellen. Die Verse zu dem Dialog
Gresemunds über den Karneval sind nicht das einzige
Zeichen seines Aufenthalts am Rhein. Johannes Spieß-
heim aus Schweinfurt, latinisiert L. Johannes Cuspini-
anus84, ein Landsmann und bald guter Freund, Schüler
und Sodale des Celtis, hatte von einem anderen Freunde
des Celtis, dem etwa 1501 gestorbenen ersten Vorsteher
der Sodalilas Leucopolitana, Magister Matthaeus Lupinus
( ' a I i d oni i u s , den ersten Unterricht in den humanen Fächern
erhalten und sich in nur drei Jahren vom Anfänger bis zum
gewandten Prosaisten und Poeten durchgearbeitet.85 Im
Sommersemester 1490 ist er als Johannes Spiesham de
Schweinfurt in die Leipziger Matrikel eingetragen und zum
Wintersemester 1493 ist er in Wien als Johannes Spies-
haym Sweynfordensis intituliert.86 In Wien bildete er sich
unter dem italienischen Humanisten Paulus Amaltheus
aus Pordenone weiter, und bei dem feierlichen provisori-
schen Leichenbegängnis des Kaisers Friedrich III. krönte
-Maximilian I. den erst neunzehnjährigen Poeten für ein
Gedieh! auf den heiligen Leopold mit dem Dichterlorbeer.
Im Augusl 14(.)4 gewährte ihm die artistische Fakultät auf
seine Bitte ein Lektorium, weil er etwas Schönes in der
Poesie lesen wollte, und auch ein Buch aus der Bibliothek
der Fakultät. Er gab für seine Vorlesungen, Johannes
Pierius Graccus, dem Mäzen aller Humanisten und be-
sonders des Celtis und seiner Sodalen, gewidmet, die
Hymnen des Prudentius heraus und bald dahinter die
poetische Schritt des Dionysius Alexandrinus De situ orbis
-' Libri Odarum quatuor, Straßburg 1513, III, 27.
83 Epigramme, III. IM: De Gresmundo.
' Füi das I.. vor dem Namen läßl sich keine Erklärung finden.
Schon Balbi gebrauchl es 1 1'.) 1.
G. Bauch, Geschichte des Leipziger Frühhumanismus, 60, 29.
1 G, Bauch Die Bezeption des Humanismus in Wien, 48 f.
Aus jfler Geschichte des Mainzer Humanismus. 37
nach der Übersetzung Priscians. Trotz dieser humanisti-
schen Lektionen hatte er sich schon am 14. Mai 1494 als
Scholar der Medizin eintragen lassen. Der erste festange-
stellte Wiener Poet Hieronymus Balbi richtete an ihn
ein sittlich nicht eben feines Epigramm.87
Er verließ 1494 oder Anfang 1495 als Magister Wien,
um seine medizinischen Studien in Mainz fortzusetzen. Dort
in Berührung mit dem jungen Dietrich Gresemund
schrieb er die erwähnten Verse.88 Am 29. April 1490 mel-
dete89 Johannes Trithemius, den Cuspinianus, um die
Sponheimer Bibliothek zu sehen, besucht hatte, dem Celtis
in Ingolstadt, daß Cuspinianus, den Celtis wohl während
seiner Heidelberger Episode 1495 kennen gelernt hatte, nach
Wien gegangen sei, um dort über Medizin zu lesen. Dieser
war aber vielleicht noch um Himmelfahrt in Mainz und
dann im Juni und noch im Dezember bei Celtis in Ingol-
stadt als sein Schüler. 1497 begrüßte er Celtis mit den
andern Socialen poetisch in Wien. Als Doctor medicinae,
wohl Mainzer Promotion, führte er im Wintersemester 1500
bis 1501 das Rektorat der Wiener Universität und wurde
1501 ihr Superintendent. 1502 vertrat er den abwesenden
Celtis im Poetenkollegium, 1508 hielt er diesem die Leichen-
rede, übernahm seine Lektur in Oratoria et Poetica und
setzte Celtis und dem engeren Kreise der Sodalen einen
Denkstein in seinem Wiener Hause. Er hat seine humanisti-
schen Vorlesungen wieder mit Dionysii Periegesis, diesmal
nach der Übersetzung des Rufus Avienus, eröffnet und hierzu
mit Unterstützung des Aldus Mannt ins eine verbesserte
Ausgabe geschaffen.90 Bald entführten ihn Sendungen im
Auftrage des Kaisers Maximilian seiner Lektur, zuerst
zeitweise, bis er sie 1514 ganz an Angelus Cospus aus
Bologna überließ. Seine weitere staatsmännische Laufbahn
und seine großen historischen Arbeiten übergehen wir, weil
es uns nur darauf ankam, aus seiner früheren und späterer]
Tätigkeil die Folgerung abzuleiten, daß er bei seiner großen
Vorliebe für die humanistischen Studien neben der Medizin
auch wohl in Main/ neben seinen medizinischen Studien
über Humaniora gelesen haben wird, und dann wäre es
<s7 G. Bauch, a. a. 0., 50.
s,v L. Joannes Cuspinianus artium doctor poetaque laureatus ad le-
ctorem etc.
>;' Für das Folgende vergl. <1. Hauch, a. a. 0., L67f.
90 Zu dieser dein liischof Sianislaus Thurzo tod Olmütz gewidmeten
Ausgabe (1508) vergl, Studi e documenti, VIII, 276f.; Firmin-Didot, Aide
Manuce et l'Hellenisme ä Venise, 219, 220.
38 Gustav Bauch.
nicht ausgeschlossen, daß Gresemund zu seinen Schülern
gehört hat.91
Auf bloße Vermutungen über den Grund seiner An-
wesenheit in Mainz sind wir bei dem gekrönten Dichter
Magister Jacobus Canter Frisius angewiesen; er war
einer von den beweglichen Zugvögeln der damaligen Ge-
lehrlenw elt, wie wir sie noch wiederholt in Mainz kennen
lernen werden. Er gehörte einer bekannten Gelehrten-
familie aus Groeningen in Friesland an.92 Sein Vater Jo-
hann war Magister artium, Doctor iuris utriusque und auch
Theologe. Dieser bildete seine Söhne Johann, Peter,
Andreas, Jakob, aber auch seine Tochter Gerda oder
Ursula zu Gelehrten. Johann der Sohn studierte gleich-
zeitig mit Celtis 1484 in Heidelberg und war zuerst Astro-
loge und dann Doktor der Medizin. Als Hofastrologe Frie-
drichs III. stellte er 1487 in Nürnberg das Horoskop für
die Dichterkrönung des Celtis.93 j 1506. Jakob war auch
Astrologe Wie und von wem er zum Poeta laureatus ge-
markt wurde, ist unbekannt. 1481 gab er mit einer Epistola
ad Joannen) Miller sideralis scientie studiosum simulque
carmina ad eundem super indice nuper huic operi addito
heraus: Guidonis Bonati de Forliuio Liber astronomicus.
Venet. Erhard Ratdolt.94 1487, Mai 11., ließ er sich in
Kiil n als Jurist intitulieren. 1489 gab er in Antwerpen bei
Gerard Leen Francisci Petrarche secretum de contemptu
mundi heraus. 1492 langweilte er in Ingolstadt Celtis
und Johann Kaufmann durch seine Geschwätzigkeit, wo-
für sich Celtis an ihm durch eine Ode unter dem Namen
Henricus rächte.95 1495 gab er in Mainz das Gedicht
zu Gresemunds Dialog vom Fasching.90 Von 1497 bis
etwa 1501 lebte er in Krummau in Mähren, doch nicht als
Physikus, wie Aschbach für Phrisius verlesen hat, eher
als Schulmeister, bat von dort aus Celtis um Aufnahme
in die Sodalilas Danubiana und trat in Beziehungen zu
1521 bei dem Reichstage in Worms näherte sich Cuspinianus freund-
lich Luther. Enders, Luthers Briefwechsel, III, 122.
-' C. Krallt and YV. Crecelius, Beiträge zur Geschichte des Humanis-
mus am Niederrhein und in Westfalen, 65—67. Doch fehlt dort Johann der
Sohn, der im Briefwechsel des Trithemius vorkommt.
h Celtis' Proseuticon. Nürnberg, Kreusner, 1487.
1 Für dieses und das bald folgende Werk Petrarcas vergl. P. Gott-
fried Reichhart, Beiträge zur Inkunabelkunde im Beiheft XIV zum Zentral-
Matt für Bibliothekswesen.
1 Libri Odarum quatuor, II, 20: De garrulo Phrysio. Daß hier
Jakob Canter gemeint ist, geht aus dem Briefwechsel des Celtis hervor.
Jacobi Canteris Frisij artium liberalium doctoris et poete laureati
ad Germaniam versiculi.
AusVier Geschichte des Mainzer Humanismus. 39
Bohuslaus von Hassenstein, der ihn zu neuen Dich-
tungen ermunterte und ein Epitaph auf seinen Vater Johann
schrieb. 1505 bei Gelegenheit des Kölner Reichstags sang
er den soeben vom Kaiser gekrönten Dichter Georgius
Sibutus Daripinus an.97 Andere Gedichte von ihm ent-
hält der Münchner Codex 4408. Später erscheint Ganter
als Doktor und Geistlicher in Emden, wo er 1524 vergeb-
lich die Hülfe des Grafen Edzard I. gegen den lutherischen
Prädikanten M. Jürgen Aportanus anrief.98 Er legte des-
halb sein Amt nieder und ging nach seiner Heimat; aber
1527 war er wieder in Emden, der Epigrammatiker, Doktor
der Medizin und Stadtarzt in 'Bremen, Euricius Cordus,
der den Grafen Edzard damals bei einem unheilbaren
Leiden behandelte99, besang ihn als von der Muse erwärmten
Dichter des rauhen Nordens.100 Da er in seinem Alter
Doktor genannt wird, mag er wohl in Mainz die in Köln
aufgenommenen juristischen Studien fortgesetzt und so die
Gelegenheit erhalten haben, sich in die Geschichte des
Mainzer Humanismus einzutragen.
Als vierter gekrönter Dichter kam 1502 der Volksgenosse
Canters und Mediziner Dietrich Ulsenius aus Kampen
in Overijssel auf die Universität Mainz. Er war auch nicht
weniger unruhig wie iener. Celtis zählte ihn zu seinen
intimsten Freunden und Socialen.101 Nach seiner Bildung
und seinen Neigungen war er Astrologe, Arzt und Poet.
1491 pries ihn Bartholomaeus Coloniensis in zwei Ge-
fliehten102 als Dichter und Astronomen oder Astrologen.
Seine medizinische Bildung verdankte er Italien. Etwa neun
Jahre (1493 — 1502) war er Stadtarzt in Nürnberg, bis ihn
der Bankerott des Kaufmanns Konrad Barchanter aller
seiner Ersparnisse beraubte und ihn wegen der dadurch
verschlechterten Existenz zwang, seinen Stab weiterzu-
setzen. Von seinen astrologischen Arbeiten ist ein Pro-
gnosticon auf das Jahr 1488 erhalten.103 Aus dem Jahre
97 Bei De diui Maximiliani Cesaris adu'.ntu in t'olonium. deque gestis
suis cum admiranda virtute et Maiestate. Georgij Sibuti Daripini Poete
Laureat i Panegyris etc. Köln. Quentel, L505. 4".
" C. A. Cornelius, Der Anteil Ostfrieslands an der Reformation, 5,6.
■■' K. Kiausc. Euricius Cordus Epigrammata (1520), XXVII, XXVIII.
100 Euricii Cordi Opera poetica (1564), 203: A.d Jacobum Canterum
Frisium.
'"'■ Her Codex epistolaris des Celtis zähl! 17 Briefe des Ulsenius.
102 Bartholomei Coloniensis Silua carminum, Deventer, Jacobus ßre-
densi- L515. Bib, Bij.
103 Cod. lat. Monacen. 957: Theodorici Ulsenii Campensis super dis-
positionem a. 1488 prognosticon.
in Gustav Bauch.
1 r.ui liegt eine medizinisch-poetische Doppelschrift104 vor,
ein seinem Nürnberger Kollegen Dr. Ulrich Pinder aus
Nordlingen gewidmeter prosaischer Modus cognoscendi
(schon 1 1:93 geschrieben), der auf Hippokrates zurückgeht,
uikI die poetischen, Dr. Martin Polich gewidmeten Libri II
de pharmacandi modo. 1496 gab er auch sein poetisches,
von Albrecht Dürer mit dem sogenannten Pestbilde ge-
schmücktes In epidimiacam scabiem (Syphilis) vaticinium
heraus.105 In demselben Jahre ermunterte er den lleißigen
Editor, Verehrer und Sodalen des Celtis Peter Tann-
hauser aus Nürnberg zur Heratisgabe der Werke des Guil-
hermus Parisiensis.106 Handschriftliche Dichtungen von ihm
an den Schulmann Alexander He gius, an den Nürnberger
Arzt Dr. Hieronymus Münzer aus Feldkirch und an den
kaiserlichen Sekretär Petrus Bonomus aus Triest bewahrt
die Münchener Hof- und Staatsbibliothek.107 Celtis-benutzte
ihn 1496 als Zensor für sein werdendes viertes Buch der
Amores. 1501 wirkte er als kaiserlicher Leibarzt bei der
von Celtis veranstalteten Aufführung des Ludus Diana«
vor dem Kaiser Maximilian in Linz mit108 und hat wohl
zu dieser Zeit auch den poetischen Lorbeer vom Kaiser
erhalten und Verse an den kaiserlichen Sekretär Blasius
Hölzel wegen der Erlangung der Dichterkrone geschrieben.
Am 27. März 1502 ist dann Theodericus Ulsenius
Frisius, artium et medicinae doctor nee non poeta laurea-
tus, von der Mainzer medizinischen Fakultät rezipiert
worden109 und vermutlich bis etwa 1504 in Mainz geblieben.
Es ist merkwürdig, daß diese so lebensvolle Persönlichkeit
dort so wenig greifbare Spuren hinterlassen hat. Nachdem
er schon am 12. Januar 1504 auf ein Jahr pro lectura in
medicinis in Freiburg im Breisgau angenommen worden
war, ist er am 12. März 1504 daselbst immatrikuliert
worden.11" Doch schon am 14. November erklärte die Uni-
versität, sie wolle /war das Abkommen mit ihm bis zum
Fest iles heiligen Hilarius halten, könne er sich aber in-
zwischen eine andere Stellung verschaffen, so wäre das
ihr nielit unangenehm. Er hat hiernach vermutlich schon
die Stelle, die er bald antrat, im Auge gehabt.
1 Au- ten Seite stehl statt des Titels großgedruckt Nurnberga.
Kein Kolophon. 1".
i blattdruck. Exemplar München, Hof u. Staatsbibliothek. Fol.
''"' Je ••in Brie! von Ulsenius und TannhaiiMT Im i der Ausgabe.
Cod. lat. Monacen. 128, 186.
G. Bauch, Die Rezeption des Humanismus in Wien, 121.
II. Knodt, a. a. 0., comment. II. 62.
Schreiber, Geschichte der Universität Freiburg i. B., I, 230, 231.
Au* der Geschichte des Mainzer Humanismus. 41
Aus seiner Freiburger Zeit sind wieder Dichtungen
erhalten, die ihn in Berührung mit dem Kreise Wimpfe-
lings und mit dem jungen Johann Eck zeigen. Als am
20. August 1504 Amandus Wolf, der Bruder des Thomas
Wolf Junior, starb, richtete er mit Ulrich Zasius, Jakob
Wimpfeling, Jakob Sturm, Thomas Aucuparius,
Mathias Hingmann Philesius und Aesticam planus
Trauer- und Trostverse an Thomas Wolf, die 1505 in
Straßburg mit der Schrift des Johannes Gerson De mi-
seria humana zum Druck gelangten.111 Ebenso gab Ulsenius
zu der erst 1506 vollendeten und 1507 in Straßburg ge-
druckten Bursa Pavonis Johann Ecks ein Gedicht in Con-
tubemii pavonici laudem.112 Und damals entstand wohl
auch sein Carmen bei den Statuta synodalia episcopatus
Basiliensis.113
1505 bei dem Reichstage in Köln bewegte er sich unter
den Freunden des Trithemius und wechselte wie Canter
Verse mit dem gekrönten Poeten Georg ius Sibutus Dari-
pinus114, den er vielleicht von Nürnberg her kannte. In
das Jahr 1505 und nach Köln darf man wahrscheinlich auch
seine Lobverse auf Hermannus Buschius Pasiphilus
setzen115, die in Rostock sehr anstießen, weil er damit den
Rostocker Gegner des Buschius, M. Thilemann Hever-
ling aus Göttingen, kränkte11'' ; 1506 bewarb er sich deshalb
vielleicht vergeblich um eine medizinische Professur in
Rostock. Von 1505 bis 1508, wie es scheint, war er Arzt
in Lübeck und Leibarzt der Herzöge von Mecklenburg. Als
mecklen burgischer und kaiserlicher Leibarzt gab er einen
Hymnus de sancto Judoco heraus.. In der Folge ging er nach
seiner niederländischen Heimat zurück und starb in Her-
zogenbusch.
Waren es ziemlich rasch vorübergehende humanistische
Erscheinungen, die wir soeben betrachteten, so setzte doch
fast gleichzeitig mit dem Eintreffen des letzten der beweg-
liehen Gesellen, des l'lseniiis, oder kurze Zeit früher117
111 Joannes Garson de miseria humanä Epistole consolatorie. Epi-
grammata & Epitaphia a doctis disertisque Germanie viris edita ad Thomam
Vuolphium iuniorem in obitum fratris. Joannes Gruninger quarto imnas
Martij Anno M. D. V. Argentine imprimebat. 4°.
n- Tli. Wiedemann, Johann Eck, 1 l'.i.
na Riegger, Amoenitates, II, 232
U4 |;,.: i|,,m Panegyrigus des Georgius Silmius Daripinus, Köln 1505
"'' Bei Buschius, Spicilegium, Deventer o. .1. (1505). Liessem, Biblio-
graphie, No. XXII.
11,; Cod. 58. i',. Fol. Wolfenbüttel, Eol. 71. Campbell, Annales de
la lypographie Neerlandaise, No. L696.
117 Er scheint nach einem Gedichte, Musa poetam obiurgat, das nach
4-2 Gustav Bauch.
eine markante Periode des Humanismus an der
Mainzer Universität ein, die Zeit seiner An-
erkennung du ich die obrigkeitliche Autorität. Und
das mögen die Leipziger Doktoren und Magister von 1511 im
Auge gehabl haben: jetzt kam die von ihnen so abfällig
beurteilte Vermählung von Jus und Poetik (studium humani-
tatis) zustande, für die wir die inneren Gründe dargelegt
haben und für die fast ein Jahrzehnt früher der junge
Dietrich Gresemund mit seiner Feder vorgearbeitet
hatte.
Der Vorgang vollzog sich durch des Kurfürsten Ber-
thold eigenes Eingreifen, und daher werden wir es wohl
nicht von uns weisen können, die Sache einmal schärfer
zu beleuchten.
In seiner sonst trefflichen Charakteristik des Erzbischofs
Berthold118 als Erzkanzlers, Reichsreformers, Erzbischofs,
Gelehrten, Patrioten und Menschen sagt H. Ulmann: „Die
Wissenschaft schätzte er: manche Schriftsteller denken
seines Verständnisses mit inniger Verehrung und widmen
ihm gern ihre Arbeiten (der Dechant Bernhard von
Breydenbach sein Passagium in terram sanctam, Wim-
pfeling seine Abhandlung De triplici candore Mariae).
Indes das ist keineswegs eine hervorragende Seite seines
Wesens. Von Humanismus ist keine Ader in ihm: eine prak-
tische Frömmigkeit leitet auch hierbei seine Schritte, eine
Frömmigkeit, die noch durchaus auf mittelalterlichem Boden
steht . . . Den Geist der neuen Zeit, dessen Wehen auf
den Fittichen gedruckter Blätter sich vernehmlich machte,
wähnl er durch eine Zensur in die Schranken, die ihm
genehm, bannen zu können" etc.
Es ist doch etwas zu weitgehend, wenn Ulmann das
Zensuredikt von 1486 gewissermaßen als die Quintessenz
der Gesinnung des Kurfürsten gerade im Verhältnis zum
Humanismus auflaßt, ohne daran zu denken, daß ein Mann
wie Dietrich Gresemund der Ältere zu der Zensur-
kommission gehörte, und nur gestützt auf die Mutmaßung,
daß hierbei seine „mittelalterliche Frömmigkeit" maßgeltend
war. Hatte er wirklich selbst keine Ader von Humanismus
an sich, so besaß er doch reichlich das Verständnis für die
mit dem Humanismus verknüpften praktischen Bedürfnisse
seiner /eil.
dem Tode Bertholds gi chrieben ist, entweder im Herbsl L501, oder, was
Beteiligung am Streu Wimpfelings mil Murner wahrschein-
licher ist, etwa zum Neujahr L502 nach Mainz gekommen zu sein.
" Heinrich I [mann, Kaiser Maximilian [., I, 294f.
Ai\s der Geschichte des Mainzer Humanismus. 43
Wir geben zur Richtiestellune; des Urteiles dem ersten
festangestellten Mainzer Humanisten Johannes Rhagius
Aesticampianus das Wort für die Verse, die er dank-
baren Gemütes nach dem Tode Bertholds veröffentlichte119
und die schon deshalb nicht als bloße poetische Phrasen
zu betrachten sind und auch deshalb nicht, weil Rhagius
kein homo1?0 „levis et amasius" und keiner von den poeti-
schen Gunstjägern war. Er sagt in seinem Gedicht Ad
Berthold um Archiepiscopum :
Sedula Palladij, Antistes sanctissime, ludi
Cura tibi est, quando res dura laborque molestus
Festa fatigatae concesserit ocia menti,
Ut stabili cunctis prescribas lege magistris,
Quid iuueues doceant Germano sanguine natos,
Quo faciles tenero nascantur pectore mores,
Barbara crassiloquo decedant verba palato
Aspera precipitisque cadant iam murmura linguae
Et res priuatae crescant et publica surgant
Commoda Germanisque accedat gloria nostris.
Ne tantum frameas quatiant, hastilia frangant,
Quadrupedes pascant, ursos venentur et apros,
Ingenij quibus est animi vis, gratia, virtus,
Sed discant artes, componant carmina, iura
Enodent, patrias laudes et fortia tristis
Gesta canant belli preclaraque facta virorum,
Qui proprijs seuos pepulerunt sedibus hostes
Certaque belligeris exempla nepotibus augent.
Nam Chyron, Phoenix, Nestor, Cato, Scipio, Caesar
Terribilem placidae Martern iunxere Mineruae.
Sic Grecis nomen Romanis fama decusque
Et simul imperium deuicti creuerat orbis
Quodque sibi fuso nostri peperere cruore
Maiores, quorum nos, haud indigna propago
Semine, sed sceptri et. virtutis dicimur umbrae,
Quando nee Musis operain damus omnibus acrem
Anna nee borrisoni traetamus bellica Martis
Delicijs capti Veneris Bacchique furentis.
Nachdem er dann noch die Schwädien der Deutschen
weiter ausgeführt und auf die furchtbare Gefahr der Türken,
wie er sie 1499 an den schrecklichen Verwüstungen in
Oberitalien mit eigenen Augen kennen gelernl balle1-1, bin
gewiesen bat, fährt er Fori :
119 Epigrammata, Bv. f. Zu den Ejihjrammala s. weiter unten.
120 So drückt sich Mutianus lliilus über ihn ans, Briefwechsel, ed.
K. Gillerl. I, 385.
121 Zeitschrift des Vereins für Geschichte \n\<\ Altertum Schlesiens,
XXXI, 125. Den entsetzlichen Einfall der Türken, den er als fünfzehn-
jähriger Knabe miterlebl hatte, schilderte Jacopo conte di Porca (comes
44 Gustav Bauch.
.... studij fit mentio rara probati
Raraque virtutis vel cura vel ardor honoris,
Qu, potiora putans, princeps aequissime, sollers
Gymnasij tutor, locupletis maximus urbis
Rector el aeternae clarissima relligionis
Maiestas, ludum renouas, ingentia culto
Premia virtuti ei studio sua munera cepto
Ponis ei argutos posita mercede magistros
Allicis
Und er schließt endlich mit den elegischen Versen:
Pugnaces aostri Gallos vicere parentes,
I i veteri celebris carmine fama refert.
Nostris laurigeri ducibus creuere triumphi
Gandidaque imperij lilia torsit auis.
Solus Alexander patria pro laude duellum
Excipiens fortes sub iuga misit auos
Et supefat gentes modica virtute potentes,
Parrhasis astrifero quas videt ursa polo.
0 si magnanimum referas mihi, Roma, Camillum
Marcia vel prestes Caesaris arma tui,
Qui tumidam Galli cristam rupere superbi
Efferaque immiti subderet ora iugo.
Sed quid Roma tuas et non Maguncia vires
Erigo? Bartholdo Gallia victa duce est!
Gallia victa triplex, nam tot suus incola partes
Scripsil grammaticus -siccus, acerbus, iners.
Quarr victori darum decerne triumphum
Bartholdo, quisquis liher ab hoste truci es!
Mit diesen poetischen Ausführungen, die den Kurfürsten
Berthold gerade besonders wegen seiner Sorge für die
Humaniora neben der für die freien Künste (Philosophie)
und das Jus (von Theologie und Medizin schweigt der
Dichter) preisen, dürfte das Urteil Ulmanns doch wohl er-
heblich eingeschränkt sein; am schärfsten jedoch durch
die Schlußdistichen: denn was darin gesagt ist, bedeutete
einen Vorsprung der Mainzer Universität vor allen
Universitäten Deutschlands ohne Ausnahme in der
Sache des Humanismus nicht allein, sondern es war
die erste Oberleitung der sprachlichen Studien an
einer Universitäl auf die moderne Bahn durch Ber-
thold von Henneberg. Da hat er doch wohl eine Ader
von Humanismus gehabt! Es war die Beseitigung der drei
(vier) Teile ^\i^ das Mittelalter beherrschenden Doctrinale
des Alexander de Villa Dei oder Gallus, an dessen bar-
Purliliarum in seiner Schrift: De recenti Foroiuliensiurn Clade a Turcis
MID Kalendis Octobris il giorno di S. Girolamo).
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus. 45
barischen leoninischen Versen die scholastische dialektisch-
metaphysische Behandlung der Grammatik die schlimmsten
exotischen Blüten getrieben hat1--, und seine Ersetzung durch
die humanistische positive Grammatik ohne jegliche philo-
sophische Argumentation. Wittenberg, darin die nächste
Universität nach Mainz, ging zu dieser Reform erst ca. 1506
über123, die -anderen Universitäten meist viel später. Der
Anreger Bertholds bei dem Fortschritte in Mainz war
der Dichter und Berichter Rhagius selbst. Ihm wenden
wir uns nun zu.
Johannes Rak oder Rhagius124 war schon 1457 oder
vielleicht wahrscheinlicher erst 14G3 in Sommerfeld in der
Niederlausitz geboren.12. Über seiner Jugendzeit und seinen
ersten Studien liegt tiefes Dunkel. Da er 1509 den italieni-
schen Humanisten Girolamo Balbi in Verbindung mit Prag
seinen ,,peruetustum amicum" nennt, könnte er ihn dort
etwa 1492 oder 1499 als Student kennen gelernt haben.121''
Durch Celtis zuerst wurde er ganz den Musen gewonnen1-'7,
und obgleich Johann von Dalberg wenig höflich für das
Studium Jagellonicum sagt „in barbarissimis locis", so ge-
schah das in Krakau, wo er am 19. Mai 1491 kurz vor
oder nach der Abreise des Celtis als Johannes Johann is
de Zommerfelth in die Matrikel eingetragen worden ist.
Im Herbst 1499 begab er sich mit dem vertrauten
Freunde des Celtis, Vincentius Longinus Eleutherius
aus Freystadt in Schlesien, von Wien aus, unterwegs im
Friaul durch die eingefallenen Türken gefährdet, nach
Italien128 und zuerst nach Venedig. Hier wurden Aldus
Manutius, Marcus Antonius Coccins Sabellicus129 und
Georgius Valla Placentinus130 aufgesucht, um ihre Be-
122 (; Bauch, Dil' Rezeption des Humanismus in Wien, 7, 9. Yergl.
was oben S. 221'. zu den Lucubratiuncule Gresemunds gesagt ist.
123 (|. Bauch, Wittenberg and die Scholastik (Neues Archiv für
Sächsische Geschichte, XVIII), 308f.
'-■' Nicht zu verwechseln mit dem etwas älteren Krakauer Dozenten
Johannes von Sommerfeld (Aesticampianus). <l. Bauch, Deutsche Scho
laren in Krakau, 2(5, No. (J; derselbe im Archiv für Literaturgeschichte;
XIII, lf.
1-:' Archiv für Literaturgeschichte, XII. 321. Nach einem Gedicht
bei dem L507 geschriebenen und L508 gedruckten Kommentar des Rha-
giu zur Grammatik >\<^ Marcius Capeila war er L507 15 Jahre alt.
ü'i (|. Bauch, Die Rezeption des Humanismus in Wim. -II. ('>.">.
'~7 K. Morneweg, Johann von Dalberg, 358.
'• Das Folgende nach einem Briefe des Longinus au Celtis, Rom
1500. Codex epistolaris.
129 c. Malagola, Hella vita e delle opere di Antonio Urceo detto
Codro, 218; .1. Schuck, Aldus Manutius, L19.
"o J. Schuck, a. a. 0., 11'.).
46 Gustav Bauch.
kanntschaft zu machen und Belehrung von ihnen, besonders
im Griechischen, zu gewinnen. Dann setzten sie nach Padua
über und hospitierten in den öffentlichen Vorlesungen von
l'rosper und Johannes Calphurnius aus Brixia. m In
Ferrara wollten sie den Vorkämpfer des Humanismus Bap-
tista Guarinus132 hören; dieser hatte jedoch, geängstigt
durch die Erkrankung eines seiner vornehmen Schüler, die
Vorlesungen ausgesetzt, so daß sie ihn nur im Garten lust-
wandelnd antrafen. In Bologna gingen sie endlich für einige
Zeit fest vor Anker.
Sie hörten den Antonius Codrus Urceus aus Ru-
biera in gelehrten lateinischen und griechischen Vor-
lesungen und bei dem „Commentator Bononiensis" Phi-
lippus Beroaldus133 Philosophie, Rhetorik und Poetik. In
Naturphilosophie und Metaphysik war Alexander Man-
zolus134 ihr Lehrer, in Mathematik Dominikus Marius
aus Novara, der Lehrer des Kopernikus. Dieser las Euklid
und den Almagest des Ptolemäus und in der Domus Fos-
carina, wie Beroaldus die Naturgeschichte des Plinius
Secundus, die Kosmographie des Ptolemäus vor den böh-
mischen Edelleuten Johann von Tetschen aus der Fa-
milie Wartenberg und Christoph von Weitmühl. Rha-
gius, der später in der deutschen Heimat, in Leipzig, Köln
und Wittenberg, als Propagator des Plinius wirkte, und Lon-
ginus folgten den Vorträgen als Gäste.
Longinus brach im Jahre 1500 über Florenz und Siena
nach Rom auf, ob ihn Rhagius sogleich begleitete oder
etwas später folgte, können wir nicht sagen, jedenfalls war
er im Mai wieder in Bologna135 und beschäftigte sich eifrig
mit Primus und Plautus, zu anderer Zeit trieb er Griechisch,
um damit bereichert nach Deutschland zurückzukehren.
Auch Jurisprudenz hat er dort studiert. Bald empfand er,
wie teuer das Leben in Bologna war, und bitter beschwert
er sich über die vielen Feiertage, die die Vorlesungen un-
liebsam unterbrachen. Daher bat er Celtis, er möge als
sein Lehrer handeln und ihn an irgendeinem Orte unter-
bringen, wo er Jurisprudenz oder Rhetorik lehren könnte.
Von den Deutschen, mit denen er in Bologna Verkehr
hielt, keimen wir nur Johannes Sturnus (Sturlin) aus
1 ' C. Malagola, a. a. 0., 82.
1 Malagola, a. a. <>., 52, 62; J. Schuck, a. a. 0., 3.
1 '"' C Malagola, a. a. <>.. 222.
ISJ C. Malagola, a. a. 0., 234f. Als Predigermönch Bartholomäus
genannt. Er war Skotist.
! Vergl -in mi Brief an Celtis, Bologna, 27. Mai 1500. Codex
epistolaris.
Aus!"der Geschichte des .Mainzer Humanismus. 47
Sehmalkalden, den Freund des Celtis und des Bohuslaus
von Hassen stein und Pädagogen des Christoph von
Wo i im ü hl, den Juristen Christoph Scheurl aus Nürn-
berg136, Thomas Wolf Junior und dessen Freund AI-
brecht von Ratsamhausen.
Im Jahre 1501 war Rhagius wieder in Deutschland,
in Basel, wo er einigen Freunden die später von ihm ge-
druckte Kebestafel vorlas.137 Der Rückweg hat ihn wohl
über Augsbure geführt, denn Konrad Peutinger hatte den
Weitertransport seiner Bücher übernommen138, die er noch
in Mainz erwartete.
Als er Straßburg berührte, kam er gerade zu rechter
Zeit, um an dem Streite Wimpfelings mit Thomas
Manier139 teilzunehmen. Thomas Wolf, der Murners
Germania nova seinem ,,Theseus" Albrecht von Ratsam-
hausen nach Bologna sandte (mit dem Briefe, der dem von
Dietrich Gresemund herausgegebenen Pamphlet gegen
Murner einverleibt ist), schrieb diesem: ,, Unser Aesti-
campianus, ein Mann, der doch sonst so überaus geduldig
ist, konnte die Stacheln seiner Entrüstung nicht zurück-
halten, sondern hat, obgleich auf der Durchreise und mit
andern Dingen beschäftigt, den phrenetischen Wahnsinn
jenes Mönchs mit einigen Verslein gemalt, denen ich einen
Brief140 als Schlußstück zugefügt habe." (Es folgen die
Epigramme des Rhagius.)
Aesticampianus, hier zum ersten Male „vates lau-
'reatus" genannt er soll den Lorbeer vom Papst in Rom
erhalten haben -, ging auch wirklich auf das Meritorische
des Streites gar nicht ein, sondern gab nur seinem Unwillen
Ausdruck. Er wendet sich ad Argentinam in Thomam
Murner, blateronem monaohum, und ad Jacobum Wym-
phelingum, oratorem et historicum insignem. Wie dem
gefangenen Maulwurf, sagt er in dem ersten Epigramm,
die Fackel, dem Blinden die Sonne, so diene einem levis
Gallus, der der Vernunft, i\rr Sinne, des Wissens und der
Treue entbehre, eine scharfsinnige Schrill zu nichts. Ein
13,1 Aesticampianus an Wilibald Pirckheimer, Wittenberg die s. Julia-
nae virginis L518. Heumann, Documenta literaria, 318.
i3' In der Vorrede zu seiner Ausgabe der Kebes-Tafel, Frankfurt
a. 0. 1507.
138 Aesticampianus an Celtis, Mainz. 28. Augusl L502. Codex epis-
tolaris.
139 Vergl. oben S. 31, Versiculi Theodorici Gresmundi Legum Di
ris. Epistole Thome \\ olftij iunioris etc.
14,1 Das isi sein grober Brief an Murner, der schon in der von Peter
Günther herausgi"i<'lii'iicii Streitschrift '.-. oben S. 31 tnitenthalten ist.
48 Gustav Bauch.
geborener Straßburger141, dem die Freiheit der Stadt teuer
and ihr Schmuck beilig sei. rate ihr, den hochfliegenden
Adler zu verachten und den drei niedrigen Lilien anzu-
hangen! Mit Viperzungen zischt er gegen alle Gelehrten,
die die Stadt oder ihre Kinder unterrichtet haben. 0 über
die an fruchtbarem Blute reiche Stadt, die einen solchen
Sprossen zeugt, kleidet, liebt! Und dieser glaubt, die alten
Annalen richtig zu kennen, der kaum drei Worte Latein
versteht! Er rühmt sich, alle Universitäten besucht zu
haben; ich will zugrunde gehen, wenn er weiß, wonach
seine Kutte riecht! In den Versen an Murner gesteht er
diesen] allenfalls die Kenntnis des Pentateuchs, aber nicht
dessen, das in der deutschen Geschichte enthalten sei, zu.
Von \\ impfeling aber sagt er, er werde das aus dem
slyinschen See hervorgekrochene Scheusal, das jeden mit
seiner dreigeteilten Zunge berühre, mit seinem Fäulnis her-
vorrufenden Gift bespritze und Wimpfelings Ruf begeifere
ein neuer, ein deutscher Aleide, als Führer mit seiner Keule
niederschlagen, und wenn diesem etwa nach Hydrenart neue
schlüpfrige Glieder nachwüchsen, würden seine Streiter sie
abhauen. An neunter Stelle findet sich noch ein Epigramm
an Wulf, das diesen als Vorkämpfer für den ,,emeritus
dux" preist; hoffentlich werde er unter dem Beifall des
Gottes des Lachens den aufgeblasenen Schlauch durch-
bohren. Ein angehängtes Distichon greift Murner noch
einmal verächtlich an.
Die Teilnahme des Rhagius an dem Kampfe gegen
Murner war seine erste Berührung mit Wimpfeling. Mit
ihm verband ihn eine literarische, wohl auch sonst der
Sinnesart beider Männer - bei Aesticampianus überwog
auch später die Neigung zur praktischen Theologie der
Kirchenväter noch die für den Humanismus -- entsprechende
Freundschaft, die erst ein Jabrzehnt später durch das hitzige
Vorgehen Wimpfelings in seinem Zwist mit Locher ge-
trübt wurde.142
Auf der Fortsetzung seiner Reise der Heimat zu, den
Rhein abwärts, wurde Aesticampianus von dem Erz-
bischof Berthpld zum Verweilen in Mainz vermocht. Dieser
wollte, wie wir schon gehört haben, als Gönner der Studia
liberalia der Main/er I niversität durch die feste Einfügung
der humanistischen Studien einen neuen Aufschwung ver-
Murner war nicht in Straßburg, sondern in Ober-Ehenheim ge-
boren, nannte sich aber Straßburger.
'"■'•-I. hierzu <i. Bauch, im Archiv für Literaturgeschichte, XIII,.
lerselbe Geschichte des Leipziger Frühhumanismus, L80.
Aus ."der Geschichte des Mainzer Humanismus. -4V»
leihen und warb ihn als ersten besoldeten, ordentlichen
Professor der Rhetorik und Moralphilosophie.143
Nicht, alles, was der vorsorgliche Berthold geschaffen
hatte, blieb während seiner letzten, schwachen Tage in un-
verrücktem Zustande144, es gab auch Gegner an der Uni-
versität, die sich dagegen stemmten, und so konnte Rhagius
1506 klagen:- ,,0, wenn doch die Universität (res literaria)
in ihrer Ordnung verharrt hätte, es würden wahrlich aus
ihr - - damit ich sage, was ich denke - viel beredtere und
ehrbarere Jünglinge als jetzt hervorgegangen sein." Doch
Bertholds Nachfolger, Jakob von Liebenstein, ließ es
in dieser Beziehung auch nicht an sich fehlen, er führte,
auch nach dem Wunsche der Mehrheit der Doktoren au
der Universität 14\ Bertholds Intentionen weiter und flößte
seiner Neuschöpfung festeres Leben ein, so daß auch ihn
Rhagius wegen der von ihm erfahrenen unzähligen Wohl-
thaten dankbar erheben und im Vorwort zu seinen Epi-
grammen sagen durfte: „Im Vertrauen auf den glücklichen
Stand deiner Herrschaft und den blühenden Zustand der
humanen Wissenschaften bilde und verfeinere ich in stän-
diger Arbeit und bei reichem Gehalt, womit du mich hegst
und zierst, die noch rohen jungen Leute und was mir von
Muße gegeben ist, verbringe ich ganz und gar damit, daß
ich Männer wegen ihrer Tugend, wegen ihres Wohlwollens
oder ihrer Noblesse gegen mich lobe."
Ungewöhnlich erscheint, es, daß dieser erste „Poet" sich
als Professor der Oratoria (Rhetorik) und der Moralphilo-
sophie bezeichnet, aber die Kombination beruht nicht etwa
auf Bertholds ,, praktischer Frömmigkeit" und war keines-
wegs ohne Vorgang. In Tübingen14'', wo die Universität fast
zu gleicher Zeit mit der Mainzer ins Leben gerufen wurde,
bestimmte schon die erste Ordnung Graf Eberhards von
Württemberg vom 23. April 1481 ein Gehalt von dreißig
Gulden für ,, einen der in oratoria lyset", und die zweite
Ordnung desselben Fürsten vom 20. Dezember L493 bat
zwar das Gehalt auf zwanzig Gulden herabgesetzt, dafür
aber die Tätigkeit dieses öffentlichen Dozenten genauer uni-
14:1 Rhagius in der Widmung seiner Kpigra lata.
144 Für das Folgende s. ebenfalls Rhagius, a. a. 0.
145 In den Hendecasyllabi ad lectorcm vor seinen Epigrammen sagl
Rbagius von sich:
Quem Maguntia Rhenus et benigna
Annis quatuor omnium volunlas
Doctorum tenuit probe virorum.
14<; (Roth) Urkunden zur (ieschiclile der l'ruversiläl Tübingen ans den
.lahren 1476—1550, 71, 85.
Beitrüge z. Gesell, d. Universitäten Mainz u. Gießen. -1
50 Gustav Bauch.
schrieben, als die eines „der ungeuärlich liset in oratoria,
moralibus oder poetrij". Daß Rhagius, wie allerdings fast
selbstverständlich ist, „ei publice ei priuatim" las, bezeugt117
ausdrücklich Johann von Dalberg.
Cell i s halle inzwischen seinen Schüler aus seiner Für-
sorge nicht entlassen. Um ihm eine Stellung zu verschaffen,
hatte er sich mit dem Haupte der Sodalitas literaria Rhenana
Johann von Dalberg in Verbindung gesetzt. Gegen Ende
des Monats August 1502 berief Dalberg, als er seinen Ge-
burtsorl Oppenheim besuchte, Aesticampianus von Mainz
zu sieb, um ihm die mit Celtis verabredeten Vorschläge mit-
zuteilen. Aesticampianus schlug jedoch die Anerbietungen
des Bischofs aus, weil er, wie Dalberg sagt, ebenso wie
Celtis gänzlich von der Begierde ergriffen schiene, ganz
Deutschland zu durchziehen, trotzdem er ihm wenig Frucht
davon versprochen habe. Dasselbe spricht Rhagius aus.148
Er fühle sich durch die Anträge von Celtis und Dalberg
hochgeehrt, aber zurzeit sei ihm ein Eingehen darauf nicht
möglich, er wolle neue Gegenden sehen, gelehrte Männer
hören, und mit dem rerum usus seine Studien verbinden.
Dies aber wolle er so schnell als möglich abmachen und
dann Celtis dankbar und dem Bischof zu Willen sein.
Der schon im Jahre 1503 erfolgte Tod Dalbergs hat dies
Versprechen wirkungslos gemacht.
Der Aufenthalt in Mainz muß doch so viel Anziehendes
für ihn gehabt haben, daß er auch seiner Wanderlust vor-
erst, nicht nachgab, sondern sich dort auf vier volle Jahre
fesseln ließ. Er fand hier so viele Männer, Gönner und
Freunde, die ihm gleichgesinnt waren, und Schüler, die
begierig seine Lehren aufnahmen, daß wohl Mainz einer
der wenigen Orte ist, an die der viel umhergeworfene Ge-
lehrte auGh später noch mit Freuden zurückdenken kannte.
Seine „Epigrammata" lassen uns einen nicht uninteressanten
Blick in sein Leben daselbst tun.
Diese Sammlung149, die erst 1507 in Leipzig gedruckt
worden isi. \v;n in allem Wesentlichen schon in Mainz im
Jahre 1505 entstanden; „strenae", Neujahrsgedichte an seine
Gönner, sind es meist, wenige ältere, wie das uns schon
bekannte an Erzbischof Berthold, sind beigefügt. Sie sind
"• K. Monicw.'», ;,. ;,. ().. 357, 358. %
Rhagius an Celtis, Mainz, 28. Augusl 1502. Codex epistolaris.
"'' Epigrammata Johannis Aesticampiani. Impressum est hoc opus
epigrammaton Lyps. per Melchiorem Lotter ciuem Lypsensem Anno do-
mini Millesimoqumgentesimoseptimo. 4°. Der Frankfurter Schüler des
Aesticampianus, Joachim von Bülow, hängte an den Schluß der Samm-
lung ein Carmen coi endaticium, das einzige Mainz fremde Stück, an.
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus. 51
in ihrer Gesamtheit dem Nachfolger Bertholds, Jakob
von Liebenstein, gewidmet als Dank für seine Gunst und
das freigebige Gehalt. In der Dedikation gibt er ein Pro-
gramm seiner Dichtungen.
Als Gaben der Frömmigkeit erscheinen zwei Gedichte,
eins auf den Schutzpatron der Diözese Mainz, den heiligen
Martin, das "Dietrich Gresemund in dem vorgesetzten
Applaus dem Dichter zu besonderem Verdienst anrechnet,
weil er als erster den Heiligen in die Poesie eingeführt habe,
und ein anderes, ein Votivgedicht auf die heilige Barbara,
seine eigene Schutzheilige. Wenn Aesticampianns in der
Widmung auch nach Humanistenart die Heiligen ,,homines
sanctos in cleorum numerum ascitos" nennt, so wendet er
sich im Anfang des heroischen Gedichtes auf St. Martin
nicht an Apollo und die Musen, sondern an Christus
Wimpfeling konnte ihn daher in seinem Zwiste mit Locher
wie Gresemund unter den Dichtern aufführen150, die Chri-
stus, nicht die heidnischen Götzen anrufen — , auch in der
weiteren Entwicklung tritt das humanistisch-mythologische
Beiwerk nicht allzu störend hervor. In die Lebensbeschrei-
bung ist eine lebendige Schilderung des Festes des Heiligen
eingewebt, wie es nach altem Brauche in Mainz begangen
wurde. Durch ein Beoleitsedicht ist die Vita dem Kustos
der Kathedrale und nachmaligen Bischof von Straßburg
Wilhelm von Höllenstein gewidmet.
In dem Hymnus in laudem divae Barbarae, worin ihre
Schönheit, Frömmigkeit und ihr Martyrium besungen werden,
ahmt Aesticampianns, bisweilen wörtlich, Horaz nach,
doch fehlt ihm der dem Gegenstande angepaßte Geschmack
seines Vorbildes. Er preist seine Helferin dafür, daß sie
ihn glücklich vor den wilden Kohorten der Feinde, vor
den Schlingen des Bäubers gerettet, und weiht ihr das
Gedicht, als er, aus den Thermen zurückkehrend, einer
Schar junger Leute, die ihm mit gezückten Schwertern nach
dem Leben trachteten, unverletzl entronnen. Diese Verse
sind mit zwei Beigeuichten als Neujahrsgabe an den Scho-
lastikus der Kathedrale, Kanonikus zu St. AI hau, Beatae
Virginis ad Gradus und St. Crucis, Adolf Ran von lloltz-
hausen, gesendet, der sie den ihm unterstellten Klerikern
der Domschule mitteilen sollte.
Aus religiösem Gebiet ist noch ein dritter Stoff ge-
wählt: De hostia sacramenti in sanguineam carnem mutata
in monte saneti Albani religiöse custodita.
150 Contra turpem libelhnn Philomusi Defensio theologie scholastice
& neotericorum. 0. 0. u. J. Cap. VI.
■ rl
Gustav Bauch.
Mit einem Neujahrs gediente an den Erzbischof Jakob
besinnt die Reihe der lebenden Viri illustres.151 Es ist an-
zuerkennen, daß sich Rhagius von unwürdiger Schmeichelei
fernhält. Das nächste Gedicht ist dem Propst zu St. Martin,
späteren Bischof von Speier und Gönner Johann Reuch-
liiis1,2, dem Pfalzgrafen Georg, gewidmet, dessen Titel
in humanistischer Spielerei mit dem Vergilischen Pallas zu-
sammengebracht wird. Geom wird als frommer, wohl-
tätiger, milder Mann geschildert. Pfalzgraf Johann, sein
Bruder, wird als eifriger Jäger, der aber auch die Wissen-
schaften liebt, besungen. Auch der junge Pfalzgraf Hein-
rich, früher Propst zu St. Alban, jetzt Bischof von Freising,
erhält ein Neujahrsgedicht, und zuletzt von diesen er-
lauchten Herren ist der Pfalzgraf Wolf gang bedacht, der,
ein Knabe noch, vom Vater nach Mainz geschickt worden
ist, um dort, auch bei Rhagius, seine Studien zu machen.
Drei Gedichte sind dem Kanonikus an der Kathedrale,
Philipp, Freiherrn von Epstein, Herrn in Künig-
stein, gewidmet. Er ist ein gewaltiger Nimrod, und Rha-
gius scherzt mit ihm, er möge mit ihm tauschen. Er wolle
mit dem Jagdspeer die Tiere verfolgen, Künigstein solle
dem niedlichen Mädchen genehme Verse schmieden. Von
ihm wolle die schwarzäugige Schöne nichts wissen, vielleicht
würde sie vor ihm auf den Schoß Künigsteins flüchten.
Als Gegenbild folgt der Dechant zu St. Martin und Doctor
iur. Uriel von Gemmingen, der nach Jakob den erz-
bischöflichen Stuhl bestieg. Ihm wird das Lob gespendet,
daß er Ruhm aus dem Studium erstrebe und ein »rund-
[icher Kenner des Rechts sei; die ihm untergebene Geistlich-
keit halte er in strenger Zucht und Ordnung.
Dem Kanonikus zu St. Martin und St. Alban Peter
von Not halft sandte Rhagius ein Neujahrsgedicht, zu-
gleich als Dank für die Einladung zu einem festlichen Mahle
nach dem Gottesdienste, das geistliche und weltliche Ge-
lehrte vereinte. Als gastlicher, die heitere Geselligkeit lie-
bender Herr wird auch der Kanonikus und Magister fabricae
Johann von Hatstein besungen.153 Ihm, wünscht Rha-
gi iis, möge nie das Material für die Pflege und den Glanz der
herrlichen Kathedrale ausgehen; ihn ziehe, fährt er offen fort,
1,1 Die Daten über die geistlichen Herren sind, wenn sie nicht von
Rhagius herrühren, Jnannis, a. a. ()., II, entnommen.
I. Geiger, Johann Reuchlin, 298, 303, 3(i:i.
Nach Joannis, a. a. 0., II, 244, 367, ist Johann von Hatstein
1518 gestorben. In welchem Verhältnis stand dann zu ihm der Johann
\"n Hatstein, in dr-seii*Haus sich Ulrich von Hütten 1520 (Bücking, I,
355 von Philipp Fürstenberg Bücher erbat?
Aus .Vier Geschichte des Mainzer Humanismus. 53
die habsüchtige Pfründen] agd nicht ab, die jetzt so viele
ergriffen habe, die die einigen Genossen zu häßlichem Zwist
anrege und das habgierige Forum Roms anzugehen zwinge.
Er sei mit einem Altar zufrieden und spende davon auch
noch den Armen, dem Gottesdienste und den Freunden.
Ein anderer Gönner war der Kanonikus und spätere
Scholastikus «zu St. Martin Dr. i. u. Dietrich Zobel von
Giebelstat, dem Dietrich Gresemund das ehrenvolle Prä-
dikat „vir profecto nobilium eruditissimus et eruditorum
nobilissimus" beigelegt hat und dem Aesticampianus,
freilich ohne Effekt, prophezeite, es werde ihn einst, wie
jetzt der grüne Lorbeer des juristischen Doktorats, die Inful
schmücken. Zobel, unter drei Erzbischöfen Vicarius in
spiritualibus, von großem Einfluß unter Kardinal Albrecht,
wird von Irenicus zu den deutschen Poeten gerechnet.154
Wir kennen ihn als eifrigen Reuchlinisten; Hermann von
Neuen ahr widmete ihm aus diesem Grunde die Defensio
Joannis Reuchlin.155 Als Ulrich von Hütten am Hofe
Albrechts von Mainz lebte, gehörte Zobel zu den
Männern, die ihn antrieben, die Livius-Ausgabe von 1518
dem Kardinal zuzuschreiben ; in sein Haus erbat sich
Hütten Briefe von Freunden.156 In enger Freundschaft
stand Zobel mit Dietrich Gresemund dem Jüngeren157,
der ihm seine Antiquitäten zugedacht hatte. Sein Interesse
für literarische Tätigkeit brachte ihn auch in Verbindung
mit Wim.pfeling158 und Erasmus.159 Als Kaiser Karl V.,
von seiner Krönung kommend, im November 1520 auf der
Reise zum Wormser Reichstage Mainz berührte, empfing
ihn Zobel mit einer glänzenden Rede.10"
Zobel muß die Sorge für die Wohnung des Rhagius
im Hanse „zum Korbe" zugestanden haben101, denn in einem
anderen Gedicht (Extiudit Musam) fordert dieser die Muse
auf, sie möge Zobel veranlassen, daß er ihm das schadhafte
Dach seiner ,, Sportella" ausbessern lasse. In den folgenden
Versen (Musa poetam obiurgat), die vielleicht zu den voran-
154 Germaniae exegesis, Eol. 45b.
i:,:' L. Geiger, a. a. 0., 101, 103; E. Böcking, a. a. <».. I. L53.
i:"; E. Böcking, a. a. 0., I, 241, 264.
'" Nach Gebwilers Vita Gresemundi. S. oben S. 33.
1> S. oben bei Dietrich Gresemund, a. a. 0.
1 ,;' .1. Förstemann and 0. Günther, Briefe an Desiderius Erasmus von
Rotterdam, 96, 449.
10(1 Herum memoräbilium Paraleipomenä, hinter Chronic, abbat. Urs-
perg, 1568, CLX.
161 Huttieh tiat in seinen Collectanea antiquitatum, Bog. IL, eine
Inschrift aus diesem Hause.
:. i Gustav Bauch.
gehenden gehören, spielt der Schluß scheinbar schon auf
seinen Wegfall«; nach Frankfurt an. Darin wird ein Ivo
erwähnt, der das Gehalt zu zahlen verweigere; der Scherz
bezieht sich auf die Zeit, wo Berthold soeben gestorben
war, auf die Zeit der Sedisvakanz; die Stelle des Rhagius
war sichtlich noch nicht fest dotiert. Ivo ist natürlich
Ivo Wittich, den er in einem Gedichte bittet, er möge
ihm statt der früheren schweren Weine einen leichteren
schicken ; wenn ihm auf Rheingauer Boden neue Weine
•^■wachsen sein würden, würde er den geschenkten wieder
ersetzen. Er stand also auch mit Wittich auf vertraulichem
Fuße.
Als seinen großen Gönner und Freund rühmt dann
Rhagius auch den Lizentiaten der Theologie und Kanonikus
Beatae Virginis ad Gradus Georg Behaim, der, geboren
im norischen Lande, wo der rußige Werkmann aus ge-
mischtem Metall mächtig tönende Glocken und dem Donner
und Blitz gleich zu fürchtende Bombarden gießt, ein Mann,
der rein denkt, spricht und handelt, bescheiden und mäßig
lebt, selten lacht, wenig redet, ein strenger Richter der
Vergehen, ein frommer Priester ist. Georg Behaim war
aus Nürnberg, entstammte aber nicht der bekannten Pa-
trizierfamilie162, sondern ist ein Bruder des Reuchlinisten
und Freundes von Wilibald Pirckheimer, Dr. Lorenz
Behaim, Scholastikus bei St. Stephan in Regensburg und
Kanonikus in Bamberg, gewesen. Er hat vom Sommer-
semester 1482 ab in Leipzig studiert und ist dort 1485
Bakkalar und 1489 Magister der Künste geworden. In Mainz
war er Dozent der Theologie und wurde 1513 nach dem
Tode des Antonius Kreß zum Propst bei St. Lorenz in
Nürnberg erwählt. Irenicus nennt ihn unter den theologi
nobiliores von Deutschland163, Pirckheimer unter den
Theologen, die zu Reuchlin hielten.164
Gleichfalls ein Theologe und einer der nächsten Freunde
des Aesticampianus war der Pfarrer zu St. Emmeran
Jakob Merstetter ans Ehingen165, ein Heidelberger Schüler
\Y i inpl'elings, scholasli scher moderner Philosoph und Theo-
l6S Roth, Die Einführung der Reformation in Nürnberg, 45, 59, 98;
Will s. v. Beheim, Georg; E. Böcking, a. a. 0., I, 133; Chk Scheuria
Briefbuch, I, \'2S; Ch. Scheurl, Vita des Antonius Kreß, in Pirckheimeri
Opera ed, Goldast, 350f.
16 Irenicus, a. a. 0., fol. 44 b.
1 Pirckliriinrr, in der Vorrede zu Lucians Piscator; Böcking. a. a. 0..
I, 1
";-' II. I'. Singer, Der Humanist Jakob Merstetter, Mainz 1904; G.
KimmI, im Zentralblatt für Bibliothekswesen V, 474, 475.
Aus Jler Geschichte des Mainzer Humanismus
DO
o
löge und Humanist wie dieser. Er hatte 1490 in Heidelberg
das artistische und später in Mainz das theologische Bakka
laureat erworben. Als Dichter und Liebhaber der klassischen
Literatur und der ,,pagina sacra", als gewandter Kanzel-
redner, als Liebling des Erzbischofs, der keuschen Geist-
lichkeit, als beliebt bei den Gelehrten, bei hoch und niedrig
wird er uns -gezeichnet. Ihm teilt Aesticampianus seine
beabsichtigte Übersiedlung nach Frankfurt a. 0. mit und
malt seine Zukunft freundlich aus. Seinen Gegnern soll
Merstetter sagen, er strebe nach einer höheren Kathedra,
sie möchten sich einen andern Poeten suchen, der soviel
Arbeit und Mißgunst ertrage. Es ist dies die einzige Stelle
außer der Widmung166, wo Rhagius für ihn unerquickliche
Verhältnisse in Mainz erwähnt. Von dichterischen Lei-
stungen M erstet ters liegen empfehlende Gedichte zu
Wimpfelings De hymnorum et sequentium auctoribus, zu
dem christlichen und patriotischen Soliloquium pro pace
christianorum und ein Distichon zu Wimpfelings Schrift
Pro concordia dialecticorum vor. Hervorragend neben
Wimpfeling und im Verein mit Gresemund beteiligt war
Merstetter und zugleich als Leiter des Druckes 1499 bei
der Heidelberger Nominalistenpetition und den eingetloch-
tenen Epigrammen167 auf Marsilius von Inghen. Ein
Hexastichon hat er auch 1503 dem bei Johann Schöffer
gedruckten Mercurius Trismegistus de potestate ac sapientia
Dei beigegeben.
Zu den geistlichen Freunden des Aesticampianus
gehörte auch der Kantor zum heiligen Kreuz und Kanonikus
zu St. Stephan, der im Druck verstümmelt Konrad Ibichm
genannt wird; ihm ist. ein langer Dialog gewidmet zum
Danke für gastliche Bewirtung. Ein Verwandter von ihm
namens Peter war des Rhagius Schüler. Als letzter aber
in der zahlreichen Schar der geistlichen Gönner ist der
Licentiatus decrctorum, Magister arlium und Kanonikus zu
St. Johann, als Inhaber dieser Präbende Professor an der
166 Einen Tadler seiner Verse nennt er in den Hendecasyllabi ad
lectorem vor den Epigrammen :
Si nun utibiles erunt legenti
Tanquam difficiles ei implicati
Nullius urnij<|ue eraeiaeque,
Ut quidam cynicus putat magister,
Captori venient probos in usus.
167 Diese Epigrammenflul war die Ursache zu dein Epigrammenregen
bei Wimpfelings A.dolescentia, indem Wimpfeling seinen Hörern einen [{rief
Jobann Geilers vorlas, in dem dieser die ehrbaren Verse auf Marsilius im
Gegensatz zu lasziven höchlichst lobte.
.,i, Gustav Bauch.
I niversiiät und also des Rhagius Kollege Johann Monster
(Monasteriensis), später (1511 konsekriert) Suffragan von
Main/ und episcopus Vicecomponensis 168 zu nennen. Ihn
liai Rhagius um Wein und versprach ihm Verse dafür.
Monster resignierte zwar seine Lektoralpräbende 1510,
blieb aber der Universität zugetan und legierte ihr (f 1544)
hundert Floren in Gold. Vielleicht noch zu den Geistlichen
gehörig ist Jakob Linck169, ein Mann mit humanistischen
Neigungen und gern gesehener Besucher der „Sporta", der
den Dichter bei sich mit den Früchten seines Gartens und
Wein bewirtet und ihn, obgleich schon grau, durch seine
munteren Gesänge aufheitert.
Wie bei L,inck, ist es auch bei einigen anderen
Männern, die in den Epigrammen verewigt sind, nicht ganz
leicht, ihre Lebensstellung zu bestimmen. So gleich bei
dem ersten weltlichen Freunde des Aesticampianus, dem
Doktor Bernhard Kuhorn170, der ihm als Geschenk einen
fichtenen Tisch und zwei Stühle gegeben, und dem er zum
Danke im neuen Jahre viele Erfolge und einen Erben
wünscht. In welchem Verhältnis zu diesem der dahinter
folgende Jurist Johann Kuhorn steht, ist nicht klar. Jo-
hann Kuhorn171 wird als gerechter und milder Richter ge-
TD c-
rühmt, der auch die Ausonischen Musen hege, und den
seine Beredsamkeit als Schüler des Philippus Beroaldus
erkennen lasse. Unter seinem Vorsitz bei der Tafel fänden
Heiterkeit und Ernst gleichmäßig ihr Recht. Johannes
Fürderer (Forderer) aus Richtenfels (Scheurl sagt: aus
Stuttgart), häufig nach seinem Stiefvater Jakob Kuhorn
aus Feuerfeld bei Heilbronn Kuhorn genannt, wurde 1495
als familiäre des vornehmen Herrn Johann von Kuno-
witz auf Ungarisch-Brod in Mähren in Bologna bei der
deutschen Nation der Juristen eingeschrieben. Etwa 1500
Doktor beider Rechte und noch 1501 Syndikus der Nation,
wurde er 1507 von dein Kurfürsten Jakob von Mainz als
Kleriker der Speierer Diözese zum Assessor am Reichs-
l6B Außer Joannis, a. a. 0., II, 44, II. Knodt, a. a. 0., 65.
Ein Jacobus Linck de Munzingen, der dieser nicht sein kann, ist
am 19. Dezember 1 199 in Heidelberg intituliert und dort am 1(5. Januar
L502 Baccalar viae modernae geworden.
''" Ein Bernhard Kuhorn aus Stuttgart ist 1480 in Tübingen im-
i atrikuliert. \ ielleicht ist es dieser.
171 G. Knod. Deutsche Studenten in Bologna, 129, No. 911; F. W. E.
Roth, a. a. <)., 11'.)!'. Warum Roth die Identifizierung Knods nicht gut-
heißt, verstehe ich nicht. Dagegen erscheint es mir nicht glaublich, daß
Scholastikus Johann Kuhorn mit unserm identisch ist, weil dem die
Titulaturen bei dem Anniversar Johann Fürderers widersprechen^ Vergl.
Roth, 450, Anm 5.
Au*."" der Geschichte des Mainzer Humanismus. 57
kammergericht präsentiert und blieb es extraordinarie bis
zum Jahre 1515, wo er kurmainzischer Kanzler wurde. 1508
hatte er schon die Lektoralpräbende zu St. Viktor bei Mainz
erhalten und las an der Universität ordinarie die Rechte.
1521 le°;te er das Kanzleramt nieder, war aber noch 1528
Rat des Kurfürsten Albrecht. Als Kanzler und Rat viel-
fach zu wichtigen Geschäften und Sendungen gebraucht,
verfaßte er die 1521 von Kaiser Karl V. bestätigte „Hof-
gerichtsordnung" und wurde dafür von Albrecht zum Bei-
sitzer des Hofgerichts ernannt. Zu den Zeiten des Rhagius
mag er wohl extraordinarie Jus an der Universität gelesen
haben, 1507 deutet Christoph Scheurl, der sich mit ihm
und dem ebenfalls mainzischen Juristen Dr. Johann Ried-
esel in Bologna befreundet hatte, darauf hin.172
Ein anderer juristischer Freund war der Sachwalter
Johannes Schmuck, der dem von einer Krankheit ge-
nesenen Rhagius Wein und Kuchen schickte. Der Wein
habe, sagt der Dichter, ihm den Husten erleichtert, darum
möge der Freund wiederum welchen senden, reichliche
Prozesse im neuen Jahre würden ihm eine gute Ernte
bringen.
Welcher Stellung der nun folgende Bernhard Rohr-
bach angehört, ist nicht zu bestimmen; zu dem näheren
Freundeskreise muß er gezählt werden, das geht aus dem
an ihn gerichteten Abschiedsgedichte hervor; er ist ver-
mutlich der Frankfurter Patrizier des Namens gewesen.173
Unter den näheren Freunden des Aesticampianus
dürfen wir auch den Mann nicht vergessen, der wie Grese-
inund den Epigrammen ein empfehlendes Gedicht voraus-
schickte, der humanistisch gebildete Magister Konrad
Weidmann aus Basel.174 Er war jedenfalls, wie Grese-
iniiiid auch, ein Kollege des Rhagius an der Universität
und später Dozent der Jurisprudenz. Wir wollen seiner erst
ausführlicher in der nächsten Periode, die unter dem Zeichen
des Kampfes Johann Reuchlins mit Johann Pfeffer-
korn stand, gedenken, wo er mehr hervortritt.
Den Freunden des Aesticampianus werden wir billig
seine Schüler, soweit wir ihrer noch nicht Erwähnung getan
haben, anschließen. Leider fehlt uns als rbergang da/.u
172 Neue Mitteilungen des Thüringisch Sächsischen Vereins, XIX.
108, 109.
17;; Die Familie Rohrbach, im Archiv für Frankfurts Geschichte und
Kunst, 3. F, II, Hi.">. Ein Bernhard Rohrbach ans Heilbronn, Wiener Ma
gister, war seil 1486 in Tübingen. Später (seit L497J dorl publicus medi-
cinarum professor, auch noch L505 and weiter.
174 E. Böcking, a. a. 0., III, 563. Das Gedichl Grcsemunds. ötil
;,s Gustav Hauch.
eine Übersicht über seine Vorlesungen, wie wir sie aus
seiner Leipziger Zeit besitzen m, und konstruieren wollen
wir sie nicht. Nach den Epigrammen dürfen wir zuerst als
solchen den Lausitzer Edelmann Kaspar Widenbach aus
Guben ansprechen. Das Gedicht an ihn schildert, vielfach
scherzhaft, den Abschied Kaspars von der Heimat bei dem
Abgange zur Universität.
Deutlicher treten als Mainzer Hörer die beiden Leip-
ziger, Wolfgang Bawer und Markus Leympach, her-
vor176; beide werden wegen ihres eifrigen Studiums des
Altertums gepriesen, Leympach auch als Jurist. Beide
sollen ihren Angehörigen und ihrer Vaterstadt Ehre machen.
Bawer hatte schon im Wintersemester 1495 seine Studien
in Leipzig begonnen und ist im Sommersemester 1510 in
Frankfurt a. 0. immatrikuliert. Sonst wissen wir von ihm
nichts. Anders steht es mit Markus von Leimbach. Er
war ein Sohn des herzoglich sächsischen Rates und Land-
rentmeisters Johann von Leimbach, der nach Möglichkeit
für seine Studien sorgte, und seinem Vater ähnlich an Ge-
sicht und humanem Wesen. Schon im Sommersemester 141)4
war Markus mit seinem Bruder Johann in Leipzig imma-
trikuliert worden. Etwa 1501 und 1502 waren beide Brüder
unter der Aufsicht des tüchtigen Magisters Hermann
Kaiser aus Stolberg, der vorher die jungen Grafen Al-
brecht und Gebhard von Mansfeld in Leipzig erzogen177
und unterrichtet hatte, in Köln.178 Während Johann zum
Wintersemester 1502 nach Erfurt zog, begab sich Markus
mit Kaiser, der dorthin als Propst der Allerheiligen-Kirche
und eventueller Kanzler der neuen Universität berufen war,
nach Wittenberg, wandte sich aber von da nach Mainz, wo
er Schüler des Rhagius wurde und mit den Doktoren
Johann Kühorn und Johann Riedesel zu Tische ging.179
Nach Wittenberg zurückgekehrt, wurde er am 18. Juli 1508
von Dr. Christoph Scheurl, dessen contubernalis disci-
pulus er war, zum Bakkalar des kanonischen Rechts pro-
moviert. Bei der Promotion war Markus schon Propst
175 <;. Bauch, im Archiv für Literaturgeschichte XIII, 12 f. Es ist.
kaum glaublich, daß keine Mainzer Editionen des Rhagius vorhanden
sein sollen.
'"' Hier hallen die Leipziger Magister über Konkurrenz seitens der
geringgeschätzten üniversitäl Mainz klagen können.
177 G. Bauch, Geschichte des Leipziger B>ühhumanismus, 58, 59.
'"' Cod. Gothanus, 395, 1, 2: Martin Polich an Hermann Kaiser,
o. O. 6. April L502, Quedlinburg 12. Juni 1502 und Dr. .Mathias Besolt
an denselben, Torgan Kl. April 1502.
179 Neue Mitteilungen etc., XIX. 109.
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus. 59
von Würzen. Die Rede, die Scheurl bei dem Akte gehalten
hatte, ließ er auf Wunsch des Vaters drucken.1'0 Es ist
dieses ,, deutschen Cicero" schwächste Rede, ein trauriges,
zusammengestoppeltes Machwerk.
Eines der schönsten Gedichte ist seinem Schüler und
Famulus Heinrich Brumann aus Mainz gewidmet. Böcking
hat es, weit es die Dienste eines Famulus so lebhaft aus-
malt, ganz abgedruckt. lsl Ihm ist Aesticampianus ein
väterlicher Freund gewesen. Wir werden Brumann auch
noch wieder begegnen. Durch ein eigenes Gedicht182, es
wäre sein erstes bekanntes, kündigt sich Ulrich von Hütten
schon als Mainzer Schüler des Rhagius an. Wenn wir
uns früher durch die scheinbar falschen Angaben über
Dietrich Gresemund den Älteren in seinen Versen183
in den Querelen (1510) :
Magna Geresmundum scruat Moguntia utrumque,
Legibus Aonias iungit uterque deas.
abhalten ließen, dies zu glauben, weil wir unter den beiden
Gresemund Vater und Sohn Dietrich verstanden, so
halten wir das jetzt für einen Fehlschluß, weil der Vater
damals wohl schon tot war und der jüngere Dietrich noch
einen Bruder hatte, der in Heidelberg am 9. November 1512
als Hermann us Greszmundt de Maguntia intituliert ist
und recht wohl ein Mitschüler Huttens gewesen sein
könnte.184 Überdies kommt für die Beurteilung die Stellung
des Huttenschen Gedichtes mitten unter den mainzischen
hinzu.
Aus einer anderen Quelle kennen wir noch einen
Schüler unseres Humanisten aus Mainz, den bekannten
Antiquarius Johann Huttich, der uns später die Gelegen-
heit geben soll, nach einer Abschweifung bis zur gelben
Oder mit Mainz wieder anzuknüpfen.
Um mit den Epigrammen des Aesticampianus zu
Ende zu kommen, sei noch erwähnt, daß neben einem
Scherzgedichte an seinen Barbier Antonius und drei sati-
rischen (in lurchonem, in sciolum, in Polyphemuin) auch
noch Liebesgedichte darin enthalten sind ; zwei Mainzerinnen,
Martha und Cattha, hätten hiernach das Herz des Dichters
,M| Oratio doctpris Scheurli attingens laudes virtutis, Leipzig 1508.
4°; Neue Mitteilungen etc., a. a. 0.
564.
563.
76; Elegia X, v. 205.
nicht, wie Böcking, III, 565, will,
Huttens Mitschüler sein.
181
E. Böcking, a. a. 0., III,
182
E. Böcking, a. a. 0., III,
183
E. Böcking, a. a. <>., III,
184
Dietrich konnte natürlich
60 Gustav Bauch.
entzündet. Wir lassen diese Verse, die manchmal deutlicher
als schön sind, beiseite, weil sie für uns unwesentlich sind
und als bloße .Nachahmung der Alten dem Bilde des Mannes,
wie es Mitlebende entworfen haben185, gar nicht entsprechen.
Es bleiben uns nun noch zwei Stücke übrig, die nach
dem Oberrhein weisen und Wi'mpfeling und Thomas
Wolf betreffen.
Als Wimpfeling für Jakob Sturm 1505 sein Buch
„De integritate" geschrieben und damit den Augustinern
nicht allein, sondern einem großen Teile der Mönche über-
haupt zu heftigen Angriffen Anlaß gegeben hatte186, konnte
er bei der zweiten Ausgabe dieser Schrift187 unter denen,
die sie billigten, auch Aesticampianus anführen. Ein
Gedicht unserer Sammlung auf das Buch ist auch im An-
hange dieser Ausgabe neben Briefen und Gedichten von
Pallas Spangel, Georgius Zingel, Johannes Roma-
nus, Heinrich Bebel, Beatus Rhenanus, Rudger
Venrai Sicamber und Johannes Gallinarius abge-
druckt. Rhasius hält sich darin von der Kontroverse, ob
der heilige Augustinus ein Mönch gewesen sei, fern, und
lobt nur das mit sokratischem Ernste geschriebene, keusche
Buch.
Auch Wimpfelings allezeit getreuer Genosse Thomas
Wolf Junior erscheint in den Epigrammen; ihm als dem
liebsten unter allen rheinischen Sodalen, sandte Aesticam-
pianus ein Abschiedsgedicht, da er sich fertig machte, nach
Frankfurt a. 0. überzusiedeln, wohin der Kurfürst Joachim:
Duros grammaticos, leues sophistas,
Audaces medicos, malos poetas,
Vanos leguleios, theologosque
Rixosos ....
berufen halte Er sollte später, als er wieder an den Rhein
kam, Wolf nicht mehr unter den Lebenden188 treffen (f 1509).
Dem Bruder des Thomas, Amandus, der, wie wir schon
gehört, 1504 starb, hatte er in einem Trostbriefe189 an
Thomas außer Trauerepigrammen die seine eigene Denkart
wiedergebenden Worte nachgerufen: ,,Ad te siquidem atque
ad illum, Maguncia soluens, tanquam in portum nie tutissi-
Hieronymi Welleri Opera omnia, I, 174.
'■' i'li. Schmidt, Histoire litteraire de t'Alsace, I, 42f.
'"■ Joannes Knoblouchus Ciuis Argentinensis ex Archetypo denuo
imprimebat. Anno quingentesimo sexto supra millesimum. XI. kälendas
Nouembris. I".
'" G. Bauch, Die Universität Erfurt etc., 130—132.
' Abgedruckl mil seinen Trauerepigrammen bei: Joannes Garson de
miseria humana etc. S. oben S. 41 bei Ulsenius".
Aus der Geschichte de« Mainzer Humanismus. 6!
mum retulissem. . . Non enim dubito, quin feruore adoles-
cencie decocto dulcioribus illis musis paulisper a se remotis
grauioribus se studijs penitus dedisset. Non enim ludo et
luxui incumbebat, et pro Cicerone Paul um, pro Vergilio
Jesaiam, pro Liuio Moysen lectitauisset." Aus diesen welt-
flüchtigen Worten ersieht man zugleich, daß Rhagius 1504
seine Wandergedanken schon ganz aufgegeben und sich
darauf eingerichtet hatte, bis zu seinem Alter in Mainz zu
bleiben; aber er stand jetzt, ohne es zu ahnen, gerade an
der Schwelle des unruhigsten Teiles seines Lebens.
Der Kurfürst Joachim I. von Brandenburg berührte
auf der Reise zum Reichstage in Köln 1505 Mainz190; in
seinem Gefolge befand sich der Bischof von Lebus Dietrich
von Bülow, dem als vertrautem kurfürstlichen Rat und
zukünftigem Kanzler und Konservator der neuen Hochschule
in Frankfurt a. 0., die am 26. April 1506 ins Leben trat,
deren Organisation oblag. Rhagius wurde für sie als ordent-
licher Orator et Poeta gewonnen. In einem Briefe191 an
Hermann von dem Busche, der auch den Wunsch hatte,
in Frankfurt angestellt zu werden, verlieh er seinen hoff-
nungsvollen Anschauungen Ausdruck. „Fürst Joachim",
sagt er, „ist begabten Menschen günstig. Bischof Dietrich
liebt jene humanen Studien, und endlich alle Hochgestellten
aus der Umgebung, soviel ich aus ihrer Miene und Rede
entnehmen konnte, pflegen und verehren die lateinische
Sprache". Busch kam nicht nach Frankfurt, und auch
Rhagius überzeugte sich bald, daß er mit Annahme der
Frankfurter Stellung einen schlechten Tausch gemacht hatte.
Vorerst aber gab Mainz, da es, wie wenn bei Schulen
ein Rektor den Ort wechselte, auch bei den Poeten üblich
war, daß Schüler von ihnen mit auszogen, einen kleinen
Ableger, den Poeten Rhagius und einige seiner Mainzer
Hörer, an Frankfurt ab, und die neue Universität wurde
ihrerseits wieder ein Pflanzgarten für die Main/er. Der
Name des Rhagius, obgleich dieser schon offiziell an der
feierlichen Inthronisation der Universität teilnahm, fehlt in
der Matrikel192, dafür sind sogleich im ersten Semester die
uns aus Mainz schon bekannten oder in der Folge dort
erscheinenden Kaspar von Wiedebach, Heinrich Bru-
mann, Ulrich von Hütten, Wolf gang Angst aus Kaisers-
iso Für das Folgende vergl. G. Bauch, Die Anfänge der I niversitäl
Frankfurt a. 0., besonders 23, 97 f., lOOf.
J;n Hermann von dem Busche, Spicilegium von 1507. Der Brief
datiert Mainz 28. September 1505.
«2 Die Gründe dafür bei G. Bauch, a. a. 0., 98.
62 Gustav Bauch.
berg und Johann Huttieh aus Strintz in das Album ein-
getragen. Bei Angst ist es nicht beglaubigt, aber wegen
seiner humanistischen Bildung und seiner alten Freund-
schaft mit Hütten so gut wie selbstverständlich, daß auch
er ein Schüler des Rhagius war.
Mit dem bei ihm gewöhnlichen Eifer nahm Rhagius
bald seine Tätigkeit als Dozent und Editor auf, und von
seinen Schülern wurden rasch literarische Leistungen öffent-
lich sichtbar. Als der Kollege des Rhagius, der Inhaber
der zweiten Lektur für Oratoria et Poetica, Publius Vigi-
lantius Bacillarius Axungia, der bei der Einweihung der
Universität die Festrede gehalten hatte, diese, eingeschlossen
in eine Beschreibung der Stadt Frankfurt und der Ein-
weihungsfeierlichkeiten, 1507 erscheinen ließ193, trug der
Druck empfehlende Verse von Rhagius, eine Elegie von
Udalricus Huttenus Phagigena, Aesticampiani disci-
ptilus, zum Lobe der Mark und der neuen Universität und
eine Elegie Henrici Brummanni Magonciaci, sectatoris
Aesticampiani, auf das Buch des Vigilantius. Hütten
gab dann noch 1507 eine Elegiaca exhortatio ad studiosos
adolescentes zu der von Rhagius herausgegebenen Gram-
matik des Marcianus Foelix Capella und ebenfalls 1507
eine andere Elegiaca exhortatio de virtute zu der Ausgabe
der Kebestafel seines Lehrers.194 Der junge Ritter wid-
mete sich aber nicht nur poetischen Arbeiten, sondern schloß
hier auch seine scholastischen philosophischen Studien da-
mit ab, daß er im September 1506 das Bakkalaureat195 er-
warb. Als am Ende des Wintersemesters 1507/8 Aesticam-
pianns nach Leipzig überging, folgte ihm Hütten auch
dahin, trat aber von dort aus bald seine Reisen auf eigene
Hand an. Brumann ließ sich in Frankfurt bei der juri-
stischen Fakultät als Scholar einschreiben196 und wurde
durch diese Studienrichtung wohl seinen bisherigen poe-
tischen Bestrebungen ziemlich entrückt. Erst in Mainz er-
fahren wir wieder von seinem Weiterleben.
Nach dem ersten philosophischen Lorbeer strebten auch
Ant>sl und Hut lieh und erhielten ihn197 im Februar 1507.
'■' .\u> dem einzigen bekannten Exemplar der Breslauer Universitäts-
othek wieder abgedruckt in Akten und Urkunden der Universität
l rankfurt a. 0., VI, Li. Die Gedichte von Rhagius, Hütten und Brumann
ebenda, 1, 30, 31. E. Böcking, a. a. O., III,°5, 7.
G. Bauch, Die Anfänge der Universität Krankfurt a. 0., 104, 103.
195 Akten and l ik len, I, 20.
196 Akten und I rkunden, VI, 53.
197 Akten und I rkunden, I, 23.
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus. 63
Wolfs;a 11 <_i Ann st hat darauf vom 14. Januar 1512 ab seine
Studien in Freiburg i. B. wieder aufgenommen. .Nachdem
er als gelehrter Korrektor bei Heinrich Gran in Hagenau
gewirkt hatte, siedelte er zu dem gleichen Berufe nach Mainz
über, wir werden ihn dort wiederbegrüßen. Huttich198
hielt sich in Frankfurt wie Angst von literarischen Publi-
kationen fefti, noch war seine Zeit nicht gekommen, aber
sein Name wird doch schon von dieser Zeit ab gedruckt ge-
nannt. Aesticampianus hat wie auf Hütten lebhaft an-
regend auf diese tüchtige Natur eingewirkt.
Die Grammatik des Marcianus Capella hatte Aesticam-
pianus seinen verwaisten kleinen Neffen Georg und Jo-
hannes gewidmet; die Sorge für ihren Unterricht hatte
er seinem Amanuensis Huttich übertragen. Als rheto-
rischen Anhang zu der Grammatik ließ er alsbald Aelius
Donatus de figuris folgen.199 Dieses Werk hat. er Huttich
zugeeignet und in der warmempfundenen Widmung sagt er:
„Arbeite du mehr und mehr daran, daß auch dieser Teil der
Grammatik, der ihr wie ein Wäldchen angehängt ist, von
meinen Neffen und dir, gewissermaßen ihrem Unterlehrer,
offenbarlich verstanden wird, zumal da jenen wie dir diese
Sache von großem Nutzen sein wird. Von wem könntet ihr
auch diese Dinse besser als von Donatus, der mündlich das
Licht unserer Religion, Hieronymus, darin unterrichtet hat,
nach meinem Vortrage lernen, damit nichts ausgelassen wird
weil ich nun einmal das Amt eines Grammatikers über-
nommen habe , was zum wahren und wohlanständigen
Unterricht zu gehören scheint, obwohl dir das nicht mehr
ganz unbekannt ist, da du ja schon deinen Sinn auf die
höheren humanen Studien, wie auf das Verständnis der
Kräfte der Eloquenz, auf die Sammlung der Vorschriften für
ein gutes Leben und auf die Durchdringung des ganzen Alter-
tums gerichtet hast, indem du niil Lesen und Hören und
Kommentieren deine ganze Zeit hinbringst und den Müßig-
gang wie eine Pest des Geistes und eine Seuche des Körpers
198 Zu Huttich vergl. <1. Bauch, Archiv für Literaturgeschichte, XII.
360f.; F. \V. K. Roth, Euphorion, IV. 7721'. Roths Biographie ist im
wesentlichen eine Bearbeitung meiner Darstellung, aber er vermeidet e>
sorgfältig, auch nur einmal meinen Namen zu nennen. Unrichtig ist bei
Roth, daß Huttich schon in den Epigrammen des Rhagius vorkommt.
Rat) der von Roth, S. 772, 775, angeführte Domvikar und Altarisl Johann
Huttich und der unsere eine Person sein sollen, ist ausgeschlossen, da
der 1487 oder 1488 geborene Huttich 1506 nofch nichl das kanonische
Alter hatte, um die dazu nötige Priesterweihe zu erhallen. Eher ist es
der schon 1488 genannte Mainzer Huttich.
199 G. Bauch, Die Anfänge etc., L04.
lii Gustav Bauch.
fliehst und verabscheust. Und aus diesem Grunde hast du
auch die Marken des süßen Vaterlandes und die lieblichen
Gefilde der Stadt Mainz, die Weingärten, die Fluren und
die Verwandten verlassen und endlich den Rhein, den Vater
der Nymphen, wie die Dichter meinen, um in Lübben die
Bäche meiner Lausitz (Spreewald) zu sehen und deine
Heimat ein wTenig zu verleugnen, um endlich dein Haus
reicher an Wissen, berühmter durch Beredsamkeit und auch
reiner im Leben wieder aufzusuchen und dieses mein Urteil
in Bezug auf deinen Geist, dein Studium und deine Liebe
zu mir als ein ewiges Denkmal mitheimzubringen, damit
du nicht vergeblich die Gefahren der Reise oder die Mühen
der täglichen Arbeit, denn du bist mir zur Hand (a manu
enim mihi es), oder auch noch Schaden an Geld und Zeit
auf dich genommen zu haben scheinest." In einem anse-
hängten Schlußgedichte Ad nepotes et Johannem Hutti-
chium Maguntinum lobte er nochmals seinen Amanuensen
und wies auch noch darauf hin, daß dieser bereits bei ihm
Griechisch gelernt hatte:
Tuque, Maguntine spes urbis et ardua Rheni
Gloria, Lusatii tutor honeste gregis,
Dulcis Johannes, teneros mea cura, nepotes
Respice et hec rudibus trade elementa gulis,
Ut possint ronchos Itali sannasque Pelasgi
Effugere et duplici fingere verba sono.
Quöd paucis nostro hominibus iam contigit euo,
Nunc dabit hoc pueris cura laborque tuis.
Ein Distichon an den Leser versprach einen Kommentar
zu Marcianus Capeila; auch dieser erschien noch 1508 mit
einem gleichen zu Aelius Donatus200, wieder den Neffen zu-
geschrieben. Die in so wenig Worten gegebene liebevolle
Schilderung des Rhagius von Mainz in der besprochenen
Epistel an Huttich erhält einen wehmütigen Zug, wenn man
damit die Verse vergleicht, die Pierius Joannis Aesticam-
piani grex hei dem Kommentar an die Neffen richtet; diese
\ eise sprechen nicht nur von durch die angeschwollene
Oder weggeschwemmlen „faciles et innocentes despecü
iniseris modis poetae", sondern sagen auch noch:
Vos ad Lusatios redite fines :
Xec firmi comites, nee expediti,
El cum grammatica valete vestra,
Nos seetabimur Aesticampianum,
200 <i. Bauch, a. a. Ü., 105.
Aus !der Geschichte des Mainzer Humanismus. 65
Quo vcl fahl vocent, deus vel autor
Vel sors hac melier schola vel urbe.
Huttich wanderte mit den Neffen nach Lübben, aber
schon im Wintersernester fand auch er sich in Leipzig ein.
Bis zum Wintersemester 1513/14 schweigen jedoch dann die
Nachrichten über ihn. Zu diesem Termine trat er dort
herausfordernd als Poet auf.201 Der artistische Dekan des
Semesters Magister Johannes Tuberinus Erythrapoli-
tanus, Johannes Beuschel oder Beussel aus Roten-
burg a. T., ein zu den Scholastikern haltender wässeriger
humanistischer Poet, der zum Gespött der Humanisten
schärferer Tonart202 in demselben Semester durchsetzte, daß
ihm die Fakultät zum Druck seiner dickbändigen wertlosen
„Musithias" dreißig Floren bewilligte und ihm gestattete,
in einem Jahre anstelle des Terenz darüber zu lesen, war
als zünftiger und patentierter Poet natürlich mit Recht da-
rüber entrüstet, daß schon vor Anfang der Exerzitien und
Lektionen zwei Bakkalare zu lesen begannen. Er schritt
ein, weil Überfluß an lesenden Doktoren und Magistern
wäre und sie bloß Scholastici seien, die nicht die Erlaubnis
zu lesen hätten. Der eine gehorchte sofort und hörte auf
zu lesen; der andere wollte zuerst durchaus nicht von seiner
Anmaßuno; lassen, stand dann aber doch von seinem Be-
ginnen ab, als ihm von seinen Oberen und dem Dekan eine
Frist von fünf Tagen gesetzt worden war. Auch einen
dritten Scholaren oder, wie viele sagten, einen Frankfurter
Bakkalar, obgleich er selbst es leugnete, unsern Huttich, ver-
hinderte er am Lesen. Da er aber nicht hören wollte, rief
der Dekan auf Geheiß der Senioren die Hülfe des Rektors
zur Bestrafung des Ungehorsamen an. Der Rektor er-
kundete die Meinung des Universitätskonzils über die Sache,
und dieses beschloß, daß jener Jüngling zu verhindern sei.
II ull ich aber appellierte an die ganze Universität, deren
Nationen ihm befahlen, vom Lesen abzustehen. Dieser je
doch, der seinem dreisten Verfall reu nicht den Rücken
kehren wollte, reichte dem Herzog Georg eine Bittschrift
ein, in der er die Magister leichtfertig, ,,ut mos esl gyroua-
gorum", mit schwerer Beschuldigung verklagte. Der Fürs!
schrieb darauf an die Universität und verlangte, daß ihm
201 Liber papyreus dos Archivs der Leipziger philosophischen l'akul
lüi. Eol. 59, and Liber conclusorum et actorum uniuersitatis, Eol. L58.
Codex diplomaticus Saxoniae Regiae II, WM. 180.
202 Codex dipl. Saxoniae Rciäao, a. a. <>.. 479. Epistolae obscurorum
virorum, E. Böcking, a. a. <)., Supplementum I, 27. Es Sprint;! ins Auge,
wie vorzüglich der Verfasser (Crotus) über die Sache unterrichtet war.
Beitrüge z. Gesch. d. Universitäten Mainz u. Gießen, ß
66 Gustav Bauch.
die Erlaubnis zu lesen nicht verweigert werden sollte. Die
Universität verschanzte sich hinter ihre Statuten und löb-
lichen Gewohnheiten und belehrte ihn über die Menge der
Magister in Leipzig, die „cultiorem literaturam" vortragen
könnten. Damit beruhigte sich der Herzog, und „dictus
temerarius poetaster" wurde bei einer Strafe von zehn
Floren, die ihm der Rektor nach Beschluß der ganzen Uni-
versität androhte, gezwungen, von seinen Lektionen abzu-
lassen.
So teilte Huttich das Schicksal seines Lehrers Aesti-
campianus, dem die Universität 1511 aus Schikane ein
Lektorium verweigert203 und den sie dann nach einer scharfen
Abschiedsrede204, um ihn' ganz loszuwerden, trotz der Inter-
zession des Herzogs Georg schleunigst auf zehn Jahre
relegiert hatte. Huttich trat jetzt seinen Rückweg nach
dein goldenen Mainz an.
Nach Joannis205 erscheint er dort in Urkunden als
Magister, Examinator und Geistlicher. Er hat also wohl
in Mainz seinen Grad erlangt, also auch dort wieder zu der
Universität gehört. Die Anregungen des Aesticampianus
und was er von Gresemund vernahm, wirkten bei ihm
weiter; er beschäftigte sich in seinen Mußestunden mit der
Sammlung von römischen Inschriften und alten Münzen. Im
Jahre 1516 gab er ein empfehlendes Hexastichon zu einem
( »ppenheimer Drucke206, zu dem Enchiridion ferme de omni
ludorum genere des Tübinger Professors der Jurisprudenz
Johannes Aquila. Das Buch, das auch Peter Günther
poeliseh empfahl, behandelt erlaubte und unerlaubte Spiele,
Spiel im weitesten Sinne genommen, und stellt die uner-
laubten abschreckend mit Verboten und Strafen dar. Es
ist also gewissermaßen eine Ergänzung zu Gresemunds
\ iolata crux.
Seine vielseitige Bildung bewirkte, daß er als Lehrer
des jugendlichen Ludwig II. von Pfalz-Zweibrücken
an dessen Hof berufen wurde. Als solcher schrieb er 1518
an lleuclil i ii '"■ und tröstete den schon sieben Jahre auf
Gerechtigkeit Harrenden mit der Gunst des Bischofs von
: G. Bauch, Archh für Literaturgeschichte, XIII, 19f.
: Übersetzt von 0. Clemen, Neue Jahrbücher für Pädagogik, II
l\ 2361 — »ob Joannis, a. a. 0., III, 322.
'' Opusculum Enchiridion appellatum Joannis Aqnile Ferme de omni
ludorum genere Impressum Oppenheim (Jakob Kübel). Anno domini.
I. 5. L6. I"
"' Ulustrium rirorum epistolae . . . ad Joannem Eteuchlin Phorcen-
sem. Ii ex officina Thomae Anshelmi. Anno Inc. Verbi M. D. XIX.,
Diij b.
An- Mit Geschichte des Mainzer Humanismus. tiT
Straßburg, Grafen Wilhelm von rlohenstein, mit »Irr Be-
wunderung seines Schülers Ludwig und den Hülfsaner-
bietungen der Vornehmen von dessen Umgehung. Daß
Huttich sich unter den Gelehrten damals schon eines an-
gesehenen Namens erfreute, beweist neben der gleich-
zeitigen Erwähnung208 durch Irenicus, daß er in dem den
Epistolae illuetrium virorum vorgedruckten Verzeichnis der
Defensores Capnionis mit aufgeführt wird. Als Reuch-
linist hat er auch bei Schlauraff und in dem Briefe des
Ohscurus vir M. Sylvester Gricius Aufnahme gefunden.209
Im Jahre 1520 erschien die Frucht der Mainzer For-
schungen, das erste Werk Huttichs: Collectanea anti-
quitatum in urbe, atque agro Maguntino repertarum.210 Das
Buch war schon früher vollendet, wie der an Dietrich
Zobel gerichtete und vom 22. Juli 1517 „ex arce Curcellina
regni deserti" datierte Widmungsbrief bezeugt. Scherzend
sagt er darin, daß er trotz des Spottes des Erasmus (in
seinem Encomium moriae) unter die Altertumsnarren für
Mainz gehen wolle, um dadurch Zobel, der schon ein Lieb-
haber alter Münzen sei, anzuregen, aufgefundene Altertümer
zu sammeln und dadurch vom Untergange zu retten. Er
habe nur ausgeführt, was Gresemund, der Vater der Alter
tümer, begonnen, im Verein mit dem Doktor der Dekrete
Balthasar Geyer (von 1524 ab Scholastikus bei St. Peter211
und außerdem Kanonikus bei St. Viktor, bei dem hl. Kreuz
und in Frankfurt bei St. Bartholomäus) habe er in Stadt
und Land geforscht und nach dem Vorbilde Peutingers alle
Inschriften mit eigenen Augen geprüft. Das nicht fehler-
lose21- Weik, das 42 Inschriften und eine Abbildung des
Eigelsteins enthält, ist von Schöffer 1525 aufs neue ge-
il nickt worden.213 Joannis hat die ganze Schrift nach dieser
zweiten Ausgabe in seine Sammlung aufgenommen.214
Mit dieser Veröffentlichung, oder vielmehr schon mit
dem Briefe an Reue hl in, entschwindet Huttich auf einige
/eh unseren Augen; durch eine gelegentliche Notiz215 in
einem Briefe an Pirckheimer erfahren wir nur, daß er
1521 ans Spanien zurückgekehrt ist. Was ihn dorthin ge-
206 Germaniae exegesis, fol. 45b. - - 20n S. hier weiter unten.
210 Ex aedibus Joannis Schoeffer Mngimlini. Anno Clirisli \l. I». XX.
mense Martio. Fol. — 2U Joannis, a. a. 0., I, 505, II, .'524.
212 Leibniz in Olinni Hanoveranum von Keller, Ups. 171S, 207.
218 Ex aedibus Joannis Schoeffer Mo»unlini. Anno Christi M. D. XXV.
Mense Septemb. Fol.
214 Joannis, a. a. 0., II, 327 f. Die Meinung von Joannis, daß beide
Ausgaben identisch seien, beruht auf einem Irrtum.
2ir> Heumann, Documenta literaria, 225.
5*
68 Gustav Hauch.
führt, wissen wir nicht. Als er den Brief schrieb (18. Ok-
tober 10-24), hielt er sich in Straßburg auf und wurde dort
von Beal us I» henanus, mit dem er befreundet war und der
bei ihm den Sommer zugebracht hatte, gebeten, dem Buch-
drucker (irüninger als gelehrter Korrektor für die Ptole-
maeus Ausgabe Pirckheimers behilflich zu sein. Er über-
nahm zur Freude Pirckheimers, der ihm schon von früher
nahestand (er hatte ihm vor mehreren Jahren schon seinen
„Piscator" übersendet), die mühsame Arbeit. Aus der Ant-
wort Pirckheimers ersehen wir, wie hoch er Huttich
als Gelehrten schätzte. Die Tätigkeit war für Huttich nicht
sehr erfreulich, zweimal beklagt er sich brieflich bitter über
den Drucker216, und Pirckheimer dachte ebenso wie er.
In Straßburg wurde Huttich am 28. Februar 1525 als
Bürger aufgenommen und 1527 wurde er auf Grund von
primae preces Kaisers Karl V. Kanonikus zu St. Thomas,
1538 ungefähr erhielt er die Pfründe des Rex chori an der
Kathedrale, deren reiches Einkommen ihm gestattete, seiner
Vorliebe für die Altertümer, für historische Studien und
für das Sammeln von Handschriften und Büchern zu leben.
Im Jahre 1526 veröffentlichte er das zweite, in Straß-
burg großgezogene Kind seiner Mainzer Forschungen: Im-
peratorum Romanorum lihellus. Una cum imaginibus, ad
uiuain effigiem expressis.217 Dieses Buch ist dem Rate des
Herzogs Georg von Sachsen Otto von Pack218 zuge-
eignet, zwei Jahre ehe dieser das berüchtigte Breslauer
Bündnis erfand. Die Vorrede des in den schweren Zeiten
des Bauernkrieges verfaßten Buches läßt uns einen tiefen
Blick in Huttichs Seele tun. Die Klagen, denen er Worte
leiht, tönen in den Werken vieler seiner humanistischen
Genossen las! wörtlich wieder.-111 Die Verderbnis der Sitten
und Zeilen, sag! er, sei eine so große, daß man am klügsten
handle, wenn man den Fmgang und Verkehr mit Menschen
ganz meide. Als Jünglingen habe ihnen die Hoffnung auf
das Wiederaufleben besserer Wissenschaften erglänzt, jetzt.
[leumann, a. a. <>., 226, 22*; II. Pirckheimer, Opera, cd. Gold-
a I 313; Hase. Die Koberger, 2. Aull., (.)7 und passim.
-1, Wolgangus Cephalaeus Argentinae suo aere et impensis excussit,
Anno salutis M. D. XXVI.
218 Zu Olln vnn Pack vcriil. weiter unten. Für die ursprünglich
günstige Stellung Huttichs zur Reformation vergi. Centuria epistolarum
Iheologicarum ad Joh. Schwebelium, Zweibrücken 1597, 42, wo unrichtig
Jüh. Hettichius siehe
219 Vergl. die Vorrede des Nicolaus Gerbelius bei Jacobi ßracelli
Genuensis, bistorici eruditissimi Libri quinque, Hagenau Secerius 1530;
Euricii Cordi Simesusii Botanologicon, Köln L534, 42.
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus. 69
sei sie entschwunden und zusammengefallen, daß sie nie-
mals geringer gewesen sei. Einst treue und offene Herzen
seien nun ganz stumm oder sich unähnlich geworden. Plötz-
lich wie Götter (im Drama) seien einige Verteidiger eines
reineren Christentums erstanden, aber wie diese von dem
ganzen Weltkreise mit Beifall aufgenommen worden seien
(denn eine hochwichtige Sache sei die Erkenntnis der Wahr-
heit), so beklage man nun, daß einige von jenen oder sicher
Anhänger von ihnen die Schauspieler der traurigen Tragödie
dieser Zeit spielten und, von der evangelischen Milde zu auf-
rührerischem Geiste abgefallen, alles mit Morel und Raub
erfüllten. Daher sei es gekommen, daß die für Ankämpfer
gegen das Evangelium gehalten würden, die vorher als seine
Vorkämpfer angesehen worden seien. Das sei durch unge-
lehrtes Schreien ins Volk (Schilderung der Prädikanten, meist
ausgelaufener Mönche) veranlaßt worden, daß die Menge
sich zu Plünderung und Raub gewendet habe. Aber auch
die Fürsten hätten ihre Schuldigkeit nicht getan, für diese
habe er nun die Kaiserleben zusammengestellt, Cephalaeus
habe die Bilder nach Münzen dazugegeben.
Huttich erinnert Pack am Schlüsse daran, daß sein
Bruder Philipp von Pack220 ihm" einst bei der Aufspürung
von alten Denkmälern und Münzen eifrig beigestanden und
wie bewundernd Otto die Funde aufgenommen habe; darum
und weil der durchreisende Heinrich von Eppendorf (aus
Freiburg, ein Antipode des Erasmus) ihn dazu ermuntert
habe, widme er ihm das Werk.
In dem Buche findet man die Bildnisse und Lebensr
beschreibungen der Kaiser bis auf Karl V. Wo Hu II ich,
wie bei den Juliern, Frauenbilder kannte, sind auch diese
aufgenommen, wo ihm Abbildungen fehlen, z. B. von Hein-
rich V. bis auf Albrecht IL, deuten dies leere Ringe an.
Die Biographien sind kurz, die Bilder zum großen Teile
recht gut. Nachdem das Werk zweimal nachgedruckl worden
war, ließ es llultjch 1584 noch einmal, vermehrt um einen
Elenchus der Konsuln und Abbildungen von Münzen aus
der Zeil der Republik, ausgehen.221
Die Bibliothek Huttichs schloß manche Schätze in
sich, so sah Iteatus lihenanus bei ihm einen alten Psalt t
in deutscher Sprache222, und Crato .Mylius erhiell von
220 Zu Philipp von Pack vergl. weiter unten.
-'-' Argentorali Vuolphgangus Caephalaeus excnssil Anno. M. D.
XXXIII. In derselben Offizin erschien 15511 (1552) eine neue von Joa
Sambucus redigierte Auflage. Eine deutsche Ausgabe merkl Roth, a. a. 0.,
782, an.
222 Beati Rhenani Selestadiensis rerum Germanicarum libri Ires. Ba
sileae 1531, lüb.
70 Gustav Bauch.
ihm eine aus Johanns von Dalberg Büchern stammende
Handschrift des Chronicon Urspergense für seine zweite
Ausgabe dieses Geschichtswerkes.223 Auch die Zusammen-
stellung von Entdeckungsreisen und ähnlichen Sachen, die
anter dem Titel: Nouus orbis regionum ac insularum
veteribus incognitarum una cum tabula cosmographica, et
aliquot alijs consimilis argumenti libellis etc. 1536 (37 ?
Titel) bei Herwägen in Basel erschien, ist, wie Simon
Grynaeus in der Vorrede berichtet, von Huttich ge-
sammelt und Herwagen zu gemeinsamem Abdruck über-
geben worden. Nicht mit Unrecht nimmt Roth an224, daß
Huttichs Beschäftigung mit Ptolemaeus ihn zum Sammeln
solcher Schriften geneigt gemacht habe.
Von dem regen, angeregten und anregenden Briefwechsel
Huttichs mit Beatus Rhenanus sind Schreiben von 1527
bis in sein Sterbejahr, 1544, erhalten.225 Da gibt er Nachricht
über das Resultat seiner Durchforschung der Bibliothek D al-
ber gs, über Urkunden, über mittelalterliche deutsche Rechts-
quellen - - auf seine Anregung wurde der Sachsenspiegel ge-
druckt --, über historische Lokalitäten und altdeutsche Aus-
drücke. In einem Briefe empfahl er den greisen ehemaligen
Schüler und Sodalen des Konrad Celtis und Freund des
Erasmus, den Kosmographen, Kritiker des Plinius und Auf-
heller des skandinavischen Nordens Jakob Ziegler aus
Landau in Niederbayern, der aus den „Thermae Antonianae"
für den Rest seines Lebens nach Mainz übersiedeln wollte
und deshalb durch Vermittlung des Beatus einen Empfeh-
lungsbrief des Irenikers und letzten Bischofs von Zeitz
.In lins von Pflug an den Kardinal-Erzbischof Albrecht
von Mainz begehrte.
In seinem letzten Briefe (26. Januar 1544) äußerte er
lebhafte Besorgnisse über die Kränklichkeit des Beatus und
gab ihm gute Ratschläge; aber nicht diesem drohte ein nahes
Ende, sondern ihm selbst.226 Er starb schon am 4. März 1544
und wurde im Chor bei St. Leonhard begraben. Beatus
Rhenanus schrieb ihm ein heute nicht mehr erhaltenes
Epitaphium. Als Straßburger Bürger setzte er sich ein Denk-
; Paraleipomena rerum Mernorabilium etc. Argentorati apud Crato-
nem Mylium, Mense Martio, Anno M. D. XXXVIII, 1. Hinter der Aus-
Chronicon \Uut. I rsperg. — --4 Ruth. a. a. <>.. 784.
' A. Horawitz und K. Hartfelder, Briefwechsel des Beatus Rhena-
nus, 372, 373, 417, L18, !:;:>. 177 f.. 488, 189, 491, 509, 510.
Für das Folgende vergl. die Briefe von Huttichs Vetter und Nach-
folger ;ils l!r\ chori Sebastian Hambacher an Beatus Rhenanus, a. a. 0.,
519, 527.
Aus -der Geschichte des Mainzer Humanismus. 71
mal durch eine wohltätige Stiftimg für die Ausstattung armer
Straßburger Bürgertöchter, die sich verheiraten wollten.
Mit Huttich sind wir in die Atmosphäre Reuchlins
und seines Kampfes um die Judenbücher getreten.227 Mainz
wurde zu einem Heerlager für seine Sache, die man bald
nicht als Judenbegünstigung, sondern von der Höhe der
Wissenschafl'im humanistischen Sinne auffaßte. Der Huma-
nismus hatte in Mainz festen Fuß gefaßt, und der Kreis seiner
Anhänger war nicht nur an der Universität gewachsen,
sondern hatte sich zudem auch in der zahlreichen höheren
Geistlichkeit weiter ausgedehnt, die durch Studien, besonders
im Jus, in Italien, aber auch durch die lebhaften Beziehungen
zur Kurie sich längst in dem Banne der italienischen Renais-
sance befand und daher, wie wir schon bei den Freunden
und Gönnern des Aesticampianus gesehen haben, dieser
Richtung auch an der Universität freundlich gegenüberstand.
Freilich die Scholastik war deshalb noch keineswegs von der
Hochschule verschwunden oder auch nur besiegt, obgleich
man von Plänen erfährt, sie in ihren Auswüchsen zu be-
seitigen; aber diesen Kampf hat der Humanismus auszu-
f echten keine Zeit gehabt, weil ihm die kirchliche Refor-
mation die Herrschaft über die Geister der Gebildeten ab-
nahm und ihn in dem von ihr geführten Kampfe gegen die
Scholastik nur als Bundesgenossen in dienender Stellung
zuließ, um später selbst dann wieder ihrer eigenen Scholastik
zu verfallen und den Humanismus in seinem innersten Wesen
geschwächt zurückzulassen.
Als einen Reformator der Universität bezeichnet Hüllen
in seinem schönen Trauerbriefe228 an seinen Freund, den
Bamberser und Würzburger Kanonikus Jakob Fuchs,
seinen treuen Gönner, den gelehrten Edelmann Eitelwolf
von Stein, einen Schüler des Crato von Udenheim in
Schlettstadt und in Bologna des Philippus Beroaldus,
dem Kaiser Maximilian auch den Lorbeer als Orator und
Poeta verlieben und der schon als Sodale des Celtis sich
eifrig an den Bestrebungen dieses überall Anregungen aus
streuenden Apostels des Humanismus beteilig! hatte. Die
einzig erhaltenen Verse Eitelwolfs trägl die Nürnberger
Ausgabe der Werke Roswithas von 1501, die unter der
Ägide der Sodalilas des Celtis erschien.--11 Trithemius
nennt230 eine uneedruckte Schrift von ihm: De laudibus
.>.,-
-'-'7 Hierzu L. Geiger, a. a. 0., 240f.; D. Strauß, Ulrich von Hütten,
2. Aufl.. 150f. -°-s E. Böcking, a. a. 0., I. II, 45.
223 (!. Bauch, Die Rezeption des Humanismus in Wien, 79—81
230 Job. Trithemius, Opera, I, 181, 392.
72 Gustav Bauch.
heroiim et illustrium virorum, die seinem Oheim, dem in
Schlesien gründlich verhaßten Vertrauten und Rat des Königs
Mathias Corvinus von Ungarn Georg von Stein ge-
widmet war. Mit dem Erzbischof Albrecht als sein Rat
and Hofmeister vom Hofe Joachims I. von Brandenburg
1514 nach Mainz übergesiedelt, um sich hier für seine alten
Tage häuslich einzurichten, strebte er auch nach Betätigung
seiner wissenschaftlichen Anschauungen. Er erzählte einst
Hütten, daß er bedauere, Joachim zur Errichtung der
frankfurter Universität angeregt zu haben, da er sehe, daß sie
von ungelehrten Gelehrten in Besitz genommen sei und nicht
von im Griechischen und Lateinischen Unterrichteten weiter-
gefördert werde. Und so ging der wegen seiner treuen, dem
Hause Hohenzollern geleisteten Dienste von Albrecht hoch-
geschätzte und deshalb einflußreiche Mann in Mainz im Ver-
trauen auf die Freigebigkeit seines humanen Fürsten daran,
die Universität auf eine Stufe zu heben, daß sie in Europa
nicht ihresgleichen hätte, teils selbst mit eigenem Gelde, teils
damit, daß durch Entfernung „unnützer Professorchen" die
ausgesetzten Gehälter für eine bessere Verwendung freige-
macht würden. Nur die Vorbereitungen und die Anfänge
seiner guten Absichten hat der wackere Herr ins Werk setzen
können, denn er starb als kaum Fünfzigjähriger schon 1515.
Von einem Zurückdrängen des Scholasticismus an der Uni-
versität, wenigstens in Bezug auf ihre Bedeutung, kann aber
auch nach dem Abscheiden Eitelwolfs gesprochen werden,
da Kurfürst Albrecht dem Humanismus durchaus wohl-
w ollend gesinnt war.
Albrecht war, wie er Erasmus schätzte, auch ein
Gönner Beuchlins, ja selbst Reuchlinist. Sein Leibarzt
Dr. Heinrich Stromer aus Auerbach231 schrieb 1517 an
\\ ilibald Pirckheimer: „Aber, um von mir zu schweigen,
die größte, ja eine ungeheuere Verwunderung hat mich erfaßt,
daß du deine Arbeiten (die Übersetzung von Lucians Piscator
und seine an Lorenz Behaim gerichtete Vorrede für
Reuchlin) nicht dem Mainzer Erzbischofe als Geschenk zu-
geschickt hast, meinem mildesten Herrn, aller gebildeten
Männer Liebhaber und Maren, dessen Würde ich mit bestem
Rechte einen Reuchlinisten, um ein Wörtchen der Ver-
leumder der Reuchlinisten zu gebrauchen, nennen kann,
da ja seine Hochheil unsern hochgelehrten Capnion, den
ich niemals ohne ganz besondere Lobpreisung nennen darf,
als einen durch das Aller verehrungswürdigen Mann, einen
-'■' E. Böcking, a. a. 0., I, 15ö.
Aus iler Geschichte des Mainzer Humanismus. 73
mit seltener Gelehrsamkeit, mit ausgezeichneter Unbe-
scholtenheit des ganzen Lebens, mit einzigartiger Bered-
samkeit in deutscher, hebräischer, chaldäischer, griechischer
und lateinischer Sprache und mit der Zier aller schönen
Tugenden Ausgestatteten wunderbar liebt und hegt und ihn
mit Lobsprüchen erhebt". Und Hütten weiß zu berichten-3-,
daß er, als ihm Stromer einmal ein Buch Pfefferkorns
mit wüsten Schimpfereien gegen die Freunde Reuchlins
überreicht hatte, dies, nachdem er es gelesen, in das Feuer, an
dem er gerade saß, voll Abscheus über den unflätigen Inhalt,
geworfen habe mit den Worten : „So mögen die umkommen,
die so reden !"
Die günstige Stimmung für Reuchlin war aber schon
vor den Tagen Albrechts in Mainz vorhanden. Als
Jakob van Hochstraten am 9. September 1513 Reuch-
lin schon für den 15. des Monats nach Mainz vor seineu
Richterstuhl gefordert hatte, ermöglichte ihm das ver-
mittelnde Eingreifen des Mainzer Domkapitels, daß er am
8. Oktober persönlich in Mainz erscheinen konnte. Der
12. Oktober ward zur Urteilsverkündigimg angesetzt; da, am
11. Oktober der Domdechant Lorenz Truchseß von
Pommersfelden und das Domkapitel hatten deshalb einen
Eilboten nach Aschai'fenburg zum Erzbischof Uriel von
Gemmingen geschickt erhielt Hochstraten ein
Schreiben des Erzbischofs, der die Vertagung der Urteils-
sprechung auf einen Monat verlangte, im Weigerungsfalle
die Zurückziehung der vier erzbischöflichen Gerichtsbei-
sitzer androhte, die von Reuchlin eingelegte Appellation
an den Papst anerkannte und alles, das etwa in der Zwischen-
zeit geschähe, für null und nichtig erklärte und so Reuchlin
bis auf weiteres rettete. Der Brief erreichte Hochstraten
gerade in dem Augenblicke, als er, umgeben von den Mainzer
Dominikanern und Abgesandten der Reuchlin feindlichen
theologischen Fakultäten von Köln, Erfurl und Loewen, vor
einer großen Menschenmenge, die durch das zu erwartende
Schauspiel und die Verkündigung eines dreihunderttägigen
Ablasses angelockt worden war, auf Grund <\i>r Verurteilung
durch die theologischen Fakultäten feierlich die Verbrennung
von Reuchlins „Augenspiegel" vornehmen wollte.23
Das soeben Erzählte wird uns auch manches Burleske
in dem Folgenden, das in heilerer Weise aus Wahrheil und
Dichtung kunstreich zusammengesetzl ist, deutlicher machen.
Die luiversiläl war in den kurfürstlichen kommissarischen
232 E. Bück in s, a. a. <>., I. L68.
233 L. Geiger, a. a. 0., 290f.j D. Strauß, a. a. <>., L60, L61.
74 Gustav Bauch.
Richtern bei diesen Verhandlungen vertreten, sie enthielt
aber auch unter ihren Doktoren, Magistern und „Suppositis"
nicht wenig stramme Reuchlinisten, die durch Kanoniker
der vielen Stifte noch vermehrt wurden. Das Hauptquartier
der Mainzer Reuchlinisten war das Gasthaus „zur Krone"
und deshalb ist es in den Epistolae obscurorum virorum ver-
ewigt worden. Schon im ersten, von Crotus verfaßten
Bande234 der Epistolae klagte Cornelius Fenestrificis dem
Ortvinus Gratius, wie ihn zwei „Trufatores" in diesem
Hause unziemlich gehänselt und die Pariser und Kölner
Theologen (magistros nostros) als Fantasten und Dummköpfe
heruntergerissen, wie auch auf die ganze scholastische
Philosophie als auf leere Albernheiten geschimpft hätten,
und rächte sich an ihnen durch unsäglich kunstvolle und
geistreiche Verse. Er nannte aber keine Namen. Hütten,
der Verfasser des zweiten Teils, holte dies als Ortsange-
sessener, Orts- und Personenkundiger reichlich nach. Bei
ihm berichtet235 der Magister Sylvester Gricius demselben
Adressaten: ,,,Da ich ja darauf eingeschworen bin, daß ich
meine Fakultät verteidigen und ihren Nutzen in allen Dingen
fördern wolle, deshalb will ich euch Punkt für Punkt
schreiben, welche hier den Theologen und welche Johann
Reuchlin günstig sind, damit ihr es den Theologen saget,
daß diese sich danach richten können. Erstlich gewisse
Tischgenossen im Gasthaus zur Krone, die tun immer unsern
Magistern (Theologen) und den Brüdern vom Predigerorden
den größten Schabernack an und bewirken, daß niemand
in diesen) Gasthause den Predigermönchen ein Almosen gibt.
Ich weiß die Namen von einigen. Einer heißt Magister
Philipp Keilbach, der redet immer von Reuchlin und
empfiehlt ihn, und einmal hat ihn unser Magister Peter
Meyer, der Pfarrer in Frankfurt (und Denunziant Reuch-
lins), tüchtig abgeführt. Einer, Ulrich von Hütten, der
ist sehr bestialisch und sagte einmal, wenn die Prediger-
brüder ihm solches Unrechl täten, wie sie Reuchlin tun,
wollte er selbst Feind derselben werden und, wo er immer
einen Mönch von diesem Orden lande, da wollte er ihm die
\;isr und die Ohren abschneiden. Der hat auch viele
Freunde am Hofe des Bischofs, die auch Reuchlin sehr
günstig sind. Aber jetzt ist er weggegangen (Gott sei Dank!),
-':;1 E Böcking, a. a. 0., Suppl.. I, 17, 18. Zu Crotus' Verfasser-
schaft vergl. W. Brecht, Die Verfasser der Epistolae obscurorum viro-
i um. 31
1 Böcking, a. a. <>. Suppl. I. 272—271. 7m Hütten als Ver-
er des zweiten Teiles vergl. \\ . Brecht, a. a. U.; 131
Aus -der Geschichte des Mainzer Humanismus. 75
um Doktor zu werden, und in einem Jahre war er nicht hier.
Der Teufel hole ihn! Dann sind zwei Brüder, die Edel-
leute Otho und Philipp von Bock, seihige vexieren alle
Theologen. Und einmal, bei jenem heiligen Akte, den unsere
Magister in Mainz gegen don „Augenspiegel" vornahmen,
da gab der Magister Jakob van Hochstraten kraft seines
Amtes allen* die jenem Ak,te beiwohnten, Ablässe. Da
spielten jene zwei Brüder mit andern Lotterbuben, sitzend
im Angesicht der Theologen, die dort in dem Gasthause
waren, mit Würfeln um diese Ablässe. Noch ist dort einer,
der heißt Johann Huttich, der ist auch euer Feind, und
sonst ist so ein neuerdings zum Doktor im Rechte Promo-
vierter, Konrad Weydmann, selbiger hilft allen, die etwas
gegen euch unternehmen. Und ein anderer Doktor, der einst
Artist vom Wege der Modernen war und heißt Eucharius.
Und mit diesem Nikolaus Karbach, der in der Poesie
liest. Dann Heinrich Brumann, so Vikar im Dome ist und
ein guter Organist ist. Und ich sage immer zu ihm: Ihr
solltet euch um eure Orgel kümmern und die Theologen in
Ruhe lassen. Aber vor allem sind fast alle Kanoniker für
Reuchlin, außerdem viele andere Magister, die die Poetria
lieben, deren Namen ich nicht kenne". Bei den Gegnern
Reuchlins gibt Gricius noch einem von den Reuchlinisten
einen kleinen Stich : „Da ist noch ein Mainzer Bürger, der
Wie and von Solms genannt wird. Jener ist noch jung,
aber so gelehrt, daß er einem Magister noster das Gleich-
gewicht halten kann. Selbiger sagt, daß er mit Reuchlin
um zehn Gulden disputieren wollte. Und neulich überdis-
putierte er den Johann Hu (lieh, daß er mil Schlüssen zu-
gedeckt wurde und nichts zu antworten wußte".1' r
Das war schon sehr belustigend für alle Anhänger
Reuchlins weit und breit, aber noch mehr mögen aut
manche die unglaublich gebauten leoiiinischen Verse des
flummtäppischen Magister Philipp Schla u rat t gewirkl
haben, die schlechterdings keim' Übersetzung vertragen:
et sie reeessi cum vulnere
Usque ad Moguntiam, ubi mihi gratiam
Fecit predicator Bartholoimeus Decimator,
Dans mihi hospitium et iurans per deum viuuni,
Si iuissem ad Coronam, quod aeeepissem vrexationem
bonam,
■■■'• E. Böckin«, a. a. ()., Suppl. I. 198, 199.
7(i Gustav Bauch.
Quia ibi commensales sunt valde nequitiales,
Nicolaus Carbachius, qui legens pro scholaribus
Exponit Titum Liuium: tunc reperi Huttichium,
Qui ex antiquo odio percussit me cum scamno,
Quod feci unurri bombum: tunc reperi Huttichium,
Doctor Con rat Weydmann: ich sprach, wie sal ich das
vorstan ?
Tunc trusit me Johan Kunigstein, quod cecidi de gra-
dibus,
Et sie post hoc periculum contuli me ad Rhenum.
Wir haben die Obscuri selber reden lassen, sie zeichnen
trotz der dick aufgetragenen komischen Farben die huma-
nistischen Mainzer Reuchlinisten und zumal die von der
Universität doch recht kenntlich. Eine ernster zu nehmende
Feder mag noch ein paar Striche zu dem Bilde hinzufügen237,
bevor wir uns die Einzelnen etwas näher ansehen. Fast
zur selben Zeit, als Hütten die Pritsche schwang. 1518,
schrieb Franciscus Irenicus: „Quid Moguntiam me-
morem, tarn praestantissimis hominibus consitam ! Illic enim
Cunradus Vuidmannus, Johannes de Kunigstein,
Johannes Sorbillo atque alij proba eruditione, qui et
laetiora studia profitentur. Tota urbs Nicoiao Carbachio
singularis eruditionis magistro in graecis exercitatissimo
utilur".
Das Jahr 1518 brachte endlich Mainz noch eine andere,
eine typographische Ehrung, die Ausgabe des um bessere
Lesart bereicherten und um zwei Bücher vermehrten Livius
nach der in der Bücherei der Kathedrale aufgefundenen
Handschrift.-'3", die dem nun Reuchlin allmählich an der
obersten Stelle im Humanismus uanz ablösenden Desi-
derius Erasmus Anlaß bot, auch seinerseits sich über i\v\)
Mainzer Humanismus und seine Solidität zu äußern. Sein
Thema gibl er schon in der Überschrift an: „Misobarbaris
atque iisdem Philomusis omnibus" und lobt zunächst Jo-
hann Srhöl IVr, der gewissermaßen nach Erbrecht der Fori-
sei/er Johann Fausts, des Erfinders der Buchdrucker-
237 F. Irenicus, Germaniae exegesis, II. XLIII, fol. 45. Diese Sielte
ist merkwürdigerweise von den Mainzer Gelehrten bisher noch niemals
benutzt worden.
Titus Livius Patavinus Htistoricus. Dvobus Libris Avctus Cvm
I,. Flori Epitome. El Vnnotatis In Libros VII. Belli Maced. Moguntiae
In Vedibuf Joannis Scheffer, Mense Novembri. An. MDXVIII. Fol. Xu
den Manipulationen des Druckers bei dieser Ausgabe vergl. I''. \V. E. Rollt,
Der Katholik, L898, II. 354, 355; derselbe, hie Mainzer Buchdruckerfamilie
Schöffer, Beiheft IX /.um Zentralblatt für Bibliothekswesen, 41, -12.
Aus .der Gescliiclite des Mainzer Humanismus. 77
kirnst, in seiner rühmlichen Tätigkeit sei. Dann wendet er
sich, an Reuchlin und sich seihst denkend, den Feinden
der „eultior literatura" zu : „rumpantur ut ilia Codris istis,
qui cum rursus in hoc conspirarunt, ut suh praetextu tuendae
religionis, quiequid est elegantioris eruditionis, conspurcent
atque extinguant; nihil aliud assequentur, quam ut, quod
oppugnant, reddant illustrius et sunni liuorem stolidati pa-
iein magis ac magis denobilitent". Demgegenüber erstreben
Deutschlands Fürsten Ruhm durch Förderung der gelehrten
Bildung, vor allem „insignis ille nobilitatis pariter et reli-
gionis antistes Albertus, cardinalis et archiepiscopus Mo-
guntinensis", so Sachsens berühmter Herzog Friedrich, zu
schweigen von den Vornehmen geringeren Ranges. Für die
Edition schulde man nicht mittelmäßigen Dank dem unver-
gleichlichen Manne Dietrich Zobel, dem Domscholaster
und Vikar des Erzbischofs, der sich mit besonderem Eifer
bemüht habe, diesen Ruhm seiner Stadt zu sichern. Dann
dem gelehrten Manne Nikolaus Karbach, „quinquennium
iam Titum Liuium publico salario summa cum laude profi-
tenti", und Wolfgang Angst, von denen, wie schwer abzu-
schätzen wäre, eine gewaltige Arbeitsleistung gezeitigt wur-
den sei. Auch Hütten würdigte die mühsame Arbeit Kar-
bachs und Angsts, die die Handschrift abgeschrieben,
mit den Drucken verglichen, den Text redigiert und die Kor-
rektur besorgt und eine Musterleistung damit geschaffen
hatten. Er balle auf Wunsch des Dechanten Lorenz
Truchseß von Pommersfelden, des Scholasters Diet-
rich Zobel und seines Verwandten, des Kanonikus Mark-
wart von Hatstein, die Widmung an Albrecht geschrie-
ben.239 Er vergaß hierbei nicht, die Verdienste des Lorenz
Truchseß um die Rettung Reuchlins im Jahre 1513 gebüh-
rend hervorzuheben.
Wenn wir nun zur Besprechung der in den vorstehenden
Zeugnissen und früher schon von Huttich berührten Univer-
sitätsangehörigen übergehen, so hat wohl unser ältester Be
kannter unter ihnen, Konrad Weidmann aus Hasel, den
berechtigten Anspruch, daß wir uns mit ihm zuerst beschäf-
tigen.
Zu den Zeiten des Aesticampianus war er bereils Ma-
gister und ging dann zur Jurisprudenz über. Er studierte in
Freiburg i. B. unter Ulrich Zasius Zivilrecht.240 Mit des
Zasius Liebling Bonifatius Amorbach, seinem Basler
Landsmann, befreundet, verkehrte er mit diesem und Zasius
-:,a K. Böcking, a. a. 0., I, 2491
240 Stinzing, Ulrich Zasius, 169; U. Zasii epistolae, ed. Riegger, IT2.
i 8 Gustav Bauch.
freundschaftlich in dein Hanse des jovialen Legisten. 1518
wiid er von Gricius als neuerdings promovierter Doktor in
Main/, erwähnt, in demselben Jahre auch als Ordinarius
legum und 1520 als Dekan der juristischen Fakultät. Mit
diesen Angaben läßt sich vorläufig schwer vereinigen, daß er
schon 1513 als Doctor iuris und kurfürstlicher Kommis-
sarius mit Kaspar von Westhausen, Johann Bertram,
Diether Vectoris, Bartholomäus Zehender (Decima-
tor), sämtlich Professoren der Universität241, bei dem
Ketzergericht über Reuchlin in Mainz mitgewirkt haben
soll. Dem scheint auch die sonst angegebene Vierzahl der
mainzischen Beisitzer zu widersprechen. Sollte sich die
Sache aber faktisch so verhalten, dann wäre sein Einschub
in das Tribunal auch als eine Reuchlin freundliche Maß-
regel anzusehen.
Juristen und Poeten wie Weidmann waren auch die
beiden Gebrüder von Pack (Bock, Pock), deren Verhalten
und Bestrebungen in Mainz Huttich und Gricius, einan-
der ergänzend, beleuchten. Sie gehörten dem meißnischen
Adel an, waren Söhne des herzoglich sächsischen Rates
Dr. Johann von Pack und stammten aus Delitzsch.
Philipp von Pack hatte im Wintersemester 1501 die Uni-
versität Leipzig und im Sommersemester 1507 die in Witten-
berg, beidemal mit seinem Bruder Johannes, bezogen;
wann er nach Mainz kam, ist wegen des Verlustes der alten
Matrikeln nicht, bestimmbar; zwischen 1513 und 1517 muß
er dorl gewesen sein. Huttich lobt 1526 in wehmütiger
Erinnerung an den Toten seine eifrige Mitwirkung bei dem
Aufspüren von alten Inschriften und Münzen. 1517 ist
Philipp bei der deutschen Nation in Bologna eingetragen;
er war dort zu gleicher Zeit mit Hütten wie vorher in
Main/. In diesem Jahre kam es in Bologna zu einem großen
Studentenkrawall242, der Seditio Longobardica; die Lombar-
den erhöhen sich ohne begründete Ursache gegen die Deut-
schen. Daß einige italienische Nationen, die Spanier, die Un-
garn und die Polen den Deutschen ihren Beistand anboten und
daß der Gubernator der Stadt einschritt, machte dem Auf-
ruhr ziemlich rasch ein Ende, ohne daß es zu allzu großem
Blutvergießen gekommen wäre. Hütten und Philipp von
Pack wurden in gewissem Sinne Opfer der Seditio. Hütten
wurde ,ils Abgesandter der deutschen Nation gegen den
Befehlshaber der Stadt, einen Fiesco, so heftig, daß er es
241 F. W. E. Roth, Katholik, L898, II, 245, 112.
V^cta nationis Germanicae universitatis Bononiensis, 282; .Toh.
Cochlaeus an W. Pirckheimer, bei E. Böcking, a. a. 0., I, 132.
Aus Jöer Geschichte des Mainzer Humanismus. 79
für geraten hielt, einige Zeit Bologna zu meiden, und nach
Ferrara ging.243 Über Philipp von Pack berichten die
Acta der Nation: Ex consensu nationis Philippe) Pack
pro sarciendis suis vulneribus, quo fortissime pugnans contra
Longobardos excepit, collati sunt duodeeim floreni duo
ducati Renenses. Der tapfere Deutsche erlag noch in dem-
selben Jahre 4n Bologna einem bösartigen ansteckenden Fie-
ber und wurde bei dem hl. Dominikus bestattet.
Eine viel bekanntere Persönlichkeit als Philipp ist
Otto von Pack244, aber eine übel bekannte. Dieser war
schon im Sommersemester 1499 in Leipzig immatrikuliert
worden. Gleichzeitig mit dem Bruder war er in Mainz und
interessierte sich auch für die Forschungen Huttichs nach
Altertümern und bewunderte die Funde Huttichs und
Philipps. Im Jahre 1517 aber ging er nicht nach Italien,
sondern nach Ingolstadt, wo er Mitglied der 1516 von Jo-
hannes Aventinus gestifteten Sodalitas literaria Angilo-
stadiensis wurde245, die das einzige von ihm erhaltene Ge-
dicht „Carmen extemporaneum ad prineipem Wilhelmum,
Bauariae ducem", druckte. Noch 1518 weilte er in der
Stadt der „Rettigesser" in freundschaftlichem Verkehr mit
seinem Socialen, dem gekrönten Dichter und späteren Refor-
mator Urbanus Rheeius. Dieser grüßte in einem Briefe245
den von ihm hochverehrten Aesticampianus im Namen
Packs, der ihm wohl als zeitweiliger Schüler bekannt war.
1519 befand sich Pack wieder in Leipzig und wurde wegen
Seiner humanistischen Bildung dazu ausersehen, die von
Petrus Mose Hanns auf Befebl des Herzogs Georg ver-
faule Rede, mit der die folgenreiche Disputation Johann
Ecks niil Andreas Karlstadt und Martin Luther einge-
leitet werden sollte, zu halten.-'47 Eine plötzliche Erkrankung
entzog ihn dein Katheder, und Mosellan mußte seihst ein-
treten. Mit Mosellan war er eng befreundet248, daher
schickte ihm Hüften, den er durch .Mosellan gegrüßt hatte.
L520 in seinem temperamentvollen Briefe an Mosellan über
243 E. Böcking, a. a. O., I, 146.
244 Otto von Pack ist nicht mit dein in Erfurt L501 und in Lei]
1505 immatrikulierten Otto de Pock aus Sachsenburg zu verwechseln.
245 Th. Wiedemann, Johannes Turmair gen. Aventinus, 24, 28; C.
Prantl, Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität, I. L34.
240 Gl). G. Wilischius, Arcana bibliothecae *jinaebergensis, HO. Dort
ist für Otho Hart Back ZU lesen.
-17 o. (i. Schmidt, Petrus Mosellanus, 46.
24S G. Bauch in liriegers Zeitschrift für Kirchengeschichte, XVIII,
404, Anm. 5.
80 Gustav Bauch.
Luther249 durch diesen einen Gegengruß zurück. In Leipzig
winde Pack 1520 Bakkalar und Licentiat und 1521 Doctor
utriusque iuris. Im Dienste des Herzogs Georg von
Sa c hsen, zuerst als Sekretär und später als Rat und Kanzler
hat er für seinen Herrn bei den Reichstagen und kirchlichen
Verhandlungen eine rege Tätigkeit entwickelt. Er täuschte
jedoch wie ein Rat im Sinne des jungen Dietrich Grese-
ni und den Herzog in gröblicher Weise. Durch schlechte
Wirtschaft in Schulden verstrickt, beging er Betrug und
rnterschlagungen und erdichtete endlich, um eine größere
Geldsumme von dem Landgrafen Philipp von Hessen für
seine erlogenen Eröffnungen zu erhalten, das nie ge-
schlossene Breslauer Bündnis (von 1527) katholischer Für-
sten gegen die Protestanten.250 Schon hatte Philipp das
Schwert gezogen, da gelang es noch einmal, die ganz Deutsch-
land bedrohende Kriegsfurie hintanzuhalten. Als politischer
Abenteurer schlimmster Art endlich in den Niederlanden
aufgegriffen, endete Pack 1537 durch die Hand des Henkers.
Mit den beiden Pack nennt Hutten-Gricius noch zwei
Reuchlinisten, über die sonst nur sehr spärliche oder gar
keine sicheren Nachrichten vorliegen. Als einen überaus
eitrigen Reuchlinisten führt er den Magister Philipp Keil-
ita ch an. Von diesem sagt Böcking251, daß er ein gelehrter
Frankfurter gewesen sei und daß ihm Thomas Murner 1511
seine Schrift „Arma patientie contra omnes seculi aduer-
santes" gewidmet habe. Von dem Doktor Eucharius, „der
eins! ein Artist von dem Wege der Modernen war", können
wir es mit Böcking262 mir offen lassen, ob er der Eucharius
Henner oder Gallinarius aus Bretten ist, der schon 1475
in Heidelberg immatrikuliert ist und 1478 Bakkalar und
! 17!) Magister wurde, doch in via antiqua! Dieser war Ka-
nonikus in Speier und Schüler Wim p fei ings, dem er auch
in seinem Streite nii! M iirner zu Hülfe kam. Auch von
dem Tribulator Schlauraffs Johann von Kunigstein ist
nach Irenicus bloß festzustellen, daß er zu den bekannteren
humanistischen Gelehrten in Main/ und zur Universität zu
zählen ist.
I:' G. Bauch, ;.. a. <>., 403, tot; E. Böcking, a. a. 0., IV, 689.
Böcking battc eine Aversion gegen Otto von Pack und ließ ihn daher hier
nicht gelten, sondern tat lieber dem Text Gewalt an, und ebenso in seinem
Index bibliographicus, 314 sub voce Bock.
1 W. Schomburgk, Die Packschen Handel, im Historischen Taschen-
buch, L881, L75f.; II. Schwär/, Landgraf Philipp von Hessen und die
Packschen Händel, Historische Studien, XIII.
'■' E Böi a. a. 0., Suppl. II, 102.
I , Böcking, a. a. ().. Suppl. II, 366.
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus. 81
Wenig belangreich ist ebenfalls unser Wi ;sen über
Johann Sorbillo. Irenicus zeichnet ihn 1518 deutlich
als zur Universität gehörig, als wohlgelehrten Artisten und
doch zugleich als Vertreter der laetiora studia, des Humanis-
mus. Johann Schlarp oder latinisiert Sorbillo (sorbere
schlürfen) aus Geisenheim253 trat, wie aus der scheinbar
überaus rasch, erfolgten Promotion zum Magister zu schließen
ist, wahrscheinlich nach Vorstudien anderswo, vielleicht in
Mainz, 1505 in Freiburg i. B. ein und begab sich 1506 nach
Heidelberg, wo er schon 1507 Magister in via moderna wurde.
Von seiner literarischen Tätigkeit zeugt nur ein kleines Ge-
dicht auf Johann Geiler von Kaisersberg bei der 1510 in
Oppenheim gedruckten Trauerschrift auf den Tod Geilers:
In Johannis Kaiserspergii theologi doctrina vitaque pro-
batissimi primi Argentinensis ecclesie predicatoris mortem
planctus et lamentatio cum aliquali vite sue descriptione et
quorundam epitaphiis.
Wieder festeren Boden erreichen wir mit Nikolaus
Karbach, wenn wir auch weder den Gang noch die Orte
seiner Studien noch seine Heimat kennen.254 Er war viel-
leicht aus Mainz, vielleicht auch aus Aschaffenburg. Seine
Arbeitskraft und seine tüchtigen Leistungen als humanisti-
scher Dozent an der Universität, als Herausgeber, Korrektor,
Übersetzer und als erster namhafter Kenner de.s Grie-
chischen in Mainz haben ihm ein ehrenvolles Andenken
gesichert. Nach Roth hatte er den Wittichschen Lehrstuhl
für Geschichte inne, und das würde recht wohl dazu stimmen,
daß er, wie Erasmus versichert, 1519 schon fünf Jahre
mit ordentlicher Besoldung über Livius gelesen habe. Daß
Gricius angibt, er lese „in poesi", woraus man folgern
könnte, er sei etwa ein Nachfolger in der einstigen Stelle
des Aesticampianus gewesen, ist nicht notwendigerweise
als verbürgt anzusehen; vielmehr ist das nur absichtlich
von Hütten in der banausischen Redeweise der scholasti-
schen Artisten gesagt, die alle antiken Schriftstellei' zu-
sammen kurzweg als Poeten bezeichneten.
Seine Beliebtheit, als Lehrer im Griechischen hebt Ire-
nicus nachdrücklich schon L518 hervor, also in demselben
Jahre, wo Wittenberg in Philipp Me lau cht hon den eisten
schuluerechten Lehrer des Griechischen empfing, und seine
253 F. \V. E. Roth, Neue Jahrbücher der Pädagogik, 2. Jahrg., 172.
264 F. W. E. Roth, Katholik, a. a. 0., 352f.; F. Falk im Zentralblatt
für Bibliothekswesen, IV, 218 f.
Beiträge z. Gesch. d. Universitäten Mainz u. Gießen. 6
82 Gustav Bauch.
letzte exakte wissenschaftliche Arbeit, abgesehen von einer
Übersetzung, war die Verifizierung der griechischen Namen
in den 1525 von Johann Cochlaeus auf Wunsch Johann
Schöffers herausgegebenen Canones Apostolorum. Veter-
um Conciliorum Gonstitutiones. Decreta Pontificum anti-
quiora etc.-5"' Er hat auch die Last der Korrektur' des Ganzen
auf sich genommen.
Bekannter ist er geworden und bis heute den Philologen
schätzbar geblieben durch die von Erasmus und Hütten
effektvoll eingeleitete Liviusausgabe von 1518/19. Er hat
den Hauptteil der Arbeit verrichtet, da er über Livius schon
von 1513 ab las, wohl auch die Mainzer Handschrift auf-
gefunden. In jahrelanger, mühevoller Tätigkeit hat er die
Aussähe vorbereitet und die Textredaktion festsestellt, denn
sein Helfer bei der Kollationierung und der Korrektur, Wolf-
gang Angst, ist, wie es scheint, erst 1518 von Hagenau nach
Mainz gekommen.256 Hatte Erasmus schon den beiden,
Karbach !und Angst, Gerechtigkeit widerfahren lassen, so
hat Hütten in seiner Widmung an Albrecht diesen seinen
Freunden gleichfalls ein Denkmal gesetzt, indem er sie als
die Urheber seiner Widmung darstellte und sie unter die
bekanntesten Herausgeber dieser Zeit einreihte : „Dazu
haben mich die wohlunterrichteten Männer Wolf sang
Angst und Nikolaus Karbach angeregt, die bei uns zu
druckenden Büchern dieselbe Mühe zuwenden wie Egna-
t.ius nach Aldus in Venedig, wTie in Rom gewisse Gelehrte,
wie in Basel Beatus Rhenanus und die Amerbach, wie
in Straßburg Nikolaus Gerbellius, bei anderen andere;
denn diese haben mich nämlich mit gelinder Gewalt ge-
zwungen, dir den Livius zuzuschreiben, nicht weil sie das
selbst nicht könnten, sondern weil sie glaubten, daß, wenn
dies an deinem Hofe geschähe, es auch für dich ehrenvoller
wäre". Karbach und Angst haben tatsächlich auch nur in
kürzeren Schreiben bei der Ausgabe über ihre Arbeit
Rechenschaft gegeben und ihre Ratio edendi dargelegt.
Karbach hat jedoch damit nicht seine Livianischen
Studien abgeschlossen, sondern er hat es auch auf sich ge-
nommen-'7, die Übersetzung von Schöfferlin und Wittich,
' C Otto, Johannes Cochlaeus, der Humanist, 155 f.
Wach der Äußerung des Erasmus bei E. Böcking, a. a. 0., I, 260.
c Romische bistorien Tili liuij mit etlicher newen Translation, so
kurzuerschienen jaren im hohen thum Styfft zu Mentz jrn latein, erfunden,
und \ <>i li vn ml Hier gesehen. Das Register liat die Jahreszahl 1522, der
Brief Karbachs datier! L523 Mittwoch nach dem tag der geburt der ge-
■iii gots Marie.
Aus*der Geschichte des Mainzer Humanismus. 83
die Johann Schöffer 1514 noch einmal gedruckt hatte,
um die in Mainz gefundenen Bücher erweitert, weiterzu-
führen. Höchst verständig spricht er sich in einem Schluß-
briefe an den Leser darüber aus : ,,Es ist fürwahr", sagt
er, „als mich bedunckt, gar nichts also schwer, als etwas
von eyner sprach in die ander geschicklich und eygentlich
zu bringen, umb vielerley Ursachen . . . in sunderheit aber
darumb, das eyn ytliche sprach ein besundere eygenschafft
an ir 'hat, die der andern etwan gar nit oder seer wenig gemeß
und gleich ist", und entschuldigt sich am Ende dann wegen
etwaiger Gebrechen der Übersetzung. Nachdem durch
Simon Grynaeus im Kloster Lorsch ein neues Bruchstück
gefunden und in Basel gedruckt worden war, wurde durch
Karbach und Jakob Micyllus auch dieser Fund ins
Deutsche übertragen258, und so geben dann die Mainzer
Ausgabe Ivo Schöffers von 1533 wie ebenso die von
1546 und 1557 diese vierteilige Gestalt der Übersetzung.
Im Jahre 1519 bereitete Karbach für Johann Schöffer
und wahrscheinlich für eigene Vorlesungen M. Tullii Cice-
ronis de finibus bonorum et malorum ad M. Brutum libri
quinque zum Druck vor (Vorwort pridie Cal. Nouembr. 1519),
und seine Ausgabe erschien 1520 im März.259 In diesem
Jahre, 1520, in dem Johann Schöffer als Drucker Hutten-
scher Schriften von Alb recht unter päpstlichem Druck in
das Gefängnis gesetzt wurde260, war Karbach des vom
Papste verfolgten Hütten vertrauter Briefvermittler in Mainz
und mit Wolfgang Fiabricius Capito bekannt.201 Auch
nur mit einem Vorwort eingeleitet (Nonis Septembribus)
gab Karbach 1524 wohl ebenfalls in Johann Schöffers
Interesse Sancti Prosperi presbyteri Aquitani aduersus ini-
micos gratiae dei libellus etc. Epistola Aurelij Carthaginiensis
episcopi contrn Pelagianos ''lr. heraus. Diese Publikation
hat etwas von lutherischem Beigeschmack.
Mit dem Jahre 1533 erlischt jede Kunde von Karbach.
Da bei der erweiterten Ausgabe der Liviusübersetzung262
Ivo Schöffers von 1533 seine Epistel an den Leser ganz
fortgebliehen ist und er selbst nur den ersten Teil des Lor-
Vox 'lein vierten Teile steht: Das vierdl teyl der Roemischen
bistorien, auß fünft büchern Tili liuij imm latein newlich erfunden, und
im M. D. xxxiij. jar verteutsclil, zwey durch Nicolaum Carbachium, die
ander drei durch Jacobum Micvllum.
259 F. \Y. E. Roth, Die Mainzer Buchdruckerfamilie Schöffer, a. a. 0.,
47, No. 55. — 2go E. Böcking, a. a. <>.. I. 364 § 6, 367.
261 E. Böcking, a. a. 0., I, 365.
262 Siehe oben bei Besprechung dieser Ausgabe.
84 Gustav Hauch.
scher Fundes übersetzt hat, so ist er wohl 1533 schon aus
dem Leben geschieden.
Wolfgang Angst hat offenbar keinen persönlichen Zu-
sammenhang mit der Universität gehabt, aber wir möchten
doch noch ein Wort über ihn sagen, das nicht den Livius
betrifft. Bei Heinrich Gran in Hagenau waren 1516 unter
seiner Aufsieht, wie er selbst Erasmus unter Beifügung
eines Exemplars mitteilte263, die Epistolae obscurorum
virorum (erster Teil) gedruckt worden. Da liegt es bei der
Freundschaft zwischen Hütten und Angst nicht fern, zu
vermuten, daß er auch 'den Druck der Huttenschen Epistolae
obscurorum virorum nouae (zweiter Teil) geleitet habe.
Druckorf und Drucker sind gänzlich unbekannt und nach
der typographischen Ausstattung, sie sind mit einer kleinen
verbrauchten gotischen Dutzendtype gesetzt, kaum jemals
bestimmbar. Aber das Buch trägt am Schluß bei einem
Knoten in Holzschnitt eine Rätselfrage264, die schelmisch
auf den Herausgeber oder den Drucker weist. Sie lautet:
„Quinta luna obscuros viros edidit. Lector, solue nodum
et ridebis amplius". Übersetzt man Quinta luna mit Mai,
so kommt man nicht weiter, und eine so einfache Lösung
würde auch keine Heiterkeit erwecken. Setzt man dafür
das entlegenere Quintilis (Juli) und überträgt das ins
Deutsche, so gelangt man zu der Namensform Heumond
oder auch nach Schreibung der Prognostica Heumon oder
Heumaii. Das würde zu dem Mainzer Drucker Friedrich
Hen mann führen. Dieser ist allerdings vorläufig höchstens
bis zum Jahre 1515 nachzuweisen265; es wäre jedoch nicht
ausgeschlossen, daß seine Offizin als Kleindruckerei für Ak-
zidenzdruck, Prognostica und dergleichen auch ohne Drucke
mit Kolophon weiter bestanden hätte. Eine solche Druckerei
gerade wäre wegen ihrer unansehnlichen Typen vor der
Gefahr der Entdeckung, schon war der Bann gegen den
ersten Teil geschleudert, so ziemlich sicher gewesen, und
Angst hi 'c dann bei dem Drucke mitwirken können.
Seitdem Reuchlin die Teilnahme aller Gebildeten ge-
funden halle, war in den humanistischen Kreisen das Axiom,
das die Sodali las literaria oder Academia Platonica des
Cell is schon 141)5 auf ihren Schild geschrieben hatte266,
i E. Böcking, a. a. <>., 1, 126. Der Brief gehör! in das Jahr 1516.
K. SicilT, Der ersic l'.uchdruck in Tübingen, 217, Anna. 1.
I Böi i bog, a. a. 0., Suppl. II, 6,
' I . W. E. Roth im Zentralblatt für Bibliothekswesen, X, 482.
,; o'. Bauch, Die Rezeption des Humanismus in Wien, 71.
Aus der Geschichte des Mainzer Humanismus. 85
allgemein aufgekommen, es müßte jeder wahre Gelehrte
„trilinguis" sein, das heißt er müßte außer Lateinisch und
Griechisch auch noch Hebräisch verstehen. Es wäre doch
wunderbar, wenn nicht auch in Mainz, gerade in Mainz, wo
Reuchlin den ersten gerichtlichen Ansturm Höchst in-
tens auszuhalten gehabt hatte, die ,, heilige Sprache" irgend-
einen Verehrer gefunden hätte. Von 1520 ab besaß die Stadt
an dem Domprediger Wolfgang Fabricius Capito aus
Hagenau einen Kenner des Hebräischen, der nach der lehr-
haften Beanlagune der Deutschen und wegen früherer Übung
des Lehrens gewiß anderen privatim als Lehrer gedient hat
Etwa 1518 kam aber auch ein fahrender Hebraist nach
Mainz, um an der Universität Hebräisch zu lehren, es war
Johannes Cellarms Gnostopolitanus aus Kundstadt
in Oberfranken, der dann 1519 in Heidelberg las und noch
in demselben Jahre, nach einem vergeblichen Versuche, in
Wittenberg anzukommen, in Leipzig lehrte. Nur daß er
selbst davon spricht-67, daß er auch in Mainz gewirkt habe,
ist uns bekannt.
Wir können unsere Ausführungen nicht schließen, ohne
wenigstens noch leinen Blick auf einen Humanisten zu werfen,
der Mainz seine Vaterstadt nannte und der wohl mindestens
einen Teil seiner nicht ganz gewöhnlichen Bildung in Mainz
erhalten haben wird, auf den Böttchersohn und Karthäuser
Otto Brunfels. Sein erstes gedrucktes Werk, eine päda-
gogische Publikation, Aphorismi institutionis puerorum268,
hat er (1519, 1. August) von der Karthause bei Straßburg
aus, dem gelehrten Provinzial Gregor Reisch gewidmet,
ausgehen lassen. Jakob Wimpfeling hat sie Johann
Schott zum Druck dringend empfohlen, weil sie für Lehrer
und Schüler gleich nützlich seien. Der Schlettstädter Schul-
rektor Johannes Sapidus hat eine poetische Empfehlung
beigetragen. Das Buch beginnt mit hohem Lobe des Eras-
mus und zeigt eine gewaltige Belesenheit des Verfassers
wie auch Kenntnisse im Griechischen. Wie der Kalthäuser
als Anhänger der Belormation das Kloster bei Mainz ver-
ließ, so trat er auch 1523 dem früher so hoch von ihm ver-
267 Zu Johannes Cellarius vergl. 0. Bauch in der Monatsschrift
Geschichte und Wissenschaft des Judentums, \. F., L2. Jahrg., 286f.
Seinen Begleiter zu Reuchlin, Christophorus Hacus (1518), begrüßte Hütten
in Mainz mit einem Gedicht. E. Böcking, a. a. <•., I. 239.
-'"' Aphorismi institutionis puerorum Othone B. Moguntino, Car-
thusiano, autore, frugi Adulescentibus, atque ijs qui illos probe erudire
velinl adprime conducibiles. Argentorati apud Joannem Scotum, in Thome-
loci pomerio, penultima Augusti, Anno Christiano. M. D. XIX. 1°.
Mi
Gustav Bauch
ehrten Erasmus als Freund Huttens entgegen269, als jener
seine böse Spongia270 gegen den unglücklichen Ritter, der
während des Druckes oder vor dem Erscheinen derselben ge-
storben war, ausgeschickt hatte. —
269 Othonis Brunfelsii pro Ulricho Hutteno defuncto ad Erasmi Rotero-
dami Spongiam Responsio. Bei E. Böcking, a. a. 0., II, 325f.
Sponeia Erasmi adversus Aspergines Hulteni. Böcking, a. a. ().,
II, 265 f.
II.
Jakob Weider, der erste Rektor der Mainzer
Hochschule (1478 — 1483).
Von Franz Falk.
Längst schon besaß das Erzstift Mainz eine angesehene
Hochschule, nämlich zu Erfurt. Es kann als Zeichen hohen
Wissensstandes betrachtet werden, daß eine zweite Hoch-
schule folgte, und zwar am Sitze des Metropoliten selbst, zu
Mainz. Als das Stiftimgsjahr galt stets das Jahr 1477. '
Die Wahl des Rektors der jungen Stiftung mußte auf
einen Mann von Ansehen fallen, sie fiel auf Jakob Weider
von Siegen. Was geschichtliche und andere Dokumente
in betreff seiner überliefern, mag im folgenden seine
Zusammenstellung finden. Bei dem Verluste der Archi-
valien zumal der ältesten Hochschulperiode mag das Wenige,
das wir haben, von Wert sein.
Der Geburtsort Weiders ist das nassauische Siegen,
jetzt zum Regierungsbezirk Arnsberg der Provinz West-
falen gehörig. Siegen war früher ein Fürstentum des west-
ö o ö
tauschen Kreises, gehörte der Familie Nassau-Oranien und
gab der Familie Nassau-Siegen den Manien.
Obwohl näher bei Köln gelegen als bei Mainz, gehörte
Siegen in kirchlicher Hinsicht nach Main/, und so noch bis
zun) Ende des Kurstaats. Der Mainzer Staatskalender zählt
auf: Siegnisches Landkapitel mit den (wenigen) Pfarreien:
llecl.i, rloldingshausen, Keppel, Xelphen, Siegen, Willen-
dort und llödgen,- ohne Denn itoren, Kämmerer und Sekretär
wegen seines geringen Inifangs.
1 In der Wallersteinschen Bibl. zu Maihingen II, 1, Eol. 94 (19):
Dietheri aepi mos. Instrument. Eundationis universitatis Mog. Drucke dei
in Gudenus, Cod. dipl. IV, 122; Würdtwein, Subs. dipl. III. L82.
Erri
rtiiuii'.
88 Franz Falk.
Somit erklärt sich, daß Weider seine Studien in Köln
machte, in Mainz aber seine Verwendung fand.
Das Geburtsjahr Weiders ist nicht überliefert; da seine
[mmatrikulierung in Köln ins Jahr 1453 und sein Tod ins
Jahr 1483 fällt, so können wir ungefähr sein Geburtsjahr
bestimmen, sagen wir zwischen 1423 und 1433.
Die Kölner Matrikel unter dem Rektorate des Gisbert
von's Gravensand verzeichnet zum Jahr 1453:
Jac. Weider de Segen, magunt. dioec. ; art.; solvit et
juravit ; Juni 17, das ist
Jacob Weider von Siegen, Mainzer Diözese, in artibus,
bat die Gebühr entrichtet und den Eid geleistet am
17. Juni 1453.
Ein anderer Jacob Weider von Siegen, vielleicht der
Oheim unseres Weider, lebte etwas früher, was zur Ver-
wechslung führte2; 1441 wurde nämlich ein Jakob Weider
zu Heidelberg immatrikuliert, als Propst von Liebfrauen zu
Mainz.3
In demselben Jahre war auch Eggeling (Angelus Becker)
von Braunschweig4 zu Köln inskribiert worden, desgleichen
Gabriel Biet, wrelche beide später in Mainz sich wieder-
finden.
Reihen wir hier jene Stelle ein, welche wir dem Ge-
schichtschreiber der Hochschule, Heinrich Knodt5, Doktor
beider Rechte, Sacri Palatii Comes, Assessor und Biblio-
thekar der Hochschule verdanken ; er gibt einen Catalogus
chronologicus reetorum magnificorum in universitate mo-
guntina 17516 und nennt an erster Stelle zum Jahr 1478:
Jacobus Weider, SS. Theologiae Doctor Ejusdemque Pro-
fessor publicus et Ordinarius, wozu er einige biographische
Angaben fügt :
„Natus l'uit in Siegen Nassau (ubi ejusdem familia in
buiic usque diem floret), et postquam ' assiduam studiis
operam navasset, in Universitate Coloniensi titulum Doc-
loris, ac Abiguntiae ad Gradus B. M. V. nee non S. Petrum
Canonicatus et respective Decanatum obtinuit, primum in
Academia Moguntina SS. Theologiae Professorem egit, quo
in ol'licii imiiiei'e et sedulitate in laborando, prudentiaque
in docendo, ac honestate in rede boateque vivendo ita
3o N. Keussen in der Herausgabe der Kölner Matrikel, S. 426,
Note zu 257, 58 •■ Studierte auch zu Bologna. Knodt, S. 1U2.
1 Joannis II. 675; Gudenus, I. c. II, 71!); Würdtwein, 1. c. IV, 163.
Gebürtig zu Münster-Maifeld im Kurtrierischen ums Jahr 1718: er
wurde Stadtgerichtsassessor, Konsulent im St. Rochusspital und starb 1784,
April In. — Bildel <\\r Commentatio II der Mocuntia litterata.
Jakob Welder, der erste Rektor der Mainzer Hochschule. 89
se gessit, ut a suis Discipulis singulariter observaretur et
ab omnibus Civitatis Incolis egregie amaretur."
Danach erlangte er zu Köln den Doktorgrad, und zu
Mainz ein Kanonikat zu r.iebfrau und Dekanat zu St. Peter.
Es wird also ihm, dem Theologieprofessor, besonderes
emsises Arbeiten, Klugheit im Unterricht sowie achtbarer
Lebenswandel* nachgerühmt, so daß ihm seine Schüler
hohe Achtung, alle Bewohner der Stadt besondere Liebe ent-
gegenbrachten.
Einerseits genügt dieses so kurze Lob zur Würdigung
des Mannes, andererseits möchten wir Einzelheiten er-
fahren, wie es ihm möglich war, die Blicke der ganzen
Stadt auf sich zu ziehen — ob durch Reden, Predigten
oder Schriften — und die Herzen der Schüler zu gewinnen.
Ob es seine Richtigkeit hat, was Bodmann in den Rhein -
gauischen Altertümern S. 137 andeutet: „Wie es übrigens
zugegangen seye, daß man ungeachtet so vieler, von jeher
zu Mainz über die Erfindung der Kunst Gutenbergs der
gelehrten Welt mitgeteilten Schriften noch nicht darauf ge-
kommen sey, das um die Aufnahme und Verbreitung der-
selben so überaus erhebliche Verdienst der in so mancher
Rücksicht höchst ehrwürdigen Männer, eines Jvo Witt ig,
ingleichen des Johannes Kempen7 ... und endlich des
gelehrten Dechants und ersten Rektors der Hochschule zu
Mainz, Jakob Weider, gebührend zu erheben und ins Licht
zu setzen, ungeachtet die ergiebigsten Quellen8 dazu bisher
vor der Hand gelegen sind, ist uns wahrlich unbekannt".
Weider trat nach Knodt erst 1478 sein Rektorat an. Wie
andere Hochschulen, so weist auch die Mainzer eine Reih;'
von Gönnern auf, welche in verschiedener Weise, zumal
im Zuwenden von Büchern, ihre Liebe zu der Anstalt
bekundeten. Es bestand sogar ein Liber Benefactorum,
welches Knodt noch kannte. Er entnimmt demselben fol-
gende Stelle:
„Eximius Dominus Jacobus Weider, Axtium Magister,
sacre pagine Doctor9, et hujus Universität is Moguntine pri-
mus Rector, et Facultatis Theologicae Ordinariiis, donavii
ad communem librariam Universitatis Libros XXII."
Sollte sieb von dieser Bücherzuwendung nichts erhalten
haben? Verhängnisvoll war für die lübliotbek die schwe
• Egregii bor tnem, quondam Dni Joh. Kempen, Sacr. Canon. Dris.
Can. Eccl. B. M. V. ad gr. Necrol.
8 Oh Bodm: in andere Quellen, bessere als wir, kannte? In der äl
tosten Geschichte der Erfindung Gutenbergs wollte mir der Name J. Weider
nicht begegnen. — 9 Soviel als theologiae doctor.
90 Franz Falk.
dische Okkupation der Stadt, denn der König Gustav Adolf
hatte die Sammlung der Hochschule seinem Kanzler zum
Geschenk gemacht 1631, die Bücher gingen leider bei der
Überführung nach Schweden zugrunde. Jedoch ein Werk,
das ein Geschenk Weiders war, entging diesem Schicksale,
nämlich der Schöfferdruck von Institutionum opus prae-
clarum Mog. X. Kalendis Jim. 1476 consummatum. Dieses
Exemplar sah noch Knodt in der Universitätsbibliothek laut
seiner An 'iahe in De Moguntia litterata Commentatio I.
L752, p. 31. 10
Die Stadtbibliothek, an welche die Bücher der ehe-
maligen Hochschule übergingen, besitzt diesen Wiegendruck
leider nicht mehr.11
Möglicherweise taucht das Weldersche Exemplar der In-
stitutionen von 1476 anderwärts auf.
In der Reihe der Stiftskirchen der Stadt stand St. Peter
außerhalb der Stadtmauern (nördlich) als das älteste an
erster Stelle. Seine Pröpste lassen sich ins zehnte Jahr-
hundert verfolgen: des Stifts Ansehen ergibt sich daraus,
daß sein Dekan Os cleri secundarii war.
Joannis gibt in der Liste der Stiftsdekane folgendes an:
Jacobus Weider de Siegen, SS. Theol. D., huius et B.M.V. ad
gradus Canonicus, Primus Academiae Moguntinensis anno
1477 institutae Rector. f anno 1483, die 18. Maii.12
Eine Amtshandlung Weiders als Dekan von St. Peter
hat uns Würdtwein in der Dioecesis Moguntina in archi-
diaconalus divisa II, 22 aufbewahrt; Weider nämlich und
die gesamte Stiftsgeistlichkeit geben dem Stiftsherrn Joh.
Kirchperg und dem Pfarrer Bernhard Frank zu Castel den
Auftrag, den Send im Archidiakonatsbezirke des Propstes
von St. Peter abzuhalten auf Tiburtiustag 1479. Jacobus
Weider decanus, Adolffus de Breythart scolasticus etc. . . .
lnandaiiiin dedere . . . celebrandi synodum in archidiaconatu
praepositurae S. Petri.
'' Knodi teilt die Schlußschrift mit unter Abdruck des Fust-Schöffer-
schen Druckerzeichens (Fust-Schöffer Doppelschild).
11 Das in dei Stadtbibliothek vorhandene Exemplar der Institutionen
ml aus der Kartause und war ein Geschenk des St. Stephansstiftsherrn
Gotschalk Eschenbrocker aus Fulda, der auch den noch vorhandenen Oster-
kerztnlenchter ins Stift schenkte, L512, laul der Inschrift auf demselben.
Falk, \n- der Stiftsgeschichte von St. Stephan zu Mainz, in: Zeitschr.
Ver. in. [Rheinische Geschichte (1883), III, 303.
loannis. Rer. mog. II. 499; über os cleri secundarii p. 486. Der
lelzte Propst des Sti lufgehoben 2. Juli L802) war Kasimir Häffelin,
seil 17'.»' Weihbischof, starb als Kardinal. 90 Jahre alt, zu Rom 1827.
Klepper, Die St. Peterskirche, L874.
Jakob Weider, der erste Rektor der Mainzer Hochschule. 91
Für den ersten Augenblick mag es auffallend erscheinen,
daß der Stiftsdekan und Professor Weider in der .Matrikel
zu Heidelberg erscheint. Es heißt darin zum Jahre 1475
unter dem Rektorate des Martin Renez von Wiesensteig13:
Magister Jacobus Wclder de Siegen, s. theologie professor,
ecclesie s. Petri extra muros Moguntinensis decanus
XV. August. Doch war es keine Seltenheit, daß Kleriker
in höheren Stellen und in höherem Alter sich an einer
Hochschule inskribieren ließen, um sich der Vorrechte der
Hochschulen zu erfreuen. Übrigens lag darin für die Hoch-
schule wie für einen Studiosus dieser Art eine gegenseitige
Ehrenerweisung.
Eine nicht geringe Ehre wurde unserem St. Peter-
stiftsdekan im Jahre 1473 zuteil. Die benachbarte Metro-
pole Trier besaß nämlich noch nicht eine Hochschule ; Köln
war ihr längst mit gutem Beispiel vorangegangen 1388. Ge-
legentlich der glänzenden Pilgerfahrt14, welche Erzbischof
Jakob von Sirk 1450 mit Bischof Konrad von Metz und
unter Begleitung von 140 Edelleuten nach Rom zum Jubi-
läum machte, trug er dem Papste Nikolaus V. den Wunsch
vor, zu Trier ein sogenanntes Generalstudium einrichten zu
dürfen; der Papst gewährte die Bitte unter Zusicherung aller
Rechte und Vorrechte, welche der Kölner Hochschule ver-
liehen worden waren.
Nachdem die Männer zusammengefunden waren, welche
den Lehrkörper der Universität bilden sollten, wurde der
16. März zur Wahl des Rektors festgesetzt, zugleich auch
zur Eröffnung durch feierlichen Gottesdienst im Dome.
Nebst den Doktoren, Lizentiaten, Magistern der freien Künste
erschienen die Äbte und Prioren der Abteien St. Maximin
und St. Matthias, die Konventualen aller Klöster, alle Pröpste
und Dignitäre der Stiftskirchen, Yikarien und Ältaristen des
Domes, die Prübeudaten von Liebfiau, Bürgermeister und
7 7 O
Räte der Stadt, und viel Volk aus der Stadt.
Die Feierlichkeit begann mit einer Predigt über d^\\
Heil. Geist, gehalten zwischen 8 und 9 Uhr, und zwar
von unserm Jakob Wclder von Siegen, Magister <\'v freien
Künste und Professor der Theologie.1" Das Thema paßte
13 Töpke I, 243.
11 Von den Kirchenfürsten, welche Papst Nikolaus in dem Jubi-
läumsjahre begrüßen konnte, ist namentlich der Trierer Erzbischof Jakob
v. S. zu nennen. In Begleitung von 1 10 Rittern kam er, einst von allen
Reichsfürsten der rührigste Anhänger des Konzils (vpn Basel), nach Rom,
um sich mit dem heil. Stuhle auszusöhnen. Pastor, Päpste I. ;!G0.
1o Die näheren Umstände, welche zur Berufung Weiders als Fest-
92 Franz Falk.
zu der Inauguration einer Anstalt, die zur Förderung der
Wissenschaften bestimmt war.16
Nach dem Hochamte zogen alle Wahlberechtigten in
das Etefektor des Doms zur Wahl des Rektors; sie werden
mit Namen genannt, darunter Jakob Weider von Siegen,
Dr. der Theologie, Herrn. Frank, Dr. der Rechte u. s. f. Den
Schluß bildete ein Festessen .
Ins Jahr 1479 fällt die Untersuchung der Lehren des
Johannes von Wesalia, welcher als Dompfarrer von der seit-
herigen Kirchen lehre abweichende Äußerungen getan haben
sollte. Schon die Zeitgenossen gingen in Beurteilung über
Jobannes auseinander. Es ist hier nicht der Ort zur weiteren
Erörterung. Wir wissen, daß Freitag nach Maria Lichtmesse
1479 eine Sitzung stattfand, in welcher der Beschluß zu-
stande kam, Johannes solle alle seine Schriften zur Begut-
achtung vorlegen, ut per proprios sermones vinceretur.
An der Sitzung nahmen teil alle Doktoren und Magister
von Heidelberg, der Mainzer Weihbischof Matth. Emich, der
Graf Wilhelm von Wertheim, Generalvikar, Graf Rupert von
Solms, Kustos, Bernard von Breitenbach, Makarius von
Busek, Domherren, der Frankfurter Pfarrer, der Rektor der
Universität und der Dekan der Artisten.17 Obwohl letztere
nicht mit dem Namen genannt werden, so wissen wir doch,
daü der Rektor Weider gemeint ist.
I las Rektorat Weiders erstreckte sich ins Jahr 1480, denn
als Nachfolger wird in diesem Jahre Petrus von Viersen ge-
nannt, 1483 Johannes Scriptoris.
Im Jahre 1483 erscheint Jakob Weider während des
Rektorats des Johann Scriptoris aus Ulm unter den Aus-
stellern eines Aktenstückes, welches den Johann Heyl von
Cappel, Üact alaureus in Theologie, auf ein Kanonikat zu
St. Peter in Fritzlar präsentiert:
„Joannes Scriptoris de Ulmena, artium et s. theol. pro!'.,
rector ahne universitatis generalis studii Mog., Jacobus
Weider de Siegen artium et sacre pagine prof., Alexander
Theodorici de Meinungen art. et jur. civ. doctor etc."18
Unsere Daten hängen allerdings lose aneinander, immer-
hin geben sie genügenden Anhalt dafür, daß Weider ein vor-
züglicher Rektor gewesen sein muß.
Prediger beitrugen, werden nicht genannt; doch wird der Ruf bedeutender
Rednergabe si( her mitgewirkt haben.
"; Nach Marx, Erzstift frier, II. i:>7, i:>s: einer Beziehung Weiders
zu Mainz isl bei Marx nicht gedacht.
17 Srlmnk. Beitr. I. 296; Falk, Bibelstudien in Mainz, S. 60.
18 Knodt, Comment. II, 2. .">.
Jakob Wejder, der erste Rektor der Mainzer Hochschule. 93
Sein Grab erhielt er da, wo er Dekan war, nämlich im
Stifte St. Peter. Die Grabinschrift lautet :
A. D. 1483 die 18 mensis maii obiit venerandus Jacobus
Walder de Siegen, artinm et divinarnm literarum professor
eximius, hujus ecclesiae can. et dec.
So schrieb Pfarrer Severus, gestorben 1779, das Epitaph
ab, wie es in dem Teile des Würdtweinschen Nachlasses
steht, den der Nassauische Altertumsverein zu Wiesbaden
besitzt, und woraus Zais in: „Beiträge zur Geschichte des
Erzstifts Mainz", 1880, S. 39 den Abdruck gab.19
Den Stein sah noch Knodt und bemerkt a. a. 0. : ,,ad
S. Petrum sepultus teste lapide, qui ad templum Odenmünster
translatus ante aliquot annos, dum illud adhuedum stetig
in choro visebatur".
1!) Bodmann entnahm dem Yetus Protoc. Capli S. Petri, fol. 42 v., die
Notiz: die XIX maij ob. hrabilis Dnus Jacobus Weiler dec. S. Petr., et
vigore precum imperial. Dnus Bern. Gros etc. Diese Notiz schrieb Bod-
mann seinem Gudenus, Cod. dipl. IV, 425 (Stadtbild.), bei;, gleichwohl
wird das Epitaphdatum vorzuziehen sein.
III.
Die Mainzer Bursen „Zum Algesheimer" und
„Zum Schenkenberg" und ihre Statuten.
Von Fritz Herrmann.
Die zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts erlebte
in der scholastischen Philosophie einen heftigen Kampf
zwischen den Vertretern der vianioderna und der via antiqua,
der gewöhnlich als ein Ringen der beiden alten Gegensätze
•des Nominalismus und des Realismus aufgefaßt wird. In-
dessen ist nach neueren Forschungen1 keineswegs die
I ii i vcrsal ienf rage der Kernpunkt des Gegensatzes, wie denn
auch die moderni die Rezeichnung nominalistae ablehnen.
Vielmehr handelt es sich darum, daß gegen den als via rao-
derna hellsehenden Ockamismus, dem eine scharfe Trennung
der Gebiete des Glaubens und des Wissens, sowie eine neue
Logik eigentümlich ist und der sich bei aller wissenschaft-
lichen Tüchtigkeit in abstruse Spitzfindigkeiten zu verlieren
begann, eine skotistisch-realistische Reaktion aufkam, die
in ihrer Hinwendung zu den konkreten Einzeldingen als
Vorläuferin der realen Wissenschaften anzusehen ist und
den Sieg des Humanismus, zu dem zahlreiche ihrer Vertreter
hinneigten, mit erringen half. Diese von Paris ausgehende
via antiqua drang seil etwa 1450 in die seither rein nomina-
lislischen l'niversitälen Süd Westdeutschlands ein und fand
solchen Anklang, daß die drei im achten Jahrzehnt des
Jahrhunderts errichteten neuen Hochschulen zu Ingolstadt,
Tübingen und Mainz bereits bei ihrer Gründung sie neben
der via moderna in der theologischen und der artistischen
1 IL Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen vor der Re-
formation 1177—1534. Tübingen 1ÜÜÜ.
tele Mainzer Bursen und ihre Statuten.
95
Fakultät zulassen mußten. So bestimmen die ältesten
Mainzer Universitätsstatuten2 in ihrem § 15 über das con-
cilium maius: ut rector, doctores et licentiati quariimlibel
Die Burse zum Algesheimer.
facultatum hie recepli, decauus facultalis artium, cum quo
magistri quatuor de doctrina modernorum et
- Außer dem ältesten Statutenbuch (Stadtbibl. zu Mainz) sind im Eol
genden benutzl das Dürrsche Manuskript über die Universitätsgeschichte
(ebd.) und die Collectanea zur Geschichte der Universität Mainz aus dem
Bodmann-Habelschen Nachlaß (Konv. 408; Reichsarch. zu München), die
gleichfalls Dürrsche Materialien enthalten.
96 Fritz Herrtnann.
quatuor de d octrinaa n t i q u o r u m , regant universi-
tatem"; doch scheint hier die via antiqua einen starken
spezifisch thomistischeii Einschlag gehabt zu halten.
Bei der Dürftigkeit der Nachrichten, die über die An-
fangszeiten der Mainzer Universität überhaupt und über den
Lehrkörper insbesondere vorliegen, läßt sich die Zugehörig-
keit der einzelnen Professoren zu 'der einen oder der anderen
Richtung in den wenigsten Fällen mehr feststellen. Immer-
hin bleibt eine Untersuchung doch nicht ganz ergebnislos.
Sie knüpft am besten an die im Jahre 1500 verfaßte hand-
schriftliche Mainzer Chronik Hebelins von Heimbach an,
<\i>v auch einiges über die Universitätsverhältnisse seiner
Zeit berichtet.3 Er nennt als den primus modernorum den
Pfarrer an St. Christoph und Domvikar Florentius Diel4
aus Speier, „qui in ea doctrina plurima volumina notatu
digna conscripsit". Eines dieser Handbücher ist die 1490
bei Peter Drach in Speier erschienene Etymologia Donati5;
es ist mir jedoch nicht zweifelhaft, daß auch die im gleichen
Verläse und ebenfalls unter der Flagge des Mainzer Kollegi-
ums der Modernen ausgegangenen Summulae losicales von
1489 G, sowie die Exercitata librorum Perihermenias von
1490 7 gleichfalls Diel zum Verfasser haben, wenn er auch
als solcher nicht ausdrücklich genannt ist. Nach 1500 hat.
er auch noch eine Grammatik8 verfaßt, die bei Friedr. Heu-
3 Cod. man. chart. fol. No. 187 der Univers. -Bibl. zu Würzburg. Über
den Verf. und die Handschrift cf. F. W. E. Roth in N. Jahrb. r\ Philo,
l<.j:i.. 1899. II, I75f.
1 Cf. die Biographie von F. W. E. Roth im Katholik 78 (1898), II,
238 ff., und F. Falk, Die pfarramtl. Aufzeichnungen des Florentius Diel (ErL
u. Erg. zu Janssen-Pastor, Bd. 4, Heft 3).
■' Modernorum de collegio maiori moguntino etymologia praeclara
donati noviter exarati: el in duas primo minorem et secundo maiorem
editiones partita : ad discipulorum diversorum capacitatem successivam.
Die Schrifl isi I'. \\ . E. Roth in seiner Gesch. u. Bibliogr. der Buchdrucke-
i zu Speier im 15. u. 1(>. Jahrh. (Mißt. d. hist. Ver. der Pfalz 18
[1894], 1 ff. | entgangen. Pen Hinweis auf den Druck und den Verfasser,
der f. a 8b sowie in der vom -2(i. September 1489 datierten Schlußschrift
sich nennt, verdanke ich Herrn Hofbibliotheksdirektor Dr. Schmidt in
Dannstadt.
Modernorum summulae logicales cum notabilibus topicorum ac dispu-
tatis elenchorum librorum ex aristotele, boetio, beato augustino, marsilio
el ah aliis. subtilioribus sententiis, viris doctissimis fideliter enucleatae, ac a.
magistris collegii moguntini regentibus de modernorum doctrina sunt studio-
sissime innovatae. Roth, a. a. ()., 49; über den Inhalt cf. Prantl, Gesch.
d. Logik im Abendlande, 1. 192, 233f.
Modernorum de collegio Maguntino exercitata librorum Periherme-
nias clarissima. Roth, a. a. <>.. 78.
8 Grammatica initialis valde resoluta et etimologica et syntaxis octo
partium orationis compendiosa adeo, 1509; cf. F. \Y. E. Roth im Zentralbl.
f Bibliothekswesen in (1893), 479, und im Katholik, a. a. O., 240.
bie Mainzer Bursen und ihre Statuten. 97
mann in Mainz erschienen ist. So stellt, er sich uns schon
durch seine schriftstellerischen Leistungen in der Tal als
der Führer der Modernen dar. Als seine bedeutendsten
Schüler führt Hebelin an: Nikolaus Dürkheimer, Pfarrer
zu Eltville und Kanonikus an St. Peter9, Heinrich Kesse,
Pfarrer und Kanonikus in Bingen10, den Dichter und Theo-
logen Jakob Merstetter11 und den damaligen Regens des
colleeium maius Rulin Mintzenberger.12 Als weitere
Moderne aus der älteren Zeit wird man die Theologen
Johann Bertram von Naumburg13, Werner Alich von
Sprethu, Konrad Hensel von Cassel15 und Hermann Ort-
lieb von Rotenburg16 und die Artisten Andreas Eier von
Meiningen17 und Peter Flachsweiler von Trier18 ansehen
dürfen, die sämtlich aus Erfurt kamen, das sich von der
via antiqua stets frei hielt.
Die via antiqua soll nach Mainz durch den Franzis-
kaner Stephan Brulefer19 verpflanzt worden sein, der
jedoch nur im Minoritenkloster gelehrt hat. Als Realisten
an der Universität, nennt Hebelin den Dekan an St. Moritz
Johann Wacker20 und den Kanonikus an St. Johann und
späteren Suffraganbischof Johann Bruder aus Münster,
gewöhnlich Monasterii genannt.21 ,,Hi", so sagt der
Chronist, „doctrinam eorum, qui reales (in sermotionalibus
scriptis) appellantur, plantant, roborant et augent, inter
praeeipuos quoque huius doctrinae magistri et auetores
existunt". Man wird diesen beiden Theologen die von der
thomistischen Kölner Hochschule ausgegangenen Jakob
Weider22, den ersten Mainzer Rektor, und Johann
Quattermart23, sowie Johann Vilhauer24 und den Ar-
tisten Martin Kuppel von Bodmann2-1 zuzählen dürfen.
9 Cf. die Biographie von Roth im Katholik, a. a. 0., 24911.
10 H. Knodt, Hist. univers. Mog., 2, 43.
11 H. F. Singer, Der Humanist Jakob Merstetter 1460-1512. Mainz
1904.
12 Gemeint isl vielleicht der Knodt, 55, genannte Rolinus Tinctoris.
13 Cf. die Biographie von Roth im Katholik, a. a. 0., 242 (f.
14 Knodt, 7 f. ; Weißenborn, Erfurter Matrikel, 1, 317.
" Knodt, 40; Weißenborn, 1, 223.
lfi Knodt, 42; Weißenborn, 1, 364.
17 Knodt, 65; Weißenborn, 1, 322.
18 Knodt. 11; 66; Weißenborn, 2, 202.
" Hermelink, 137; Wetzer u. Weite, Kirchenlexikon2, 2, 3551; Y
Paulus in Theol. Quartalse.hr., 75 (1893), 291 IT.
20 Knodt, 41; Gudenus, Cod. dipl., •">, 944.
21 Joannis, Rer. Mog., 2, 441f. Sein Familienname war bisher im
bekannt. Knodt, 65. ■' Knodt, 1. Cf. auch V. Kalk in diesem Buche, 87ff.
»« Knodt, 41. — -'* Ebd. 39. -'■'• Ebd. 64.
Beitrüge z Gesch. d. Universitäten Mainz U. Gießen. 7
98 Fritz Herrmann.
welch letztere beide durch die Heidelberger Matrikel als
antiqui bezeugt sind.26
Hebelin von Heimbach wirft den Artisten vor, „quod
nimis diuturnam operam in dialectica nimiumque tempus
in ea terunt", und nenn! die Dialektik eine wahre Mutter
des Streites. Näheres über Zwistigkeiten zwischen den Ver-
tretern der beiden Richtungen in Mainz wissen wir nicht,
daß aber solche zum Schaden der Universität häufig vor-
kamen, läßt sich durch zwei Zeugnisse belegen. Die im
Jahre 1523 von Erzbischof Albrecht eingesetzte Kommission
für die Reformierung der Hochschule, die aus den Pro-
fessoren Johann Stumpf gen. Eberbach, Konrad Weidmann,
Eucharius Sctilaun, Johann Eschler und Nikolaus Holt-
männ bestand, erklärte in ihrem Reformationsentwurf27,
daß die Statuten gereinigt werden müßten, und zwar ,,in-
primis providendum esse, ut nomina variarum sectarum
antiquorum el modernorum et si quae similia sunt, ne sint
dissidiorum, factionum, invidiae et simultatis occasio, e
slat titis omnibus tollantur et in eorum locum nomina domo-
iiini, eollegiorum aut gymnasiorum sufficiantur". Dieser An-
regung scheint damals zwar Folge gegeben worden zu sein,
aber die Parteinamen ließen sich nicht so rasch be-
seitigen. Denn die unter dem Vorsitz des Generalvikars
Valentin von Teutleben arbeitende Reformationskommission
von 1535, der die Professoren Bernhard Scholl, Johann Pfaff.
Nikolaus Rucker, Konrad Weidmann, Anton Knaner und
Heinrich Herold angehörten28, sali sich veranlaßt, in derVor-
rede zu den neuen Statuten der Artistenfakultät zu dekre-
tieren, „ut nomina eorum videlicet antiquorum et moder-
nörum, quae universitatem hactenus subinde turbarunt,
exturbentur l'unditus neque posthac alter realista, alter vero
nominal is vocetur, nam istae pueriles ineptiae et sectae,
revera dissectae, contentionibus ac simultafibus haud raro
ansam praebuerunt".29
Was der unter dem Einfluß des Humanismus stehenden
Generation auch anderwärts bat, man um diese Zeit den
scholastischen Zwiespalt zu nennen verboten als
..kindische Torheit" erschien, das bewegte zur Zeit der
Gründung der Mainzer Universität die Geister aufs tiefste. Es
ist der Forschung Ins jetzt entgangen, daß man auch in Mainz,
röpke, I. 286; II, 401, 409.
1 Notula reformationis generalis studii Moguntini. Collectanea, a. a. 0.,
497ff. KimkII, 26, gibt irrtümlich das Jahr 1521 an.
Knodt,
28 Dürrsche Mskr., Fasz. 3i, f. 3; Fasz, 3f, E. Hilf.
Die Mainzer Börsen und ihre Statuten. W
ähnlich wie in Tübingen und Freiburg, die der philo-
sophischen oder Artistenfakultät angehörigen Studenten je
nach ihrer Richtung in zwei verschiedenen Bursen unterge-
bracht hat, um zu verhüten, daß der wissenschaftliche Streit
sich von den Hörsälen in die Wohnungen der Schüler fort-
pflanzte: Die beiden Häuser Zum Algesheimer und
Zum Scherfkenberg sind die Heimstätten für die
moderni bezw. die antiqui und beherbergten außer den
Schülern auch einen Teil der Magister jeder Richtung, stellen
sich also zugleich als sogenannte Kollegien und als Bursen
dar.30 So erklärt sich denn auch, daß der Reformationsent-
wurf von 1523 an den Stellen der Statuten, wo bisher die
Namen der Richtungen genannt waren, einfach die Namen
der betreffenden Häuser oder Gymnasien einzusetzen vor-
schlagen kann.
Das hinter der Christophskirche gelegene, nach seinem
früheren Besitzer, einer Mainzer Patrizierfamilie, genannte
Haus Zum Algesheimer war im Jahre 1478 von Diether von
Isenburg der neuen Hochschule zur Errichtung eines Ma-
gister- und Studentenhauses überlassen worden31 und hieß,
wie aus dem Titel der von den hier wohnenden Modernen
herausgegebenen, oben erwähnten Etymologia Donati hervor-
geht, auch collegium maius. Schon dieser Name beweist,
daß, zum mindesten seit 1489, eine zweite — Realisten- —
Burse vorhanden war, die den entsprechenden Namen Kleines
Kolleg gehabt haben dürfte. Die Bezeichnung Kollegium
Zum Algesheimer für die Burse der Modernen findet sich be-
reits in einer Urkunde aus dem Jahre 1488, aus der auch
hervorgeht, daß die Senatsversammlungen in diesem Hause
stattfanden.32
Die antiqui nannten ihr Kollegium „Zum h. Thomas
von Aquino". Es scheint von Anfang an in dem der Palrizier-
familie Jostenhofer gehörigen Hause Zum Schenkenberg —
in der heutigen Altenauergasse — untergebracht gewesen zu
sein, das die Regenten der Burse gemietet hatten. Im Jahre
1508 oder 1509 kauften sie es von dem damaligen Besitzer
Elogius Jostenhofer, Kapitular am Liebfrauenstifl zu Worms,
für 330 Goldgulden. Hiervon blieben 130 G. als Hypothek
gegen 6 G. jährlichen Zins hei dem Verkäufer stehen, 200 G.
lieh das Regentenkollegium von dem Professor der Medizin
Peter von Viersen und den Kanonikern an Liebfrau Georg
Beheim und Tilmann Seiita* h gegen Verpfändung des Hause:-.
30 Cf. Kaufmann, Gesch. tl. deutschen Universitäten, 2, 214 ff.
31 Guclemis, 2, 509. — ™ Knodt, 3.
7*
HM) Fritz Herrmann.
und einen jährlichen Zins von 10 G. Aus den beiden In-
strumenten33 über diese Kapitalaufnahme erfahren wir, daß
die damaligen Regenten Johannes Lapicida, Nikolaus Holt-
mann und Nikolaus Gerbel in der lateinischen Urkunde
heißen sie „artinm magistri et actu regentes bursae
Schenkenberg de via s. Thomae Aquinatis", in der deutschen
„Regenten dieser Zeit der Bursen realistarum genant
Schenkenberg" versprachen, die Zinsen aus eigenen
Mitteln zu zahlen, falls sie sie aus den Bewohnern der Burse
nicht herausschlagen könnten. Vermögen sie aus Mangel
an Studenten ihre Regentschaft nicht aufrecht zu erhalten,
so steht ihnen die Kündigung des Vertrags frei. Zur bau-
lichen Unterhaltung muß jeder eintretende Bursist 2, jeder
Baccalaureus 3 und jeder Magister 6 Albus zahlen ; auch
werden die Strafgelder der Studenten für das Fehlen bei den
Vorlesungen zum gleichen Zwecke verwandt. Geht einer der
Regenten mit dem Tode oder anderweitig ab, so soll ein ge-
lehrter und ehrbarer Mann und zwar nur mit Zustimmung
der Geldgeber an seine Stelle treten. Nach deren Tode aber
sollen im Falle einer solchen Vakanz der Prior und der Lektor
der Mainzer Dominikaner oder einer dieser beiden ersucht
werden, ob sie ,,ob honorem s. Thomae de Aquino" bei der
Besetzung mitwirken wollen ; ist ein Ersatz in Mainz nicht
zu finden, so soll eine geeignete Person aus Köln verschrieben
werden ,,pro conservatione viae praedietae" sc. antiquae.
Auch versprechen sämtliche Regenten und Senioren des alten
Wegs, der Burse je 2 G. zu vermachen; dafür wird ihrer all-
jährlich in der Memorie für die Wohltäter der Burse, welche
die Dominikaner gegen eine Entschädigung von l/a Cr. ab-
halten sollen, gedacht werden. - - Die Geldgeber handeln also
ebenso wie die Regenten im Interesse der via antiqua, als
deren natürliche Verbündete die Dominikaner gelten; daß
man auf die Kölner Universität zurückzugreifen in Aussicht
nimmt, dürfte darauf hindeuten, daß die Richtung von dort
nach Mainz gekommen ist.34
1 1510 Januar 10; Mainzer Stadtarch., Stadt. Urk. ; als Bürgen werden
genannl Johannes Monasferii, Kanonikus an St. Johann, und Richard Fried-
walt, Kanonikus an St. Peter. - - Die Regesten verdanke ich Herrn Biblio-
thekar Dr. Heidenheimer in Mainz; cf. auch dessen Studie: Der Humanist
PCicolaus Gerbe! in Mainz, im Korrespondenzbl. d. Westd. Zeitschr. f. Gesch.
u. Kunst, 15 (18196), 184 IT.
11 Peter von Viersen vermachte die von ihm geschossenen 60 G. im
Jahre L517 testamentarisch der Burse; das Guthaben des Georg Beheim
ging an das Liebfrauenstift, das des Elogius Jostenhofer an den Vize-
pleban an St. Emmeran, Johann Sorgenloch gen. Gensfleisch, und an
seinen gleichnamigen Vetter über. Das noch stehende Kapital im Betrage
Die Mainzer Bursen und ihre Statuten. 101
Die Befürchtung der Regenten wegen des etwaigen un-
genügenden Besuches ihres Hauses läßt erkennen, daß der
Realismus in Mainz um 1510 immer noch weniger Zuzug
hatte als seine Gegner; denn an und für sich war der Betrieb
einer Burse immer aussichtsvoll, da die Universität nicht
nur von den Studenten des philosophischen Kursus, sondern
auch von den Magistern verlangte, daß sie in einer solchen
wohnen sollten.35 Doch erwiesen sich die Bedenken als un-
begründet, ja es konnte das Kollegium Zum Schenkenberg
bereits im Jahre 1521 durch Ankauf der beiden Nebenhäuser
Zum großen und Zum kleinen Laufenberg erweitert werden.36
Ein Vierteljahrhundert später aber drohte ihm die Gefahr der
Aufhebung. Erzbischof Sebastian, der selber einst Zögling
der Burse gewesen war, wollte diese in ein Pädagogium um-
gestalten und nur noch den Algesheimer als Kollegium be-
stehen lassen. Der Plan fußte wohl auf der eingetretenen Er-
weichung der Gegensätze und der Neigung, diese völlig zu
beseitigen. Infolge des energischen Protestes der Regenten,
die ihre Anstalt nicht „ab equis ad asinos" degradiert sehen
wollten, unterblieb die Ausführung. Sie gaben in ihrer Dar-
legung an den Rektor u. a. zu bedenken, daß ihr Haus im
Gegensatz zu dem der Modernen aus den eigenen Mitteln und
Beiträgen der Insassen erworben sei und also nicht einfach
aufgehoben werden könne, daß auch an anderen Universi-
täten doppelte Kollegien mit parallelen Vorlesungen sogar
in der juristischen Fakultät zu finden seien, und daß die
Rivalität zweier Anstalten auch ihr Gutes habe. Mit Recht
wiesen sie auch darauf hin, daß die dem Hause Schenkenberg
zugewandten Legate, Stipendien etc. eingehen müßten und
die Lust zu ähnlichen Stiftungen schwinden würde, wenn
man sähe, daß ein solches Institut kurzer Hand aufgehoben
werden könne.37
Schließlich hat denn auch gerade das Kollegium zum
Schenkenberg das längste Dasein gehabt und die Burse Zum
von 270 G. trug der Domvikar Jakob Pistorius im Jahre 1519 mit Zustim-
mung der Regenten Adam Helsinki'. Nikolaus llnltinaim, Jndueus Seibach
und Adam Weiß ab und bezog nunmehr als alleiniger Gläubiger des Hauses
die 18 G. Zins; Schaab, Erfindung der Buchdruckerkunst, 2, 334 ff.
35 150-1 Januar 30 halle die Universitäl beschlossen, „quod magistri
volentes regere in facultate ariiuni cum suis suppositis debenl stare in
dominus sive bursis per universitatem approbatis ei habere mensam com
niuneiii, nee habeat universitas neque facultas artium amodo dispensare
pro aliquo gradu sive baccalariatus sive magisterii in artibus cum Ins. qui
stolerunl extra bursas approbatas" (Alt. Statutenb., f. 246). Doch wurde
diese Bestimmung wohl nichl allzu streng gehandhabt, und die Notula
ref. von 1528 beantragt, den Satz nee habeai etc. zu streichen.
3fi Schaab, a. ä. O. - — :': Die ganze Eingabe gib! Knodt, 2U ff.
]n-2 Fritz Herrmann.
Algesheimer überdauert. Diese hob nämlich Daniel Brendel
vom Homburg im Jahre 1562 auf und übergab das Haus den
von ihm nach Mainz berufenen Jesuiten; er kaufte überdies
noch die drei anliegenden Häuser Zum Hammerstein, Zum
Herbst und Zinn Birnbaum für den Orden an, damit dieser ge-
nügend Raum für seine Mitglieder und für das Konvikt
habe.38 Als einzige allgemeine Burse blieb sonach nur das
Hans Zum Schenkenberg bestehen, dessen Professoren, wie
früher mit den Vertretern der via moderna im Algesheimer,
nunmehr mit den Jesuiten in der Rangordnung, in der Be-
setzung des Dekanats und bei den Prüfungen in der philo-
sophischen und jetzt auch in der theologischen Fakultät —
für beide wurden die Patres als Lehrer herangezogen —
konkurrierten. Im Jahre 1740 verlegte die Universität ihre
Burse auf die Große Bleiche in das spätere städtische
Bibliotheksgebäude39 und vermietete die ,,alte Burse", die
dann im Jahre 1767 an die Altenauersche Mädchenschul-
stiftung verkauft wurde.
Solange die Kollegien Zum Algesheimer und Zum
Schenkenberg nebeneinander bestanden, wurde nur ein Teil
der artistischen Vorlesungen, die lectiones publicae oder
formales, für alle Studenten des philosophischen Kursus im
Universitätsgebäude, die übrigen aber zu gleichen Stunden
doppelt von den Vertretern der zwei Wege in den beiden
Häusern für deren Insassen besonders gehalten. Als Ziel
galt die Einführung der Bursisten in die besten Autoren der
beiden Sprachen, vor allem aber in den „princeps philo-
sophorum", Aristoteles, jedoch „resecta commentariorum
silva". Ein aus der Zeit nach 1523 stammender Lektions-
plan schreibt, vor für 5, im Winter 6 Uhr morgens: Porphyrii
introductio in praedicabilia Aristotelis. praedicamentorum
über eiusdem rcspl ipiisveiaq sive de enunciatione priorum et
posleiim um resolutionum cum topicis et locis sophisticis
(zweijährig); für 8 (9) Uhr: Caesarii dialectica (einjährig); für
12 Uhr: Vergilius oder ein anderer pudicus poeta; für 1 Uhr:
Lectio physica für die Baccalaurei; für 3 Uhr: Lectio Graeca;
für 4 Uhr: Disputatio grammatica, dialectica et physica Mitt-
wochs und Freitags, an den übrigen Tagen die drei ersten
Bücher Quintilians De institutione rhetorica, oder Ciceros Ad
Herennium, De officiis oder De oratore, oder endlich Rudolf
Agricolas Topica. Abwechselnd von je einem Magister aus
- Joairais, 1. 873.
39 Schaab, Geschichte der Stadt Mainz, 2, 287f.
Die Mainzer Bursen und ihre Statuten. 103
den beiden Häusern wurde die von Jvo Wittich40 gestiftete
Lectio historica um 7 (8) Uhr nachmittags, und /.war in der
Universität gehalten; zugrunde gelebt wurden dabei Livius,
Valerius Maximus, Sallustius, tustinus, Suetonius, Julius
Florus. Für die poetischen und historischen Lektionen waren
die Magister zur Wiedergabe der Autoren in deutscher
Sprache verpflichtet.
In den beiden mit den Bursen verbundenen Pädagogien
für die jüngeren Studenten wurde traktiert um 5 (6) Uhr
morgens: Grammatik (halbjährig); um 8 (9) Uhr besuchten
die Pädagogschüler die bereits genannte dialektische, um
12 Uhr die poetische Lektion, welch letztere für sie um
3 Uhr nachmittags besonders wiederholt oder durch die
Lektüre der Fabeln Äsops oder einer Komödie des Terenz
ergänzt wurde, wobei der Nachdruck auf die Übung in der
Etymologie und der Syntax zu legen war. Außerdem mußten
wöchentlich schriftliche Arbeiten geliefert und von den
Pädagogmagistern korrigiert werden.
Über die Verfassung der Kollegien und das Leben der
Magister und Scholaren geben die allgemeinen Universitäts-
statuten in ihren §§ 39 und 44 — 50 einige Auskunft. Besseren
und vollständigeren Einblick aber gewähren die von der
Artistenfakultät für die beiden Häuser erlassenen statuta
bursalia, die in ihrer Ausführlichkeit wohl einzig unter den
Bursenstatuten von deutschen Hochschulen dastehen und
als vorzügliche Quelle für die Kenntnis des studentischen
Lebens zu Beginn der Neuzeit einen Abdruck verdienen.
Die in den Papieren des Historikers Dürr erhaltene Ab-
schrift41 trägt zwTar die Bezeichnung „antiquissima statuta"
etc.. in Wahrheit aber stammt die Fassung derselben, wie eine
Vergleichung mit der Notula reformationis von 1523 ergibt,
aus der Zeit nach diesem Jahre und ist überdies durch die
von Dürr als ,,variantes lectiones" gekennzeichneten Zusätze
später noch berichtigt und ergänzt worden. Auf Grund dieser
Statuten ergibt sich folgendes Bild.
In jedem der beiden Kollegien haben vier Magister die
offizielle Leitung als Regenten (regentes principales oder
Primarii). Es wird von ihnen erwartet, daß sie durch ehr-
baren Wandel und durch Gelehrsamkeit sämtlichen Insassen
des Hauses ein Vorbild sind. Vor allem liegt ihnen die Sorg •
für die regelmäßige Abhaltung der Lektionen und Dispu-
40 Über ihn cf. F. W. E. Roth im Arch. E. kath. Kirchenrecht, 80
(1900), 194 ff.
41 Fasz. 39. -- Kleinere Lesefehler des Abschreibers sind in unserem
nachfolgenden Ahdruck stillschweigend getilgt.
104 Fritz Herrmann.
tationen 6b, die sie verteilen und überwachen. Wie für die
wissenschaftliche Ausbildung der Schüler, so sind sie auch
für deren Erziehung zur Gottesfurcht und gesittetem Wandel
verantwortlich: sie sollen daher ihre Zöglinge zum regel-
mäßigen Kirchgang, zur Teilnahme an den Prozessionen und
zum Sakramentsgenuß sowie zu anständigem Betragen in
der Anstalt, in der Kirche, bei akademischen Akten und auf
der Straße anhalten. Abwechselnd hat einer von ihnen die
Woche. \)rr hebdomadarius ist kostgeldfrei, muß aber
dafür bei jeder Mahlzeit zugegen sein und die Tischgebete
sprechen, hat für die rechtzeitige Öffnung und Schließung
des Haustores zu sorgen und meldet die bei Torschluß fehlen-
den Scholaren dem Regentenkollegium zur Bestrafung. An
(ichalt bezogen die Regenten als Professoren der Artisten-
Fakultät die Einkünfte aus den dieser zustehenden Kanoni-
katen4- und, nachdem diese auf Wunsch der Universität
getilgt und durch jährliche Zahlungen der betreffenden Stifter
ersetzt worden waren, ein in zwei Raten durch den Rektor
zahlbares fixiertes Einkommen, das nach einer etwa dem
dritten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts angehörenden Auf-
zeichnung43 für die Senioren der beiden Häuser je 25, für die
übrigen Regenten je 20 Gulden betrug ; dazu kamen noch die
Kollegiengelder, die bis ca. 1523 für die Vorlesungen in den
beiden Häusern bezahlt wurden, während die öffentlichen
Lektionen der Artisten wie sämtliche Vorlesungen in den
oberen Fakultäten von allem Anfang an frei waren.
Eine besondere Stellung unter den Magistern nahmen
neben den Regenten noch die beiden magistri pädagogi-
42 Die im Jahre 1511 erfolgte Verteilung der Universitätspräbenden
auf die vier Fakultäten cf. bei J. P. Schunck, Beiträge zur Mainzer (!<•-
schichte, •'!, 220f. Die Notula reformationis von 1523 fordert, daß die
Stifter die Lektoralpräbenden eingehen lassen und dafür jährliche feste
(lehalle zahlen; wollen sie das nicht, so sollen sie wenigstens die Pro-
fessoren an neu Tagen, an welchen gelesen wird oder eine Universitäts-
versammlung stattfindet, vorn Chordienst befreien, ohne ihnen die Präsenz-
Felder zu sireichen. Nach der dein Entwurf eingefügten Zusammenstellung
ertrugen die theologischen Lektoralpräbenden an St. Peter 100, an
•sl. Maria ad gradus 1211; die juristischen an St. Viktor L30, an Sl.
Bartholomäus in Frankfurl 60, an Sl. Peter und Alexander in Aschaffen-
burg rl). an St. Peter in Fritzlar 60; das medizinische an St. Ste-
phan 60; die artistischen an Sl. Johann 50, an St. Crucis 60, an St.
A.lban 50, an U Mariae virg. in monte zu Frankfurt 30, an St. Leonhard
ebenda 20, an Sl. Martin in Bingen 30 und an St. Katharina in Oppen-
heim 20 Gulden. In der Tai wurden denn auch in der Folgezeit dio
tituli ecclesiastici bei einer Reihe von haltenden getilgt. Das etwas spä-
tere Verzeichnis der A.nnui proventus im Ali. Statutenbuch, f. 31, gibt
durchschnittlich niedrigere Erträge an.
'■ \lt. Statutenbuch, f. 31/
Die Mainzer Bursen and ihre Statuten. 105
orum jedes Hauses ein. Sie leiten die Ausbildung der fin-
den Besuch der Vorlesungen noch nicht reifen jüngeren
Scholaren, die in Grammatik, Syntax und den Anfangs-
gründen der Dialektik und Poetik unterrichtet werden, und
haben deren wöchentliche schriftliche Arbeiten zu korri-
gieren ; ihr Gehalt beträgt je 10 Gulden.
Die übrigen Magister der Kollegien (magistri legentes
oder non regentes oder iuniores genannt) werden trotz ihres
Titels und ihrer Vorlesungstätigkeit noch gewissermaßen als
Schüler behandelt. Die Statuten ermahnen sie zu anständigem
Betragen und warnen sie - - die angehenden Lehrer! - - vorm
Beschädigen ihrer Wohnräume und vor verdächtigem Um-
gang insbesondere mit Frauen von zweifelhaftem Ruf - - eine
Warnung, die auch an die Scholaren gerichtet wird und, wenn
man den Worten des Chronisten Hebelin „nam meretricüm
illic infinitus est numerus, raro mulier est contenta viro uno"
glauben darf, besonders angebracht war. Auch vor Spiel
and Streit sollen sie sich hüten, ihren Hausschlüssel nicht
zum Vorteil der Scholaren mißbrauchen, nicht eigennützig;
auf Privatvorlesungen aus sein und einander die Schüler ab-
spannen, nicht im Beisein der Zöglinge über etwaige
schlechte Kost klagen und was sie durch die Regenten von
den secreta universitatis vel propriae domus erfahren, nicht
ausplaudern.
Die Kassenführung eines jeden Hauses übernimmt einer
der Magister als Kollektor. Er vereinnahmt die Lektions-
gelder, die unter die Magister verteilt werden, und nimmt
auch das Wohnungs- und Holzgeld, die Abgabe für das
Küchengeschirr und die sogenannten Beanalia in Verwah-
rung, aus denen die Reparaturen am Gebäude und am Haus-
rat, die Neuanschaffungen und die Kosten des Brennmaterials
bestritten werden. Auch hat er zu Beginn jedes Semesters
den Bestand des Hauses an Lehrern und Schülern in das
Album einzutragen.
Das Hauswesen im engeren Sinne besorgt der Ökonom
(oecononuis, praepositus, dispensator), der möglichst für eine
Reihe von Jahren zu bestellen isl und aus der Zahl der
Magister oder der Scholaren genommen werden kann ; nur im
äußersten Notfall soll einer der Regenten diesen Posten über
nehmen. Der Ökonom hat außer freier Station Anspruch
auf einen Keller, ein Wohn- und ein Schlafgemach und be-
zieht als Entschädigung für seine Albeil von ZWÖlf Koinineii-
salen zusammen wöchentlich 3 Albus; ist die Zahl der Tisch-
gäste größer, so gibt jeder zwei Denare in der Woche. Außer-
dem hat er einen kleinen Gewinn aus dem ihm allein zu-
106 Fritz Heinnanii.
stehenden Weinschank und braucht, falls er Scholar ist,
keine Lektions- und Repetitionsgebühren zu bezahlen. Er
engagier! den Famulus des Hauses und die Köchin, die
jährlich höchstens sechs Gulden Lohn aus der Hauskasse
erhält, und der er selbst täglich eine halbe Maß Wein unent-
geltlich zu stellen hat. Die Insassen der Burse speist er an
zwei Tischen, dem besseren der Magister, an dem auch ver-
mögendere Schüler teilnehmen können, und dem frugaleren
der Studenten. Über die Kost scheint öfter geklagt worden
zu sein; die Statuten sehen an mehreren Stellen Beschwerden
darüber vor, und Hebelin von Heimbach, der den Mainzer
Studenten Gier nach Wein und Speisen vorwirft, fügt zur
Entschuldigung hinzu: „licet tenuis sit mensa bursalis."
Jeden Samstag rechnet der Ökonom mit den Regenten ab,
mit deren einem er wöchentlich auch das Haus und die
Stuben auf ihre bauliche Beschaffenheit hin zu revidieren hat.
Als Schüler (alumnus, scholasticus, scholaris, Studi-
osus) wird zu den Vorlesungen in der Artistenfakultät nur
zugelassen, wer ordnungsmäßig die Deposition durchgemacht
hat, immatrikuliert ist und in einer der beiden Bursen wohnt,
wenn er nicht als Sohn eines Mainzer Einwohners oder als
Famulus eines außerhalb der Kollegien wohnenden Pro-
fessors oder auf Grund besonderer Erlaubnis des Rektors vom
Bursenzwang befreit ist. Zu zahlen hat der Schüler bei seiner
Aufnahme die Beanalia im Betrage von 8 und pro utensilibus
6 Albus, ferner jährlich als Miete für ein Schlafgemach
1 Gulden, an Holzgeld 8 Albus und für die ordentlichen Lek-
tionen, falls er noch das Pädagogium besucht, 2, andernfalls
3 Gulden, oder aber, wenn er nur noch einzelne Vorlesungen
hört, für jede im Semester 12 Albus ; als die Lektionsge-
bühren wegfielen, kam zu diesen Abgaben noch ein Beitrag
von Vs Gulden pro Semester für die Unterhaltung des Ge-
bäudes. Für Privatunterweisung durften die Magister nicht
mehr als vier Gulden von jedem Schüler nehmen. Das Kost-
geld wird in den Statuten nicht angegeben und änderte sich
wohl je nach den Preisen der Lebensmittel. — Eine bevor-
zuge Stellung unter den Scholaren nehmen der Famulus des
Hauses, der dem ökonomus untersteht, und die Famuli der
einzelnen Magister ein; für die pekuniären Erleichterungen,
die sie genießen, sind sie jedoch zum Spionieren verpflichtet.
Studium und Betragen der Scholaren unterstehen
strenger Aufsicht. Der Besuch der Vorlesungen und Dis-
putationen wird kontrolliert und das Schwänzen bestraft,
ebenso der Gebrauch der in der Burse verpönten deutschen
Sprache. Auch Waffentragen, Wirtshausbesuch, Fluchen und
Die Mainzer Bursen und ilire Statuten. 1(17
Schwören, ungebührliche Kleidung, Unfug im Hause, dessen
Verunreinigung durch Befriedigung natürlicher Bedürfnisse
etc. etc. werden unter Strafe gestellt; das Spielen ist nur
am Donnerstage — dem dies academicus erlaubt, und
zwar lediglich recreandi animi causa, nicht um des Geld-
gewinnes willen.
Das Sommersemester beginnt Montag nach Ouasimo-
dogeniti und 'endet am Tage vor Matthäi (21. September),
das Wintersemester dauert vom Tage nach Galli (16. Oktober)
bis zum Samstag vor Palmarum. Kleine Ferien sind vom
Pfingstsamstag bis zum Donnerstag nach Pfingsten und vom
Mittwoch vor Quinquagesimae bis zum Aschermittwoch ein-
schließlich; Weihnachtsferien kennt man nicht. Ausgesetzt
werden die Lektionen vormittags an den drei Tagen vor
Himmelfahrt, (dies rogationum) und an Allerseelen, nach-
mittags am Vortage von Fronleichnam, der Kirchweihfeste
der Christophs- und der Quintinspfarrkirche Algesheimer
pfarrte in die erstere, Schenkenberg in die letztere --, von
St. Christophori (25. Juli) und St. Quintini (31. Oktober),
von Mariae Himmelfahrt, Empfängnis, Reinigung und Ver-
kündigung, von Allerheiligen, von Martini und vom Drei-
königstag, damit. Magister und Scholaren die preces vesper
tinae in ihren Pfarrkirchen mitsingen können.
Wer einen artistischen Grad erwerben will44, muß
sich gegen entsprechende Bezahlung unter die besondere
Aufsicht eines Privat-Praeceptors stellen, der täglich mit ihm
zu arbeiten hat. Um das Bakkalaureat kann sich der Buk*
schon nach drei Semestern bewerben, während die aul'.s
halb der Bursen wohnenden Studenten das volle BierinttSL,
aushalten müssen. Außer den erwähnten ordentlichen dia-
lektischen, poetischen und rhetorischen Vorlesungen in der
Burse und der historischen im Kollegiengebäude hat der
Bakkalaureand die öffentlichen ,,interlocutiones formales, im-
primis arithmeticam et sphaeram materialem, tünc et musi-
cam" zu hören und muß achtmal bei den Samstagsdispu
tationen den Magistern sowie viermal den Bakkalaren respon
dieren. Die offiziellen Repetitionen - auch reparationes ge
nannt - für die an Martini zu promovierenden Ihirsislon h<'
ginnen am Lucastage (18. Oktober), die für die am 1. Mai zu
promovierenden am Tage nach Anibrosii (4. April). 'Zum
Examen lädt der Dekan durch Anschlag an den Türen der
beiden Studienhäuser und des Domes ein; die l'akullät be-
44 Das Folgende zum Teil mit Meniiiziing der Statuten der Artisten
fakultät und der Notula reformationis.
los Fritz Herrmann.
schließt über die Zulassung und bestimmt zur Abhaltung der
Prüfung vier Magister, je zwei aus jeder Burse. Zum Exa-
mensprandium, gegen dessen Üppigkeit öfter geeifert wird,
werden bei 1 — 3 Promoven den nur die Examinatoren, der
Dekan, der Promotor und der Pedell, bei 4 — 6 auch die Re-
genten und Professoren der beiden Gymnasien, bei 7 — 9 auch
der Rektor und sämtliche Magister der Artistenfakultät, bei
10 — 12 auch die Dekane der höheren Fakultäten und bei 13
und mehr Promovenden der gesamte Lehrkörper eingeladen.
Die Bakkalare halten in der Burse und bei allen offiziellen
Gelegenheiten ilen Vortritt vor den übrigen Scholaren.
Die Magisterwürde wird jährlich nur einmal und zwar
sub autumnales ferias verliehen ; eingeladen wird dazu durch
öffentlichen Anschlag am Matthäustage (21. September).
Auch hierbei genießen die Bursisten, denen stets die Mainzer
Bürgersöhne und die Pensionäre der Doktoren gleichgestellt
werden, den Vorzug, daß sie bereits drei Semester nach der
Erwerbung des ersten Grades sich melden können, während
alle anderen Baccalaurei zwei volle Jahre warten müssen.
Der Bewerber hat nachzuweisen, daß er in seinem Gym-
nasium außer der Topik des Agricola und der Rhetorik
Quintilians oder Ciceros auch die Dialektik und die Physik
des Aristoteles, welch letztere für die Magistranden zur
Stunde der oben genannten, für die Anfänger bestimmten
lectio dialectica oder der lectio poetica gelesen wurde, und
außerdem sämtliche lectiones formales im Universitätsge-
i;ude gehört hat, nämlich die Metaphysik, Ethik, Politik und
Kouoniik des Aristoteles, die drei ersten Bücher des Euklid,
Dionysius De situ orbis, die Parva naturalia und Georg
l'eurhachs Theoriae planetarum. Ferner muß er sechsmal
bei den Samstagsdisputationen unter dem Vorsitz der
Magister respondiert, viermal bei den Sonntagsdisputationen
praesidiert und zwanzigmal den Magisterdisputationen bei-
gewohnt haben. Besteht er die Magisterprüfung, so setzt man
ihm das violette Barett auf, steckt ihm den goldenen Ring an
und überreich! ihm das Buch. Damit hat er den Abschluß
seiner Studien in der untersten Fakultät erreicht und ist „in
philosophiuiin senatum et ad facultatum alteriora fastigia"
aufgestiegen.
■^-3r^~
ANTIQUISSIMA STATUTA BURSALIA DOMUM
SCHENCKENBERGICAE ET ALGESHEIMENSIS.
Praefatiuncula.
Quoniam praeter universitatis statuta singulae facultates
privatas leges suaque peculiaria statuta habent, ad quorum prae-
scripta velut ad Lesbiam normam sese componunt, par est, ut
facultatis artium alumni domestica quaedam, quae vulgo bursalia
statuta dicuntur, non desiderent, quibus cum magistri tum scho-
lares honeste regantur ac formentur studiose. eorum catalogum
et publicationem aequis animis attenteque auscultetis.
Statuta magistros regentes concernentia.
Decrevit universitas nostra, ut in utroque facultatis artium
gymnasio quaterni foveantur regentes principales et duo magistri
paedagogiorum.1 quatuor primariis regentibus hoc muneris in-
cumbet, ut regimine suo et gymnasii administratione bona fide
seduloque fungantur gerantque se honestos et graves necnon
caeteris omnibus in gymnasio magistris et alumnis tum nioruin
integritate tum eruditione praecellere videantur. qui simul omnes
gymnasium inhabitent foveantque mensam communem et ex or-
dine hebdomadarii munus vicissim subibunt. hebdomadarius ut
erit asymbolus et immunis a solutione sumptuum mensae eius
hebdomadis, ita nunquam a mensa abesse debet, consecrationem
prandii et coenae dicturus. ab eodem peracto prandio et coena
agantur gratiae curetque, ut aestate hora nona, hieme vero hqra
octava gymnasii fores2 claudantur, matutino autein tempore reclu-
dantur hora quinta.3* quotidie sub vesperam coassumpto sibi
1 qui duo gymnasium inhabitare et mensani communem fovere
tfiieantur.
2 per oeconomum.
3 per eundem oeconomum.
4 quod si quis gymnasii alumnus aestate sub horan nam, liieme
vero sub octavam perclusis foribus pidsaveritj oeconomus pulsanti e vestigio
japeriat neminemque a Musarum consortio alienum, quive domui nostrae
dedecori aut incommodo esse videatur, vel egredi vel ingredi permittat,
sub poena superattendentium et magistrorum regentium arbitraria.
Illud etiam muneris magistro hebdomadario incumbat, ul uon modo
per suam hebdomadam mensae communi adstrictus Sit continue, verum
etiam sequenti septimani vo hebdomadario, successori su<>, in mensa
trequenter assideät. quamvis enim commodissimum Eoret, omnes omnibus
lioris magistros et gymnasio et mensae semper interesse, tarnen quia ad
1 lü Fritz Herrmann.
vel famulo communitatis vel praeposito visitet scholasticorum
cubicula notetque absentes, quos regentibus postridie indicabit.
postero die magistri regentes oranes aut maior ipsorum pars eum,
qui foris pernoctavit, inquirere debent, qui si legitimas absentiae
causas medio iuramento dicere non potest, mulctetur poena sex
alborum, at si saepius deliquerit, a regentibus Omnibus vel maiore
ipsorum parte domo excludatur.5
Item per vices unus ex regentibus non hebdomadarius6 cum
praeposito singulis septimanis structuram aedium ab omni parle,
omnia quoque cubicula diligenter inspiciant et si quid ruinosum
minusve sartum aut tectum deprehenderint, id quam primum
magistris regentibus significabunt, ut mox resarciatur. 7
Quodsi in quatuor primariorum "regentium seu principalium
locum aliquis surrogandus est, is sufficiatur, qui maxime in hoc
videtur idoneus adeoque iudicio et consensu superattendentium et
regentium, quibus se promissione et iuramento obligabit. simi-
liter paedagogiorum magistri a superattendentibus et regentibus
rite suscipiantur amoveanturque, si ita consultum videatur. idem
observetur in oeconomo, qui et suscipi et moveri officio a prae-
dictis omnibus debet.
Et quoniam tum universitatis tum facultatis statuto cautum
est, ne quis studiosorum arma deferat, ideo magistri regentes
aut quicunque discipulos privatos habent, iam inde a primo
ingressu gymnasii arma et enses, si quos habent, ab eis petant,
quae ipsi magistri usque ad discessum studiosorum custodiant.
quod si quis huic statuto fraudem fecisse comperiatur et arma
quaedam occultaverit, ea tarn magister hebdomadarius quam
inspector aedium visitando auferre ab ipsis sibique retinere debe-
bunt. appellatione autem armorum hie veniant gladii, cuspides,
dolones, plumbata, bombardae, canales etiam ex clavibus faetae,
pulvis Martius caeteraque omnia, quibus damnum vel domui
vel personae alicui inferri possit, et breviter omnia, quae in im-
perialibus legibus armorum appellatione significantur.
In Universum omnes regentes per se quisque aecurate attendat
ad omnes lectiones et disputationes gymnasiorum, ne qua earum
intermitta-tur. quod si quis negligentius egerit aut circa aliquod
statutum deliquerit, duo regentes natu maximi aut seniores8
honestorum virorum convivia quandoque vocantur, saneimus, ut memorati
domini magistri. videlicet hebdomadarius veterior et recentior, mensae et
gymnasio suis temporibus sint quam maxime addicti. vel si quando legitima
d<> causa adiunetum illum abesse contingat, suum in locu,m sufficiaf
alium ordinis sui magistrurn. et si quis forte aliorum magistrorum honoris
gratia yocatus foris prandere aut coenare voluerit, statuimus, ne in septi-
mana ultra unius diei spatiuni a mensa communi absit. hebdomadarius...
'J si quis praedictorum statutorum cuipiam fraudem fecisse com-
im-, trium allxtrum poena gymnasü aerario conferenda muletabitur.
6 adiunetua videlicet, cuius supra facta est mentio.
7 id si facere neglexerint, quisque poenam unius allii Inet domua
aerarip.
iuniorum duorum regentium et eorum, qui paedagogio praefecti
sunt, negligentiam superattendentibus indicent.
Die Mainzer Bursen und ihre Statuten. 111
animadvertant in iuniores duos et päedagogiorum magistros.
contra si quis seniorum non functus fuerit suo imitiere, a
iunioribus observentur9 mulctenturque; quos ubi audire nolu-
erint10, ad facultatis artium decisionem fiat provocatio salvis
statutis universitatis folio undecimo.11
Nemo regentium et magistrorum legentium altra hebdoma-
(iam peregre abeat sine scitu conregenlium seu collegarum suorum
nee quempiam in locum suum surroget nisi idoneum et proba-
tum regentibus tarn quoad mensae procurationem quam quoad
lectiones, visitationes caeterosque actus magistros concernentes,
sub poena dimidii floreni strueturae domus applicandi. quod
si substitutus quippiam neglexerit, nihilominus privatim mulc
tabitur. muleta autem neglectarum lectionum aut disputationum
domesticarum haec esto, ut quivis tot albos pro una rieglecta
lectione vel disputatione pendat, quot denos aureos pro amiuo
salario aeeipit. regentium muleta, quae regentibus circa scho-
lasticorum delicta atque neglecta conceditur, duodenos albos
non superet.
Caeterum cum in Omnibus rebus pietatis praeeipua cura
esse debeat, provideant magistri regentes, ut iuventus scholastica
in timore dei et pietate adolescat, festis autem diebus paro-
chialibus suis ecclesiis una cum scholasticis interesse debebunt,
modeste cantaturi sacrum et audituri concionem evangelicam :
similiter vespertinis preeibus intersint, sub poena duorum alborum
tarn regentibus quam legentibus infligenda salva unieuique excu-
satione sua legitima.
Et res erit non solum pia sed et boni exempli, si omnes
regentes et legentes sacris Interessent, sed quoniam id negli-
gentius nonnunquam observatur, ideo volumus, ut duo magistri
necessario ad hoc adstricti hebdoinadatim cum iuvenlute scho-
lastica templum petant eo modo et online, quo in statutis facul-
tatis artium de disputationibus publicis cautum est. ita quidem
senior regens cum iuniore päedagogiorum magistro die dominica
festisque eiusdem septimanae diebus intersit, sequenti vero do-
minica die seeundus regens cum altero iuniore päedagogiorum
magistro, tertia vero hebdomade vocentur in partes pietatis duo
regentes intermedia et sie redeundo in circuliira per vices ob-
servetur. hebdomadarii isli duo pridie dominicae diei vel alius
festi hora duodena pomeridiana intermittatur tum ordinaria
lectio — iuventutem officium missae praecinendo docranl ad-
jiciantque aliquales musicae regulas.
Item magistri regentes cum scholaribus Ins in anno in paro-
chiali sua ecclesia celebrent liturgiam seu officium missae de
spirilu saneto, unam post dominicam Quasimodogenili. alteram
9 ul eoruin nc^li^cntiaiii superattendentibus indiceat.
lü ad magnificum universitatis nostrae rectorem negotium discutien-
dum deferant.
11 interdieimus praeterea3 ne quis magistrorum sub publicis lectioni-
lius privatim doceatj volumus enim publicas privatis praeferri, sulp poena
so; alborum. quotieseunque hoc factum fuerit.
112 Fritz Herrmann.
vero statim a festo divi Galli, cui omnes regentes et legentes
magistri cum universa iuventute scholastica sub poena duorum
alborum interesse debebunt.
HuiuB quoque admonendi sunt regentes, ut ipsi cum ma-
xist ris legentibus et universis scholasticis in festo Corporis Christi
et dedicationis sui templi honesto decenteque habitu compareant,
pompam venerabilis sacramenti comitaturi ac toti sacro inter-
futuri ad finem usgue; id triduo ante moneantur studiosi affixa
I er regentes12 schedula, quae absentibus mulctam statuet sex
alborum structurae domus applicandorum.
Hebdomadarius13 colligat mulctas, quarum in hebdomadario
calculo reddat rationem, referanturque in aerarium seu privatam
quandam capsulam, unde magistris festis quibusque diebus in
parochiali ecclesia praesto existentibus singulis dependantur qua-
terni nummi, hebdomadariis vero ecclesiasticis octoni.
Curae deinde regentium incumbet, quod suos domesticos
circa mores et bonas literas accurate instituant eosque sedulo
adhortentur, ut in plateis, gymnasiis, templis et scholasticis ac-
tibus, praecipue quando. publici universitatis et facultatis con-
ventus agitantur, modeste honesteque vestiti incedant, ineptiis,
garrulitate ac strepitibus, quibus caeteri studiosi atque vicini
turbari possint, symposiis quoque caeterisque rebus illicitis severe
minitando interdicant, indisciplinatos errones et vagabundos,
lusores, obtrectatores, conspiratores debita animadversione coer-
teant, ita tarnen, ne poena pecuniaria excedat duodenos albos;
semel atque iterum emendatus atque mulctatus, si adhuc dicto
audire nolit, cohibeatur censura14 magnifici rectoris.
Insuper magistri regentes ad lectiones gymnasiorum non
admittant nondum pro more depositos necdum albo universitatis
inscriptos nee ullum, qui sine rectoris venia et Chirographe
extra gymnasium habitat, nisi forte incola huius urbis aut doc-
toris vel nostratis magistri famulus existat, sub poena 'unius
aurei universitatis fisco inferendi.
Iuventutem ad latini sermonis usum et consuetudinem assue-
faciant adigantque accurate magistri regentes et praeeeptores pri-
vati neque ferant, ullum gymnasii sui studiosum vernacula ser-
mone loqui, sive is sub privata sive extra privatam curam degat.15
Item magistri legentes auditorum lectionum suarum nomina
in catalogum describant et de eorundem absentia inquirant dili-
genter, mulctam quatuor nummorum pro qualibet neglecta hora
exigant salva legitima excusatione. exaetam peeuniam ad diem
Sabbathi regentibus in computo tradant capsulae praesentiariae16
in feiend um.
Nullus alterius m;ii;islri scholarem ad sc pertrahat, sub poena
quatuor florenorum, qui cedant universitati.
12 hebdomadarium.
18 Collector exigat mulctas, quarum singulis mensibus reddat rationem
superattendentibus el regentibus domus suae.
14 sup^ratU'.nilcnlium, dehinc, si abstinere noluerit, magnifici do- |
mini rectoris. — lö sui) muleta superattendentium arbitraria.
1(; aerario domus,
Ejie Mainzer Bursen und ihre Statuten. 1 Kl
Curent omnes magistri tarn regentes quam legentes, ne vel
ipsi vel aliquis scholasticorum secum Eoveat in gymnasio homines
plebeios et a Musarum consortio alienos aui etiam scortä, sub
poena dimidiati floreni ad structuram aedium applicandi. quod
si semel atque iterum monitus non desierit, si regens sil aui
magister, a regentia et legendi miniere amoveatur, si vero sein,
laris, pellatur gymnasio.
Pro privala scholarium cura seu diseiplina a singulis pri-
vatis non ultra quatuor florenos monetae exigant; cum pau
{;eribns autem mitius agatur.17
Pro lectionibus vero ordinariis et cura gymnasiorum siqui
paedagogiiim frequentant, toto anno solvant florenos duos, bacca-
laureus tres et intermedia quoque tres numerabunt. hi vero, qui
non nisi unam aut duas lectiones in gymnasiis audiunt, den!
singulis semestribus de unaquaque leetione duodenos albos ; cum
paupertate docentibus benignius agi debet.
Pro lignalibus communitatis non plus accipiatur a studioso
quam octo albi anno toto. quam pecuniam a eollectore exactam18
oeconomo coemendis lignis traditum iri iubemus.19
Et quemadmodum dominorum multitudo obest rebus publi-
cis, sie magis in rem gymnasiorum videtur, ut unus sil prae-
positus, qui pluribus annis rem domesticam bene dispenset, potius
quam ut haue provinciam magistri regentes lectionibus et re
gendi oneribus gravati ulterius subeant, nisi summa urgente ne-
cessitate, si alius nemo reperiri possit et ob id regentes eo
munere vicissim defungi cogantur.
Oeconomo reeta assignetur apotheca seu vinaria cella, aestu-
arium et cubieulum20, qui in aestuario suo famulum communi-
tatis et mulierem culinariam praesertim hyberno tempore secum
fovere teneatur.
Repetitiones (vulgo reparationes dietae) cum baccalaureandis
sub festum divi Martini coronandis ineipientur Lucae evange
listae, alterae vero cum insigniendis ad festum Philippi et Jacobi
ineipientur postridie divi Ambrosii.
Duorum seniorum regentium erit, singulis diebus a festo
Palmarum usque ad Pasca instituere iuventutem de suseipiendo
venerabili sacramento eucharistiae legendo ©1 docendo pro tem
porum ratione.
Duoruin veio iuniorum erit curare, ui a Mauritii «sque ad
11 sub poena dominorum superattendentium.
18 aerario inferri iubemus.
19 unaquaeque domus suum habeal aerarium a magistris regentibus
observatum, in quod cuiusque' domus muletae caeterique aedium proventus
conjiciantur ; caeterum claves aerarii a dominis superattendentibus custo-
diantur.
Item magistri regentes statutorum domesticorum interpretationem ;i
superattendentibus petänt, quibus reeta praeeipientibus obedire teneantur,
sub poena amotionis a regentia h munere legendi, quod >i quis semel
atque iterum monitus dictum audire noluerit, gymnasio exeludatur.
20 eaquo omnia gratis.
Beiträge z. Gesch. d. Universitäten Mainz u. f ; it-J>« u
114 Fritz Herrmann.
festum divi Galli quotidie una legatur hora in, paedagogio ante
meridiera, ne gymnasium omnino vacuum sit lectionibus.
Semestria tempora hoc modo auspicabuntur : aestivum a
feriis pascalibus die Lunae post dominicam Quasimodogeniti, et
finiatur pridie divi Matthaei apostoli; hybernum vero auspicari
debet postridie divi Galli fmiaturque pridie Palmarum.
Calculus lectionum et habitationum a magistris regentibus
ponatur die Lunae post Judica et pridie Matthaei apostoli. Eli-
gatur tunc quoque collector, qui ab adolescentibus mercedem
lectionum, habitationum et beanalia (ut vocant) exigat. neque
hoc omissum iri volumus, quin singulis hebdomadibus diebus
Saturni a magistris regentibus hebdomadaria cum praeposito
supputetur ratio adeoque duplicis mensae cum portionariorum
tum magistrorum.
Pecunia lectionum distribuatur inter magistros regentes et
legentes, sed habitationum et aestuariorum mercedes adserventur
in aedium structuram; utensilium pecunia ad culinae suppellec-
tilem, lignalia vero et beanalia comparandis lignis deputentur.-1
Magister collector indicet computum lectionum publicarum
et habitationum cum scholaribus de hyberno semestri Sabbatho
ante dominicam Judica, de aestivo autem triduo ante Matthaei
festum aut proxima die non feriata sequenti. collector item status
magistrorum et scholarium conventus tertio die ante proponat in
album.
Diebus rogationum et animarum ante prandiüm non legetur,
a prandio rursus ad studia redibunt.
Pridie Pentecostes a prandio feriae agantur usque in diem
Jovis proximum exclusive.
Jn vigilia Corporis Christi et encaeniorum parochialium eccle-
siarum divorum Christophori et Quintini, item in vigilia divorum
Christophori et Quintini, similiter Assumptionis matris virginis,
Cuiiceptionis, Purificationis, Annunciationis, Omnium item sanc-
torum, pridie quoque Martini et Trium regum a prandio non
legetur. sed magistri cum scholastica iuventute vespertinas preces
canlaturi suas parochias petant.
Bacchanalibus non legatur a die Mercurii ante dominicam
Quinquagesimae usque in diem Jovis post eandem dominicam
exclusive.
In vigilia Natalis domini regentes moneant omnes commen-
sales, ul faimiliiiii communitatis et coquam natalitio miniere pro
se quisque honesta re non recuset, ipsique caeteris ea in re exem-
plo sint.
In hisce statutis domesticis appellatione aurei vel floreni
intelligi volumus viginti quatuor albos.
Postremo sollicite et attente prospiciant rei lilorariae, mensae
communi et dimiui, ul sarta tecta sint omnia.
'-'' pecunia habitationum et aestuariorum mercedes, utensilium pe-
cuma et beanalia in äerarium (knims comportentur, unde suo -tempore
supferattendentes nun regentibus necessaria domus procurabunt.
Die Mainzer Bursen und ihre Statuten. 11">
Juramentum magistrorum, qui in regentium principalium
consortium iamiam sunt cooptandi.
Ego magister N. iuro et promitto vobis dominis22 regentibus
honorem et reverentiam, pacem atque concordiam in omnibus
observandam ; adhaec utilitatem reipublicae tarn literariae quam
domesticae, quantum per nie fieri potest, procurabo, circa rectam
discipulorum «institutionem sedulus caeteraque officia, quae le-
gendi munus concernunt, nulluni in aliquo discrimine ponam, sed
aequali favore ad unum oranes prosequar, statuta et statuenda
facultatis et huius gymnasii studiose observaturus. ita nie deus
adiuvet etc.
Statuta magistros itmiores non regentes concernentia.
Statuimus, ut magistri iuniores nondum principales regentes,
sive publice sive privatim in gymnasio nostro docere velint, tarn
extra quam intra gymnasium sine armis, sed omni cum modestia
et honestate vestium, ut magistros decet, incedant, nee ullos gym-
nasii alumnos arma ferentes secum in plaleis ire permittant.
Item cubiculum seu aestuarium sibi locatum seu locandum
illaesum servare teneatur sub poena instaurandi diruta, effraeta aut
neglecta per cum. similiter de clavibus sui aestuarii atque cubi-
culi regentibus prineipalibus rationem reddat.
Jnhonesta loca atque suspeeta nunquam ingrediantur nee
aliquos scholasticorum ullo quovis tempore secum perducani ;
quod ubi fecerint et a magistris regentibus moniti non desistant,
a lectione et gymnasio expulsi sine cuiusquam iniuria discedant.
Item lectiones a regentibus sibi commissas ab horae prineipio
ad finem usque persequantur, a privatis autem lectionibus, quae
in gymnasii detrimentum pergere possent, abstineänt nee. sein»
lasticos lectionibus publicis abducant, immo publicas [nivalis pro-
ferant.
Item nullam speciem ludi in gymnasio exerceant et scholasti-
cos lusores indicabunt regentibus, nee extra gymnasium praesen-
tibus studiosis ludant, sub arbitraria magistrorum regentium poena.
Praeterea a rixandi studio alieni contentiones, iniurias modis
omnibus vitabunt, iniurias vero vel contumelias passi causam
atque negotium coram magistris regentibus prosequantur, quo loco
si negotium componi non potent, provocatio i'ial ad magnificum
dominum rectorem.
Quodsi alicui iuniorum magistrorum clavis ad ostium domus
seu gymnasii concessa sil, nulluni seholarem tempore aoeturno
secum vel ingredi vel egredi, immittere aut emittere sine regentium
consensu liceat. nee etiam ullam personam, quae non sil in con
sortio universitatis, aut alias impudieam intromittant, sub poena
qua supra; et si a regentibus lectione et gymnasio expellantur,
citra alieuius iniuriam recedere debebunt, claves, si quos habent,
magistris regentibus reddituri.
-'- superattehdentibus et
8«
1 1»; Fritz Herrmann.
Si quando cos consiliis aut conviviis magistrorum regentium,
ubi vel secreta universitatis vel propriae domus tractantur, Inter-
esse contingat aut quibuscunque aliis iustis certisque negotiis,
qüae magistri regentes clam esse velint, id nemini revelent.
Item nullus sollicitet aut alliciat ad se scholares privatos
alteriüs magistri, ut eos in suam disciplinam pertrahat, sub mulcta
quatuor florenorum in statutis universitatis explicatorum, nisi cog-
nitione rectoris legitimisque causis explicetur.23
Eorum quoque officii est, studiosos omnes et praesertim sub
ipsorum disciplina degentes ad latine loquendum sedulo cohor-
tari legitimeque compellere.
Nolumus item, eos oeconomo, sive is magister sit sive scho-
laris, aut eius familiae molestos et conlumeliosos fore, et talia
molientes prohibeant significentque regentibus. quod si quis de-
Eectus aut negligentia circa mensam aut vina contigerit, id non in
mensa coram compransoribus proelamabunt, sed secreto ad re-
gentes24 deferant.
Quicunque magistrorum vel regentium famulum suscepturus
est, imprimis eum regentibus sistere debet, quibus iuramentum
fidelitatis, pacis et obsequii praestet. quod si facere neglexerint,
quicquid damni famulus iste dederit, magister illius pensabit .
sint tales quoque famuli laboribus communitatis puta ferendis
lignis aut serendae domui curiaeve obnoxii idque iussu regentium
atque praepositi.
Si quis forte magistrorum meliorem nactus conditionem
gymnasio excedere suoque legendi officio se abdicare voluerit,
id non clam regentibus faciat, sed ante mensis spatium magistris
regentibus indicet et traditis clavibus tum cubiculi tum aestuarii
bona25 magistrorum regentium venia gymnasio emigret.
Paedagogiorum magistri, quorum officium est, pueris episto-
laria argumenta praescribere, diebus26 Saturni27 epistolas a singu-
lis, qui paedagogium frequentant, conscriptas accipiant et emen-
dent unumquemque etiam sui officii rationes deposcant.
Praescripta omnia et subsequens iuramentum iuniorum quis-
que magistrorum praestabit seque iurasse et recte observaturum
sua manu subscribendo contestabitur.
Juramentum magistros minores nondum principales regentes
concernens.
Ego magister N. iuro et promitto vobis28 magistris buius
nnasii primariis regentibus vestrisque ibidem successoribus
honorem et obedient.iam in rebus licitis et honestis quodque
commodum et utilitatum reipublicae literariae istarum aedium,
quoad potero, promovebo, pacem et concordiam cum regentibus
imprimis, deinde cum caeteris eiusdem collegii magistris atque
scholaribus eorundemque familia observabo aliisque eandem tur-
quae mulcta universitatis fisco applicabitur.
! ad superattendentes et regentes. — 2:- superattendentium et.
-'■ Lunae, Martis et. - 27 hora quarta vespertina.
dominis superattendentibus.
Die Mainzer Bursen und ihre Statuten. 117
bare quoquo modo tentantibus pro mea virili resistam; officio
meo circa lectiones, disputationes caeteraque tyrocinia scholastica
mihi commissa aut imposterum committenda nunquam defuturus
discipulos nostros doctiores ac ineliores reddere sedulo curabo,
statuta denique gymnasii privata tum decreta tum decernenda
bona fide observare totis conabor viribus, ita ine deus adiuvet etc.
Statuta ad oeconomum seu gymnasii dispensatorem
pertinentia.
Praecipuum oeconomi officium esto, ut rem domesticam et
culinariam provide utiliterque administret, tum optima fide cuncta
obsonia omnemque penum coetnat, prudenter dispenset suoque
tempore coram magistris regentibus de singulis rationem reddere
teneatur.
Oeconomo nulluni sua autoritate compransorem continuum
nisi primum consultis regentibus suseipere liceat, a suscepto
autem e vestigio pecuniam utensilium, puta sex albos, exigat.
Item quandocunque nomine supellectilis, quae utensilia vulgo
dicuntur, pecuniam receperit, videlicet a singulis compransoribus
sex albos, eam in nullos alios usus quam pro eoemendä supellec-
tile consultis primum super ea re magistris regentibus convertat.29
hinc culinae supellectilem ac mensarum linteamina, libram itidem
et pondera recte faciat, custodiat curetque diligenter, quarum
rerum duos habeant catalogos, magistri regentes uniun, alterum
praepositus. si quid vel effractum vel vetustate attritum fuerit,
praepositus expensis communitatis aut refici curabit aut iussu3u
regentium nova comparet.
Et ut mundam, illaesam beneque custoditam supellectilem
adservet, fores culinae clausas contineat, ne scholasliris aliisve
aditus pateat, per quos damnuin dari aut aliquid auferri possit.
Lignorum quoque et carbonum cura praepositi sit, quae in
tempore accepta in id a31 magistro collectore pecunia providere
atque coemere debebit; obsonando duplici mensae diligenter, uti
liter laudeque prospiciat, quarum una magist rorum et qui cum
eisdem lautius vivere volunt, altera vero frugaliter et portionana
pro tenuioribus instituatur. tiani ut duplex habeatür mensa,
non una subest ratio, tarnen ea potissimum, 1 1 T hi. qui a re
familiari laborant, si non lautiorem, tarnen fiugaliorem mensam
coemere sibi possint.32 carnes decentes ac pisces vivos obsonetur
oeconomus, a mortuis autem piscibus aül carne Eoetida mor
bidave oeconomus obsonando abstineat, cibum omnem bene diu
genterque coqui providebit.
Oeconomus vendcn<lo vina reipublicae literariae non sua«'
avaritiae studeal omnesque agitandorum symposiorum occasiones
-"' licanalia etiam, videlicet octo albos, ab unoquoque recens deposito
oeconomus exigat referatquo singnla in arrarium gymnasii.
3,1 superattendentiuno et. — :u superattendentibus el regentibus
32 si forte temporis successu superattendentibus atque [regentibus]
gymnasiis videatur magistrorum mensa gravamini fore, liberum erit, ean
dem quoque in portionariam mensam commutare.
118 Fritz Herrmann.
scholasticis vina vendendo praecipiat negue ad se in suum vel
aestuarium vel cubiculum compotandi causa alliciat.
Haud minimuni oeconomi munus est curare ac prospicere,
ut sarta tectaque in aedibus sint omnia, tegulas, calcem, arenam,
cementa caeteraque ad reficiendam domum cum consensu regen-
tium disponat, quae omnia a33 magistro collectore solvantur,
et cum magistro regente, cui adiunctus fuerit, hebdomadatim
structuram domus et cubicula diligenter inspiciat. quod si quid
ruinosum fractumve comperiatur, iussu regentium mox refici curet.
Sit quoque diligens observator, ne scholastici mensas, scamna,
fenestras caeteraque vel corrumpant vel frangant, et si quid
talium rerum ruptum fractumve fuerit, oeconomus quamprimum
refici curabit eius impendio, qui damnum dedit, aut, si omnino
incognitus sit, expensis communitatis.
Oeconomus pro suo salario habeat singulis septimanis non
minus tribus albis, quos 'duodecim commensales pendere possunt ;
quod si plures fuerint commensales, singuli dabunt duos denarios
idque in commodum cedat praepositi. mensam praeterea gra-
tuitam habeat, is quoque34 solus vina vendat iusto pretio. quod
si scholaris sit et ad gradum aliquem aspiret, lectiones, repara-
tiones et cathedralia, habitationem, cellam quoque vinariam gratis
habeat. olim praepositus cum famulo communitatis coci partes
agebant; id quia nunc obsolevit et receptum est, ut mulieres
culinariae provectae aetatis conducantur, ideo famula culinae35
pro annuo salario ad summum a regentibus äccipiat sex florenos
monetae; quod si qua minoris conduci potest, id in rempublicam
gymnasii cedet. oeconomus, cui soli admittitur vini vendendi
facultas, teneatur mulieri culinariae quotidie dare de suo vino
dimidiam vini mensuram.
Juramentum oeconomi seil praepositi.
Ego N. in oecononum ac fidelem huius gymnasii dispen-
satorem suscipiendus iuro ac promitto vobis magistris regen-
tibus honorem et reverentiam, pacem et concordiam cum uni-
versis servandam. porro in dati et expensi rationibus aliisque
harum aedium et communitatis negotiis optima fide agam omnia,
culinae supellectilem caeteraque mihi commissa accurate custo-
diarn, rationem quoque de singulis redditurus. et quaecunque
mensam communem concernunt, laute ac munditer instrui curabo,
domus huius structuram cum magistro regente in id deputato
inspiciam, pecuniam, quae ad utensilia datun36, a singulis deben-
tibus exigam, de eius fide rationem suo tempore redditurus,
statuta ac statuenda praeposituram concernentia rationi consen-
tanea de damno cavendo bonoque promovendo pro ingenii mei
viribus exaclissime observabo. sie me deus adiuvet etc.
33 superattendentibus et regentibus.
* ad arbitrium ac iustam aostimationem superattendentium.
35 et famulus communitatis a praeposito deligantur, suseipiatur autem
a dominis superattendentibus [et] regentibus famula. pro annuo salario
ad summum a regentibus äccipiat sex florenos monetae.
3fi beanalia item.
E^ie Mainzer Bursen und ihre Statuten. 119
Statuta, quae ad famulum communitatis attinent.
Famulus communitatis a praeposito deligatur et a collegio
regentium suscipiatur, qui, simulatque assumptus fuerit, sub-
sequens iuramentum coram magistris regentibus praestet. idem
cum famula in culina gratis victitet, habitationem(l), lectiones
et si baccalaureatus aut magisterii gradus ambiet, reparationes
et cathedralia ei gratis permittantur. a singulis beäniarh de-
ponentibus accipiet unum album, cuius dimidia pars cedel mulieri
culinariae.
Juramentum famitli communitatis.
Ego N. assumendus in famulum iuro vobis37 magistris regen-
tibus honorem et reverentiam debitamque obedientiam circa omnes
res licitas atque honestas. iuro etiam, me omnibus harum aedium
magistris, scholaribus totique domui fidelem, utilem ac frugi fore.
eorum commodum tarn publicum quam privatum promovendo
incommodaque cavendo, quoad eius per me fieri potest. item
officio mihi iniuncto ex dominorum regentium et oeconomi prae-
scripto, quibus obedire tenebor, bona fide, ut famulum communi-
tatis decet, defungar. quod si oeconomus mihi vel minimis la-
boribus vel aliis negotii« forte molestus esse ceperit, id non
privata cum eo controversia, sed coram38 magistris regentibus
in hebdomadario calculo congregatis finiam. rem praeterea gym-
nasii fideliter procuraturus fidelem me cum in omnibus tum vero
in re pecuniaria, pane, carne, vino caeterisque praestabo nee
quiequam praedietarum rerum alicui magistrorum ;iut scholarium
nisi oeconomi consensu depromam.
At si conviviis magistrorum eorum ve conventibus aut ratio-
albus vel quibuseunque ipsorum negotiis interero, eorum secreta
dieta faetave nee verbis nee scripto aut alio quovis modo ulli
unquam manifestabo. omnes quoque detractiones, minas, iniurias
aut damna a gymnasii incolis privatim aut publice facta quam-
primum magistris regentibus aut saltem uni manifestabo. nulluni
etiam ludi genus in gynmasio aut extra committam et studiosos
nostros haec facientes apud magistros regentes deferam. domum
sive gymnasium praeclusum nulla arte aut modo quoeunque
tempore- sine unius aul pluiiuin regentium consensu aperiam
neque scholares id conantes aut per fenestras aliave loca ingredi
aut. egredi tentantes vel inhonestas personas introducere volentes
consilio vel opera mea iuvabo, immo quamprimum hoc aliquos
molientes reseivero, mox magistris regentibus significabo.
Domum absque praepositi venia non exibo adeoque prius
quam omne mihi ex officio praescriptum pensum absolvero, nee
unquam sine eiusdem aut alieuius regentis scitu extra gymnasium
pernoetabo. item si quando magistris regentibus yisum fuerit,
ita ut famulandi officio amovendus sim, citra alieuius iniuriam,
infamiam aut contumeliam sii <nleste reeessurus. postremo
37 dominis superattendentibus et.
38 dominis superattendentibus et.
1 20 Fritz Herrmann.
uni versa decreta et decernenda sive scripta sive non scripta
a magistri regentibus mihi iniuncta citra omnem fraudem ob-
servabo atque perficiam neque meo officio nie abdicabo, nisi
oeconomum aut magistros regentes prius ad totum mensis spatium
de hoc certiores reddidero, si non urgens necessitas me excuset.
sie me deus adiuvet etc.
Praedicta omnia me bona fide iurasse ego N. manus meae
chirographo protestor.
De famulis magistrorum regentium et legentium.
In famulum magistri alieuius assumendus praesto exhibeatur
regentibus, quem Uli sui officii praemoneant et subsequens iura-
mentum iurandum offerant. hi famuli39 quemadmodum et doc-
torum et nostratium magistrorum omnium lectiones et repara-
I H »lies gratis audiant, habitationes quoque sicut communitatis iti-
colae habeant.
Sequitur eorundem iusiurandum.
Ego N. in famulum magistri N. assumendus iuro vobis ma-
gistris regentibus, me non solum magistro meo N., sed et istarum
aedium communitati fidum, morigerum, paeificum ac honeste
officiosum fore, incommoda gymnasii, quoad eius per me fieri
potest, cavebo, lusores et scortatores et eos, qui magistris re-
gentibus vel legentibus obloquendo detreetant, aliave illicita per-
petrantes magistro meo vel uni e regentibus candide indicabo.
postremo, si quanclo opera mea commodove potero, usibus gym-
nasii famulo communitatis iussu praepositi aut regentis non sum
defuturus omniaque agam, quae fidelem ac studiosum famulum
decent. ita me cleus adiuvet etc.
Statuta scholaribus gymnasioram inquilinis et compran-
soribus communia.
[mprimis praeposito adventum suüm indicent, qui non sine
regentium consensu suseipiantur, quorum quisque pro utensi-
libus sex albos numeret.
Convivas illiberale hominum genus et circumforaneum nemo
compransofem adducat.
Discessuei ad tempus a mensa, nisi praeposito dixerinl.
totius septimanae pretium solvant professoribus artium aut ali-
arum facultatum; nisi continue operäm dent, a mensa exeludantur.
Maiores minoribus nulluni offendiculum praebeant, sed sua
et cum sui similibus agant.
Morum quoque barbariem nullam introducant nee ullam statu-
tis tarn publicis quam privatis fraudem l'acere conentur.
Prandentes et coenantes sint placidi, mödesti et quieti neque
fernere de esculentis appositis indicent, sed si quid aeeiderit,
quod censura dignum videatur, praeeeptores suos certiores faci-
ant, sub poena a regentibus eis intli^emla, si aliter fecerint.
38 habitationem, reparationes, cathedralia gratis habebunt.
Die Mainzer Bursen und ihre Statuten. lu21
Praescripta statuta ab imo magistro regentium in praesentia
praepositi futuro compransori praeletjentur, cut mox subsequens
promissio a regente deferatur.
Superiora inhabitantes coenacula et cubicula ea potissimum.
quae vias40, quo vulgo iter fit, prospectant, si quid vel deiecerini vel
effuderint, quo praetereuntes ledantur. arbitrio regentium pro ad-
missi criminis ratione mulctantur, salvo tarnen iure partis laesae.
Gymnasiorum inquilini sine eorisensu sui praeceptoris aut
magisti'oruni regentium foris nunquam pernoctent, sub poena sex
alborum structurae domus applicandorum, salva uniuscuiusque
excusatione legitima, quam medio iuramento docebit.
Decrevit item facultas41, ne quis studentium aut inhabitan-
tium gymnasia alliciat ad se extraneos, plebeios aliosve a Musarum
consortio alienos introducendo eos ad cubiculum suum neve in
eo tales contineat, nisi quare hoc faciat, sui magistri consensu ac
venia sese purgare poterit. talem vero vel tales ultra octiduum in
gynmasio secum retinere non liceat, nisi iusta legitimaque causa
factum excuset. et iste, qui talem aliquem secum foverit, obli-
gatus esto pro impendiis, danmis et eo, quod interest regen-
tibus, oeconomo caeterisque gymnasii inquilinis, sub poena dimi-
dii aurei gynmasio ad structuram domus praestandi. sed si hoc
modo introductus consanguineus sit alicuius in proximiori gradu
idque certis documentis constet, tum quidem mitius agendum est.
tarnen pro iudicio magistrorum regentium.
Inhabitantibus non liceat mutare cubicula vel suscipere so-
dalem aut pellere sine permissu magistri hebdomadarii, sub poena
dimidii floreni, salvo damno magistrorum regentium.*2
Promissio scholarium inhabitantium et commensalium.
Ego N., gymnasii huius inquilinus atque compransor, con-
ceptis verbis promitto vobis dominis regentibus, vestris institutioni-
bus, disciplinis atque statutis domesticis me probe raorigerum
fore, ea diligenter observaturus nullamque eis facturus fraudem
nee contra aliquem insurgere aut conspirare tentabo. faclionrs.
damna tarn publica quam privata nemini inferens, inferre volentes
pro mea virili vetabo ac magistris regentibus aut saltein uni indi-
cabo. praeterea commodum et utililalem huius gymnasii, quoad
potero, promovere conabor, in omnibus tum licilis tum honestis
vobis obediam. quod si ulla de causa, quae maa,istros moveat, a
mensa et inhabitatione discedere iussus fucro, id sine cuiusquam
iniuiia, damno, infamia aut offendiculo faciam idque manuali pro
missione firmum esse volo.
Statuta scholasticos omnes, sive intra sive extra gymnasium
habitent, ex aequo concernentia.
Universitatis edicto cautum est, ne quis studiosorum ad publi-
cas vel privatas lectiones admittatur, nisi prius deposito pro
40 rui yulgus intersit. — 41 universitas.
4- tnhabitans cubiculum gymnasii singulis anni iloa inde de
pendat aureos.
122 Fritz Herrrryum.
more beanio nomen magnifico rectori universitatis matriculae
inscribendum dederit solveritque magistris regentibus pro sui re-
ceptione in consortium studiosorum eius collegii, in quo militare
vult, beanalia, quae sunt octo albi.
Cavit. item universitas, ne studiosi, qui novitiis beanium de-
ponentibus festes praesto adsunt, eos iniuriis aut contumeliis
afficiant neque manus adferant, immo boc, quidquid est negotii, per
mittatur depositori ; nam in hac tabula eos potius spectatores
quam actores mavult universitas, quibus praeter verborum iocos
nihil permittatur, sub poena dimidii floreni.
Extra gymnasium sine rectoris consensu, cognitione et sigillo
non habitent nisi indigenae et doctorum ac magistrorum nostra-
tium famuli, qui hac lege soluti sunt.
Praeceptores suos cum pfivatos tum publicos revereantur.
quos debito honore prosequantur neque eis refragari aut resistere
debent, immo vero in rebus licitis et honestis per omnia obedire,
praesertim quantum ad disciplinam scholasticam attinet, sub poena
vel mulcta pro admissi qualitate a magistris regentibus infligenda.
Quicunque ad gradum baccalaureatus vel magisterii aspirare
contendit, praeter publicos praeceptores privatum aliqueni sui
gymnasii sibi deligat tradatque se in eius disciplinam. qui si
adhuc institutione grammatica eget, det praeceptori suo quatuor
florenos annuos, pro qua pecunia teneatur sibi magister privatus
indies repetere duas horas. sin mediocriter doctus, ut illa puerili
institutione ei iam non sit opus, dabit duos florenos annuos et
audiat a praeceptore indies unam horam, sub qua leget bonum
aliquem et classicum scriptorem. quodsi profectioris eruditionis
fuerit ac caeteris lectionibus occupatus, pro privata disciplina
integro anno pendet dimidium aurei, ut saltem eum magister
privatus pro discipulo agnoscat. cum pauperibus mitius agatur.
Publicas tum ordinarias tum formales lectiones, disputationes
item domesticas et publicas visitent diligenter aliis privatim et
publice semper opponendo. lectionibus et disputationibus a prin-
cipio ad finem usque interesse et modeste attenteque auscultare
debebunt; qui secus fecerit, non censebitur ei disputationi vel
lectioni interfuisse eiusque completionibus derogabitur. cessa-
tores et studia sua non continuantes posthac pro studentibus non
reputentur neque etiam ]»rivilegiis et libertatibus universitatis
nostrae gaudebunt. ab unoquoque opponente, respondente et lumi-
nante absentibus, quia tales aliis incommodant impediuntque nego-
tium literarium, exigatur unus albus magistrorum praesentiis in-
ferendus, pro qua mulcta regentes illa hora candelas pro absen-
tibus sufficiant. latine passim et ubique loquentur.
Anto primam lauream magistris et baccalaureis praesidentibus
quater pro sc quisque respondeat. tractandis epistolaribus argu-
mentis vel declamationibus stilum singulis septimanis exerceant.43
48 Statuimus insuper, quod quisque scholarium singulis semestribus
dimidium aurei conferai pro gymnasiorum conservatione atque structura.
Lectiones vero tarn ordinarias quam formales et paedagogiorum im-
posterum audiantur gratis.
Die- Mainzer Bursen und ihre Statuten. 123
De honestate vitae, moribus ac habitu discipulorum.
Iuventus nostra pietatem imprimis colal ihm- w-mere iuret nee
diris quemquam devoveat. sed et dominicis quibusque una cum
aliis festis diebus discipuli praeceptores subsecuti parochialem
suain ecclesiam petant, divinae rei officio peragendo diligenter
interfuturi, sacram qüoque concionem attente per silentium aus-
cultaturi revereiiter adeanl, similiter vespertims precibus praedic-
korum dierum intersint. quicimque vero secus fecerint, quatuor
nuiiimorum mulctantor.
Dominos magnificum rectorem, doctores, licentiatos, magistros
aliosque viros, canonicos potissimum ac sacerdotes honestasque
iuxta matronas honorifice reverenterque aperto capite venerentur.
A flagitiosorum hominum convictu, alea, ebrietate, laicorum
choreis, publicis tabernis, inhonestis suspectisque domibus, aliis
quoque id genus peccatis ac locis in totum abstineant. si quis vero
ha nun legum praescriptum transsilierit, poenam dimidiati floreni
ab universitate in hoc praescriptam experietur.
Eadem mulcta statuta est nocturnis erronibus, et praesertim,
qui post horara nonam in plateis deprehenduntur. item si quis
(lonium, hortum, vineam aliave loca cuiuscunque sine domini
consensu et voluntate ingressus fuerit, is solvet universitati inte-
grum florenum.
Si quis studiosorum fores gymnasii praeclusas illicito modo
aperuerit aut etiam egredi vel ingredi moliatur, is pendat Univer-
sität! ternos aureos.
Habitu ac vestitu honesto scliolastici nostri utantur nee in
humeros indecore reieeta lacinia incedant; nemo quoque pallia
gestet neque ex tunica palliam faciat. omni denique vestitu, qui
studiosos in publico dedecet, modis omnibus abstinere volumus,
suh poena regen tium arbitraria. quod si punitus non desistat,
magnifico rectori puniendus sisti debet, qui in talem pro suo ani-
madvertet arbitrio.
Culinam niillus ingrediatur temere, sub poena quatuor num-
morum ; iteranti eulpara augebitur mulcta.
Nullus utensilia, fenestras, fores, teeta, parietes, breviter quic-
quid ad huius domus usum attinet, vel effringere vel corumpere
audeat neve loca passim excernendo vel meiendo iaquinato, sub
poena pro modo delicti a magistris infligenda.
Vestibulum atque fores gymnasii non statio, non ambulacrum,
sed transitus sit praetereuntibus. vel vicinis vel contubernalibus
quavis ralione, ne sint molesti, caveant, suh arbitraria regentium
poena.
Id quoque cautum est, ne quis discipulorum nostrorum pro
foribus aut in area sive atrio domus tumultum aul indecoram ali
quam voeiferationem committal neve iisdem in locis absque tunica
conspiciatur, sub poena magistrorum regentium arbitraria.
Nemo alteri vel re vel verbis iniuriam aut Qegotium Eacessal
nee armis instruetus sit quisquam, sed si qua habet, iam inde a
prineipio simulatque discipulus esse coeperit praeeeptori suo pri-
vato aut regentibus tradat, sub poena amissionis eorundem. bre-
s
124
Fritz Herrmann.
vitei' nemo studiosorum arraa deferat sub poena in statutibus
universitatis expressa.
AI ins in alium ne ioco quidem pugiunculuin aut cultrum dis-
tringito. nemo sui vindictam ab alio sumat, sed regentes aut pri-
vati praeoeptores iudices esse debent.
Ludere nee ubique nee semper, sed diebus Jovis liberum sit;
ludendi locus area posterior, modus überaus ac recreandi animi
causa, non in peeunia esto.
De baccalaureis.
Baccalaurei in supplicationibus. püblicis actibus, mensis, audi-
toriis primum locum inter diseipulos oecupent.
Iidem ante magisterium magistris publice praesidentibus
sexies respondeant.
Diebus item dominicis publice hora prima quater praesideant,
propositis in id grammaticis, dialecticis physicisque thematibus.
Domesticis quoque disputationibus frequenter inteiesse vo-
lunius et respondendo et opponendo sese exerceant.
Praeterea viginti magistrorum disputationibus püblicis a ca-
pite ad calcem usque interfuisse ad magisterium adspiraturi debent.
Statutorum domesticorum finis.
IV.
Die Wiederbesetzung erledigter Professuren.
Ein Beitrag zur Mainzer Universitätsgeschichte des
ausgehenden 16. sowie des 17. Jahrhunderts.
Von Heinrich Schrohe.
• Drei Jahrhunderte führte die Mainzer Universität ein
höchst bescheidenes Dasein und reichte in ihrem Einfluß nicht
über die engen Grenzen des Kurstaates. Erst im dritten Jahr-
zehnt vor ihrem Untergange erregte sie in weiteren Kreisen
Interesse. Es war dies zunächst im Jahre 1781. als der Kur-
fürst Friedrich Karl von Erthal drei reiche Mainzer Klöster zu
Gunsten der Universität, aufhob; er wollte auf diese Weise
die stets unzulänglichen Mittel seiner Hochschule vermehren.
Dieser Maßnahme, die bei den einen lebhafte Zustimmung, bei
den anderen große Entrüstung hervorrief, folgte 1784 das
pomphafte Universitätsfest. Letzteres ist bereits in das Be-
reich der Darstellung gezogen worden1; dagegen ist die
ältere Universitätsgeschichte noch ziemlich unerforscht; die
Dürftigkeit des weithin zerstreuten Stoffes mag hieran schuld
sein. "Die Aktenstücke, die hier zum erstenmal mitgeteilt
werden-', klären die Zustände an der Mainzer (Jniversitäl
1 Vergl. Bockenheimer, die Restauration der Mainzer Hochschule im
Jahre 1784. Mainz 1884.
- Die Urkunden entstammen fünf Aktenfaszikeln der Generalreze
des Mainzer Universitätsfonds. Nur diese Reste des ehemaligen Mainzer
I niversitätsarchivs befinden sich heule noch an genannter Stelle.
Generalrezeptor, Herr Finanzamtmann Hofmann, dem auch an dieser *
für sein- freundliches Entgegenkommen ^edaukl sei, hat sie nur zur
Benutzung gütigst überlassen. Ihrem Inhalte nach lassen sich liese Vkten
stücke im wesentlichen in folgende drei Gruppen gliedern: L Utenstücke,
di.« siel, iiuf die Klosterauihcbun-en im .liihre L781 beziehen. Sie sind von
mir bereits zu einer Darstellung verarbeitet, die voraussichtlich in diesem
Jahre erscheinen wird. 2. Aktenstücke, welche einzelne finanzielle \er
126 Heinrich Schrohe.
wenigstens nach einer Seite und für eine Zeit; sie zeigen
nämlich vor allem, wie im 17. Jahrhundert die erledigten
Professuren besetzt wurden; daneben geben sie wertvollen
Aufschluß über die Verhältnisse, aus denen damals die
.Mainzer Universitätsprofessoren hervorgingen.
Wie an anderen Hochschulen, so wirkten auch an der
Mainzer die Professoren mit, wenn es sich um die Neube-
setzimg erledigter Lehrstühle handelte. Doch war ihr Anteil
an dieser Erneuerung des Lehrkörpers nicht in allen Fällen
der gleiche. Wie es scheint, hing die Neubesetzung einzelner
Professuren sanz von der Universität ab. Dahin gehörte die
einstmals von Jvo Wittig gestiftete Professur der Geschichte.
Rektor und Universität verliehen3 diese nach dem Tode
Dr. Bürgers am 16. September 1617 dem Magister Gerhard
Holtmann, nach dessen Hinscheiden am 28. November 1618
dem Dr. phil. et med. Stephanus Dominicus Brunheimer.
Deshalb bittet4 auch Dr. iur. utr. Karl Faber am 16. Sep-
tember 1637 Rektor und Universität, man möge ihm die Profes-
sur der Geschichte übertragen, die durch den Tod Dr. Kaspar
Beußers erledigt sei. Auch einzelne Lehrstühle der Theologie
wurden wohl durch die Universität neu besetzt. Vor 1559
richtet5 der Mainzer Ouintinspfarrer Liz. Christian Hipparius
an Rektor und Universität das Ersuchen, sie möchten nichi
eher inbetreff der Präbende an der Liebfrauenkirche, mit der
eine Lehrstelle an der theologischen Fakultät verbunden war,
entscheiden, als bis sich der Kurfürst über sein (des
hältnisse der Mainzer Universität und der ihr einverleibten Kanonikate be-
trefi'en. Mit ihrer Bearbeitung bin ich zurzeit beschäftigt. 3. Aktenstücke.
welche die Besetzung erledigter Professuren und Korrespondenzen zwischen
Kurfürsten und der Universität zum Gegenstände haben; sie werden sämt-
lich in dem vorliegenden Aufsatze veröffentlicht. Diese letztgenannten
Urkunden waren wohl schon in kurfürstlicher Zeit zu einer Gruppe ver-
einigt; denn es findet sich bei ihnen ein Blatt mit folgender Aufschrift:
„Die Professuras Singularum facultatum domus Schenkenbergicae betref-
fende Sachen, besonders Churfürst. praesentationes ad Professuras et bis an-
nexos Cannonicatus Universitatis Moguntiae ad 1533. II. S. 3". Auf der
Rückseite des Blattes wird vermerkt: ,,Pro notta in dießem fasciculo be-
finden sich Suppliquen pro obtinendis professuris ad Archiepiscopos et
Electores Moguntinos und von dießen Universitati überschickte praesenta-
liniies Professorum und Andere schreiben, welche alle Secundum ordinem
Chronologicum gelegt seynd, und dienen dieße Documenta ad Supplendarri
m Professorum Mogunt. und geben ein und andere Historische Nach-
richt von der älteren Verfaßung allhiesiger Universität". Jedenfalls lagen
in diesem Umschlag Erüher mehr Aktenstücke als heute; denn es findet
sich ein Blätteben vor mit der Aufschrift: Concept Doct. Johan Friderich
Travellmans Praesentation an D. Georg Bruels verledigten Lectur stanndt
1Ö7-J. Der sfi beschriebene Knhvurf fehl! heute bei den Akten.
8 S. unten Brief No. XX. - - * S. unten Brief No. XXIV.
5 S. unten Briet No. I.
Die Wiederbesetzune erledigter Professuren,
127
Hipparius) Schreiben geäußert habe. Selbst als 1639 der
Kurfürst Anselm Kasimir einen so hervorragenden und gut
empfohlenen Gelehrten wie Dr. theol. Johann Jakob Völeker
mit einem Kanonikat an Liebfrau und der entsprechenden Pro-
fessur begabt wissen wollte, konnte er nichts anderes tun,
als ihn der Universität angelegentlich empfehlen.6 „Also
haben Wir" — so schreibt Anselm Kasimir an die Universität
„nachgestalt dießes subiecti, welches in Theologica Fa-
Mainz um 1650
cultate ad Professuram habile ei qualincatum, nit anderlaßen
wollen, Euch solches hiemil bestermaßen reoommendiren,
Euch dabeneben genedtigsl ersuchenl, efmelten Volckher auß
denen oberzehlten Ursachen damit (d. h. mit dem Ranonikate)
ZU providiren . . ." Auch dann, wenn es dringend geboten war,
einen Lehrstuhl neu zu besetzen, durfte der Kurfursl in die
Befugnisse der Universitäl nicht eingreifen. Im Jahre L596
starb der Professor der Medizin Dr. Dietrich Lac. Da um di
Zeit in Mainz eine Seuche herrschte, und die Zahl der Arzte
gering war, so lag eine rasche Erledigung der Vakanz in aller
G S. unten Brief No. XXV.
128 Heinrich Sehrohe.
Interesse. Auch das Domkapitel hatte an die Dringlich-
keit der Angelegenheit gemahnt. Trotzdem beschränkte7 sich
Kurfürst Wolfgang darauf, zu schleunigem Verfahren aufzu-
fordern. Waren durch irgend einen Anlaß die Rechte, die der
Universität bei einer Neubesetzung zustanden, geschmälert
worden, so schreckte sie nicht davor zurück, auf ihre Befug-
nisse selbst einen Kurfürsten hinzuweisen. So erklärte8 die
Universität am 18. Dezember 1620, der Hofsekretarius Gabriel
Dopperich halte sich die Geschichtsprofessur, die gar nicht
erledigt gewesen sei, angemaßt; ein Schreiben, das Kur-
fürst Johann Schweickhardt an seinen Siegier richtete, und
in dem die Kollatur enthalten war, habe Dopperich hierzu
veranlaßt. Sie sandten ferner dem Kurfürsten einen Extrakt
aus den Statuten, wonach die Vergebung der Geschichts-
professur zu allen Zeiten Sache der Universität war. ..Also
verhoffen wir unterthenigst", so schlössen sie ihre Eingabe,
„Euer Churfürstliche Gnaden • (werden) unnß,, wie bißhero,
also fürohin bey solchem herbrachten Jure conferendi ver-
pleiben, die Statuta in väterlichen Gnaden handthaben usw.
lassen".
Natürlich war auch dann, wenn die Universität eine
Professur neu zu besetzen hatte, die Mitwirkung des Kur-
fürsten nicht völlig ausgeschlossen. Der Geschäftsgang war
vielmehr folgender: In dem Concilium congregatum einigte9
sich die Universität auf eine geeignete Persönlichkeit, die ihr
entweder schon aus eigner Beobachtung bekannt war, oder
die sich bei ihr um den erledigten Posten bewarb. Dieselbe
präsentierte und nominierte sie in besonderer Urkunde dem
Kurfürsten. Dieser ließ10 nun der vorgeschlagenen Per-
sönlichkeit eine Präsentationsurkunde ausfertigen, die ihr
durch die Universität ausgehändigt wurde.
Wie viele Professuren in dieser Weise der Universität
zustand* n. konnte nicht ermittelt werden. Wenn die Tat-
sache, daß die meisten hier veröffentlichten Gesuche um
Professuren unmittelbar an die Kurfürsten gingen, einen
Rückschluß gestattet, so besetzen letztere die Mehrzahl der
Leinst üble aus eigner Machtvollkommenheit. Wie es insbe-
sondere l.ei der Artistenfakultät gehalten wurde, läßt das
vorliegende Material völlig unentschieden; denn es ist in ihm
auch nicht ein Gesuch enthalten, das eine Professur in ge-
mimter Fakultät /uin Gegenstande hat.
Doch nicht nur bei Neubesetzungen machten die Kur-
7 S. unten Briet No. VII. — 8 s. unten Brief No. XX.
:' S. unten Briei Xu. Y. — ™ S. unten Brief No. VI.
Die *Wiederbesetzung erledigter Professuren. l-_">
fürsten ihren Einfluß geltend. Sie griffen auch dann ein,
wenn ihnen irgendwelche Verhältnisse mißfielen oder wenn
sie als höchste Instanz zur Entscheidung angerufen wurden;
das heißt, sie beaufsichtigten die Universität und sprachen
in besonderen Angelegenheiten der Universität Recht.
Zwischen 1561 und 1582 tadelte11 der Kurfürst Daniel die
Unregelmäßigkeiten, die sich bei Abhaltung der Vorlesungen
eingeschlichen hatten, und forderte darüber Bericht ein..
Streitigkeiten, die zwischen den Doktoren der Medizin Justus
Hartlieb und Johann .Martin Hohenstatt ausbrachen, be-
wogen11' den Kurfürsten Ansehn Kasimir, den derzeitigen
Rektor der Universität mit einem Ausgleich zu betrauen.
Umgekehrt wurde die Universität bei dem Kurfürsten vor-
stellig13, als sich Stephanus Dominicus Brunheimer durch den
Hof sekretär Dopperich in seiner Geschichtsprofessur beein-
trächtigt sah. Mit diesem Aufsichtsrecht der Kurfürsten
hing es zusammen, daß alle Änderungs- und Verbesserungs-
vorschläge ihnen unterbreitet werden mußten. Deshalb
wandten14 sich die Mitglieder der medizinischen Fakultät, als
sie 1661 das Studium in dieser verbessern wollten, mit
ihrem Vorhallen an den Kurfürsten.
Die zweite Richtung, nach der die unten folgenden Ur-
kunden Aufschluß geben, betrifft die Persönlichkeil einzelner
Bewerber. Freilich sind unter letzteren Mediziner und
Artisten nicht vertreten. Von den beiden Theologen, die nach
Professuren streben, kommt Hipparius nicht in Betracht; aus
seinem Schreiben15 nämlich können wir über Bildungssang
und Charakter dieses Mannes kein Urteil gewinnen. Dagegen
tritt uns in Dr. theol. Johann Jakob Völcker ein Gelehrter
entgegen, der auch wohl heute noch den Anforderungen einer
katholisch-theologischen Fakultät entspräche. Er hatte16
nach siebenjährigem Studium im Collegium Germanicum in
Rom mit höchstem Lob und Preis den Magister <\<-v Philo-
sophie erworben, sodann in Perugia den Dr. der Theologie
errungen; außerdem besaß er Empfehlungen verschiedener
Kardinäle.
Im Gegensatz zu Völcker, der an fremden Universitäten
den Grund zu seinem Wissen gelegt halte, stehen die zahl-
reichen Juristen, von denen die folgenden Aktenstücke
handeln. Sie strebten meist aus praktischen Berufen heraus
nach dieser oder jener juristischen Professur. Dr. Kuehom17
11 S. unten Brief No. II. — 12 S. unten Brief No XXVI.
13 S. ernten Brief No. XX. — " S. unten Brief No. XXVIII.
15 S. unten Brief No. I. — « S. unten Brief No. XXA
17 S. unten Brief No. IV.
Beitrüge z. Gesch. d. Universitäten Mainz u. Gießen. 9
j:!U Heinrich Schrohe.
war kurfürstlicher Siegler und Professor des kanonischen
Rechtes. Professor Dr. Üffenhals versah18 die Stelle eines
Assessors bei dem kurfürstlichen Hofgericht. Dr. Kaspar
Beußer, der sich 1611 um die Professur der Institutionen
bewarb, war19 kurfürstlicher Rat und Hofgerichtsassessor;
diese Professur war erledigt worden durch den Tod Lic.
Konrad Kennickens, der zugleich das Amt eines weltlichen
Richters versah.20 Licentiat Franz Philipp Faust vereinigte21
das Kanzleramt und die Professur des Zivilrechtes in seiner
Person. Bei den Bewerbern um juristische Professuren, die
aus praktischen Berufen hervorgingen, ist es natürlich, daß sie
auf ihre seitherige treue Pflichterfüllung als Empfehlung hin-
weisen. Ein Beispiel mag in dieser Beziehung ausreichen !
Licentiat Franz Philipp Faust rühmt dem Kurfürsten Johann
Schweickhardt seinen Schwiegersohn Dr. Kaspar Beußer mit
folgenden Worten22: „Wiewol ich nhun sein, meines dochter-
mans, qualitet neher nicht anzihen soll, wil oder kan, als
E. Churf. Gnaden dieselbige vileicht von andern, sonderlich
dem Hern Vicario in Spiritualibus, auch dero hern Vitzdhomb
und Hoffrichtern zu Meintz bißhero vernhomen hab oder noch
vernhemen kan . . ." Andere wiesen auf ihr gutes Examen,
auf die erfolgte Doktorpromotion und auf einzelne erfolg-
reich abgehaltene Übungen hin. Dr. Dionysius Campius tat23
sich nach dem Gutachten des kurfürstlichen Kanzlers und
anderer in publice docendo et disputandö rühmlich hervor.
Johann Karl Fichart ist24 ein ,, gelehrter man in den rechten,
welches nit allein die Professores ordinarij fürnemblich E.
Churf. Gnaden (Wolfgangs) Cantzler Doctor Philips alliier
in examine habito von ime erfahren, sondern auch doctis
commentarijs suis, so er beschrieben, etwan öffentlich be-
zeugen würdt". Dr. Muntzethaler sagt20: Ich habe mich
„ein Zeitlang hero nach angenommenem Gradu doctoratus
und gehaltener alhie gewöhnlicher repetition nicht allein
bei Churf. Gnaden (Johann Schweickhardts) wohlverord-
netem loblichen Hoffgericht advocando, sonder auch der
loblichen Universitet gewöhnlichen üblichen Proceß (ohne
gesagtem rhuin) dermaßen kündigt und erfahren gemacht,
daß" usw. Am meisten entspricht unseren Anschauungen
die Ar!, wie sich Johann Adam Krebs für die Pro-
18 S. unten Brief No. VIII. — " S. unten Brief No. IX.
- unten Brief No. XI.
: unten Brief No. KV, \YI. XVII u. XVIII.
- S. unten Brief No. IX. - 23 s. unten Brief No. XI u. XU
' S. im, len Brief No. III. — 25 s. unten Brief No. XVII.
Die*-Wiederbesetzung erledigter Professuren. 131
*D
fessur empfiehlt26; er erklärt dem Kurfürsten Atiselm Kasi-
mir: „Wan ich dan. gnädigster Churfursl undt herr, nach
vollenden vieljährigen Juridischen Studijs andl ange-
nohmenem gradu Doctoratus Zeit wehrendes unseres exilij
mit consens Juridicae facultatis dieser orths ein collegium
privatum ein Zeitlang gehalten" usw. Krebs hatte also schon
vor der Bewerbung eine Art akademischer Lehrtätigkeit aus-
geübt. Die meisten anderen Bewerber um Lehrstellen
konnten auf Ähnliches sicher nicht hinweisen, indem sie
eben lediglich praktische Juristen waren. Als solche hatten
sie zum Teil auch sehr merkwürdige Anschauungen über den
Wert und die Bedeutung einer Professur. Dr. Caspar Beußer
bittet27 den Kurfürsten Johann Schweiekhardt um die er-
ledigte Professur für Zivilrecht in folgender Weise : Es
mögen mich Euer Kurf. Gnaden, „ wofern keiner auß
dero Churf. Gnaden Hochansehenlichen Herrn Hoff- Käthen,
denen ich dißfalls gahr gehrn cediren will und zu cedireü
schuldig binn, dero mehrbesagter Lectur begeren solte, vor
anderen dämitt gnedigst providiren und gleichsam!) zur
Recompens meiner ahn obgedachtem E. Churf.
Gnaden Vicariats-Gericht bißanhero gehabter men-
niglich derorthes bekhandter mühe unndl arbeit be-
gnadigen wollen". Dr. Lubentius Pfingsthorn wünscht28
die Professur des verstorbenen Dr. Bleienstatt, ,,In sonderer
betrachtungh, daß ich mein übrige hoffnungh lebens (so ich in
studijs et praxi gesetzt hab) under Ew. Churf. Gnaden pro-
tection schütz und schirm woll zubringenn undt meiner biß-
hero in studijs gehabter mühen und angewandtenn fleiß
einigen nutzen spüren und befinden mögt".
So suchte sich mancher für seither geleistete Dienste
mit einer Professur zu entschädigen. Unter dieser Voraus-
setzung verstehen wir es auch, daß 'verdiente Staatsdiener
ihre nächsten Angehörigen dem Universitätskörper einzu-
verleiben suchten; sie wollten so gleichsam ihr Anrecht auf
Vergünstigungen im Staatsdienste anderen zuwenden. Es
bittet deshalb Dr. Christoph Faber-1 für seinen Schwager
Johann Karl Fichart, der weltliche Richter .Viani Ebers-
heim30 für seinen Sohn Dr. Gerhard Ebersheini, Lizential
Franz Philipp Faust31 für seinen Tochtermann Dr. Kaspar
Beußer, Lizentiat Anton Bayer32 für seinen Tochtermann
Dr. Dionysius Campius, um eine Professur. Andere Bewerber
,,: g
unten Brief No.
XXIII. — " S. unten Brief \n, \\ III.
28 g.
unten Brief No.
WH. _ 29 s. unten Brief Nfo. III u. IV
30 gj
unten Brief \"
\ III. _ si p. unten Brief No l\
32 g
unten Brief No
XI u. XIII.
<)*
132 Heinrich Schrohe.
iini Professuren machen geltend, daß ihre Verwandten die-
selhen vorher innehatten, oder daß sich letztere um den
Staat irgendwie verdient machten. So weist33 Dr. jur. utr.
Karl Faber auf die Verdienste hin, die sich seine Ver-
wandten um die Mainzer Universität erworben haben,
Dr. Franz Vogt wünscht34 die Professur, die durch den Tod
seines Schwagers erledigt wurde. Dr. Kaspar Beußer35 meldet
sich für die Professur seines Schwiegervaters.
Gewiß verraten solche Bewerbungen keinen besonderen
Blick für die Bedürfnisse der Universität, vielmehr eine sie-
wisse Selbstsucht. Aber die Aktenstücke versetzen uns ja
auch nur in die Verhältnisse eines bescheidenen Staates.
In diesem kommen Herrscher und Beamte öfter in Be-
rührung und darum auch in nähere Beziehungen. Auch
darauf ist zu achten, daß Bittgesuche, wie die vorliegenden,
persönlichen Wünschen entspringen; diese legt der Antrag-
steller häufig ganz offen dar, um auf Erfüllung seiner Bitten
rechnen zu dürfen. In solcher Intimität liegt der Reiz, den
derartige Aktenstücke gewähren, aber auch die Gefahr für
deren falsche Beurteilung.
Urkundliche Beilagen.
I.
Lizentiat Hipparius bittet Rektor und Universität in Sachen
derPräbende an der Liebfrauenkirche, mit der eine Theologie-
lektur verbunden ist, nicht eher zu entscheiden, als bis
sich der Kurfürst zu seinem erst abgesandten Bittgesuch
geäußert hat.
Vor 1559.1
Gen.-Rez. Mainz.
Salutem plurimam cum omnram obsequiorum meorum promp-
titudine, Magnifice domine Rector, praestantissimi excellentissimi
doctissimique Viri dni Doctores Licentiali atque Magistri.
Iini sul) (lepuscülum ex PedelloUnivcrsitatis inlellexi vestras
paternitates atque dominationes hodie ad horam 7. conventuros ad
35 S. unten Brief No. XXIV. — u S. unten Brief No. XV.
■'■■"• S. unten Brief No. XVI u. XVIII.
1 In den I 'red igten des Johannes Wild, die Hipparius 1559 heraus-
gab, isl bereits davon die Rede, daß er „schweren Chorgangs halben"
an weiterer literarischer Tätigkeil gehindert sei. Forschner, Geschäfte der
Pfarrei mm Pfarrkirche St. Quintin in .Mainz, S. 91 — 96. Falk, Bibel-
studien in Mainz, S. 203.
Di& Wiederbesetzung erledigter Professuren. 133
audiendum quaedam proponi nomine Reverendissimi quae Eor
tassis Stipendium Theologicum iam vacans concernere possint.
Quomodo vero ego maxima hactenus [nfirmitate ei Tabellionum
penuria diffidentiaqüe impeditus Memoratum iam Reverendissimum
Dominum Nostruni, Principem nieura Clementissimum, hodie lan-
dein hora sexta per proprias litteras ad proprias [psius Reve-
rendissimae Celsitudinis traditas in Causa praefati Stipendij nostra
persona et parte informavi, Idcirco Vestras paternitates aique
dominationes humiliter obnixeque observatas velim (Cum bis
meis preeibus et admonitione non opus sit, et ego de Vestra
Consultissima prudentia et diligenti aequitatis consideratione bona-
que erga me benevolentia et voluntate optime sperem atque
confidam) si illae quae proponuntur, saepe dictum Stipendium con
cernunt, non prius procedere velint, donec etiam prineipis sen-
tentiam ad meas litteras vel hodie vel propediem pereeperint.
Hisce paucis paternitatibus dominationibusque in suam defen-
sionem et paternam curam nie humiliter commendo offeroque
me cum omnibus meis (?). Scriptum ex lecto et summa infirmitäte
intra septimam et oetavam quod citius tremulis manibus scribere
nun potui.
Paternitatum Dominationumque Vestrarun, Obsequentissimus
Christianus Hipparius propria manu.
Quer gesehrieben von Hipparius: Praebenda Universitatis ad
gradus Mariae Mog.
Von anderer Hand: Supplicatio D. Licentiati Hipparii pro obtinendo
stipendio Theologico seu Canonicatu ad gradus I!. AI. V. cui professura
Theologica annexa erat.
II.
Dekan und Mitglieder der theologischen Fakultät (dem Je-
suitenorden anüehöris;) geben einer Aufforderung des Kur-
fürsten Daniel zufoge über die Gründe Aufschluß, die
Verzögerungen und Unterbrechungen der theologischen Vor-
lesungen verursachten.
(Zwischen 1561 — 1582; vielleicht 1564 oder 1571, beides Seuchejahre,
vergl. Schrohe, Kurmainz in den Pestjahren 1666/67, S. 1, Amn. 1
Gen.-Rez. Mainz.
Etsi non ignoramus, Reverendissime in Christo Praesul <•!
Olustrissime Princeps, paternam Vestrae Celsitudinis admoni-
tionem ad Academiam Moguntinam non ita pridem institutam,
nequaquam principaliter et omnino Facultatem nostram concernere
(singulis enini diebus binae a fratribus hostris Jesuitis habentur
lectiones, declamatur, disputatur, praedicatur, ui Eerme plures
lectiones fiant quam sunt auditoresj tarnen iii Vestrae Celsitudini
salistial nosque velul membra in omnibus obsequentia exhibeamus,
libuit paucis nostrae morae et intermissionis causas referre. Nam
primo nonnulli ex nobis fuerunl ad sedandos tumultus hinc a
Vestra Celsitudine delegati, tibi aliquamdiu sunt, haud sine vitae
suae periculo commorati, donec landein in statu res fuerinl meliori.
IntereapestishicMoguntiaecoepitgrassariel ita sevire, ul utrunque
Collegium, immo omnes Facultates ampliusAnno siluerinl penuria
134 Heinrich Schrohe.
auditorum coacti. Deinde, cum Vestrae Celsitüdinis munificentia
instauraretur Colleghim Algesheim, in quo hacteims Theologia
praelecta, non fuit urbis locus certus, ubi profiteremur, assignatus,
nee Dominus Lambertus ausus fuit nos sine Vestrae Celsitüdinis
eonsensu ad pristinum Auditorium reeipere. Rogavimus igitur
Keverendos Dominos Doctorem Lambertumla et Christianum, ut
ipsi interim vices nostras gererent et ordinarie praelegerent quod
et. summa fide, industria, cura ab illis, ut supra dixi, et factum
est, et adhuc fit in diem praesentem. Moneat Deus omnipotens
suo Spiritu corda hominum, ut tanta diligentia audiant et discant,
quanta Deo volente a nobis docebitur, certe nos omnes tales
praestabimus in hoc studio, ut Vestra Illustrissima Celsitudo
omnem humilitatem et obsequium agnoscat. Deus pater Domini
nostri Jesu Christi conservet Vestram Celsitudinem in gloriam
sui nominis et animae salutem atque adeo totius Ecclesiae aedifica-
tionem diu salvam et incolumen. Amen.
Rmae Cels. V. Decanus et Facultas Theologica Universitatis
Moguntinae. Universitatis Moguntinae.
Rückseite: Theologorum Excusatio an Churfürst Daniel ob intermis-
s;is Lediones.
III.
Dr. Christoph Faber bittet den Kurfürsten Wolfgang, die
Lektur in Jure Canonico, die durch den Tod des kurfürst-
lichen Sieglers Dr. Kuehorn2 erledigt sei, seinem Schwager
Johann Karl Fichart zu übertragen.
Aschaffenburg, den 16. Dezember 1586.
Mainz. Stadtbibl. Univers. No. 108.
Hoehwurdigster Churfürst. E. Churf. Gnaden sein mein
unterthenigste gehorsamme willigste dienst jeder Zeit zuvor.
Gnedigster Her. E. Churf. Gnaden soll ich in unterthenigkaitt
onberichtet nit laßen. Nachdem Doctor Kuehorn E. Churf.
Gnaden geweßener Siegeler am 16. dieses mit todt abgangen,
daß derwegen E. Churf. Gnaden eine Lectur in iure Canonico
alhier gnedigst zue conferiren haben.
Dieweill dan meiner haußfrawen prüder Johan Carlle
Fichartt, ein furnemer, geschickter und gelehrter man in den
rechten, welches nit allein die Professores ordinarij i'ürnemblich
E. Churf. Gnaden Cantzler Doctor Philips alhier in examine
habito von iine erfaren, sondern auch doctis commentarijs suis,
sii er beschrieben, etwan öffentlich bezeugen würdt.
Also ist. mein unterlhenigst pitten, wie dan auch er hiemit
selhsl unlerlhenigsl pitten thut, E. Churf. Gnaden wollen ime
solche Lectur ^neili^sl conferiren.
Dargegen ist er erpietig, mit fleißigem öffentlichem profitiren
in den rechten (wie er dan ondaß sich darzue gefast und ent-
schloßen gewest) sich dermaßen zu erzaigen, daß die Studiosi
'■' Vergl. über Lambert Aucr, den ersten Rektor der Mainzer Jesuiten,
Scliunk. Beitr. zur Mainz. Gesch., III, S. L63.
- Knodt, De Moguntia Litterata (.'"nun. u, s. 58.
Dia Wiederbesetzung erledigter Professuren. 135
inen gern hören, auch E. Churf. Gnaden und dein Facultas
Juridica darab sonder gnedigst und angenemes gefallens haben
werden.
Und obwoll er noch zur Zeitt gradum Licentiae nii erlanget,
so ist er doch a Professoribus Juridicis darzue gelaßen und würdl
seinen actum, geliebts Gott, in Kurtzer zeitt, wan eß dein Pro-
motori und Cancellario gelegenn, haltten. Und thuen E. Churf.
Gnaden dem .Allmechtigen zue seinem Göttlichen schütz und
schirm hiemit unterthenigst bevelen. Datum Maintz am 16. De-
eembris anno 1586.
E. Churf. Gnaden
untertheiuu'ster gehorsammer diener Christoff Faber Dr.
Rückseite: Dem Hoch-würdigsten Fürsten und liern, hera Wblffgang
Ertzbischoven zue Maintz, des Hailigen Römischen Reichs durch Ger-
manien Erfz-Cantzlern und Churfursten. meinem gnedigsten hernn. Von
anderen Händen: 1586, 16. Dec. Dr. Faber verschreibt seinen Schwager
Johann Karlen Ficharten zur verledigten Lectur weyländt Dr. Johah
Kuhorn selig. Praesentirt Aschaffenburg Datum den 18. Decembris L586.
IV.
Kurfürst Wolfgang antwortet auf das vorstehende Schrei bei)
des Dr. Christoph Faber, in dem dieser für die erledigte Lektur
des Sieglers Dr. Johann Kuehorn seinen Schwager Johann
Karl Fichart empfiehlt ; es sei unmöglich dieser Bitte zu
willfahren, da diese Lektur einer geistlichen Person zu-
komme, indem sie mit einem Kanonikat an der Frankfurter
Bartholomäuskirche verbunden sei.
Ascbaffenburg, den 19. Dezember 1586.
Mainz. Stadtbibl. Fnivers. .\o. 108.
Wolfgang
Ehrsamer und ho'chlerter lieber getrewer. Wir haben aus
deinem Schreiben vom 16. diß gnediglich lesendl vernommen,
welchergestalt du deiner haußfrawen Brueder Johann Carl
Ficharden zu erlangung deren Lectur, so durch thödtlich ableiben
weiland! unnsers geweßenen Siglers in unnserer Stall Mainz Doctor
Johann Kuehorn selig, in Jure Canonico vacirt, bey mms unter-
theniglich verschreiben unnd verbitten thuest.
Ob wir nun wol auf solche deine unnd anderer bey unns
eingewandte Commendation beruften, deinem Schwager mit an-
gezogener Lectur gnediglich gern will lab reu wollen. So mi
wir dir yedoch nii pergen, das solche Lectur per Bullam Sixti
Quarti ]>iissimae memoriae auf ein Canonical unnserer St. Bar-
tholomes Stifftskirchen in Franckfurl Eundirl unnd die praesen-
lalio der Fniversilel in berurler unnserer Slall Mainl/. incorporirt,
solche Lectur auch bißanhero yederzeil von Geistlichen Personen
possedirt worden ist. Dieweil es dann die gelegenheii hat, so
magst du verstendiglich selbsl al men, wie gerne wir auch
sonsten dir unnd bbermeltem deinem Schwager hiermitl befur
derlich erscheinen wolten, das unns darunter ainige enderung
furzunemen nii wo! gepuren thue, Welches wir dir zur nach-
136 Heinrich Schrohe.
richtung und wissenschafft in geneigten gnaden hinwider nit pergen
wolten. Datum Aschaffenburg 19. Decembris 8ß. An Doctor
Christof Fabern.
Zu Beginn des Schreibens links ölten: J. D. Kurtzvolck.
V.
Johann Karl Fichart bittet den Kurfürsten Wolfgang, ihm
die Lektur des kanonischen Rechtes, die durch den Tod
des Kanzlers Dr. Johann Kuehorn erledigt ist, zu übertragen
und ihn mit dem dazu verordneten Kanonikat an St. Bar-
tholomäus in Frankfurt zu pro vidieren, zumal ihn die Uni-
versität, der bei dieser Lektur das Recht dazu zusteht,
ihrerseits präsentiert und nominiert.
Mainz. Stadtbibl. Univers. No. 108.
Hochwurdigster Churfurst. E. Churf. Gnaden sein mein
unterthenigste gehorsamme willigste Dienst meinem geringen ver-
mögen noch jederzeit zuvor. Gnedigster Her. Nachdem weilant
Doctor Johan Kuehorn E. Churf. Gnaden geweßener Siegeler
vor wennig tagen mit tott abgangen, dem Gott gneclig sein wöll,
dadurch dan lectura in iure Canonico alhie vacirt; Dieweil dan
den Ehrwürdigen hoch- und wohlgelehrten Hern Rectori Decanis
caeterisque Doctoribus Licentiatis et Magistris almae universi-
tatis Moguntinae Nomination einer qualificirten personen zue
angeregter Lectur und darzue verordneten Canonicats auf dem
Stifft zue St. Bartholomeus zue Franckfortt vermög einer Bäpst-
lichen Bullen Sixti IUI zuestehet und gepüret.
Also haben sie in congregato concilio sich verglichen und
entschloßen meine wiewoll geringfügige person E. Churf. Gnaden
alß perpetuo executori angeregter bapstlichen Bullen zu prä-
sentiren und zue nominiren und darauff mir beigefügte nomination
fertigen und zuestellen laßen.
Wan dan ich dero unterthenigster Hoffnung bin, E. Churf.
Gnaden werden mir von wegen meines avi und proavi (so diesem
Ertzstifft viel iahren gedienet) zue diesem meinem anfänglichen
aufnemmen und wollfart mit gnaden woll gewogen sein. Und
den ich deßen entlichen entschloßen, gleich nach erlangter pro-
motion in Licentiatum iuris (wie dan verhoffentlich in künfftigem
Januario geschehen soll) mit schuldigem und möglichem fleiß
in iure alhie publice zue profitiren.
Also isl an E. Churf. Gnaden mein unlerthenigs pitten,
die wollen angeregt Canonicath und dardurch bemelte Lectur
gnedigst mir conferiren unnd darauff gepürliche literas provisionis
an die Ehrwürdige Hern Dechant und Capittell obgenannts stiffts
S. Bartholomei (denselben meine person und qualification zue
solchem Canonicath wolbekant) bei dero Cantzleien fertigen und
mir zuekommen laßen.
Solches urab E. Churf. Gnaden underthenigst zu verdienen,
will ich iederzeil meines läbens genaigl und bereit sein. Und
tlme bieniii E. Churf. Gnaden dem Allmechtigen zue seinem
göll lieben schütz und schirm und mich deroselben zue gnaden
Die JViederbesetzung erledigter Professuren. 137
Jederzeit unterthenigst bevelen. Datum Maintz am 24. Decembris
anno 1586.
E. Churf. Gnaden unterthenigster gehorsambster diener
Joannes Carolus Fiehardus.
Rückseite: Dem Hochwurdigsten Karsten und Dein. Hern Wolffgang
Ertzbischoven zue Maintz, des hailigen Römischen Reichs durch Ger-
manien Ertz-Cantzlern und Churfürsten, meinem gnedigsten hernn. Von
anderer Hand: 1586 27. Dez. Praesentirl Aschaffenburg, den 27. De-
cember 86.
VI.
Kurfürst Wolfgang bestätigt die Präsentation des Johann Karl
Fichart3, den die Universität, für die Lektur des verstorbenen
Sieglers D. Johann Kuehorn vorgeschlagen hat.
Aschaffenburg, den 14. Januar 1587.
Gen.-Rez. Mainz.
Wolffgangh
Unseren grueß zuvor. Ehrsame hochgelerte liebe andech-
tige und getrewe. Uff ewere uns jüngster Tagen wegen ab-
sterben weylandt unsers gewesenen Siglers D. Johan Kuhorns
sehligen zu seiner verledigten Lectur bescheene praesentation
uff unseren auch lieben getrewen Johann Cerlen Fichardten
gerichtet, haben wir demselben zu volg beyligende Praesentation
uff sein Fichardts Person verfertigen und außgehen lassen. Dho
ehr nhun ewerem anzeigen nach hierzue qualificirt oder noch
darzue sich geschickt machen werdet, habt Ihr lme dieselb dar-
zutun, zuzustellen und vervolgen zu lassen.
Wollen wir euch zur nachrichtung in gewogenen gnaden
uhnverholen sein. Datum Aschaffenburg den 14. Januarij
Anno 1586.4
Adresse: An Reetor und Universität zu Meintz. Rückseite: L586
14. .Tau.
VII.
Kurfürst Wolfgang fordert die Universitäi auf, für die Pro-
fessur des verstorbenen Mediziners Dr. Dietrich Lac5, um
die sich zweifellos schon etliche beworben hallen, in An
betracht der herrschenden Seuche bald eine in Eacultate
medica und praxi erfahrene Person zu bestellen.
Aschaffenburg, den 15. Oktober 1596.
Gen. - Rez. Main/..
WDlffgang
Unseren grues zuvor. Ehrsame hochgelerte liebe andechtige
ttnnd getrewen. Demnach khurzverrückter tagen weilandl D.Diete
richLac seliger gewesener Professor Medicae facultatis beyUnnser
3 Knodt, a. a. <>.. S. 84.
1 Da die Bewerbung Ficharts (vergl \ erst am 24. Dezember L586 ei
tolgt, so kann die Bestätigung der Präsentation nicht von einem früheren
Datum sein; denn letztere machte eine Bewerbung überflüssi muß
also die Bestätigungsurkunde wühl das Datum des II. Januar L58'
5 Knodt, a. a. ()., S. 63.
s^ .
138 Heinrich Schrohe.
Universitel in unser Statt Maintz zeitlichen todes verfahren, dero-
wegen Unns nit zweifelt, es werden alberait etliche urab desselben
gehabte und nunmehr ^erledigte Lectur bey Euch angehalten
haben oder sich noch küiifftiglich angeben: Und aber sonderlich
bey yetziger aus Göttlichem gerechten Zorn umb tinnser vilfaltig
sünde unnd unbuessfertigen lebens willen eingerisßenen beschwer-
lichen seuchte die notturfft nur wol erfordert, solche verledigte
stelle und lectur einer solchen qualificirten in facultate medica et
praxi wolerfarnen Person zu conferiren, damit sowohl Euch selbst
als auch unsern Geistlichen unnd Welllichen zuegewandten unnd
underthanen insgemein bedienet sein möge, So begeren Wir hier-
mit gnediglich bevelhendt, Ir wollet solche vacirendte stelle unnd
lectur änderst nit. dan mit einer in facultate Medica et praxi wol-
erfarnen geübten unnd genugsam qualificirten Person, welche vor
allen dingen unnser wahren Catholischen Religion zuegethan und
membrum universitatis seye oder deroselben statutis sich zu
conformiren gewißlich versprechen und würcklich laisten thue
widerumb ersetzen unnd bestellen, auch derselben Person namen
und gelegenheit vor der endtlichen reception und bestettigung
Unns in allwege wisßendt machen. An solchem, beneben deine
es Euch selbst zum Pesten geraicht, verhandlet Ir Unnserm ge-
feiligen gnedigen willen, unnd wir seindt Euch sambt unnd sonders
zu gnaden wol gewogen. Datum Aschaffenburg 15. Octobris 96.
Adresse: An Rektorn und Universitel zu Maintz.
Zu Beginn des Schreibens links oben : D. Ulrich oder Dulrich.
Das Mainzer Domkapitel hatte in dieser Angelegenheit am 11. Ok-
tober 1596 ein besonderes Schreiben an den Kurfürsten gerichtet (Mainz.
Stadlbibl. Univers. No. 108; präsentiert am 15. Oktober 1596 in Aschaffen-
burg). In diesem wird betont, daß man in den .jetzigen betrübten unndt
schwindenn gefehrlichen leufften, da mann alliier (= in Mainz) nit ohnne
sonderes betraueren aller medicorum eußerlicher Hülff faßt entsetzt ist"
einen in der „Profession und Praktik" erfahrenen Mann heranziehen möge.
Die Domherrn wollen selbst nach Vermögen eine billige Gebühr ,,zue
einem iärlichen Stipendio solcher qualificirter personnen gemeinem weßen
zum bestenn" beitragen. Das Schreiben des Domkapitels beantwortete clöl
Kiitliirsl in der Weise, daß er ihm, ebenfalls unter dem Datum des 15.0k-
tober, von dem Befehle Kenntnis gab, den er an diesem Tage an Rektor
und Universität richtete. (Das Schreiben an das Domkapitel befindet sich
in Abschrift in den Akten der Generalrezeptur.)
VIII.
Kurfürst Johann Schweickhardt bestätigt seinem Kanzler
den Empfang eines Schreibens, das Heinrich Faber6 und
Adam Ebersheim7 an letzteren richteten; es kam darin die
Neubesetzung der Professur zur Sprache, die durch den
Tod des Hoi'gerichtsassessors Dr. Offenhals erledigt war.
Der Kurfürst befiehlt, l)v. (icrhard Ebersheim, dem Sohne des
weltlichen Richters Adam Ebersheim, die Präsentation an-
,; Knodt, a. a. <>.. S. 87. — • Knodt, a. a. <>.. S. 84.
Die Wiederbesetzung erledigter Professuren. 139
fertigen zn lassen, da dem Vater und damit dem Sohne be-
stimmte Anwartschaft auf die erledigte Lektur bereits er-
öffnet worden ist.
Seligenstadt, den 2. März 1607.
Gen. -Rez. Mainz.
Johann Schweickhardus
Ersamer und Hochgelehrter Lieber getreuwer. Wir haben aus
deinem Schreiben und dessen beylagen gnediglich verstanden,
was der auch Ersam und Hochgelehrte unser Decanus unserer
Juristen facultet und Rath und dan unser Richter urisers well
liehen Stattgerichts zu Mainlz und liebe getreuwen Henrich Faber
der Rechten Doctor und Adam Ebersheim wegen den durch töd-
liches abieben unsers gewesenen Assessoris unsers hofgerichts
zu Mainz Doctoris Petri Offenhals seligen verledigten lectur iuridi-
cae facultatis und derselben praesentation halber an dich und du
fürters an uns gelangen lassen und daruff uns underthenigst
anheim stellen thust.
Dieweyl wir uns dan in gnaden zu entsinnen wissen, daß wil-
dem gedachten unserm weltlichen Richter der angedeutten vaci-
tenden lectur halber, und damit dieselbe seinem Sohn Gerharden
der Rechten Doctorn conferirt werden möchte, albereit gnedigste
Vertröstung gethan und dan er H. D. Gerhard albereit dein Her-
kommen nach seine repetition gehalten haben solle, also be-
gehren wir hiemit genedig, du wollest die befürderung thun, damit
die mehr berührte praesentation bey unserer Canzley ü,e|>ührender
maßen außgel'ertigt und alß dan ihme Doctor Ehersheim nacher
Mainz zu geschickt werde, C rafft, welcher er sich hernacher bey ob-
erwehntem unserm Dechant unserer Juristen facultet darselbsten
der gepühr angeben und was sonsten dißfalls die Schuldigkeit er-
fordert, wireklich praestiren und tolnziehen möge.
Und wir wollten es dir hinvvider gnediglich nil. verhallten
lassen.
Datum Seligenstall den 2 Marti] Anno 1(507
An H. Cantzlern.
Zu Beginn des Briefes links oben: Casp. Grüning.
IX.
Lizential Kranz Philipp Faust8 bittet den Kurl'iirslen, bei der
Besetzung der Proi'ossura Institutionum, die durch den Tod
des Lic. Kennicken erledigt, ist, seinen Tochtermann, den
kurf. Ral und Hol'gerichtsassessor Dr. Kaspar Beußer, in
Betracht zu ziehen.
(U. Februar 1611.)
Gen.-Rez. Mainz.
Hochwurdigster genedigster Churfurst und herr.
Diesen nachmittag kompl mir daß beygelegte schreiben vom
liern Prothonotario ein, die durch absterben Lic. Kennickens seligen
erledigte professuram [nstitutionum in der juristischen Eacultet
8 Vergl. Beilage X. XV. XVI, X\ II u. \\ III
140 Heinrich Schröhe.
belangendt. Daneben aber bittet auch noch mein Dochterman
D. Caspar Beuser E. Churf. gnaden Rath und Hoffgerichts-
Assessor, do ich vermeint, daß die genad ime widerfahren könne,
daß ich ime meine wenige officia darzu praestiren woltte, ob es wol
über 24 ü. Jahrs nicht erreicht, so komt es Ime doch bey diesen
theuren Jahren ettwas vorthelffen. Wiewol ich nhun sein, meines
dochtermans, qualitet neher nicht anzihen soll wil oder kan, als
E. Churf. gnaden dieselbige vileicht von andern, sonderlich dem
Hern Vieario in Spiritualibus, auch dero hern Vitzdhomb und
Hoffrichtern zu Maintz bißhero vernhomen hab oder noch ver-
nhemen kan, So stelle ich doch billich diese Verordnung zu
E. Churf. gnaden gnädigstem gefallen, dieweil es alle gut leuth
sein, wem hie damit gnädigst gratificirn wollen.
E. Churf. Gnaden gehorsambster diener
F. P. Faust Licentiatus.
Rückseite: Meinem genedigsten Churfürsten und hern (von anderer
Hand: 1611 9. Febr.). Von der Hand Johann Schweickhardts : „Wo fern
D Beysser anderer geschehen halber der Lectur in der Woche obwortten
konnte, soll solche Ime vor andern werden dessen gelegenhcith sich der
Cantzlev zu erkundigen". Deiren (?),
9. Febr. 1611 Archiepiscopus Moguntinus.
X.
Lizentiat Franz Philipp Faust bittet den kurfürstlichen Kam-
merdiener Bartholomäus Kon, bei dem Kurfürsten dahin zu
wirken, daß die erledigte Lektur in der Juristenfakultät einem
der beiden anderen Bewerber verliehen wird, damit Fausts
Schwiegersohn Dr. Kaspar Beußer aus dem Verdacht kommt,
er erhalte diese Stelle.
Aschaßenburg, den 7. Mai 1611.
Gen. - Rez. Mainz.
Domine Bartholomee Ihr wißet, daß sich mein gnedigster
her der dreyen Competenten halben umb die Lectur in der juri-
stischen Facultet noch nichts erkleret, außerhalb weßen Ihre
Churf. Gnaden sich meines dochtermanß halben sub conditione,
wan er die Lectur auch exerciren könne, gnedigst resolvirt, wor-
über er aber seine enlschuldigung underthenigst eingewendet,
darauff schult mir solche schrifften durch euch widerumb zu-
gestelt ohne einzige meidung warauff Ihre Churf. Gnaden Ihren
Ausschlag lieben. Wan nhun die andere beide Competenten
D. Campius and I). . . . stolhs ahnnehmen und meinen dochter-
inann im verdacht haben, als wan er solche Lectur bekomen,
So bitte ich, ihr wollet mit gelegenheit unbeschwert bey Ihrer
Churf. Gnaden undorlhenigste Erinderung thun, ob sie sich
genedigsl resolviren wollen uff einen oder andern, damit D. Caspar
aul.i dem verdachl komt, dal.» verdiene ich hinwider gantz guet-
willig damit eine gluckselige /eil. Datuni Aschaffenburg den
7. Maij lull. Ewer gueter frenndt
F. P. Faust Licentiatus.
Rückseite: Churf. Maintzischem Cammerdienere her Bartholme Konen
Meinem sundern gueten freundt. Von anderer Hand: 1611 7 Maij.
Die Wiederbesetzung erledigter Professuren. 141
XI.
Lizentiat Anton Bayer9 bittet den Kurfürsten Johann
Schweickhardt, eine der beiden Lektüren, die durch den
Weggang Dr. Gerhard Ebersheims und den Tod des Lizen-
tiaten Konrad Kennicken in der juristischen Fakultät er-
ledigt wurden, seinem Tochtermann Dr. Dionysius Campius10
zu übertragen.
Mainz, den 17. Juni 1612.
Mainz. Stadtbibl. Univers. No. 108.
Hochwirdigster Fürst. Dero Churf. Gnaden seyen jederzeitt
mein underthenigst schuldig unnd gehorsarabste dinst eusersten
Vermögens bevor, Gnedigster Churf ürst unnd Herr, WiewolE. Churf.
Gnaden under anderen deroselben jtzo obliegenden hochwich-
tigsten geschafften Ich ohngern fernere bemuhung verursachen
wollt, So hab Ich doch nitt umbgehen mögen, E. Churf. Gnaden
underthanigst ahnzumelden, daß vor wenig tagen Ich glaublich
berichtet worden, welchergestaltt D. Gerhardt Ebersheim sich in
numerum procuratorum Judicij Camerae Imperialis zu Speyer re-
cipiren lassen unnd des Endts nuhnmehr zuverbleyben bedacht,
daher auch die Lectur, welche Ihme alhie in facultate Juridica zu
versehen obgelegen, erledigt worden seye, wie dann auch durch
todlichen abgang Licentiati Conradi Kennicken gewesenen welll-
lichen Richters Lectura Institutionum Imperialium vor diesem
vacirend worden. Wann nuhn E. Churf. Gnaden Selbige beyde
Lecturen zu conferiren haben unnd dann Ich nieinen tochlei
man D. Dionisium Campium, welcher uff begeren bemelter facultet
vor diesem alhie publice Docendo et Disputando ruhmlich sich
gebrauchen lassen unnd zu der gleichen Conditionen versehent-
lich genugsam qualificirt ist, hierzu gern befurdert sehen woltt, Er
auch ohne das weniger nitt als dessen Patruus D. Jacobus Campius
Protonotarius S. (= selig?) zuvorderst E. Churf. Gnaden under-
thanigst. unnd getrewhlich zu dienen nach vermögen verwillig, So
ist mein underthenigst unnd hochvfleisßigste bitt, E. Churf. Gnaden
geruhen gedachls meines tochterninns in gnaden ingedenck /.u sein
unnd selbiger Lecturen eine Ihme gnediglich zu conferiren, wirdl
sich gewißlich darbey also verhalten, daß Juridica facultas null
Ihme zufrieden sein unnd E. Churf. Gnaden Ihnen zu Höheren
Sachen zu gebrauchen ursach .haben weiden. So seindl wir beyde
auch ein solches umb E. Churf. Gnaden underthenigst unnd ge-
trewhlich zu verdienen zeitl unsers Lebens nach euserstem ver
mögen so willig als schuldig, dero Churf. Gnaden in schul/, des
Allmechtigen zu Langwiriger Fridlicher regirung guter gesund-
heitt unnd allein glucklichen wolstandt, auch mich sampl den
Meynen zu beharrlichen Churfurstlichen gnaden underthanigst
bevehlendl. Datum Maintz 17. Juni Anno Kil2.
E. Churf. Gnaden
underthenigsler gehorsambsler I liener
Antonius Bayer Licentiatus
9 Knodl, a. a. ()., S. 80. — 10 Knodt, a. a. 0., S. SS.
142 Heinrich Schrohe.
Rückseite: dem Hochwirdigsten Fürsten und Hern, Hern Johann
Schweicbardten Ertzbischoven zu Maintz des Ray. Römischen Reichs durch
Germanien Ertz - Cantzler unnd Churfürslen. Meinem gnedigsten Hern.
Von anderer Hand: 1612 17. Jim. H. Schultheiß zu Maintz pitt für seinen
doi hterman D. Campio zur vacirenden Lectur in der Juristen Facultet
zu .Maintz. Hieran Ihre Churf. Gn. zu demselben glücklichen ankunfft zu
Maintz zu erindern. Praesentirt Franckfurth den 19. Junij Anno 1612
XII.
J. Coloniasis11 Juris utr. Dr. schreibt an einen Unbekannten,
es möae ihm die Professur des Zivilrechtes zuerteilt werden,
die Dr. Gerhard Ebersheim bis zu seinem Weggang innege-
habt habe, und deren jährliche Besoldung aus den erzbischöf-
lichen Einkünften erfolge.
Den 18. August 1612.
Gen^Rez. Mainz.
Informavit me Dr. Faber, quod ipse babeat et possideat Lee-
turam et professuram Deeretorum et quod inde a Canonicis
Aschaffenburgensibus aceipiat suum annuum Stipendium nempe
50 fl. monetae curr. Quam autem obtinebat Dr. Gerhardus Ebers-
heim, erat professura Juris civilis cum stipendio anuuo 50 fl.
qui (= floreni) solvuntur ex reditibus Archiepiscopalibus. Fiat
et. expediatur provisio mea in spein ad hanc quam ipse Dr. Ebers-
heim habuit et quae ob eius discessum et migrationem extra
civitatem Moguntinam ad procuratorium in camera vacavit, quia
ad hanc et non ad aliam intentio directa fuit Reverendissimi cuius
ego quoque etsi Ecclesiasticus tarnen uti Juris utriusque Doctor
sinn capax sicut Dr. Faber alterius uti Deeretorum Dr., quem
gradum eins professurae et lecturae curam se aeeepisse asserebat
cum iam ante fuisset L. L. Dr.
J. Coloniasis. (Coloniasius?)
Rückseite: 1612, 18 die Aug.
XIII.
Lizentiat Antonius Bayer1- bittet den Kurfürsten Johann
Schweickhardt nochmals, eine der beiden Lektüren Dige-
storum und lnstitutionum Imperialium, die durch den Tod
des Liz. Konrad Kennicken und den Wegzug Dr. Gerhard
Ebersheims erledigt sind, seinem Tochtermann Dr. Dio-
nysius Campius zu übertragen.
Mainz, den 8. September 1612.
Mainz. Stadtbilb. (Jnivers. No. 108.
Hochwirdigster Fürst, Dero Churf. Gnaden seyen jederzeitt
mein underthenigst schuldig und gehorsambste Dinst eusersten
Vermögens bevor, (inedigster Churt'ürst unnd Her, In Februariö
nechstabgexyiehenen Kill Jahrs, wie auch in Junio jüngsthin
Seindl E. Churf. Gnaden durch den Groshoffmayster mundtlich und
dann durch mich in sebrifften undertbanigst berichtet unnd ge-
11 So oder Coloniasius zu lesen: sonst heißt er Johannes de Colonia;
!. z. B. unten Beilage XIV. 1:; Vefgl. oben Beilage XI.
Die ^iederbesetzung erledigter Professuren. 143
betten worden, Nachdem durch absterben Licentiati Conrad]
Kennicken unnd dann wegen der durch D. Gerhard! Ebersheimern
zu Speyer ahngenommener Procuratur zwo underschiedliehe her
turen Digestorum et Institutionum Imperial, in facultate Juridica
alhie vaciren unnd derer Collation E. Churf. Gnaden gepuren
thetten. Daß dero Churf. Gnaden meinen tochtermann D. Dioni-
sium Campium so in vorigen Jahren uff guttachten E. Churf.
Gnaden Canntzlers unnd anderer heren Professorn in publice do-
cendo et disputando sich ruhmlich gebrauch l unnd darzu genug-
sam qualificirt ist, miti deren einer gnedigst providiren woltten.
Dieweil aber vermuttlich anderer vorgefallener Verhinderung
halben E. Churf. Gnaden sich hieruff biß noch nitt resolvirt Unnd
ich gleichwol hochmahls der underthenigsten ohnzweivenlichen
hoffnung bin, E. Churf. Gnaden werden mich unnd die meynen in
gnaden maynen. So hab ich nitt umbgehen mögen, E. Churf.
Gnaden hierunder underthenigst zu erinnern, Unnd ist hiermit! aber-
mahls mein underthenigst unnd hochvleißigste bitt E. Churf. Gnaden
wollen angeregtem meinem suchen gnedigst stadtgeben unnd sich
deswegen in gnaden wilfahrig resolviren, Hingegen wirdt gedachter
mein tochtermann D. Campius sich vermittelst Gottlicher gnaden
also verhalten, daß nitt allein facultas .Turidica sich dessen zu
rühmen unnd die Studiosi mitt Ihme zufrieden sein können,
Sondern auch E. Churf. Gnaden Ihnen zu höheren Sachen zu
gebrauchen ursach haben werden, Unnd seindt wir beyde solches
imib E. Churf. Gnaden underthenigst zu verdienen nach euserstem
vermögen schuldig unnd willig Dero Churf. Gnaden in schütz
des Allmechtigen zu langwiriger fridlicher regirung, guter leibs-
gesundheit unnd allem glucklichem wolstandt, auch zu dero
heharlichen Churf. Gnaden mich sampt allen meinen underthenigsl
bevehlendt. Datum Mainz 8ten Septembris Anno 1612.
E. Churf. Gnaden
underthenigster willigster Diener Antonius Bayer Lic.
Eigenhändige Bemerkung des Kurfürsten Johann Schweick-
hardt: Dieweil der Siegler alberaids praesentation erlangt ver-
pleibe es dobey und wan dan die Universitel kein feineres diffl-
culteten machen, quanlum ad Lecturam Institutionum, ist solche
Campio bewilligt.
Rückseite: Dem Hochwirdigsten Fürsten und Hern, Hern Johann
Schweicharden Ertsbischoven zu Maintz des HayL Elömischen Reichs durch
Germanien Ertz-Cantzler annd Churfürsten, Meinem gnedigsten Hein. Von
anderer Hand: L612 8. Sept. Lic. Bayr pil Seinen Tochterman D. Cam-
pium entweder mit der profeßur Digestorum oder Institutionum zu provi-
•diren. Praes. Maintz 10. Septembris anno L612.
XIV.
Dr. Dionysius Campius13 teilt dem Kurfürsten mit, daß der
kurfürstliche Siegler Johannes de Colonia seine Lecturam
Digestorum mit seiner Lectura Institution um wegen Sigilli-
Vergl. üben Beilage XI.
144 Heinrich Schrohe.
feratsgeschäften tauschen möge, und bittet um diesbezügliche
Genehmigung.
Mainz, den 17. Februar 1(>1 6.
Gen. - Rez. Mainz.
Hochwurdigster Churf. Euwer Churf. Gnaden seyen jeder-
zeit meine underthänigst schuldig und gehorsambste dienst euser-
sten Vermögens bevor, gnedigster Churf. und Herr! Wiewoll
Ich Euw. Churf. Gnaden wegen andern deroselben itzo obligenden
hochwichtigsten geschafften einige fernere bemuhung ungern ver-
ursachen sollen, So hab Ich doch Euw. Churf. Gnaden under-
I henigst zuverstehen geben wollen, welcher maßen der Erwürdig
und Hochgelahrter Herr Joannes De Colonia Euwer Churf.
Gnaden Sigler seine Lecturam Digestorum quam ex Collatione
Rmae Celsitudinis suae habet, wegen allerhandt täglich ein- und
überfallenden Sigilliferatsachen mitt meine, Mir vor von E. Churf.
(inaden gnedigst conferirte Lecturä Institutionum zu permutirenn
bedacht.
Wan dan hochwurdigster Churf. und Gnedigster Herr Ich
mich, ohne rühm zu melden, etliche jar hero täglichen fast do-
cendo et profitendo gebrauchen laßen, deßen mir nicht allein
vornembliche vom Adell und geringeres standts, sondern auch
eine hochlöbliche Universitet und deroselben anverwandte sampt
und sonders zeugnuß geben können, wie dan auch solchem meinem
instituto mitt allem möglichen Heiß nachzusetzen ich wie ver-
nichtet, also erpietig.
Also ist mein underthänigst hochfleißigste pitt, Euw. Churf.
(inaden geruhen solche permutation gnedigst zu gestatten, und
seihige Lecturam Digestorum uf Mich et viceversa Institutionum
Lecturam uff ehegemelten hern Sigilliferum zu transferiren.
Solches umb Euw. Churf. Gnaden die tag meines lebens nach
eusersten vermögen underthänigst zu verdienen, bin Ich schuldig
und willig, Dero Churf. Gnaden in schütz des Almechtigen zu
langwerender fridlicher regierung, guetter gesundheit und aller
glückseeliger wolfahrt und Mich zu beharlichen Churf. (inaden
demütiglich befehlendt. Datum Maintz den 17. Februarij 1616.
Euw. Churf. Gnaden
Underthenigster Willigster Diener
Dionysius Campius Dr.
Rückseite: Dem Hochwurdigster! in Gott Fürsten und Herrn, Herrn
Johan Schweickharden Ertzbischoven zu Maintz des Haiti«'. Rom. Reichs
durcli Germanien Ertz-Cantzler und Churfursten, Meinem gnedigsten Herrn.
\ihi anderer Hand: 1616 19. Febr. Doctor Campius petit di.mis.sio-
ni'iu professurae [nstitutionum. Praesentirt Aschaffenburg den 19. Fe-
bruarij 1616.
XV.
Dr. Franz Vogt14 bittet den Kurfürsten Johann Schweickhardt,
ihm die Professur zu verleihen, die durch den Tod seines
" KihkH, a. a. 0., S. 96.
Die *Wiederbesetzung erledigter Professuren. 1 4~>
Schwagers, des kurfürstlichen Kanzlers Lizentiaten Franz
Philipp Faust, erledigt sei.
Den 30. April L616.
( ten. r Rez. Mainz.
Hochwürdigster Ertzbischove unndt Churfürst! E. Churf.
Genaden seindt mein underthänigsf gehorsambst unndt schuldigst
dienst zuvor, gnädigster Herr! VVaß gestalt der Edel unndt
Hochgelärt Herr Licentiat Frantz Philips Faust E. Churf. Gnaden
Cantzler, mein freundtlicher lieber schwager, iüngst todth ver-
fharen, (lesen seelen der Allmechtige Gott genade, weiden E.
Churf. Gnaden ohne Zweiffei berichtet sein. Wan dan ehr Herr
Cantzler seliger alhir zu Maintz auch professor Ordinarius ge
wesen. wie dan auch solche stell loblich unndt. wol vertretten
unndt nhunmehr E. Churf. Gnaden dieselbe mit einer anderen
qualiiieirten person zu ersetzen gnädigst wol bedacht sein weiden,
verhoffentlich ich mich in anderen obliegenden unndt mir von
E. Churf. Genaden ahnbefolenen unndt vertrauwten Sachen also
verhalten, daß E. Churf. Genaden daran ein Gnädigstes belieben
haben weiden oder zum wenigsten in meinem vermögen kein
mangel erschienen, w enigerß auch nit ich furterß unndt in anderi
zu erscheinen underthänigst wol so schuldig als willig bin.
Also gelangt ahn E. Churf. Genaden mein underthänigst bin,
dieselbe gerhuen, mir auch obberurte vaccirende professur gnädigst
zu vertrauwen unndt anzubetelen, inmasen ich mich (lesen beruft
unndt Verrichtung aller gebur zu bezeigen underthänigst gemeint
undt aller Schuldigkeit bestes Heiß obliegen wolle. E. Churf.
Genaden damit zu langwüriger erwünschter wolfhart unndt glück-
seliger regirung dem Allniechtigen lieben Gott treuwligst befolen,
Geben den 30. April 1616.
E. Churf. Genaden
underthänigster
Frantz Vogt Dr.
Rückseite: Dem Hochwürdigsten in Gott Fürsten unndt Hein. Hern
Julian Schweicharten Ertzbischoven zu Maintz des Hayligen Romischen
l'aichcs (iurcli Germanien Krtz-Canlzlem omihIi Churfürsten meinem Gnä-
digsten Hern.
Von anderer Hand: Praesentirel Meintz den 30. Vprilis Anno L616.
Dr. Vogt. (Joh. Schweickhardts Hand?)
XVI.
Dr. Kaspar Beußer1, bittet den Kurfürsten Johann Schweick-
hardt, ihm die Lectura Juris Civilis, die sein Schwiegervater,
der kurf. Geheime Etai und Kanzler Lizehtiat Franz Philipp
Faust bis zum vorgestrigen Tage innegehabi habe, über-
tragen ZU wollen.
Main/, den 1. Mai 1616."
Mainz. Stadtbibl. I nivers tfo. L08.
Hochwürdigster Churfürst. E. Churf. Gnaden seindt meine
15 Vergl. Beilage IX, X. XVIII, XXI. XX l\. und Knodt, a. a <>.
ft 88 u. 95.
Beiträge z. Gesch. d. Universitäten .Mainz u. Gießen. l"
146 Heinrich Schi'ohe.
unnderthenigsl unnd gehorsambste dienst eußersten vieyß unnd
Vermögens iederzeitl bevor. Gnedigster Herr!
E. Churf. Gnaden hab vorgesteriges tags inilt trawrigem ge-
niiitli unnderthenigsl berichtet, welcher gestalt der Allmächtig liebe
Gott durch seine Göttliche ohnwandelbare Schickung dero Churf.
Gnaden gehaimen Rath unnd Cantzler Herrn Licentiaten Frantz
Philips Fausten, meinen beliebten Herrn Schweher unnd Vattern,
seligen andenckens von dießer zeitlichen weldt unnd ihrem Jamer-
Ibal durch den natürlichen thodl in die ewige frewdt gantz selig-
I ich hingenommen unnd versetzt hall, deßen abgeschiedener Sehlen
die Göttliche Allmacht gnedig unnd barmhertzig sein wolle. Wann
aber nuhn, Gnedigster Churfürst unnd Herr, E. Churf. Gnaden
zweifelsohne gnedigstes wissen tragen werden, waßmaßen erst
wohlgedachter unnd geehrter mein Herr Schweher unnd Vatter
seliger von E. Churf. Gnaden Hochlöblichsten Herrn Vorfordern,
weilandt Herrn Churfürst Wolffgangen Christmiltester gedächtnus,
in dero löblichen Universitet alhie mitt einer Ordinari Lectur
Juris Civilis gnedigst providirt unnd begnadiget geweßen unnd
solche Lectur nunmehr durch deßen thödtliches ableiben erlediget
unnd vacirendt ist, welche E. Churf. Gnaden ohngezweiffelt ander-
wertlich zu bestellen gnedigst gewilt sein werden, Also ist unnd
gelangt demnach ahn E. Churf. Gnaden mein gantz unnderthenisste
bilt, dieselben geruhen, meiner wenigsten person dero gnedigste
gnad in so viell zu bezaigen unnd mitt solcher ahnietzt berürter
vacii enden Lectur mich gnedigst zu providiren, Soll auff solche
verhoffentlich beschehene gnadterweyßung ahn meinem orth daß-
ienig, waß bey solchem officio Lecturae milir beneben anderen
verordneten Herrn Professorn zu thuen unnd zu verrichten obligen
wirdl. alßo getrewes empsiges vleyß vermittelst Göttlicher ver-
leyhung versehen unnd volnzogen werden, daß E. Churf. Gnaden
zuvorderst, unnd dann die gesampte Herrn de Facultate Juridica
darahn ein guetes sattsames genuegen haben sollen, in dießem
erweyßen E. Churf. Gnaden mihr ein hochrühmliche Churfürst-
liche gnad, unnd will dieselbige Xeitt meines lebens mit! meinen
unnderthenigsten gleichwohl geringfügigen diensten auffs eußer-d
unnd gantz gehorsambst, wie ohne daß pflichtschuldigst binn,
zu bediehnen allzeit bereif unnd gevließen sein, Thuc darüber
E. Chnif. Gnaden, die der Allmächtige Gott bey beharrlicher guter
leibs vermöglichkeit unnd friedfertiger bestendiger Regierung
vätterlich lang fristen unnd erhalten wolle, gnedigste willfährige
resolution in unnderthenigkeil gantz tröstlich hoffen unndl er-
waillen. Signatum Meintz 1. Maij 1616 E. Churf. Gnaden unnder-
thenigster unnd gehorsambster diehner Caspar Beußer Dr.
Rückseite: Dem Hochwürdigsten Fürsten unnd Herrn, Herrn .lohan
Schweickhardten Ertzbischoven zu Meintz deß heyligen Römischen Reichs,
durch Germanien Ertz-Cantzlern unnd Churfürsten, Meinem Gnedigstep
Herrn.
Von anderer Hand: L616 1 Maij. I). Beysser. (Joh. Schweickhardts
Hand?J Praesentirl Meintz den ersten Maij Ax>. 1616.
Die AYiederbesetzung erledigter Professuren. 147
XVII.
Dr. H. C. Muntzethaler bittet den Kurfürsten Johann
Schweickhardt, ihm die Professur Codicis zu verleihen, die
durch den Tod des Kanzlers Lizentiaten Franz Philipp Fausl
erledigt sei.
(Den 2. Mai 1616. Mainz. Stadtbibl. Univers. No. 108.
Hochwürdigster in Gott Ertzbischoff und Churfürst. E. Churf.
Gnaden seyen mein underthenigst schuldtwilligsl und! gehor-
sambste diensl eußersten Vermögens zuvor, (madigster Herr!
Demnach auf gesterigs tags beschehenes tödtliches abieben
weilandt deß Ehrenvesten Hochgelehrten Herrn Licentiaten Fran-
cisci Philippi Fausten Churf. Cantzlers deßen verwaltete professur
Codicis vaciret und erlediget und nunmehro dieselbe mit einer
ändern qualificirter person zu ersehtzet bey E. Churf. Gnaden
gnedigst verhaltet!.
Undt aber ich ein Zeitlang hero nach angenommenem gradu
doctoratus und gehaltener alhie gewöhnlicher repetition nicht
allein bey E. Churf. Gnaden wolverordnetem loblichem Hoffgerichi
advocando, sonder auch der loblichen Universitet gewohnlichen
üblichen Proceß (ohne gesagtem rhum) mich dermaßen kündig
und erfahren gemacht, daß ich mich der orten besonder gern in
dinsten dem gemeinen wohlstandt meines geliebten vatterlandts
zue guttem gebrauchen zu laßen, gäntzlig entschloßen, auch solche
vermittelß Göttlicher gnaden der gebühr zu vertretten getrawe.
Also gelanget ahn E. Churf. Gnaden mein Underthenigst hoch
fleißiges bitten, dieselbe geruhe mich zue solcher vacirenten pro-
fessur stell gnädigst uf- undt ahnnehmen.
Will Ich mich in ahnbefohlenen sachen verhülflich Göttlichem
beistand allem möglichstem fleiß nach dermaßen erzeigen undt
finden laßen, daß E. Churf. Gnaden undl mäniglich ob solchem
ein gnädigstes stätsammes genügen undl kein rhewliches nach-
dencken haben soll. E. Churf. Gnaden Göttlicher Almachl zue
langwuhriger friedtfehriger regirung undl allem Churf. wolstandt
underthenigst trewlichsl entfehlendt Undt deroselben verhoffent-
liche gnädigste resolution underthenigst erwahrtend.
E. Churf. (inadien underthenigster Gehorsamster
H. C. Muntzethaler. Dr.
Rückseite: Dem hochwürdigsten in Gott Fürsten undt herrn, berrn
Joban Schweickharten Ertzbischoffen undl Churfürsten zu Maintz, meim
Gnedigsten herrn.
Von anderer Hand: 1616 2 Maij. Durchstrichen: L643 hoc anno
öbiil Hern-. Faber. Knodt, S. 48. Unter der Adresse: Muntzenthaler. roh
Schweickhardts Hand ?)
XVIII.
Dr. Kaspar Beußer, seither am kurfürstlichen Yikariatsgerichl
beschäftigt, hiliei den Kurfürsten Johann Schweickhardt,
die Lectura in Jure civili, die durch den Tod seines Schwie
gervaters, des kurfürstlichen Kanzlers Franz Philipp Faust,
erledigt sei, ihm zu übertragen, wofern nicht Hofräte sich
10«
I 18 Heinrich Schrohe.
da tum bewürben. Er unterstützt sein Gesuch mit dem Hin-
weis darauf, daß sein Schwiegervater beabsichtigt habe, ihm
zum sicheren Besitze der Professur zu verhelfen.
fDen L2. Juni 1616.)
.Mainz. Stadtbibl. Univers. No. 108.
Hochwürdigster Churfürst E. Churf. Gnaden seindt iederzeitt
mein underthenigst unnd gehorsambste dienst pflichtschuldigsten
vleyß unnd eußersten Vermögens zuvoran. Gnedigster Herr!
E. Churf. Gnaden haben ohne Zweiffell bißannoch in gnedigstem
andencken, waß gestalt dieselben zu näherem mahl nach thödt-
lichem abieben weiland t Herrn Frantz Philips Fausten E. Churf.
Gnaden geweßenen Cantzlers meines Hochgeehrten unnd beliebten
Herrn Schweher-Vatters seligen ich umb deßen erledigte Lectur
in Jure Civili, welche er in seinen lebtagen unnd sonderlich in
zwüschen der Zeitt, nachdem er von E. Churf. Gnaden Hoff zu-
gestandener leibs ohnvermöglichkeil halben sich zu mehrerem
ruchsamen weßen begeben müßen, nitt ohne bekhandtlichen rühm
in alhvegen bediehnet unnd versehen gehabt, in Unnderthenigkeit
supplicirendt angelangt, warzu mich dann nitt allein die ahn
E. Churf. Vicariat Gericht nuhn ettliche Jahr hero fast quadruplirte
ordinari mühsame laborn alß die sich auch ins khünfftig, wo nitt
häuffen unnd mehren, doch zum wenigsten alßo continuiren
mögten, hingegen aber die Wenigkeit davon habenden Jährlichen
salarij angetrieben, Sondern mihr auch wohlermeldtes meines
Herrn Schweher-Vatters uff seinem thodtbett drey tag vor seinem
seligen abscheiden ultronec ohne einige meine erinnerung geführte
reden, daß er mihr zwahr längst hiebevor die Vertröstung gethan,
seine bißanhero gehabte Lecturani Juris bey E. Churf. Gnaden
vor meine person unnderthenigst dergestalt außzubitten, daß ich
nach seinem absterben deren gantz gesichert sein solte, hette aber
deme seines theills gethanem vertrösten noch zur Zeitt nitt nach-
gesetzt, mögte gleichwohl selbige mihr von hertzen gehrn gönnen
und gnugsame anleitung gegeben haben. Wiewohl ich nuhn
mittlerwoill dero tröstlichen hoffnung gelebt, E. Churf. Gnaden
auff solches derselben mein eingeschicktes unnderthenigst suppli-
cirn, gegen dem Edlen unnd Hochgelehrten Herrn Nicoiao Gernon
der Rechten Doctorn E. Churf. Gnaden gehaimen Itath unnd Vice-
Cantzler alß meinem zu dem effect erpettenen großgünstigen Herrn
Patron unnd Maecenaten einer gnedigsten gewirigen antwortt sich
erklären würden, So ist iedoch einige biß dato nitt ervolgt. Wann
ich aber eußerlich so viell berichtet werde, . daß obberürte va-
cirende Lectur von E. Churf. Gnaden biß noch ohnconferirt ver-
plieben, sondern in gnedigster election unnd wähl der concur-
lirenden Supplicanten stehen sollen, derohalben gelangt ahn E.
Churf. Gnaden nochmals mein gantz underthenigst unnd hoch-
flehentliches bitten, wofern keiner auß dero Churf. Gnaden Hoch-
ansehnlichen Herrn Hoff-Räthen, denen ich dißfals gahr gehrn
cediren will unnd zu cediren schuldig binn, dero mehrbesagter
Lectur heueren solte, dieselben mich vor anderen damitt gnedigsl
providiren und gleichsamb zur Recompens meiner ahn obge-
dachtem E. Churf. Gnaden Vicariat-Gericht bißanhero gehabter
Die ."Wiederbesetzung erledigter Professuren. 149
menniglich derorthes bekhandter mühe annd arbeil begnadigen
wollen. Verhütte unnd getrawe solche Lectur Stell annd waß
dabey mihr alß dem iüngst ankhommenden wie gepreuchlich
praesidendo promovendo referendo unnd sonsten weitters zu ver-
richten obligen wirdt, alßo vermittels! Göttlicher gnad zu ver-
dienen unnd zu versehen, daß andere zur Juristen Facultel ver-
ordnete Herrn Ordinarij Professores ahn meiner person annd
fürfallenden Expeditionen versehentlich ein gutes contentamenl
gewinnen sollen, Welcher von E. Churf. Gnaden meines theills
unnderthenigst gepettener gnad mich gäntzlich getrosten thue
unnd will solche gnaderweyßung die Zeitl meines lebens, gestalt
ohne daß verpflichtet binn, mitt meinen eußersl vermöglichen wie-
wohl zumahl geringfügigen diensten gehorsamst zu bediehnen
empsiges ohngespartes Vleiß bereit unnd gevliesßen sein, E. Churf.
Gnaden damitt dem Allmächtigen zu lang bestendiger leibsge-
sundtheit unnd friedtglücklicher Churfürstlicher Regirung, mich
aber Deroselben zu wehrenden gnaden in unnderthenigstem gehoi
samb anbevehlendt
E. Churf. Gnaden
Unnderthenigster unnd gehorsambster diehner
Casp. Beußer Dr.
Rückseite: Dem Hochwürdigsten Fürsten unnd Herrn, Herrn Johann
Schweickhardten Ertzbischoven zu Meintz deß Heyligen Römischen Reichs
durch Germanien Ertz - Cantzlern unnd Churfürsten, Meinem Gnedigsten
Herrn. Von anderer Hand: 1616 12. Jim. Praesentirt .Meintz, den L2. Junij
Anno 1616. D. Beysser. (Joh. Schweickhardts Hand?)
XIX.
Dr. med. Stephanus Dominicus Brunheimer16, welchem nach
dem Tode des Dr. Gerhard Holtmann17 die Lektur der Ge-
schichte übertragen wurde, hat. während zweier Jahre keine
Entschädigung dafür erhalten, ja es wurde sogar der Sekre-
tär Dopperich mit der Lektur betraut. Er bittet daher Rektor
und Universität, seine Rechte zu wahren.
Mainz, den 13. Oktober 1620.
Gen.-Rez. Mainz.
.Tarn seeundus leime agitur annus, Magnifice Rector caeterique
Patres Assessores Academici, quod posl defunetum Venerandum
senem I). Gerardum Holtman piae memoriäe Lectura Historica
pionatus snm communi Assessorum tum temporis calculo. Cuius
rei gralia nieiim erua Academiam nostram aninmm magis devinc-
hun habebam, sc<\ (quo nescio Eato) contigit, q I eadem lectura
hactenus frui neutiquam mihi licueril pensumve duorum anno
11 Über Stephanus Dominicus Brunheimer findet sich in dem Album
der Mainz, medizinischen Fakultät folgender Eintrag \.nno Domini L616
21. Januarij reeeptus est ad facultatem Medicai sta eiusdepi Statuta
Stephanus Dominicus Brunhejmerus, promotus Friburgi Brisgoviae
Medicinae Doctor, praesentibus Clarissimis et Experientissimis DD. Joane
Georgio Thein Decano ei Joanne Nicoiao Fischer Seniore Vergl, auch
K lt. a. a. 0., S. 93 u. 97. — IT Knodt, a. a. <>.. S. 72.
150 Heinrich Sehrohe.
rum nulluni receperim. Et lecturae ut video praetor Academicomm
scitum alius longe post nie, Dominus nempe secretarius N. Dop-
richl substitutus sit.
Res duobus his ferme annis summopere mihi cordi fuit atque
iam dudum libellum hunc reminiscentiae obtulissem, nisi spes
me aluisset, patres Academicos privilegiorum memores (cum his
alios cadere durum sit) pro necessitate laboraturos, ut sui con-
socii Academici Jurati ad munera et stipendia deinerenda magis
promoverentur quam alius quispiam qui vel gradu palaestrico
non insignitus vel etiam in allium Academicum nullo modo
inscriptus sit.
His igitur pensatis tandem ego pro partis nieae debito
decentique ad Vestram Magnificentiam et Clarissimos D. D.
Vestras supplex venio, ut gratiae munus quoddam tarn erga me
quam statutorum nostrorum symphoniam demonstretis, rem, ut
aequi bonique est, persolvatis et tandem securitatem mihi authori-
tate vestra causetis.
Id ipsuin, si qua ratione per me erga Magnificentiam et Cla-
rissimas DD. Vestras recompensari queat, omnem me lapidem
moturum nolini dubitetis. Mogunliae 13tio Octobris 1620.
Magnificentiae Vestrae et Clarissimis Dominationibus Vestris
officiose addictus Stephanus Dominicus Brunheimerus Med. Doctor.
Copia supplicationis Domini Doctoris Stephani Dominici
Almae Universitati Mog. 16. Decembris 1620 exhib.
XX.
Rektor und Universität erklären dem Kurfürsten Johann
Schweickhardt, ihnen habe die Übertragung der Lectura
historiarum stets zugestanden und dementsprechend hätten
sie diese im Erledigungsfalle dem Dr. phil. et med. Stephanus
Dominicus übertragen, während sich diese der Hofsekretär
Gabriel Dopperich angemaßt habe; übrigens könne letzterer
eine Professur oder Lektur nicht erhalten, weil er an der
Universität weder graduiert noch immatrikuliert sei. Sie
bitten deshalb, dem Dr. Stephanus Dominicus zu seinem
Recht und seinen Gebührnissen zu verhelfen.
Den IS. Dezember 1620.
Gen. - Rez. Mainz.
Hochwürdigster Ertzbischove!
Waß ahn unnß dieser tage Stephanus Dominicus philosophiae
unnd Medicinae Doctor schrifftlich supplicando gelangen laßen,
daßelb haben E. Churf. Gnaden auß der Beilagh mit mehrerni
gnädigst zue vernehmen.
Nuhn ist ni! ohn, dal.'» uff absterben Magistri Gerhardi holt-
mans su nach Dr. Bürgers thodl seeligen die vom supplicanten
angedeute Lecturam Historicam anno 1617 den 16. Septembris
von unnß empfangen, wie ihme Doctori Dominico hernachmals er-
wciiic Lcctnr all.) wieder Vacirenl den 28. Novembris abgewichenen
Sechßzehenhnndert Achtzehenten ihars einhelliidieh conferiiet.
Die «Wiederbesetzung erledigter Professuren. 151
darab er vom herrn Siegler seithero daß hörlich Gell nhie nil be
kohmen, Sondern hingegen in Craffl eines von E. Churf. Gnaden
ahn vorigen herrn Sieglern Joannem de Colonia sul> dato den
12. Decembris ermeltes Secbßzehenhunderi A.chtzehenten Jahrs
abgangenen Schreibens unnd darin begriffener Collatur sich deßen
dero hoffsecretarius Gabriel Dopperich angemaßel annd noch an-
maßen thuet.
Dieweill aber in unsern statutis18 außdrücklich vorsehen
unnd bißhero bey der Universitet so gehalten worden, daß nie-
mand! einige lectur oder Profeßur haben soll«' noch möge, welcher
zuvhor der Universitet nit Immatriculirl unnd in einer Facultet
graduirt ist. Also kan ermelter secretarius, so weder graduiri noch
immatriculirt, dieser lectur zuemahl nil fehigh sein.
Zw deine vermögen auch die statuta, wie E. Churf. Gnaden
auß beygefüegtem extraet19 gnedigst zuesehen. daß Rector unnd
Universitel diese lectur iederzeit conferiren sollen, gestalt bißhero
ihe und allewegh beschehen. Sinthemahl dan nuhn solche Lectur
nhie nit vaciret (wie E. Churf. Gnaden zwahr anders! berichtet
worden), sondern nach absterben D. Bürgers dieselbe alßbaldten
Dr. Holtman und nach solchem ietzigem supplicanten conferiret
gewesen, dabey auch den statutis unnd observantiae nachgesehen
worden.
Also verhoffen wir derohalben unnderthenigst E. Churf.
Gnaden deme unnd den statutis ichtwas zuewieder nichl be
schehen, sondern vielmehr unnß wie bißhero also furohin bey
solchem herbrachten Jure conferendi verpleiben, die Statuta in
vätterlichen Gnaden handthaben unnd obangeregteni supplicanten
seiiL gebühr sambt deme ausstandt hiefuhro von dero ietz ver-
ordtnetem herrn Sieglern gnedigst vergnüegen unnd liefferen
1S In den Akten der Generalrezeptur finden sich die Stellen der
Statuten, die für diese Erklärung in Betracht kommen, in doppelter, tiichl
ganz gleichlautender Ausfertigung; die Varianten sind eingeklammert:
Extractus Statutorum Almae Universitatis Mogun. Ex Rubrica. De
Matricula. Statuimus et ordinamus, ul (omnes) qui de Corpore Universitatis
Mogun. censeri ei reputari volunt, in Matriculam se inscribi Eaciant, alias
enim cos (nee privilegijs Universitatis praedietae gaudere) nee ad aliquam
professionum maxime, ut in Ulis legant, reeipi volumus.
Ex Rubrica. De Lecturis: Statuimus praeterea et ordinamus, ul
riullus Doctorum, (Licentiatorum, Magistrorum, aul cuiusque alterius
sialus) in ali«|ua professione seu facultate legere, exercere, aul di
taro praesumat, nisi prius Universität! nostrae sil immatriculatus ei
c-.in Eacultatem, in qua legere intendit, sil reeeptus et) a Red lenique
licentiam obtinuerit. - - Auf der Rückseite des einen Auszuges steht L620
10. Dezember,
19 Ebenda; die Stelle, die hier in Betrachl k ml. hat in der
Eührlicheren Form folgenden Wortlaut:
Ex Statutis Collegii Schenekenbergl] sub. Tit. De Lectionibus: His
superesl lectio Historica, quam piae memoriae Vir Dominus Ivo Witi
gis. .Iiiriuie Doctor et Juris Canonici Ordinarius atque sigillifer, sua muni
Eicentia instituit; (ea alternis octennis annis utrique gymnasio per vices
cedit ;J quod si professor historicus (intra octennij spatium) lectionem re
bignaverit, Universitatis (neu Eacultatis) est. alium ex eadem domo sufficere.
152 Heinrich Schrohe.
werden laßen. Solches gereicht zue handthabungh der Universitel
Jura unnd Slalula unnd wir seint es hienwider umb E. Churf.
Gnaden zu verdienen wie ohne daß Pflichtschuldigh also willigh.
Dieselbe damit Göttlichem Gnadenreichem Schul/, trewlichst
dero aber mini.) zu bestendigen Churfürstlichen Gnaden under-
thenigst gehorsambst empfehlen).
Datum den IS. Decembris 1620.
E. Churf. Gnaden underthenigst gehorsambste
Rector unnd Universitet in Meintz.
Rückseite: Copia Schreibens ad Reverendissimum Archiepiscopuin
Moguntmuni (1620 IS. Dec.)
XXI.
Dr. Kaspar Beußer20 bittet den Kurfürsten Georg Friedrich,
ihm die erledigte Lectura Juris civilis zu übertragen. Diese
Bitte sprach er unlängst aus, als Dr. Valentiims Amandus
Bleydenstatt21 von gefährlicher Leibesschwachheit ergriffen
wurde; jetzt, da Dr. Bleidenstatt in verflossener Nacht ver-
starb, wiederholt er sie.
Mainz, den MO. Juni 1628. Mainz. Stadtbibl. Univers. No. 108.
Hochwürdigster Churfürst, E. Churf. Gnaden Seyen meine
Underthenigst getreuwilligste dinst in schuldigstem gehorsam!)
jederzeit bereit zuvorahn.
Gnedigster Herr!
E. Churf. Gnaden möegen sich ahnnoch gnedigst erinneren,
wal.i ahn Dieselben Ich ohnlängsthin, all.) damahlß herr Dr. Va-
lentinus Amandus Bleydenstatt. in gefährlicher leihsschwacheit
begriffen geweßen, Seiner bey alhiesiger Universität habendter
Lecturen Juris Civilis halben da selbige uff deßen begebendten
töttlichen abgangh vacirent werden soltte, in underthenigster Pitt
i^elan^en lal.'en, YYan nuhn ehr Dr. Bleydenstatt, maßen Ich bericht
bin, in verwichener Nacht Sein leben geändet, deine der Almechtig
liebe Gott vätterlich gnaden undt barmhertzigh sein wolle, und
also deßelben Lectura .Iuris nuhnmehr E. Churf. Gnaden lediglich
ahnheimb gefallen ist, So will meine dabefohr abgangene demüh-
tigste Till, weßen auch dabeneben gegen E. Churf. Gnaden unndt
dero herrn Cantzlern mich gehorsambst erpietig gemacht, noch-
mahLß underthenigst wiederholt haben, lebe daruff dero getrösten
Zuversicht, wo solche lectur von E. Churf. Gnaden ettwan noch
zur /eil! ohnbegeben sein sohle, Sie werden damit meine wenige
Persohn vor anderen gnedigsl nilf ohnbedachl laßen, midi thue
hierunihe E. Churf. Gnaden der l ! ot I liehen obachl zue beständiger
guetter leibß vermöglighheil lan^wehrendter Churf. Degierungh
undt allem erwünschten wohlstandt, dero aber mich zue ge-
trewisten immermöglichsten schuldtpfli* ddigslen dienslen gantz
underthenigst empfhelen. Geben Meintz den 30. Junij Anno 1G28.
Ew. Churf. Gnaden
Underthenigster und gehorsanibster diehner
( laspar Beusser Dr.
20 Vergl. Beilage No. IX, X. XVI, XVIII u. XXIV.
-•' Knodl a. a. <>.. S. 88.
Die Wiederbesetzung erledigter Professuren. 153
Rückseite: Dem Hochwürdigsten Fürsten undt Herrn Herrn Geöj
Fridericheri Ertzbischoven zue Meintz deß hayligen Römischen Reichs
durch Germanien Ertzcantzlern undt Churfürsten, Bischoven zue Wbrmbs,
Meinem Gnedigsten Herrn. Von anderer Hand: Dr. Beusser. Praesentirl
Meintz den 1. Julij 1628.
XXII.
Dr. Lubentius Pfingsthorn22, dem Aussicht auf eine Richter-
stelle oder au'f ein Assessorat bei dem kurfürstlichen Hof-
gericht eröffnet worden ist, bittet den Kurfürsten Georg
Friedrich, ihm die Professur zu verleihen, die durch den
Tod des Dr. iur. Bleidenstatt in der juristischen Fak»ltä1 er-
ledigt ist.
(Den 8. Juli 1628.)
Gen. -Rez. Mainz.
Hochwürdigster Churfursl, Gnädigster Herr. Ew. Churf.
Gnaden haben sich ohn Zweiffell noch gnädigsl zu entsinnen, waß
maßen Ew. Churf. Gnaden (alß ich vor etlichenn monathen umb
ein guete wilfarige gnädigste befurderungh, da inßkünfftigh bei
einem weltlichen Stattgericht durch eines thodtlichen abgangh ein
Richterstelle oder hei einem löblichen Churf. Hoffgericht ein
Assessorat erlediget solte werden, mir zu erweißenn in iinder-
thenigst supplicando hab angehalten) die gnädigste vertröstungh
gethann, meiner inßkünfftigh auf begebende gelegenheil in Gnaden
eingedenkh undt behülfflich zu sein. Dieweil sich nun nach dem
willen Gottes begebenn undt zugedragenn hall, daß der Ehrnvest
undl hochgelehrt her Pleienstatt der Rechten doctor undt in Eacul-
tafe .luridica alhie zue Maintz geweßener Professor iuris Ordinarius
kurtz verrückter tagen thodts verfahronn und auß dießern zer-
genghlichen leben in Godt verschiedenn ist, deßen SebJ Gott
gnädigh undt harmhertzigh sein wolle, also daß solche professur
Ihunmehr erledigt undl dan Ew. Churf. Gnaden ahn deß im hörn
enisi hlaffenen Doctoris Pleienstadten statt ein andere qualificirte
Persohn zu verordtnenn gnädigst bedacht ist, Wan dan ich solchen
ohangeregten erledigten di<Misl undl professur vermittelß Gött-
licher Gnaden getreulich zu versehen getraue, auch nichts liebers
wünschen mögt, alß daß von Ew. Churf. Gnaden ich zu solcher
erledigter professur gnädigsl jkonie befürdert werdenn, In sonderer
helrachlungh, daß ich mein übrige hoffnungb lebens (so ich in
sludijs et praxi geselzl halt) ander Ew. Churf. Gnaden protection
schul/, und schirm woll zubringenn undl meiner bißhero in sludijs
gehabter muhen undl angewandlenn Heiß einigen nutzen spui
und befinden mögt. So glangt undl ist ahn Ew. Churf. Gnaden
mein underthenigst gehorsambste bitten undl begehrenn, Dieselbige
frühen mich (\a- gnädigsten vertröstungh nach in Gnaden ietz
zu bedencken undt ahn deß im hernn entschlafenen Doctoris
rleienstatl geweßenen in faculiaie juridica alhie zu Maintz Juris
l'rofessoris ordinarij erledigte Stelle für anderen exspeetanten zu
genuß deßelben mich khommen, auch mich darzue auf undl ahn
23 Vergl. Beilage No. XXVI.
154 Heinrich Schrohe.
zunehmen gnädigst ahnordtnen laßen, wil ich demselben getreu-
lich vermittels Göttlich Gnaden also abwartenn und! mich so ge-
fließenn verhalten, daß Ew. Churf. Gnaden andt sonsten menigh-
lich verhoffentlich werden darab ein Gnädigst gunstigen undt
freundtlichenn wolgefallenn haben undt dem gemeinen Vatter-
landt zu nutz undt meines Nechsten wolfhart geraichen soll.
Solches umb Ew. Churf. Gnaden bin ich mit underthenigsten ge-
horsambstenn dienstenn zu verdienen willigst Damit Ew. Churf.
Gnaden Göttlicher protection zre langhwiriger glücklicher Re-
gierungh emphelendt
Ew. Churf. Gnaden
Underthenigster
Lubentius Pfingsthornn Dr.
Rückseite : Ahn den Hochwurdigsten Fürsten und Herrn Herrn Georgh
Friderichen deß heiligen Stuelß zu Maintz Ertzbischoffen, deß heiligen
Römischen Reichs durch Germanien Ertz-Cantzelern undt Churfürsten,
Bischoffen zue Wormtß, Meinem Gnädigsten Furstenn undt herrn. Undor-
thenigste supplication. Lubentij Pfingsthornn Dr. Von anderer Hand:
1628 8. Juli.
XXIII.
Dr. Johann Adam Krebs23 bittet den Kurfürsten, ihm die Pro-
fessur zu verleihen, die in der juristischen Fakultät durch
den Tod des Dr. Andreas von Jossen frei wurde. Krebs
weist zu seiner Empfehlung n. a. darauf hin, daß er während
des Exils (= schwedische Besetzung der Stadt Mainz) an
seinem Aufenthaltsort mit Zustimmung der juristischen Fa-
kultät ein Privatkolleg gehalten habe und gleiches für den
kommenden Winter seines Unterhaltes wegen plane.
(Den 7. November 1635.)
Gen.-Rez. Mainz.
Hochwurdigster Ertzbischove undt Churfurst. E. Churf.
Gnaden seyen meine underthänigst gehorsambste dienst ver-
pflichtem eußerstem vermögen undt debuoir nach bereit vor.
Gnädigster Herr!
Waß moßen E. Churf. Gnaden professuren eine zu Meintz durch
abieben Dr. Andreae Jossen vacirendt worden undi deroselben gnä-
digstem belieben nach wiederum!) zu ersetzen ist, deßen werden
K. Churf. Gnaden zweiffelß ohne annoch gnädigster erinnerung
sein. Wan ich dan, gnädigster Churf. undt herr, nach vollenden
vieljahrigen Juridischen Studijs undt angenohmenem gradu Doc-
toratus Zeil wehrendes unseres exilij mit consens Juridicae facul-
tatis dieser- (»riß ein collegium privatum ein Zeitlang gehalten,
auch noch femers dießen winter über (im fall der Allmechlige
unsere reslihilion prolongiren werde) derogleiche collegia zu
notwendigem meinem underhalt anzufangen undt zu volfuhren
mich (Belibts Gott) zu undernehmen gedonckhe dergestalt,
daß im fall schier oder morgen durch E. Churf. Gnaden gnädigstes
Verordnung daß Studium Juridicum in flohr undt öffentliche
-■■ Vergl. Beilage No. KXVII.
Die .Wiederbesetzung erledigter Professuren. 155
Übung in deroselben Churf. haubt- undl residentz-Statt Meint/,
solle gebrachl werden die gesagte ledige professurstell (ohne
ruhin zu melden) nicht allein der gebühr uudt erforderter
schuldichkheit nach zu verdrehten mihr wohl getrauete, sondern
uff solche begabenheit nach derogleiche professur auch so viel
doh iner gehorsam 1 is I anhalten wölte.
Also habe die underthänigst flehentlichster pitt, mich bey Ew.
Churf. önaden" hiermit gebrauchen wollen, daß dieselbe mit an-
geregter professur stelle mich zu begnädigen undl mihr seihe vor
andern anzuvertrawen gnädigst geruheten.
Welches umlt E. Churf. Gnaden mit gebührendem fleißigsten
obacht bey offtgesagter professur undt sonsten mit schuldigst
gehorsambslem ufwarten eußerstem Vermögen nach zu verdienen
mich underthänigst. befleißen werde; Gott den Allerhöchsten
pittent, daß Er E. Churf. Gnaden langwierige gude leibßfristung
verleihen undt deroselben Churf. regierung also vatterlich segnen
wolle, dahniit dehro Ertzstifft undt daß Röhm. Reich irißgemein
anieezo, schier künfftig aber die posteritet deßen sich zu er-
freuen möge haben.
E. Churf. Gnaden
Underthänigst gehorsambster Diener
Johan Adam Krebß Dr.
Rückseite: Pitt underthenigst umb die durch abieben Doctoris An-
dreae Jossen verledigte Professur Stelle.
Von anderer Hand: 1635 7. Novembris. Underthanigste supplication
Dr. Jo. Adami Krebs. Praesentirt Cöln, den 7. Novembis 1635.
Bemerkung des Kurfürsten: Fiat, ut petitur; Anseimus Casimirus
Airbiepiscopus.
XXIV.
Ör. iur. utr. Karl Faber24 richtet an den Rektor Dr. theol.
N. Broich und an die Universität die Bitte, ihm die Professur
der Geschichte, die durch den Tod Kaspar Beußers erledigl
sei, zu übertragen.
Den 16. September 1637.
Mainz. Stadtbibl. ünivers. No. L08.
Reverende et Eximie almae Universitatis Moguntinae Rector
Magnifice, sacrosanctae Theologiae Doctor profundissime, Domine
colendissime.
Reverendae Magnificentiae Vestrae absque dubio innotescil
qualiter ab obitu quondam Clarissimi et Consultissimi viri Domini
Caspari Beussers professura eiusdem Historiarum Reverendae
Magnificentiae Vestrae almaeque universilati Moguntinae confe
renda cesserit.
2i Bald nach dem Tode des Dr. iur. Dionysius Campius erhiell Karl
Faber dessen erledigte Stelle an dem kurfürstlichen Vikariats- u. Proto
hotariatsgerichte. Unter dem 16. Oktober H',11 (Datum Mainz) befiehl!
der Kurfürst Anselm Casimir dem Provicar in spiritualibus Dr. Fi
fcrach, an Stelle des abwesenden Vikars in spiritualibus Dr. Karl Faber
in Pflichl zu nehmen und an genannten Gerichten zu installieren. Akten
der Generalrezeptur.
150 Heinrich Schrohe.
[taque cum nemo sit qui in praefata universitäte ean-
dem hactenus expetierit, haud iniqua spe fretus reor eos
qui quorumve parentes erga hanc almam universitatem Mo-
guntinara bene meriti fuenuit prae aliis bravio quodam sive
honore condecorandos f-ore. Eapropter summis quam possum
precibus contemlo, Reverenda Magnificentia Vestra atque alma
haec universitas Moguntina nie eodem honore et professura
honorare sive conferre non dedignetur.
Quod cum summa gratitudine animi tum omni genere huniani-
talis et officij erga Reverendam Magnificentiam Vestram adeo-
que totam universitatem Moguntinam promereri conabor, Re-
verendae Magnificentiae Vestrae animi declarationem desuper sub-
misse expectans 16. Septembris Anno 1637.
Reverendae Magnificentiae Vestrae ad obsequia paratissimus.
Carolus Faber J. U. Dr.
Rückseite: Reverendo et Eximo viro Domino N. Broich25 almae uni-
versitatis Moguntinae Rectori Magnifico, S. S.ae Theologiae üoctori pro-
fund issimo nee, non collegiatae Ecclesiae ad S. Petrum Moguntiae Cano-
nico Capitulari dignissimo, Dno suo colendissimo.
Von anderer Hand : Carolus Faber supplicat, ut ipsi Professura
lüstoriarum conferatur a. 1G37.
XXV.
Kurfürst Anselm Kasimir ersucht Rektor und Universität
den Dr. theol. Johann Jakob Völcker25a mit dem Universitäts-
Kanonikate zu providieren, das an dem Liebfrauenstift durch
den Tod Dr. Sebastian Stechmanns seit längerem er-
ledigt ist.
Mainz, den 12. Januar 1G39.
Mainz. Stadtbibl. Univers. No. 108.
Anselm Casimir von Gottes gnaden Ertzbischove zu Maintz
und Churfurst.
Unsern grüß zuvor. Ersame undt hochgelährter Liebe An-
dechtige und getrewe. Bey unß hatt sich der auch Ersame
und hochgelährte Johann Jacob Völckher S. S. Theologiae Doctor
umloiiliiMiigsl, angeineldt und ihme zu deine durch tödtliches
ableiben weylandt Doctoris Sebastiani Stechmans Unßers Stieffts
Divae Virginis ad Gradus alhie selig vacirendein Canonicat durch
mittel Unßerer intercession gnädtigst zu verhelften gantz in-
stendigst gebetten.
Ann haben Wir unß zwar gnedtiglich erindert, welcher-
gestalt in Anno 1635 auß da zumahl von ermeltem Unßern Stifft
cieglcn und erheblichen Ursachen wir Euch gnedtiglich dahin
vermahnet, daß Ihr mit Ewerer riomination ad vacantem Prae-
bendam üniversitatis einhalten und ad tempus damit supersediren,
Euch aber dabeneben versichert halten, daß solches zu keinem
praeindilio inlJkünfftig außgedeutet werden solte, inmaßen dan
wir auch gern vernehmen, daß dem Stifft zu guetem solche da
zu mahl einge williget worden ist; Diewcil Wir nun gleichsamb
25 Knodt, a. a. 0., S. 94, 96, u. 101. — -:':| Vergl. auch Beil. No. XXVI.
Die Wiederbesetzung erledigter Professuren. 15'
bey unß gnedtiglich erwegen, daß eine geraume Zeil verfloßen
ist, daß solches Canonicat vacirendl verblieben und der ietzige
Supplicant alß ein originarius dießer ohrten seine Studia Philo-
sophica und Theologica alsoweit volnführt, daß er sich nach
verfließung Siebenjähriger Zeit in collegio Germanico zu Rom
mit höchstem Lob und Preyß in Magistrum Philosojdiiae. hernechsl
aber in Doctorein S. S. Theologiae zu Peius promoviren laßen,
unß auch seiner-herrlichen vortrefflichen qualiteten halben von ver
schiedenen Cardinal und andern also hoch gerumbl nnd ge-
nießen werden, welche sich an ietzo in der thadt also erweiß-
lichen befinden, daß wir ihnen zu seinem vorhabenten intent
und zu erlangung deren bey Unßerm Slifft Stae Mariae Virginis
ad gradus noch ohnbegebenem Canonicat desto lieber befürderl
sehen möchten, Also haben wir nachgestalt dießes subiecti,
welches in Theologica Facultate ad Professuram habile et quali-
ficatum, nit underlaßen wollen. Euch solches hiemit bestermaßen
recommendiren, Euch dabeneben gnedtigst ersuchent, ermelten
Völckher auß denen oberzehlten Ursachen damit zu providiren
nit zweiffelendt, unßer Stifft ad gradus sich seiner persohn her
nechst in vielfältigen occasionibus nutzlichen zu bedienen wißen
wurdt und nechst deine eine solche willfährige erklährung unß
zu sonderbahrem gnedigsten gefallen gereicht, So wollen wir
es auch gegen Euch hinwider in gnaden erkennen, damit wir Euch
obnedaß sambt und sonders Avohl gewogen verbleiben. Datum
zu St. Martinsburg in Tnserer Statt Mäintz, den 12. Januarij
Anno 1639.
Anseimus Casimirus Archiepiscopus Moguntinus.
i Eigenhändige Unterschrift.)
Rückseite: Den Ersamen und Hochglährten Unsern Lieben Andech-
tigeu und Getrewen Rectorn Dechant und Doctorn unserer Dniversitet in
loserer Statt Mäintz. Prd. (Produciert ?) den 17. Januarij Anno L639.
Von anderer Hand: Littera Electoris Anselini Casimiri quibus Joannes
•lue Völcker Theol. Dr. ad Professuram et Canonicatum ad gradus B. V.
per tempus vacantem commendetur d. d. 12. Jan. L639.
XXVI.
Beschluß der Universität in der Streitsache des Dr. med.
Harlliel) mit Dr. Hohetastatt wegen Zulassung des letzl-rm
zur medizinischen Fakultät.26 Hohenstatl wird für ein rieh
Iges Mitglied der Fakultät erklärt, doch werden ihm, damit
er aller Universitätsprivilegien teilhaftig wird, genannte Ver
pflichtungen auferlegt.
(Don 16. Dezember) Dilti.
Gen,-Rez. Mainz.
Demnach zwischen herrn Justo Hartlieb midi herrn Johan
Martin Hohenstatt, beeden der Artzney Doctorn, sich wegen ietz
26 Ober diese beiden Professoren der Medizin sowie über Professor
Simon Jung vergl Beilage No. XXVIII, ferner Knodt, a. a. 0., S. L02
103, 106 u. 100; über den Rektor von Andlau Knodt, a. a. 0., S. L00
158 Heinrich Schrohe.
berührten herrn Hohenstatts admission ad facultatem Medicarn
ein zeithero etliche strittigkeiten erhalten, auch deßwegen Ihro
Churfürst. Gnaden Anselm Casimir hochseligsten andenckens.
dem hochwurdig wohl Edelgeborn herrn Johan Ulrich von And-
law deß hohen Ertz- undt Dohmstieffts Maintz Dohmbsengern etc.
derozeit dieser löblichen Universität Rectorn gnedigst anbefohlen,
diese strittigkeit, befindenen (sie) dingen nach in der gutte zu
componiren undt vergleichen, Also haben hochgedachte ihro
Gnaden dem Edlen undt hochgelehrten herrn Lubentio Pfingst-
horn, der rechten doctorn gnedigst committirt, daß mit zuzihung
gesambten Assessorn dieser Universitet alß herrn Johan Jacob
Völckern S. S. Theol. Doctorn, herrn Frantz Philips Beussern, der
rechten Licentiaten, herrn Julian Jacob Oppenheimern undt herrn
Johan Adam Pfeffern, beede der rechten Doctorn, herrn Simon
Jungen undt herrn Georg Blum, beede der Medicin Doctorn, undt
herrn Magistri Hausen diese sach furnehmen, beede partheyen
Vorbescheiden, dieselbe ihrer notturfft nach anhören undt dahin
trachten undt sehen sollen, wie vermög obengeregtes gnedigstes
Churf. befelchs diese Differentien ohn andere weitleuffigkeit hin-
zulegen sein mögten, deine dan zu gehorsamen volg Montag den
16. Decembris vermelte herrn sambt beeden eingangs gedachten
herrn Medicis zusammen kommen undt nach genugsanier ari-
hörung eines undt andern theilß vor- undt anbringen, endtlichen
die sach dahin componirt undt verglichen, daß weilen facultas
Medica vor 2 Jahren die admissionsgelter von herrn Dr. Hohen-
statt empfangen, zugleich ihnen das gewohnliche juramentum
praestiren laßen, also wureklich ad facultatem uff- undt an-
genohmen, wie dan auch derselbe etzliche actus faetae admissionis
exercirt, Daß erwenter herr Dr. Hohenstatt auß diesen undt andern
mehr fürbrachten motiven undt Ursachen von zeit an er solches
juramentum abgelegt pro vero facultatis membro zu achten undt
halten seye, auch gleich andern aller Universitets Privilegien im-
1 1 «uniteten undt befreyungen zu gaudiren undt zu genießen habe
allein mit diesem anhang, daß innerhalb Jahresfrist die gewöhn-
liche repetition verrichten oder anstatt derselben uf begebene
gelegenheit einem candidato praesidiren solle. Also reeiproce
hierzwischen und hinfüro alle differentien und strittigkeiten hie-
inii uffgehoben amicabiliter et fideliter den patienten zu trost zu
begebenten occasionibus invicem consultiren undt beyrähtig zu
sein verglichen und beschloßen worden.
Joannes Hoeglein
Syndicus Universitatis Mogunt. in fidem.
Rückseite: Onus ab Andlo Rector Universitatis fuit Anne 1646.
\im: anderer Hand: Conclusum Universitatis Moguntinae ex parle
Doctoris Hohenstadt contra Doctorem Hartlieb 1646.
über Lubentius Pfingsthorn Beilage No. XXII; über Oppenheimer Knodt,
a. a, C, S. KU ; üher Ücusscr elicmla, S. 104; über Pfeffer ebenda, S. 103;
über Volckei licilaue No. XXV.
Die Wiederbesetzung erledigter Professuren. 159
XXVI I.
Kurfürst Anselm Kasimir teil! der Juristenfakultäl mit, daß
er L635 seinem Hat, dem Dr. iur. Johann Adam Krebs27, die
erledigte Professur des Dr. Andreas von Jossen übertragen
habe; darum befiehlt er, daß dieser baldigst dazu präsen-
tiert würde.
Mainz, den 47. September 1647.
Gen.-Rez. Mainz.
Anselm Casimir
l Usern gmes zuvor. Ersamb und hochgelerte liebe an-
lächtig und getrewe. Demnach wir dem auch Ersamb hochge-
lerten Unserm Rath und lieben getrewen Johann Adam Krebßen
der Rechten Dr. im Jahr 1635 diejenige professurstelle, die
durch absterben weylandt Dr. Andreae von Jossen bey unserer
Iuris ten-Facultet alhie dahmahlen vacirendl worden gnedigst con-
ferirt und! dahero gern sehen theten, daß derselbe ehist hierzue
|raesentirt undt vorgestelt werde, zumahlen Kr sich bei jiinusl
vorgegangener praesidirung hierzu genugsamb qualificirl gemachl
hat, also befehlen wir hiemit gnedigst, Ihr wollet gedachten
Unsern Rath auf- und annehmen undt unserer Eacultet an obged.
Dr. Jossen see. blaz dem herkommen genieß praesentiren, daran
erstattet ihr Dnsern gnedigst befehlenden willen und bleiben
euch benebens zue gnaden wol gewogen. Datum zue S. Martins-
burg in unser Statt Mainz den 17. septembris 1647.
Adresse: Ahn die Juristenfacultel alhie. Zu Beginn des Schreibens
oben links: Cron.
XXVIII.
Die medizinische Fakultät erklärt dem Kurfürsten ihr:1 Be-
reil Willigkeit, sieb bei dem jetzt eingetretenen Frieden in
den Dienst der studierenden Jugend zu stellen, und bittet
deshalb um ein jährliches Stipendium- mil dessen Einrich-
tung wünscht sie den Domdechanten und Statthalter betraut.
(Den 21. Februar 1661.)
GerL-Rez. Mainz.
Hochwürdigster Ertzbischoff und Chtirfürsl. (inedigster Herrl
Ewer Churf ürs Hiebe (inaden werden zweiffelsfrey gnedigstes wissen
fragen, was ^eslall ahnnoch knrl/. vor dem letzthin im h Rom.
Reich insonderheit aber dieser orthen ahm Rhein- und Mayn-
ström eusserst gewütenden Kriegs- und Qnweßen alle vier Fakul-
täten dem Universitäl oder hohen schul alhie zu Mayntz also
ilarunler auch die löbl. .Mediein vermittelst Eleißiger professuj
bder öffentlichen leßens, vigore Churfl. befehlen und Statuten
ini flor geweßen, aber neben vielen andern guten und nützlichen
Sachen viel iahr lang bis daher gantz daniderligen blieben.
Wan aber dur«di die gute des Allmächtigen und Ew. Churfl.
Gnaden als Patriae patris höchstrühmliche treweyfferige coope
27 Verel. Beilage Nb. XXIV.
160 Heinrich Schrohe.
ration, hülff und sorgfali wir nuhnmehr samptlich widerumb in
ruh und frieden gesetzt seind, darinnen die gesampte Studia zu
Gottes Ehr und des Vatterlands Wohlfahrt ferner floriren und
liehen der Theologia iurisprudentia und Philosophia auch das noth-
wendige heylsame Studium medicum vermittelst fleißiger professur
reassumiret und wider ahngestellet werden könte, zumahlen da
sich dieser Zeit, in welcher sonsten kein geringer defectus mehrer
medicorum zu spühren, von Scholaren oder Studenten meist
l.indskindern etzliche feine ingenia ahngeben und hierinnen gern
die hülffliche hand gebotten sehen möchten.
So weren wir unterschriebene von E. Churfl. Gnaden Löbl.
Universität ahn statt doctoris jungen und doctoris hartliebs
Seel. ernante zu professoribus Medicinae geneigt und erbietig, zu
berührtem Zweck und Verlangen der studirenden Jugend unßere
von Gott verliehene Talenta ersprießlich ahnzuwenden, in Ew.
Churfl. Gnaden gnedigstes gefallen gehorsambst stellend, ob selbige
diese unßere wohlgemeinte unterthänigste offerta gnedigst genehm
halten und iimb ein billiches iährliches Stipendium, darahn zwar
■ las stifft S. Stephan ein gewisses weniges zu erledigen schuldig
were, authentisiren, zu dem end auch, jedoch ohne unßer maß-
geben, des herrn Dhomdechants und Statthalters Hochwürden und
Gnaden dieses werck bester und billigster maßen, weilen besagt.
Stifft S. Stephani unßere r medicinischen facultät ohnedas noch
ein zimliches im rest, das werck einzurichten gnedigste com-
mission ertheilen wolten.
Hierüber Ewer Churfürstlichen Gnaden gnedigste befehlende
resolution und meinung unterthänigst erwartend
Ew. Churfl. Gnaden
Unterthänigste trewgehorsambste
Ludwig von Hörnigk
J. Martin Hochstatt
Joh. Joachim Becher
Medicinae Doctores.
Rückseite: Ahn Ihre Churf. Gnaden underthänigst memoriale der
Medicinischen Facultät doctoren in Mayntz.
Von anderer Hand: Den 21. Februarii 1661 ist diese schritt!
originaliter nach würtzburg geschickt und hiesigem herrn Statthaltern
iintertliäing recommendiret worden.28
Beilage zu dem Aktenstück XXVIII.
Über die in dieser Eingabe genannten Professoren der Me-
dizin Simon Jung und Jodoens Hartlieb sowie über die drei
Unterzeichner der Urkunde finden sich in dem Album der
Mainzer medizinischen Fakultät (Mainzer Stadtbibliothek)
folgende Einträge:
Anno Domini 1(>17 undecimo Januarij receptus est ad facul-
tatem Medicam iuxta eiusdem statuta Simon .lang Moguntinus,
28 Der liier erwähnte Domdechant und Statthalter ist Johann von
Heppenheim, genannt von Saal. Vergl. iiher ihn Sehrohe, in der Fest-
schrill Im Prälat Schneider, S. 141 — 157.
Die Wiederbesetzung erledigter Professuren. 161
promotus Romae in Medicinae Doctorem, praesentibus Clarissimis
et. Experientissimis D.D. Joanne Georgio Thein Decano el Joanne
Nicoiao Fischero et Stephano Dominico Brunheymer.
Anno Domini 1617 22. Martij receptus c>\ ad Facultatem
Medicam iuxta eiusdem Statuta Jodocus Hartlieb.29 Bam-
bergensis, Ingolstadij promotus in Medicinae Doctorem, praesen-
tibus Clarissimis et Expertissimis Dnis D. Joanne Georgio Thein
Decano Stephano Dominico Brunheymero et Simone Jung.
Ego Ludovicus von Hörnigk, die 24. Maij st. vet. L625
Argentorati in Doctorem Medicinae legitime et solemniter pro-
moius a Dno Doctore Melchiore Sebitio seniore Facultatis, hodie
trigesima Decembris adeoque penultima Anni 1653, postquam
clarissimis Dnis Doctoribus Medicae Facultatis et juramento präe-
stito et aliis satisfecissem, ad dictam inclytam Facultatem sum
receptus Decano venefabili Nob. et Experientissimo Dno Doctore
Johanne Martino Hohenstadt praesentibus reliquis duobus puta
dno D. Simone Jungio et dno D. Jodoco Hartlieb.
Ego Joannes Martinus Hohenstadt Ao 1644 23. .lunij
promotus Romae Medicinae Doctor A Dno Simone Jung Medicae
Facultatis Seniore hodierna die 22. nimirum Januarij stipulata
mane ad Facultatem Medicam receptus iuxta statuta praesentibus
clarissimis atque experientissimis Dnis Domino Doctore Simone
Jung D. D. Jodoco Hartlieb Anno millesimo Sexcentesimo quadra-
gesimo sexto. Obiit ultimo Maii 1664.
Ego Joannes Joachimus Becherus Spirensis, Die Decima
Bona Septembris hujus anni currentis MDC.LXI in ipsa hac
Moguntia Medicinae Doctor legitime ei solenniter promotus,
hodie vigesimo octavo Novembris immediate subsequentis ab
mclytae Facultatis p. t. Decano Spectabili Domino Ludovico
von Hörnigk, postquam superaddito juramento consueto Facultati
satisfecissem, ad eandem sum receptus l'iaesenle Nobili el Ex-
perientissimo Domino Doctore Joanne Martino Hohenstatl suo
Dromotore.
tnter Ludwig von Hörnigk einzelne Daten über ihn bei
Schunk, Beiträge zur Mainzer Geschichte III, S. 309, Knodt
a. a. 0., S. 104, und Schrohe, Kunnainz in den Pestjahren
1666/7, S. 98 - - fand im Jahre L663 eine Doktor]) roinol ion.
statt, zu der in folgender Weise eingeladen wurde (das
Plakat befindet sich in den Akten der Generalrezeptur):
L. S./STN 9E0T QAAAMA. Ad / Sanctissimae Trinitatis
M;iiorem Gloriam, / Ecclesiae Catholicae Incremenlum, ' Rei-
publicae Universae Emolumentum, Patriae Charissimae Ornamen-
fcum, / Ipsis Calendis Martij media horä oetauä matutinä, Anni nati
Messiae supra Milesimum sexcentesimi / sexagesimi tertij,/Post
-;) Indem Memorienbuch des Keichklaraklnsters in Mainz beißt es: ..Den
12. Dezember 1658 ist gestorben unser Medirns Wen- Dr. Jodocus Hart
lieli, welche! unserem Konvent in der pestilenzischen Krankheil große
Hilfe und Treue erzeigt hat". Srhrohe, >(ies(duclile des Reichklara-
klosters, S. 19.
Beiträge /.. Gesell, d. Universitäten Mainz u. Gießen. u
162 Heinrich Schrohe.
collatam prius licentiam / ä / Reverendissimo in Christo Patre ac
Domino, / D. Wolthero Henrico A Strevesdorf. / Episcopo Ascalo-
nitano Eminentissimi Principis / Electoris et Archiepiscopi Mog.
Suffraganeo, SS. Theolog. Doctore / Eximio, Facultatis Theolog.
Uniuersitatis Coloniensis inter Ordinarios Professores et Regentes
aliquol annis Seniore, Uniuersitatis Moguht. Cancellario Amplis-
simo, Collegiatae Ecclesiae/B. Virg. Erfurti Praeposito, hie ad
D. Petri Scholastico et Canonico, Dn. nostro / suspiciendissimo /
Magnificus, Nobilissimus et Excellentissimus Vir, / D. Ludovicus
von Hörnigk, U. Juris, Medicinae et Phil. Doctor, S. Sedis Aposto-
licae etMaj.Caesareae/ad rem Librariam in Imperio Commissariuä
et Censor Generalis, Caesareus itidem Consiliarius /et Comes Pala-
tinus, Consiliarius Mogunt. Aulicus et Med. prof. pub. / Ord. nee
non p. t. Decanus, / Ex Venerandae Facult. Medicae in antiqua
Universitate hac Moguntinä, unanimi Cons'ensu et Decreto / Xo-
bilem, Clarissimum et Experientissimum Medicinae Canditatmn/Dn.
Michaelem Capitel Veldkircharhoetum in Medicinae Doctorem /
More Maiorum, Rituque solenni in Brabeuterio RR. PP. Soc.
Jesu maiore, / creabit, declarabit et pronunciabit / ad quam Pane-
gyricum Actum / Omnes ac singuli quotquot Virtutibus bonis-
que litteris volunt, pro statüs sui conditione, debitä / observantiä
officiose et amanter / rogantur, accersuntur, invitantur. /Benevole
itaque / Adeste, speetate, tavete, et re a nobis bene gesta, plau-
dite. P. P. et Facult. figillo subsignat. die 28 febr. 1663./ Disser-
tatiunculae Inaugurales / D. Promotoris / De Jurisprudentiae et
Medicinae 6c§eX<ptXia seu Consororietate vel saltem areta et magna
Consanguinitate et Conjunctione. /D. Doctorandi / De Curatione
Podagrae per solum Lac et au talis unqüam fieri possit V/Mogun-
tiae, ex Typographeio Nicolai Hevll, Uniuersitatis Typographi
jurati Anno M. DC. LXIII.
XXIX.
Kurfürst Damian Hartard übersendet die Klageschrift des
Dr. Cranebiter, dem die juristische Fakultät die Professur
j licht gestattete, an den Rektor Dr. Volusius und die Univer-
sität zur Entscheidung.
Mainz, den 13. August 1676.
Gen.-Rcz. Mainz.
Damian Hartard.
Waß vmi Dr. Cranebiter gegen unsere Juristen facultät albie
unili deßwillen, weil sie ihine die ordinari professur nicht ge-
fallen wolle, bey miß underthänigsl geklaget, wohin sich auch
beklagte l'aculläl dagegen vernehmen laßen, solches communiciren
Wir euch ab bey verwahrten orignalacten mit dem gnedigsten
befehl, daß ihr euch hierunder bestendig informiren und vertilgen
sollet, waß recht ist. seiinll. euch damit.
Main/, den 13. August 1676.
Adresse: Alm Weihbischoffen Dr. Vblusium alß rectorem Magnificum.
Links oben zu Beginn des Schreibens: Zinn S. Hechts oben: stylus.
Die Wiederbesetzung erledigter Professuren. 163
XXX.
Die Juristenfakultät teilt dem Kurfürsten Franz Lothar die
Gründe mit, die sie bestimmten, dem Bakkalaureus Christoph
Rudolf Winterhelt juristische Privatvorlesungen zu unter-
sagen; der Kurfürst hatte nämlich das Memoriale Winter-
helts der Fakultät übersandt und diese zum Berieht, auf-
gefordert.
(Juni 1697.)
.Mainz. Stadtbibl. Univers. No. 108.
Hochwürdigster Ertzbischoff und Churfürsl
Gnädigster Herr!
Aus dem ahn Ew. Churf. Gnaden von Christoph Rudolph
Winterhelt übergegebenen und unß von dero hochlöbl. Regirung
communicirten Memoriale, umb darüber unsern bericht unter-
thänigst zu erstatten, haben wir mit mehrerem ersehen, Waß-
gestalten derselbe sich beklage, daß von Decano facultatis Juridicae
privata collegia zu halten, wiewohlen er es umbsonsten Ihete,
Ihme seye inhibirt wordten. Nun geruhen Ew. Churfürsl 1. Gnaden
gnädigst, sich unterthänigst referiren zu lassen, wie daß L.mo er-
zielter Winterhelt in seinem Memoriale selbsten gestehet, daß
Er kein Licentiatus, sondern nur Baccalaureus seye, es hat aber
hier keiner, wan er auch schon von hiesiger Universitet, vorher
tacultatem docendi, er seye dan wenigstens licentiatus .Iuris und
membrum facultatis Juridicae, welches derselbe 2do seiner Eigenen
geständtnuß nach ebenfals nit ist, deßwegen hier jederzeil ob-
gservirt wordten, daß wan einer, so sirh anderwerts etwa helle
graduiren lassen, in allhiesige facultet einzutretten und deren
Privilegien sich theilhafftig zu machen verlangt, zuvor die consueta
Jura abstatten müssen wie ander andern 11. Dr. Hörnick der abge-
lebte H. Dr. Moll, so zu Ingelstatt Licentiam bekommen, deßgleichen
unser mitprofessor Laßer selbsten gethan halten, dannoch ist
JB.tio auch denjenigen, die Membra hiesiger facultel seint, nit zu-
gelassen, propria authoritate privatim- zu profitiren, sondern die
haben jederzeit hei denen professom umb permission angehalten,
wie auß denen aoeh vorhändigen Memoralien von Dr. I ranebiter,
Dr. Waßmuth sehl., Dr. Heger und hie Fläck, die doch de Eacul-
laie wahren, zu ersehen, ohnerhört aber ist, daß sich ein solches
einer ah Externa facultate mil bestand solle ahngemaßl haben
und dieses zwar darumh, aul't dal.» durch solches unordentliche
dociren keine Confusio in Studijs der gantzen Universitel zum
naehlheil erwachse und denen audiloren dardurch von einem
zum andern zu vagiren, quibus per se varietas placet, kein anlaß
gegeben werdte, also daß sie, wie s'ndis gebührt, aichtß rechl ab-
solvirn, sondern zu dero ohnersetzlichen schaden /eil und Kosten
übel anwenden und in Jure kein l'undaiueiil, wie per Studium
ordinatum continuum geschehen muß, setzen, sodan pro l.1" haben
Dr. Ilaaren ad Jus Canonicum und Dr. Petz ad tnstitutiones so-
wohl vergangenes Jahr alß auch dieses von Martini ahn biß hie-
hero ieder alle woche meistens 1 lectiones gehalten und ist
164 Heinrich Schrohe: Wiederbesetzung erledigter Professuren.
Dr. Honcamp ebenfalß bereith, wan einige auclitoren von neuem
anfangen Woltern, daß seinige zu verrichten, es mag aber wenig
zur sach thuen, daß gedachter Winterhelt privata collegia umb-
sonst zu halten vorgibt, maßen diejenige, so under Unß die
Institutiones hören und waß gewöhnlich zahlen, ein gantzes Jahr
mit 4 Rthlr. auslangen, Armen aber bey unß auch umbsonst gern
zugelassen werdten, also daß dieses geringe, so doch von allen
nit gereicht, wirdt, deß andenß nit wehrt, auch kein erhebliche
ursach sein mag, darumb die alte bey der Universitet wohlher-
ueluachte privilegia oder üblige observantz zu infringiren.
Dahero gelanget ahn Ew. Churfürstl. Gnaden unser unter-
thänigstes bitten, dieselbe geruhen gnädigst die vom Baccalaureo
Winterhelt eigenthätig angefangene ohnzuläßliche zu praejudiz
hiesiger Universitet und deren professoren gereichente Collegia
einstellen zu lassen, zeitliche professores aber bey denen her-
brachten Privilegien gnädigst zu schützen alß die wir zu Ew.
Churfürstl. Gnaden underthänigsten dinsten immerdar geflissen
seint und leben
Ew. Churfürstl. Gnaden
unterthänigste
Decanus Senior Doctores und professores
der Juristen facultet alhier.
Rückseite: Ihro Churfürstl. Gnaden zu Maintz und Bischoffen zu
Bamberg underthänigster bericht und bitte sambtlicher professoren der
Juristen Facultet alhier deß Baccalaurei Winterhelts anmasliche collegia
betreffend.
Von anderer Hand : Praesentirt den 8. Jun. 97. Entsprechend dem
Vermerk auf der Vorderseite links oben: Ad consilium, steht auf der
Rückseite : Lectum et conclusum. Man haltet darvor, daß dem Bacca-
laureo Winterhält fernerweith Collegia privata zu halten von der alhisigen
Universität zu untersagen sey und demselben bedeutet werden könte, sich
bey der Universität forderist zu legitimiren und praestanda zu praestirem
welchem nach Er alß dan die hergebrachte privilegia genießen könte.
Mayntz den 8. Junij 97. E(x) M(andato) Efmminentissimi).
Von einer dritten Hand: Licentiato vel Baccalaureo Juris Winterheld
weiden die Collegia privata zu halten verbotten.
Wie man im 18. Jahrhundert an der Univer-
sität Mainz für die Ausbildung von Professoren
der Kameralwissenschaft sorgte.
Von Wilhelm Stieda.
I.
Nachdem Friedrich Karl Joseph von Ertha] im Jahre
1774 die Zügel der Regierung als Kurfürst von Mainz er-
griffen hatte, ging alsbald sein Bestreben dahin, die Hoch
schule zu Mainz tunlichst zu fördern.1 Mi1 Besorgnis halle
kr die einheimische Jugend, der zu Hause nichts Aus-
reichendes geboten wurde, auf auswärtige Lehranstalten
ziehen sehen. Nachteile waren hieraus erstanden, und st»
schien es zu ihrer Vermeiduni: zweckmäßig, die LJniversitäl
neu zu beleben, um so mehr, als dadurch die Stadl .Mainz,
die heilige Religion und damit das allgemeine StaatswohJ
sicher ebenfalls Nutzen haben winden. Zu diesem Zwecke
entschloß sich t\cr Kurfürst, zur Aufhebung dreier Klöster
m .Mainz, der Karlhause am Michelsberg, des Altmünster-
1 K (I. I'.ockcnhi'inicr, Hie I « estauration der Mainzer Hochschule im
Jahre 1784, .Mainz 1884, S. 11.
166 Wilhelm Stieda.
(weibl. Zisterzienser) und des reichen Klarissen (Mino-
riten)-Klosters am Flachsmarkte und schenkte am 15. No-
vember 1781 deren Vermögen der Hochschule.2
So konnte im nächsten Jahre Johann Friedrich von
Pfeiffer, ein Kameralist von Ruf, der durch eine große An-
zahl von Schriften die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt
hatte, obwohl er Protestant war und bereits im 64. Lebens-
jahre stand, zum Professor der Kameralwissenschaften, und
zwei Jahre später Nikolaus Karl Molitor in jugendlichem
Alter auf den Lehrstuhl der Chemie und Pharmazeutik be-
rufen werden.3 Beiden Männern verdankt man die Errich-
tung einer Kameralfakultät, an der für Unterrichtszwecke
zunächst drei Lehrstühle vorgesehen waren : für Land- und
Stadtwirtschaft sowie für Handlungswissenschaft, für all-
gemeine Polizeiwissenschaft, für Staatswirtschaft und Finanz-
wissenschaft.4 Doch gehörten zu der „kameralischen" Fa-
kultät, der sechsten in der Reihe, auch noch die Lehrer
der angewandten Mathematik, der Botanik, der Chemie, der
Vieharzneikunde. Sie sollte sich insbesondere bestreben :
,.die eigenen Landesproducte, deren vor andern räthlichen
Verarbeitung, den Aktiv-Landeshandel und den wichtigen
Gegenstand zu ergründen, was für einen Antheil die beyden
Rhein- und Main-Flüsse an dem allgemeinen europäischen
Kommerzium wirklich haben und etwa haben könnten".4
Unter den Kameralwissenschaften, so führte die im Jahre
1784 veröffentlichte Neue Verfassung der verbesserten hohen
Schule zu Mainz5 aus, versteht man die Wissenschaft, die
einzelnen Familien in Wohlstand zu setzen und dadurch den
Staat reich an allerhand Gütern, auch wohl nach Verhältnis
mächtig zu machen, eine weitläuftige, schwere und gleich
allen anderen unerschöpfliche Wissenschaft.6 Im letzten
Grunde war es mithin der Wunsch, die wirtschaftlichen
Verhältnisse im Kurstaate erfreulich günstig zu gestalten,
der auf die Errichtung einer eigenen Fakultät und die nach-
drückliche Beförderung der in ihr vertretenen Wissen-
schaften führte. Als Zuhörer dachte man sich Studenten
der Jurisprudenz, die indes erst gegen den Schluß ihres
auf vier Jahre berechneten Studiums sich mit den Fächern
vertraut zu machen haben würden. Sie sollten im sechsten
Semester die Vorlesungen über Landwirtschaft, Gewerbe-,
2 Bockenheimer, a. a. 0., S. 14.
3 Wilhelm Stieda, Die Nationalökonomie als Universitätswissenschaft,
Leipzig 1906, S. 188. - 4 Stieda, a. a. 0., S. 195.
5 Verfaßt von Benzel, .Mainz 1784. - 6 Stieda, a. a. 0., S. 192.
^Ausbildung in Kameralwissenschaft. in,
Manufaktur- und Fabrikwesen sowie die Handlungswissen-
schaft, und im siebenten Semester die Polizei-, Finanz- und
S taatswirtschaft hören.7
Mehr Schwierigkeiten bereitete die Wahl der Lehrenden.
Unter den Männern, die für den Vortrag der Kameralwissen-
schaften in Frage kamen, einer Wissenschaft, die damals
seit kaum viel mehr als 50 Jahren an deutschen l'uiver-
sitäten gelehrt wurde, gab es keine große Auswahl. Srhon
daß man auf den 64jährigen Pfeiffer gegriffen hatte, deutet
wohl die Verlegenheit, an, in der man sich befand. Als
15 Jahre später an der Universität Greifswald die Pro-
fessur für Kameralwissenschaften zu besetzen war, hatte
man ebenfalls die größten Schwierigkeiten zu überwinden
und konnte nur mit Hülfe einer ausgedehnten Korrespon-
denz endlich den geeigneten Mann ausfindig machen. Es
gab eben noch verhältnismäßig wenige Kameralisten, die
sich dem gelehrten Berufe des Professors zu widmen geneigt
waren. Diejenigen aber, die sich dazu bereit erklärten,«
waren in erster Linie Naturforscher, Landwirte und Techno-
logen, noch keine eigentlichen Nationalökonomen. Damals
schrieb Professor Franz in Stuttgart8, „wie gut es die
Kameralisten hätten, die, nachdem sie ausstudiert, sich alle
so sanft zu betten gewußt, daß es beynahe unmöglich wäre,
einen von ihnen aus seiner behaglichen Lage herauszu-
heben".9
Nun war Pfeiffer kränklich, durch seine sonstigen Amis
geschälte oft von Mainz fern gehalten, - - er bekleidete wie
es scheint, außer seiner Professur noch einen praktischen
Posten — und man mußte auf einen Ersatz im Hinblick
auf sein Alter bedacht sein. Da kam man auf den nahe
liegenden Gedanken, zwei talentvolle Studenten, Schüler
von Pfeiffer, dazu zu bestimmen, sich dem akademischen
Berufe zu widmen. Auf Grund von Instruktionen, die wahr
scheinlich Pfeiffer selbst aufgesetzt halle, der auf die Aus-
bildung der jungen Männer, in denen er weiterzuleben ge
dachte, großes Gewicht legte, winden sie in Main/, in be-
sonderen Privatvorlesungen unterwiesen und mit Stipen-
dien aus der kurfürstlichen Kasse auf Reisen und auf andere
deutsche Universitäten geschickt. Diese Instruktionen und
pinige Reiseberichte haben sich im Großherzoglichen Haus
und Staatsairhiv zu Darmstadt erhalten. Wegen des all-
7 Stieda, a. a. 0., S. 193.
8 F. Chr Franz. 1751 L828, Stieda, S. L52, 365.
9 Stieda, a. a. 0., S. 90.
168 Wilhelm Stieda.
gemeinen Interesses, das sich an sie knüpft, lassen wir
sie im Anhange wörtlich folgen. Sie erlauben, in die An-
schauungsweise des 18. Jahrhunderts und den Entwicklungs-
gang der Studien, die man für nötig hielt, erwünschten
Einblick zu nehmen.
II.
Eines Tages hatte der Kurfürst befohlen, daß Professor
Pfeiffer einige „Subjekte" in Vorschlag bringen möge, die
zu künftigen Lehrern der Kameralwissenschaften ausge-
bildet werden könnten, und aus denen man dann einen
auswählen wollte. Bald darauf konnte der im Jahre 1782
aus dem Ruhestand zurückberufene Freiherr von Benzel,
der zum Kurator der Universitäten Mainz und Erfurt be-
stellt worden war10, melden11, daß zwei Herren in Frage
kämen, die sich „durch Fleiß und besondere Fähigkeit"
auszeichneten. Es waren Franz Karl Spoor, der Sohn
eines verstorbenen Mainzer Bürgers, im Alter von 25 Jahren,
und Georg Adam Schleenstein12, der Sohn eines Mainzer
Getreidehändlers (Fruchtmitter), 23 Jahre alt. Beide werden
als „halb bemittelte" charakterisiert. Leider ist es nicht
möglich gewesen, über ihre Familie und ihre persönlichen
Schicksale Nachrichten zu erlangen. Keines der vielen
Nachschlagewerke, das Ausweise über die Gelehrten des
18. Jahrhunderts enthält, kennt ihre Namen. So hat sich
auch nichts mehr über ihre wissenschaftlichen Leistungen
ermitteln lassen. Spoor ist schon im Jahre 1796 gestorben,
im Alter von mutmaßlich nur 38 Jahren, scheint somit zu
rechter Entwicklung nicht gelangt zu sein.13 Er hatte
im Jahre 1783 eine Prüfung aus der Polizeiwissenschaft
mit allgemeinem öffentlichem Beifalle überstanden und wurde
gerühmt, „von Lernbegierde, vielem Fleiße, wirklich gutem
Vortrage und gesetztem Geiste" zu sein. Es gereichte ihm
zur Empfehlung, daß er auch in der Jurisprudenz guten
Fortgang genommen hatte. Für Schleenstein wurde geltend
gemacht, daß er mehr natürliche Fähigkeit (doch wohl im
Vergleich mit Spoor), einen lebhaften Geist besäße und
gleichmäßigen ausgezeichneten Fleiß zur Schau getragen
10 Bockenheimer, a. a. 0., S. 17.
11 Am 5. April L783, Akten im Großh. Hess. Haus- u. Staatsarchiv in
Darmstadt, betreff, die Kameralfakultät zu Mainz.
12 Auch Schlehenstein geschrieben.
18 Cd. Mitteilung von Professor Velke in Mainz, Stieda, a. a. 0.,
S. 199.
Ausbildung in Kameralwissenschaft. 169
hätte. Auch in den nicht kameralistischen Vorlesungen halte
er sich als einer der besten Studenten srwiesen.
Bei solcher Charakteristik war offenbar die Ent-
scheidung, wen man zum Professor bestimmen sollte, nichl
ganz leicht. Pfeiffer selbst hatte gemeint, daß man beide
eine Zeitlang weiter zu bilden suchen müsse, um sich
davon zu überzeugen, wer der tüchtigere sei, während Frei-
herr von Benzel, ohne es näher zu begründen, sich mehr
für Schleenstein aussprach. Schließlich wurde die Frage
dadurch zur Zufriedenheit beantwortet, daß der Kurfürst
beide Herren auszubilden befahl, da sie als Lehrer in Mainz,
Erfurt oder sonstwo würden Verwendung finden können.
Jetzt kam es darauf an, durch Instruktionen den ein-
zuhaltenden Bildungsgang festzulegen. Pfeiffer verlangl i,
daß der Kandidat 1. alle wesentlichen Teile der Kameral-
wissenschaft theoretisch sich zu eigen machen müsse,
2. den Hülfswissenschaften fleißig obzuliegen habe, 3. prak-
tisch sich betätigen und 4. außerhalb Landes reisen müsse,
um Universitäten, Kameralschulen usw. zu besuchen und
auf diese Weise weiter zu studieren. Zu den Hauptfächern
rechnete Pfeiffer Landwirtschaft, Stadtwirtschaft inil Manu-
faktur- und Fabrikwesen, Handlungs Wissenschaft, Polizei-
wissenschaft, Staatswissenschaft. Er wollte auf diesen Ge-
bieten beiden Herren Privatvorlesungen halten und sie zu
praktischen Ausarbeitungen anleiten. Im zweiten Lehrjahre
sollten sie ihrerseits versuchen, sich im Lehramte zu üben,
indem sie mit den Teilnehmern der Pfeifferschen Vorlesungen
Repetitorien anstellten. Zu den Hülfswissenschaften cech-
nete Pfeiffer theoretische und praktische Mathematik, Natui
geschiente und Naturlehre, Chemie, Vieharznoikunst. Die
praktische Betätigung sollte darin bestehen, daß sich die
zukünftigen Leuchten der Wissenschaft mit der Landwirt-
schaft, dem Ackerhau, dem Weinhau, dem Holzanbau, dn
Bewirtschaftung von Landgütern vertraut zu machen he
mühen und Fabriken und Manufakturen besichtigen sollten.
Demnach würde nach der Pfeifferschen Auffassung lin
die weitere Ausbildung zum Professor nötig gewesen s 'in :
Besuch von Vorlesungen, seminaristische Tätigkeit, be-
stehend in schriftlichen Ausarbeitungen über bestimmte
Fragen und Veranstaltung von Repetitorien mil jüngeren
Studenten, Besichtigung von Landgütern und industriellen
Betrieben, endlich Besuch anderer Universitäten, oder
spezieller Lehranstalten l'ür fCameralwissenschaften, offenbar
in der Absicht, die Auffassungen von h ervorragenden Fach
Vertretern kennen zu lernen. Man würde auch heute noch,
17u Wilhelm Stieda.
um Rat befragt, wie man sich am besten für eine Professur
der Nationalökonomie vorbereite, keinen bessern erteilen
können. Nur daß allerdings der- Rahmen der zu studierenden
Fächer, insbesondere der Hülfswissenschaften, anders ge-
zogen werden müßte. Die juristischen Fächer hatte Pfeiffer
augenscheinlich nicht genannt, weil die beiden Kandidaten
im eigentlichen Kameralkursus, wie er für die Universität
Mainz vorgesehen war14, sich mit ihnen hinlänglich bekannt
gemacht haben mußten.
Sollte dieses Gutachten zunächst wohl wesentlich theo-
retisch den Umfang der anzueignenden Wissenschaften he-
stimmen, so schloß sich daran eine im speziellen Fall unter
Berücksichtigung der Eigenart der jungen Leute einzu-
haltende Anweisung. Pfeiffer hatte, nachdem die kurfürst-
liche Zustimmung zu ihrer Ausbildung eingetroffen war, seine
Schützlinge noch einmal eingehend geprüft und gefunden,
„daß diese Leute in den nötigsten fremden Sprachen und
in der Philosophie ziemlich bewandert, allein in den mathe-
matischen, ökonomischen und Finanzwissenschaften sind sie
ebenso unerfahren als in der Kunst, sich in schriftlichen Auf-
sätzen kurz, zierlich, deutlich bestimmt in ihrer Muttersprache
auszudrücken".15 Darauf faßte der Freiherr von Benzel in
dem Bericht an den Kurfürsten16, der somit über die An-
gelegenheit auf dem Laufenden gehalten sein wollte, zu-
sammen, was demnächst zu geschehen habe : Privatlektüre
und tägliche theoretische und praktische Übungen bei Pfeiffer,
Naturgeschichte bei Bergmann17, Mathematik bei Westhof en18
und Eickemeyer19. Chemie und Vieharzneikunde dagegen
sollten noch zunächst ausgesetzt werden.
An diese Auslassungen schließen sich offenbar die un-
datierten Instruktionen, die Professor Pfeiffer ausgearbeitet
balle und die nur auf 4 Monate Geltung haben sollten. Ich
denke mir, daß dabei an die Zeit von Mai bis Ende August
II Stieda, a. a. ()., S. 193.
15 Bericht vom 28. April 1783.
"; unter dem 29. A.pril L783.
17 Joseph B., Kxjesuit, 1740—1803; Bockenheimer, a. a. 0., S. 38.
18 Karl Westhofen, Professor der mathematischen Wissenschaften,
stirbt L804; Bockenheimer, a. a. 0., S. 38. Über ihn als Mitglied des
Klubs in .Mainz siehe K. (1. Bockenheimer, Hie Mainzer Klubisten, Mainz
IN' ti;, S. 67.
III Rudolph Eickemeyer, 1753 — 1825, ursprünglich Militär, Professor
dei mathematischen Wissenschaften; Bockenheimer, a. a. 0., S. 38. „Denkj
Würdigkeiten" des Generals Eickemeyer sind 1845 von Heinr. Koenig
herausgegeben.
.Ausbildung in Kameralwissenschaft. 171
1783 gedacht worden ist.20 Sie brachten insofern einige
Änderungen, als nicht nur Chemie, sondern auch A'alur
geschiente auf den nächsten Kursus verschoben, die Physik
und Mathematik jedoch noch auf die weiteren Kurse aus-
gesetzt wurden.
Ganz richtig hatte sich nun Professor Pfeiffer klar ge-
macht, daß sich eins nicht für alle schicke. Wenn die beiden
jungen Leute zu künftigen Professoren herangebildet werden
sollten, empfahl es sich wohl, jedem eine Spezialität zuzu-
weisen. Aus diesem Bedürfnis erklärt sich die zweile In-
struktion, die den künftigen Dozenten für ,, Landkultur" vor-
sieht.21 Von diesem ist in dem kuratorischen Bericht an
den Kurfürsten nicht die Rede.
Der einstige Vertreter der Technologie und Handlungs-
theorie hatte nach der Instruktion damit zu besinnen, sich
im Zeichnen zu vervollkommnen. Im übrigen mußte er
die besten literarischen Erscheinungen seines Fachgebiets
(das heißt Technologie, Fabrikwissenschaft, Handelstheorie,
Warenkunde, Buchhai terei) studieren und nachdem er in
der Theorie der Maschinen, Werkzeuge, Apparate fest ge-
worden, dazu schreiten, sich praktische Erfahrungen zu
sammeln. Dies sollte durch Inaugenscheinnahme von Hand-
werks- und Fabrikbetrieben in Mainz und eifriges Studium
in den Kammerakten angebahnt werden. Für die praktische
Erlernung des Handels aber sollte der junge Gelehrte die
Kontore in Mainz besuchen und in freundschaftlicher Unter-
redung mit den Handelsherren Kenntnisse erwerben. Xach
beiden Richtungen seien kleine Reisen zur Besichtigung
von Fabriketablissements in der Umgegend, insbesondere
auch der von den französischen Refugies angelegten, an-
zuschließen und endlich während der künftigen Herbst-
ferien in einem Aufentbalte in Frankfurt a. M. Vervoll-
kommnung zu erstreben. Für diesen wurde etwas naiv
empfohlen, unter dem Vorwand eines Handelsgeschäfts mit
hervorragenden Kaufleutcn Fühlung zu neinner] „und da
durch sich manche praktische Erfahrung zu sammeln".
Auch der spätere Vertreter der Landwirlschal'l sohle
mit Übungen im Zeichnen von Pflanzen, Bäumen; öko-
nomischen Maschinen, Gartenanlagen usw. beginnen; dann
sich mit den besten theoretischen Werken über Landkultur
verliaul machen. Da in dieser Hinsicht die l'uiversiläls-
bibliothek in Mainz niclil viel zu bieten imstande war.
20
Anhang No. 1. - 21 Anhang No. 2.
17v2 Wilhelm Stieda.
sollte er selbst durch Namhaftmachimg von Büchern zu
deren Vervollständigung beitragen. Um praktische Kennt-
nisse sich anzueignen, sollte er von Zeit zu Zeit auf ein
nah belegenes Landgut sich begeben, ferner jede Woche
einige Male die Bauern in den Dörfern bei ihren Feldarbeiten
beobachten und kleinere Fahrten ins Rheingau, ins
Xassauische, Pfälzische usw. unternehmen. Daraus würden
ihm Kenntnisse des Getreidebaues und Weinbaues sowie
der Kultur von Handelsgewächsen, als da sind Hanf, Flachs,
Tabak etc., zu eigen. Über dem Studium von Getreide-
bau, Hopfenbau und Viehzucht war das der Gartenkunst
und Forstwirtschaft nicht zu vernachlässigen, das gleich-
falls durch Besichtigung hervorragender Gärten und main-
zischer, hessischer, pfälzischer Waldungen betrieben werden
könnte. Endlich sollte er den Zutritt zur kurfürstlichen
Universitäts-Kameral-Deputation haben, um aus deren Akten
über landwirtschaftliche Geschäfte neue geistige Nahrung
ziehen zu können.
Man darf hoffen, daß beide Herren dieser ihnen von
einem hervorragenden Vertreter ihres Fachs gegebenen An-
regung gemäß sich während des Sommersemesters 1783 dem
Studium in Mainz hingegeben haben werden. Wenn sie
gewissenhaft verfuhren, hatten sie keine leichte Aufgabe
zu erfüllen. Am Schlüsse derselben winkte dann die Be-
lohnung in Gestalt der ebenfalls vorgesehenen kleineren
Reisen in die nächste Umgebung. Beide Herren hatten bei
ihren theoretischen Studien gefunden, daß die meisten
Kameralwissenschaften ,,so enge" mit dem anschaulichen
und der eigentlichen Praxis verbunden seien. Dement-
sprechend wünschten sie jetzt zur Reise schreiten zu können.
Dem Kurator schien das kein unbilliges Verlangen und er
empfahl daher dem Kurfürsten22, nach Schluß der Vor-
lesungen die Herren Spoor und Schleenstein zur Besichtigung
von Fabriken und Manufakturen in die umliegende Gegend
verreisen zu lassen. Es könnte sich handeln um Höchst,
Orb, Lohr, Offenbach, Hanau und Frankenthal. In diesen
Städten befänden sich viele von Wiedertäufern (?)23 an-
gelegte Etablissements, die berücksichtigt zu werden ver-
dienten. Jedem Kandidaten schlug der Freiherr von Benzel
-•-' Am 23. Augusl 1783.
; liier liegt wollt eine Verwechslung mit Reragiös und Wallonen vor.
l ber deren Bemühungen, industrielle Anlagen in Hanau, Offenbach und
Frankfurt zu begründen, siehe Pirazzi, Bilder und Geschichten ans Offen-
bachs Vergangenheit (1879), S. 162. Von Fabriken und Manufakturen in
Hanau vgl Hanauisches Magazin (1783) XL1I— LH. in Orb mochte etwa
Ausbildung in Kameralwissenschaft. 17:;
vor, 50 Taler zu verabfolgen und sie zu verpflichten, ein
Diarium zu führen, in dem sie ihre Beobachtungen würden
eintragen müssen.
Auch diese Berichte, die getreu die Eindrücke wieder-
geben, haben sicherhalten.2*25 Schleenstein herichlel in dem
seinigen24, daß er gemäß der Instruktion einige Male in jeder
Woche die Dörfer besucht und dann eine Reise ins Darm-
städtische, Nassauische, Pfälzische, Zweibrückischo und in
den Rheingau unternommen habe. Seine Heise hatte ihn
kennen lernen lassen die Ortschaften Gonzenheim, Mombach,
Bretzenheim und Hechtsheim, Nackenheim und Bodenheim,
irräfenhausen im Darmstädtischen, Pfungstadt, Gundern-
hausen, Dieburg, Aschaffenburg, Emmerichshofen, Nassau,
Wendelsheim im Pfälzischen, Kirchheimbolanden, Kaisers-
lautern. Schwerlich wird er eine alle dies? Orte berührende
zusammenhängende Reise gemacht, sondern wahrscheinlich
kleinere Fahrten unternommen haben. Schließlich halte sein
jftreg ihn in den Rheingau geführt, wo er indes die einzelnen
Orte, die er besucht, hatte, nicht angibt. Der Wunsch, die
Bedingungen des Weinbaues zu erforschen, halte ihn dabei
geleitet. Von allem, was er gesehen, wußte er sachgemäß
zu berichten und gab am Schlüsse seines Berichts zwei be-
achtenswerte Auslassungen wesentlich technischer Natur,
die sich auf den deutschen Klee- und Krapp hau bezogen.
In andere Gegenden hatte sich unterdessen Spoor be-
geben. Dieser hatte sich zunächst mit verschiedenen Hand-
werksbetrieben bekannt gemacht und dadurch Lust und
Fähigkeit erworben, sich nach den entsprechenden Verhält-
nissen im Auslande umzusehen. Am 10. September 17s;;
trat er seine Fahrt an. Er reiste zuerst nach Franklin! a. AI.
und fand hier in der Tat, indem er sich „als einen Kom-
missionär hinstellte, der vielleicht noch mancherlei Ge-
schäfte mit ihnen zu machen Gelegenheil haben würde",
Zutritt zu den Kaufleuten und ihren Gewollten. Auch mit
Fabrikanten gewann er Fühlung und ließ sich Auskunft
über ihre Tätigkeif erteilen. Indes kam hierbei, weil die
Anschauung fehlte, seine „wissenschaftliche Neugierde" zu
kurz. Daher begab er sich am Schlüsse der Messe nach
Offenbach, das „mit Recht ein Manufakturstädtchen" je
die Saline, in Lohr die Spiegelmanufaktur, in Höchsl die Tabakfabrife von
Bolongaro, in Frankenthal dir l'or/.ellanfabrik die Sehenswürdigkeil [ör
Kameralisten sein. Vgl. Fr. N. Wolf, Das Landgericht Orb und seine Sa-
hne (1824); Friedr. Stein, Gesch. der Siadi Lohr am Main i L898 . S. I Infi'..
Gerning, Die Lahn- und Mainse«end von Kins bis Frankfurt (1821), S. 98 99
(über Höchst). - ^ Anhang No. 3. - -•• Anhang No. I.
174 Wilhelm Stieda.
nannl zu worden verdient20, und dort fand er die erwünschte
Gelegenheit, sich über allerlei Industriezweige, als Bijouterie,
Plüsch- und Kalla weberei27, Wollfärberei, Wachslichtzieherei
usw., ausgiebig zu unterrichten.
Weniger befriedigt war er über den Verkehr mit den
Arbeitern selbst, die er unfähig fand, über ihre Tätigkeit
etwas auszusagen. Meist seien sie nicht gewohnt über sie
nachzudenken und würden über den Fremden, der sie mit
Fragen und Einwänden aufhielte, ungeduldig. Von Offenbach
kam er nach Seligenstadt, wo er die Wollenweberei studierte.
Hier geriet er auf einen praktischen Gedanken, indem er
die Pfälzer und die Gräflich Erbachschen Wollenweber und
Tuchmacher von dem Besuch der Märkte in den Mainzischen
Landen im Interesse der Seligenstädter Tuchmacherei aus-
geschlossen wissen wollte.28 Nur dadurch könnten die
letzteren vor dem sonst unausbleiblichen Verfalle bewahrt
bleiben. Den Beschluß macht ein Aufenthalt in Franken-
thal, wo er andere Industrien als in Offenbach, nämlich
Wollenzeug- und Tuchmanufaktur und die Porzellanfabri-
kation kennen lernte.29
Beide Berichte, wenn sie heute uns auch den Eindruck
hinterlassen, mehr an der Oberfläche stehen geblieben zu
sein, als hätte erwünscht sein müssen, erfüllten doch den
Professor Pfeiffer mit großer Befriedigung. Nachdem er sie
gelesen, sandte er sie weiter30 an den Freiherrn von Benzel,
indem er hinzufügte: „Warheit, Sachkäntnis, Beurteilung^
kraft mit einem ungekünstelten aber deutlichen Vortrag,
herrschen in der Relation und dienen zum unverwerflichen
Zeugnis, daß die Verfasser den edlen Stoltz besitzen, brauch-
bar zu werden und sich dem Vaterlande recht nützlich zu
machen. Der Gedanke, daß ich in diesen jungen Leuten
noch lange leben werde, gereicht mir zu besonderer Satis-
faction und ich hoffe sie den Winter über soweit zu bringen,
daß sie künftigen Früling mit vielem Nutzen aufs Handwerk
2,; (her Offenbachs Industrie geben einige Auskunft P. Heber, Ge-
schichte der Stadl Offenbach (1838), S. 188—191, und Emil Pirazzi,
Bilder um! Geschichten aus Oilenbachs Vergangenheit (1879), S. 159 — 176.
-v Calla, ein fassonnierter, mit erhabenen Blumen gewebter wollener
Plüsch, Samt oder Velvel in allerlei Karben. G. C. Bohns Warenlager3
neu bearbeitel von Norrmann, L805.
28 Über Seligenstadt, das an der Geleitsstraße von Augsburg und
Nürnberg zur Frankfurter Messe lag, und seine eigenartige Sitten vgl.
Pirazzi, a. a. 0., S. 151 ff.
-"■' Über die Porzellanfabrik zu Frankenthal im Jahre 1782 vgl. Mann-
heimer Gcsrhichtshläller (1904), No. 4; weitere Literatur bei Stieda, Die
keramische Industrie in Bayern, S. 8. — so Am 26. Novbr. 1783.
Ausbildung in Kameralwissenschaf't. 175
reisen und sich den Sommer über qnalificiren können in
alle Sättel des so weitläuftigen Cameral-Fachs gerechi zu
werden." Auch auf den Kurator von Benzol, der die Berichte
dem Kurfürsten zu unterbreiten hatte31, machten si • einen
guten Eindruck. Er meinte, daß der Bericht ,;viele gute An-
merckungen enthielte", und „bewiese die von den beiden
Kandidaten angewandte Aufmerksamkeit und den in ihrem
Richtigen und weitläuftigen Fache schon gemachten Fort-
gang".
Den Winter von 1783 auf 1784 haben dann die Herren
Spoor und Schleenstein augenscheinlich im beruhigenden
Gefühl ihre Pflicht getan zu haben, verbracht. Die Hoff-
nung auf die größere programmäßig vorgesehene Reise
dürfte ihre Brust geschwellt haben. Hoffentlich werden sie
von der gebotenen Gelegenheit, sich in Mainz belehren zu
lassen, guten Gebrauch gemacht haben.
Professor Pfeiffer vergaß auch nicht, sich ihrer anzu-
nehmen. Am 29. Februar 1784 regte er beim Kurator an,
die jungen Männer auf Beisen zu schicken. Nachdem si i
eben hoch die Anfangsgründe der Chemie, die er privat issime
vorgetragen habe, gehört hätten, seien sie in der Theorie
fertig und um „nun das Gehörte gleichsam in suecum et
sanguinem zu verwandeln", wären sie jetzt auf Reisen zu
schicken. Vom April bis Ende Oktober sollte die Pahrl
dauern. Er werde für eine Marschroute und Empfehlungs-
briefe sorgen. Von unterwegs sollten die beiden Beisenden
dann von Zeit zu Zeit ihre Tagebücher einsenden.
Vom Kurator daraufhin wahrscheinlich anueregt. sich
darüber zu äußern, inwieweit es sich empfehle, für die
beiden Herren die schon begonnene Beschränkung der
Studien auf einen Teil der Kameralwissenschaften festzu-
halten, äußerte sich Professor Pfeiffer am 11. März 1184
noch einmal zur Sache. Jedem Professor sollte man die
Wissenschaft anvertrauen, zu der er die stärkste Neigung zu
haben scheint. Daher soll Spoor sich auf Staatswirtschaft,
Staats-Kommerzienwesen, Siädtewirtschafl, Pol i zei Wissen-
schaft, Finanzwissen sc hall, Manufaklurwissenschafl und
Technologie legen. Schleenstein dagegen halle zu treiben: die
ganze Landwirtschaft, einschließlich Vieharzneikunst, Fische-
rei, Bergwerke, Porsten, ökonomische Chemie (Lehre von Erd-
lind Steinarbeiten, Hafner-, Fayence-, Porzellan , Glasmacher .
Ziegel- und Kalkbrennerei), Zivilbaukunst: Lehre von den
31 Am 7. Dezbr. 1783.
176 Wilhelm Stieda.
Salzarten (Potaschesieclereien, Vitriolöl- und Scheidewasser-
brennereien, Borax, Zuckerraffinerien) ; Lehre von brennbaren
Körpern (Raffination des Kampfers, Zubereitung des Siegel-
lacks, Verkohlung des Holzes und der Steinkohlen, Wachs-
und Unschlittkerzen-Verfertigung), Lehre von Metallen und
metallischen Fabrikaten, Probierkunst, Glasmalerei usw.,
Lehre von Färbereien, Waschen, Bleichen, Lackieren, Walken,
Weissieden, Vergolden, Versilbern, Verzinnen, Ätzen und
Beitzen, Lehre von der Gärung, der Fermentation. Mit der
kaufmännischen Rechnungs-Verfassung sich zu beschäftigen,
scheint Pfeiffer nicht für nötig erachtet zu haben, da sie
„für den großen Haufen der Kandidaten, die in einem Jahre
absolviret werden wollen, entbehrlich und zu weitläuftig"
sei, auch bald vergessen wäre.
In bezug auf die einzuhaltende Marschroute entwarf
Pfeiffer zwei Pläne. Der eine führte von Mainz über Heidel-
berg, Bruchsal, Speyer, Stuttgart nach Ulm, von da zu
Wasser nach Wien, dann nach Steiermark, Kärnten und
Triest bis Venedig : zurück durch Tirol über Augsburg,
Sachsen, Berlin, den Harz, Göttingen nach Cassel und Mainz.
Nach dem anderen Plan sollten Stuttgart, Augsburg, München,
Wien, Prag, Dresden, Leipzig, Berlin, der Harz, Göttingen und
Cassel nebst den dazwischenliegenden Gegenden mit den
„Ausen eines guten Beobachters" bereist werden.
Keiner der beiden Pläne ist vollständig zur Ausführung
gelangt. Wahrscheinlich ist noch im letzten Augenblick oder
nach Rücksprache mit den Reisenden selbst eine andere
Route aufgestellt worden. Auch von dieser kamen dann
noch Abweichungen vor. Dem Kurfürsten wurde kein be-
stimmter Plan mitgeteilt, sondern ihm nur durch den Kurator
empfohlen32, überhaupt die beiden Privatdozenten auf Reisen
ziehen zu lassen. Beide seien, meinte Freiherr von Benzel,
gesetzten Geistes und vom besten Willen beseelt. Man könne
erwarten, daß sie ihren Auftrag gut erfüllen würden. Die
einzige Verpflichtung, die man ihnen auferlegen zu müssen
glaubte, bestand in der Versicherung, daß sie niemals ohne
kurfürstliche Genehmigung in andere Dienste übergehen
würden. Die Tagegelder wurden für beide auf vier Gulden
und 48 Kreuzer bestimmt. Doch wurden die Fahrtkosten
außerdem bezahlt.
32 Am 13. März 1784.
Ausbildung in Kam eral Wissenschaft. 177
III.
Am 18. April 1784 reisten Spoor und Schleenstein aus
Mainz ab, und am 19. Mai war der Kurator in der Lage, dem
Kurfürsten den ersten Bericht über die Reise, datierl vom
7. Mai aus Halle33,, zu unterbreiten. Er schilderte, was man
in Aschaffenburg, Würzburg, Fürth, Erlangen, Nürnberg,
Leipzig erlebt und gesehen hatte. Wissenschaftliche und
praktische Rücksichten verstanden die Reisenden zu ver-
einigen. Der Besuch von Rats- und Universitätsbibliotheken,
von Anatomien und chemischen Laboratorien, von Zucht-
häusern und Spitälern verband sich mit der Besichtigung
von Landgütern und .Manufakturen.34 Auf dem kurfürstlichen
Ükonomiehof bei Aschaffenburg verfehlten die Reisenden
den Inspektor Wesseli3*a, in Würzburg aber erfreuten sie sich
der gütigen Führung durch den Hofkammerrat Stoll311', dessen
Bekanntschaft ihnen eben so lehrreich als angenehm war.
In Nürnberg ereilte sie das Mißgeschick, daß sie diejenigen
Persönlichkeiten, an die sie Empfehlungsschreiben halten,
nicht daheim trafen. Doch wurden sie entschädigt du ich
die Bekanntschaft mit dem Ordensgeistlichen aus der Abtei
Eberbach, Herrn Baumann, dem Verfasser der „entdeckten
Geheimnisse der Land- und Hauswirtschaft", der ungemein
herzlich gegen die jungen Reisenden war. Er beabsichtigte,
sich an der Universität Würzburg um eine Professur der
Ökonomie zu bewerben.35
Sehr entgegenkommend war die Aufnahme in Erlang sn.
Für die Gefälligkeit, Freundschaft und Verbindlichkeit der
dortigen Professoren liegen die Fremden aal der Berichl
höchst anerkennende Worte der Dankbarkeit. Seihst Pro-
33 Anhang No. 5.
M Welche Etablissements sie in jeder Stadl aufsuchten, siehe im ein-
zelnen in der Abrechnung, Anhang No. 8.
:i4a Adam Thomas Wesseli wurde am 1. Oktbr. L782 Ihm der neuen
imtereinrichtung im Kurstaat .Mainz zum herrschaftlichen Güter odei
Ökonomieinspektor und Frondschreiber am Vizedomami Vschaffenburg er-
nannt. Er war 1810 noch in der gleichen Stellung. Gefällige Mitteiluni
des Kgl. Kreisarchivs Würzburg.
:;"1 Kran/ Sebastian Stoll, Ins 177!) Straßenbaukommissions-Sekretär,
wurde am 8. Mai 177'.i zum Hofkammerrat ernannt, in welcher Stellung er
sich 1S02 nor|> nachweisen läßt. Er hat sich große Verdienste um den
Chausaeebau und den Weinbau erworben. Gregor Schöpf, Historisch
statistische Beschreibung des Hochstifts Würzburg, Hildburgh 1802, S. 111,
152, 193, 194. Gefällige Mitteilung des Kgl. Kreisarchivs Würzbi
3:' Sein Wunsch scheint nicht in Erfülluni e angen zu sein, da
Wegele in der Geschichte der Universität Würzburg ihn nicht als Professor
anführt. Das Buch „Entdecktes Geheimnis" usw. erschien L783
Beitrüge z. Gesch. d. Universitäten Mninz u. Gießen. ,a
17s Wilhelm Stieda.
fessor Schreber36, den man ihnen als einen Mann geschildert
halte, „hei dem sie das Gefällige im Umgange nicht suchen
(lüil'lcn", übertraf ihre Erwartungen. Er war, obwohl
„schüchtern, ängstlich und zurückhaltend", doch in jeder
Hinsicht hülfsbereit, erklärte den jungen Kollegen alles und
gab ihnen einen Empfehlungsbrief an Professor Leske in
Leipzig mit.37 Sein Vater, der Vorgänger Leskes auf dem
Lehrstuhle der Kameralwissenschaften in Leipzig, war damals
schon gestorben.38 Professor Suckow, ein bejahrter, gut-
herziger Mann, zeigte den physikalischen Apparat und
empfahl sie an seinen Bruder, den Professor der Physik
und Kameralwissenschaften in Jena.39 Den Historiker
Meusel40 suchten sie mehrere Male auf, immer freundlichst
aufgenommen, und wohnten auch einer seiner Vorlesungen
bei. Der Jurist Häberlin41 aber, der zugleich Vorstand der
Universitätsbibliothek war, ließ es sich nicht nehmen, sie
in seine Anstalt und nachher zu einigen in der Nähe be-
findlichen industriellen Etablissements zu geleiten.42 Nur
mit dem Kliniker Delhis43, der zugleich als „großer Chemist"
galt, hatten sie Unglück, insofern als er, krank im Bett, sie
nicht empfangen konnte. In einer Gesellschaft von Pro-
fessoren und Juristen, in der sie von Häberlin eingeführt
wurden, hatten sie Gelegenheit, sich über die seither voll-
zogene Restauration der Universität Mainz auszulassen.
Hierbei kam dann wohl etwas Lokalpatriotismus zutage,
wenn nicht die Absicht, dem Kurfürsten Angenehmes zu
s.'igen, indem sie berichteten, bemerkt zu haben, daß aus den
Mienen der Erlanger Professoren „oft ziemlich deutlich Be-
neidung" hervorgeblickt hätte.44
:i,; Johann Christian Daniel Schreber, 1739 — 1800. Alk. Deutsche
Biogr. Stieda, a. a. 0., S. 107.
;;T Nathanael Grottfried Leske, 1751 — 1786, seit 1777 ordentlicher Pro-
fessor der Kameralwissenschaften in Leipzig, Stieda, a. a. 0., S. 309.
3fi Im Jahre 1777, Stieda, a. a. 0., S. 309.
■'■'■' Simon Gabriel Suckow, 1721 — 1786, seil 1752 ordentlicher Pro
•r in Erlangen. (1. A. W. Fikenscher, Vollständige akademische <ie-
lehrten-iGeschichte der Universität Erlangen, 1806. Lorenz Joh. Dan.
Suckow, 1722—1801, ordentlicher Professor in Jena, Stieda, a. a. 0., S. 78.
111 Joh. Gern- Mensel. 1743—1820.
13 Doch wohl Karl Friedrich Häberlin gemeint, 1756—1808, der seit
1782 außerordentlicher Professor war und nachher nach Helmstedt üher-
siedelte.
1 -' i ber die Industrien in Erlangen vgl. Georg Schanz, Zur Geschichte
der Ki. Ionisation and Industrie in Franken (1884), S. 10") ff.
1 Heinr. Friedr. Delins. 1720 — 1791, ordentlicher Professor der Me-
dizin, Fikenscher, a. a. 0., 2, S. 51 ff.
44 Über die Universität .Main/: Bockenheimer, Die Restauration der
Mainzer Hochschule im Jahre 1784, Mainz 1884.
Ausbildung in Kameralwissenschaft. 179
«.
Prägte sich- der Aufenthalt in Erlangen gesellschaftlich
unseren Reisenden stark ein, so vermochten sie für ihre
fachliche Ausbildung sich weniger gefördert anzusehen.
Denn keine einzige der in ihr Fach schlagenden und im
Lektionsverzeichnis angekündigten Vorlesungen war zu-
stande gekommen.45
In Baireuth, wohin sie an den Kammerregistrat! >r
Wunder verwiesen worden waren, zeigte ihnen dieser das
ansehnliche ^laturalienkabinett und die im sogenannten
Brandenburger Zuchthause eingerichtete Marmorschneiderei
und Schleiferei. 46
Nach Leipzig gerieten die Reisenden gerade während
der Ostermesse und fanden den Aufenthalt so kostspielig,
daß sie, rasch entschlossen, die Fahrt nach Halle fortsetzten.
Professor Leske, hei dem sie ein Empfehlungsschreiben ab-
gaben, war derart mit Geschäften überhäuft, daß er hei aller
Freundlichkeit der Aufnahme nicht viel Zeit für sie hatte.
Nicht ganz ohne Opfer war all das Schöne, das sie ge-
nossen hatten, erlangt. Auf den schlechten Frühjahrswegen
hatten die beiden Kameralisten viel auszustehen gehabt und
auch unter dem wechselnden Aprilweiter gelitten. Ihre
Reisekosten waren dadurch gestiegen und sie sahen mit
Schrecken dem Ende ihrer Barschaft entgegen. Daher schloß
der erste Bericht bereits mit der Bitte, bis zum 22. Mai unter
der Adresse des „Blauen Engel" in Leipzig, wohin sie nach
der Messe zurückzukehren beabsichtigten, einen frischen
Wechsel zu senden.47
Dem ersten Briefe folgte vier Wochen danach, am
ö. Juni, der zweite, aus Leipzig datiert, der den Empfang von
200 Talern dankend anzeigte. In Halle, wo die Reisenden
Mille Mai eingetroffen waren, hatten die Vorlesungen noch
nicht begonnen. Daher hatten die Kameralisten die Gelegen-
heit wahrgenommen, um die Salzsiedereien in Halle selbst,
45 Über die Kameralwissenschafteh an der Universität Erlangen im
18. Jahrhundert siehe Stieda, a. a. 0., S. 82/83.
4c Chr. Meyer, Hardenberg und seine Verwaltung (1892), S. 103, 155,
liezifleri für das Jahr 1797 den Wert der Fabrikation auf 3000 Gulden
und auf ebensoviel den Wert der Ausfuhr der Marmorfabrik in Baireuth.
Die „Vertrauten Briefe über das Fürstenthum Baireuth" (Baireuth 1794),
S. 112, erwähnen das Vorkommen von Marmor, der zu Epitaphien, Al-
tären, Särgen etc. gebraucht würde, in beinahe allen Gegenden des Voigt-
landes.
47 Dei Blaue Engel war ein Gasthof auf der vornehmen Petersstraße
in Leipzig, dessen Inhaber im Jahre 1784 Phil. Bernh. Orb war. Im
Leipziger Adreß-, Posl- und Reise-Calender vom Jahre 1784 heißt es von
ihm: „schenkt Wein, speiset und logirt Fremde".
12*
180 Wilhelm Stieda.
die Kohlenwerke von Löbejün48 und Wettin49, ein Gut des
Herrn Oberamtmanns Holzhausen bei Gröbzig50, sowie die
Kupferschmelze zu Rothenburg51 zu besichtigen. Nach Halle
zurückgekehrt, wo unterdessen die Vorlesungen begonnen
hatten, konnten sie ihr Wissen bereichern durch die Vor-
lesungen des Professors Förster52, des Physikers Karsten53,
des Botanikers Junghans54, des Chemikers Richter55 und des
Zoologen Goldhagen.56
Besonders nahm sich ihrer Professor Förster an, wie
sie glaubten, ,,aus besonderen Absichten".57 Er führte sie
in eine Gesellschaft Gelehrter ein, wo sie verschiedene in-
teressante Bekanntschaften anknüpften. Die Bibliothek in
Halle schien ihnen für ihre Fächer nicht belangreich.
Auf dem Rückwege nach Leipzig machten sie zunächst
dem Kammerdirektor Hofmann aus Berlin einen Besuch, der
sich während des Sommers auf seinem Gute Dieskau58 aufl
hielt. Durch ihn, der ein eifriger und ,,sehr großer Landwirtf
war, fühlten sie sich außerordentlich gefördert. Desto-
weniger war das in Leipzig selbst der Fall, wo sie das
Studium der Kameralwissenschaften „wider Erwartung"
schlecht betrieben fanden. Leske konnte in seiner Vorlesung
über Naturgeschichte nur sechs, Professor Roessig59 in der
seini^en über Ökonomie gar nur vier Hörer aufweisen. Die
Bibliothek war für ihre Fächer ebenso gering wie in Halle,
4S Steinkohlengruben im Saalkreis, Rgbzk. Merseburg.
49 Stadt im Saalkreis, Rgbzk. Merseburg.
'" Stadt an der Fuhne in Anhalt-Dessau.
51 Pfarrdorf im Saalkreis, Rgbzk. Merseburg.
5- Joh. Christian Förster, 1735—1798, Stieda, a. a. 0., S. 85; er las
über theoretische Philosophie und zugleich über Verwaltungsfächer.
53 Wenzeslaus Joh. Gust. Karsten, 1732 — 1787, seit 1778 Professor
der Physik in Halle.
'' Phil. Kaspar Junghans, 1738 — 1797, ordentlicher Professor und
Direktor des botanischen Gartens in Halle.
55 Einen Professor der Chemie dieses Namens weisen Sehrader, Ge-
schichte der Friedr. -Universität Halle (1894), und Poggendorf, Biogr. ele.
Wörterbuch, nichl nach.
•r,,; .1. Friedr. Goldhagen, stirbt 1788, zunächst Professor der Natur
geschiehtc, seit 1778 Professor der Medizin, Schrader, a. a. 0. 1, S. 401.
57 Vielleicht machte er sich Hoffnung auf eine Professur in Mainz.
Talsächlich war damals nach einem Berichte des Kurators vom 27. April
1785 erwogen worden, „einige Männer von erster Größe von außen" zu
berufen. Doch fand sich Försters Name nicht unter den genannten, Stieda,
a. a. 0., S. 200.
■r,s Dorf und Rittergut im Saalkreis, Rgbzk. Merseburg, Prov. Sachsen.
■r>» Karl Cfottlob Roessig, 1752— 1806,' Stieda, a. a. 6„ S. 274. Nach
dem Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1784 las Roessig
Ökonomie am Montag und Dienstag um 10 Uhr, Leske einen „Cursus histoi-
riae naturalis" viermal die Woche um 9 Chr.
Ausbildung in Kameralwissenschaft. Is'
und (\er botanische Garten von „sehr geringem Umfange".60
Beide kamen daher zu der Überzeugung, daß in Leipzig ihres
Bleibens nicht lange sein konnte und sie ihre Reise nach
Jena alsbald fortsetzen müßten.
In Mainz verfehlte dieser Brief nicht Eindruck zu
machen. Der Kurator war zufrieden damit, daß die beiden
Praktikanten ihre Zeit gut zu verwenden schienen. Aber
er konnte sich nicht enthalten, seinem Begleitschrei bei i an
den Kurfürsten vom 14. Juni 1784 die Bemerkung hinzuzu-
fügen: man sehe, daß von manchen deutschen und be-
rühmten Universitäten eben das nicht geleistet wird, was
dem äußeren Scheine und dem Rufe nach davon erwartet
werden sollte.
Auf der Reise von Leipzig nach Jena berührten diie
beiden Privatdozenten am 14. Juni Würchwitz, wo der damals
schon durch seine Bemühungen um die Ausbreitung des
Kleebaues berühmt gewordene Schubart61 ansässig war. Er
führte sie gefällig durch seine Felder und erklärte ihnen alles.
Jena konnte ihnen wenig bieten.62 Den weimarischen
Kammerrat, Suckow, der seit dem Jahre 1756 Lehrer der
Physik und Mathematik, auch Forstwirtschaft, Land- und
Stadtwirtschaft war, lernten sie als einen „sehr großen Eiferer
für die Kameral Wissenschaften" kennen. Wenn sie auch
außer ihm noch einige Bekanntschaften machten und be-
saben, „was in ihrem Fache dienlich seyn konnte", so enl
schlössen sie sich doch bald, nach Erfurt weiter zu reisen.
Doch diese ehrwürdige Hochschule leistete auf dem Ge-
biete der Kameralwissenschaften nicht mehr wie Jena. Pro-
fessor Gotthard63, der an die Stelle des im Jahre verlier ge-
storbenen Professors Hadelich64 getreten war und nichl ohne
Beilall die Wirtschaftswissenschaften vortrug, lernten sie
nicht keimen. Sie begnügten sich, den Beamten der Kammer
ihre Aufwartung zu machen, deren einer, der Kammerral
Midier, sie zur Erbacher65 Stahlquelle hinführte, wo er ihnen
einige Experimente vormachte. Außerdem zpgen das Polizei-
so über die Geschichte des botanischen Gartens vergl. Mitteilungen
der Deutschen Gesellschaft in Leipzig, Bd. 10, S. •"> I 55
,;1 Johann Christian Schubart, edler Herr von dem Kleefelde, 1734 bis
1787, bewirtschaftete die Güter Würchwitz, Pobles und Kreischau in der
Gegend von Zeitz. Meusel, Lexikon der verstorbenen Schriftsteller, Bd. 12,
S. 182.
62 Über das Kameralstudium in Jena Stieda, a. a. 0., S. 78, 79
,;:; Job. Christian Gotthard, stirbt 1813, Stieda, a. a. 0., S. 104.
i;! Sigismund Leberecht Hadelich, L734 1783, Stieda, a. a. 0., S 99
6S Jac. Dominicus, Erfurt und das Erfurtische Gebiel etc. L793,
Hd. 1, S. 17, führt ein Stahlwasser bei Urbich an.
182 Wilhelm Stieda.
haus und die Zeug- und Wollenbandmanufaktur ihre Auf-
merksamkeit auf sich. Der einzige Professor, von dessen
persönlicher Bekanntschaft der Bericht spricht, war Stumm. ,;G
In Göttingen fanden die Reisenden endlich eine Lehr-
anstalt, die sie fesselte. Die Persönlichkeit Beckmanns, der
seit dem Jahre 1766, zuerst als Extraordinarius, seit dem
Jahre 1769 als Ordinarius über Mineralogie und Landwirt-
schaft, Technologie, Handlungswissenschaft, Polizeiwissen-
schaft und Kameral Wissenschaft vortrug67, war in ihrer Uni-
versalität offenbar eine Idealfigur für die Mainzer Kamera-
listen. Der Ruhm dieses Gelehrten sowie seine zahlreiche Zu-
hörerschar flößten gebührende Achtung ein, und da ihnen
„an seiner Freundschaft viel gelegen war", so schrieben sie
sich für seine Vorlesung über Ökonomie und Technologie ein,
obwohl dieselbe schon begonnen hatte. Die „vollkommen be-
setzte" Bibliothek, der in sehr gutem Zustande befindliche
botanische (ökonomische) Garten, die Erlaubnis Beckmanns,
seine Mineralien- und Maschinensammlung zu benutzen,
mußten weitere Anziehungsmittel sein.68
Fünf Wochen später berichteten sie dann aus Göt-
tingen69, daß ihre Studien sich in normaler Weise vollzögen,
der eine Tag wie der andere. Sie hörten zwei Stunden
täglich Vorlesungen bei Beckmann, benutzten Vor- und Nach-
mittags einige Stunden die Bibliothek, „die in allen Theilen
der Kameralwissenschafl gut besetzt" war, und arbeiteten am
Morgen in der Frühe wenigstens zwei Stunden im ökoi
nomischen Garten. Die ihnen dann noch übrigbleibende
Zeit verbrachten sie mit dem Ordnen ihrer Auszüge und
Niederschriften zu Hause. Bei ihren Studien erwies sich
ihnen von großem Nutzen der Bibliothekar Dietze70, der zwei
Wochen darauf an die Bibliothek in Mainz berufen wurde,
aber leider früh starb.71 Er erlaubte, die Büchersammlung
nicht nur zu den gewöhnlichen Zeiten, zweimal die Woche,
'' Wie es scheinl kein Universitätsprofessor; wenigstens nirgends
nachweisbar.
'■'• Johann Beckmann, L739- L811. Frensdorff, Festschrift zur 150jäh-
rigen Feier der Gesellschaft d. Wissenschaften (1901), S. 549; Stieda;
a. a. 0., S. 37.
68 Anhang No. 7. Auch .1. Meermann, Freiherr von Dalem, der sieben
Jahre später, nachdem er dorl „zwe^ der nützlichsten Jahre" seines La
bens zugebracht hatte, aufs neue nach Göttingen kam. war seines Luhes
voll. In einem Vergleiche Göttingens mit Leipzig mußte 'las letztere „bej
siegl vom Kampfplatze treten". Meermanns Reise durch Preußen, Östeß
reich und andere deutschen Länder (1793), Teil I, S. 31 ff , 271.
0;' Anhang No. 8.
7" Johann Andreas Dietze, 1729—1785. Mensel. Lexikon, Bd. -'.
S. 365. — 7' Bockenheimer, a. a. 0., S. -13.
Ausbildung in Kameralwissenschaf't. lv;
sondern auch außerhalb dieser Stunden zu benutzen, gab
ihnen Bücher mit nach Hause lund hatte nichts) dagegen, wenn
sie außerhalb der vorschriftsmäßigen Bücherausgabe ohne
vorhergegangene Bestellung sich Bücher holten. Trotz aller
dieser fleißigen Vorarbeiten konnten sie sich eines gelinden
Schauers nicht erwehren, wenn sie an die Ausarbeitung ihrer
Vorlesungen für den bevorstehenden Winter dachten. Sic
verfehlten nicht, den Herrn Kurator darauf aufmerksam zu
machen, daß sie für diesen Zweck noch manche schöne
Stunde würden opfern müssen. Noch mehr wurde dieser
Gesichtspunkt im letzten Bericht vom 5. September
1784 72 betont. Sie erklärten es geradezu als unmöglich, die
Menge der von ihnen gemachten Auszüge schon in Göt-
tingen in ein zusammenhängendes System zu bringen, und
baten, im bevorstehenden Wintersemester noch keine Vor-
lesungen von ihnen zu erwarten.
Laut der ihnen gegebenen Anweisung hatten die
Reisenden den Rückweg über den Harz zu nehmen, offenbar
in der Absicht, sich das dortige Bergwerkswesen genauer
anzusehen. Bei der Verwirklichung dieses Planes zeigten
sich indes Schwierigkeiten. Wenn sie Göttingen nicht vor
Schluß des Semesters verlassen wollten, so konnten sie
erst im Oktober, das heißt einer für den Harz ungeeigneten
Periode, ihre Bergwerksreise unternehmen, für die sie
glaubten, vier Wochen nötig zu haben. Wollten sie aber
(iöttingen schon im September aufgeben, so mußten sie
; . i , 1' alles verzichten, was ihnen den Aufenthalt daselbst
so wertvoll erscheinen ließ. Die Anregung, die sie dorl
empfangen konnten, schien ihnen zu wichtig, als daß sie
sie ohne weiteres entbehren mochten, ja sie hegten vielleicht
die Hoffnung, daß der Kurator ihnen erlauben würde, das
Wintersemester 1784/85 ebenfalls in Göttingen zuzubring sn.
Wenigstens teilten sie mit, daß in diesem, drei Wochen
aach Michaelis, die Vorlesungen offiziell begännen, tatsäch-
lich eine Woche nach diesem Termine und schickten ein \ er
zeichnis der für dasselbe angekündigten Vorlesungen. Die
Bergwerksreise durch den Harz, meinten sie, winde vermut-
lich viele Unkosten verursachen und außerdem glaubten sie,
da ihnen ja noch weitere „praktische Reisen" in lussichl g i
stellt, waren, dieselbe „mit weil größerem Vortheile" nach-
holen zu können.
Demnach ist es offenbar zur Rückreise über den Harz
nicht gekommen. Anfang Oktober verließen die beiden
Kameralislen Göttingen, das ihnen so bei. geworden war. und
•- Anhang No. 9.
184 Wilhelm Stieda.
kehrten über Cassel und Fulda nach Mainz zurück, wo sie
gegen Ende des Monats eintrafen.
Nach glücklicher Beendigung ihrer Reisen waren sie nun
jedenfalls so weit, daß ihrer Zulassung als Privatdozenten
nichts im Wege gestanden haben dürfte. Vermutlich ist unter
Empfehlung von Pfeiffer ihre Habilitation ohne jede weitere
Förmlichkeit erfolgt.75 In dem Catalogus lectionum für das
Mitte November 1784 beginnende Wintersemester erscheinen
denn auch erstmalig als Docentes Privati Spoor und Schleen-
stein. Der erstere trug die Polizeiwissenschaft (de ordinando
rei publicae statu interno, vulgo Politiam tradet), der letztere
die Landwirtschaft (fundamenta oeconomiae ruralis) vor.
Wir wir wissen, waren beide ohne Vermögen, und da von
dem Honorar für die Vorlesungen vermutlich nicht viel er-
wartet werden konnte, so mußte ihnen ein Einkommen aus-
geworfen werden. Der Kurator beantragte beim Kurfürsten,
ihnen „bis zu weiterer Verschickung ein mäßiges Gehalt"
auszusetzen, das sich auf 100 Fl. quartaliter belaufen sollte.
Der Kurfürst war damit einverstanden.74 Freiherr von Benzel
hielt aber dafür auch an der Forderung fest, daß beide im
Wintersemester 1784 85 als Magistri legentes auftreten
sollten. Es würde an Vorlesungen fehlen, wenn sie sich nicht
betätigen wollten, andererseits kämen sie dadurch „in den
Strohm der Arbeit". Sie würden auf diese Weise die noch in
ihren Kenntnissen vorhandenen Lücken am besten ausfüllen.
Es hat den Anschein, als ob sie sich dem Wunsche gefüllt
bälten und das Wintersemester 1784/85 also in ernster Tätig-
keit verbrachten, denn die Ausarbeitung ihrer ersten Vor-
lesungen war trotz der mittlerweile erlangten Gelehrsamkeit
keine einfache Sache. Sie scheinen sich ihrer Aufgabe mit
Erfolg unterzogen zu haben, da Professor Pfeiffer in einem
Berichte an den Kurator mit Entschiedenheil hervorhob, daß
beide Privatdozenten , .verdienten zur Vollkommenheit geführt
zu werden".75 Er hielt eine nochmalige Reise für zweckmäßig.
Nur müsse diese so angeordnet sein, daß man bei der Wahl
<\t>v Gegenden auf vernünftige Ersparnis (\rv Kosten und vor-
züglichen Unterricht Bedacht nehme. Spoor, der sich mit
Polizei-. Manufaktur-, Kommerzienwissenschafl und Techno-
logie befassen sollte, wäre nach den Niederlanden, Bremen,
Lübeck. Hamburg, Sachsen, der ( »her Lausitz zu schicken und
könnte über Teplitz und Nürnberg zurückkehren. Schlcn-
tJber die Ausbildung des modernen Privatdozententums vergl. E.
Hörn Zur Geschichte der Privatdozenten, in Mitteilungen der Gesellschaft
l deutsche Erziehungs und Schulgeschichte, Bd. XI (1901), S. It'.lT.
•' Benzeis Bericht vom 20. Novbr. 1784. — ™ Am IG. März 17s."'-
Ausbildung in Kameral Wissenschaft. 1 sr,
stein, der sich den ökonomischen Wissenschaften und der
Finanzwissenschaft zugewandt habe, sollte über Göttingen
nach dem Harz reisen, über Dessau und Magdeburg nach
Berlin, Schlesien, Böhmen fahren und über Regensburg und
Ulm heimkehren.
Pflichtschuldigst nahm der Kurator die Pfeifferschen An
regungen auf -und ließ sie an den Kurfürsten gelangen.76
Nachdem beide Herren ein halbes Jahr öffentliche Vor-
lesungen gehalten, sei an ihre abermalige Verschickung auf
Reisen zu denken. Indes fügte der Kurator hinzu, daß für die
nunmehr ins Auge gefaßten Reisen es noch zu früh schiene.
Sie seien noch nicht in der Fassung, ihr Amt, wie es sein
sollte, zu erfüllen. Benzel hielt dafür, daß wesentlich nach
zwei Richtungen die weitere Ausbildung vor sich gehen möge.
Einmal sollten die Herren die Hilfswissenschaften, die ihnen
noch abgingen, nachholen und zweitens sollten sie durch
Hören von Vorlesungen fortzuschreiten versuchen. Bei Pro-
fessor Fiebig77 könnten sie im nächsten Schuljahr die öko-
nomische Naturgeschichte und Botanik, bei Professor Molitor
die Chemie „ordentlich" hören. Das Studium der Physik
und der angewandten Mathematik könnte noch bis zum
folgenden Jahre verschoben werden. Unterdessen aber
müßten beide in ihrem Lehramte fortfahren und sich' mit d m
in ihr Fach einschlagenden Schriftstellern und überbau))! den
Theoretikern vertraut machen.
Der Kurator legte ferner Gewicht auf praktische Durch
bildung. Schleenstein sollte Zutritt und Bekanntschaft in
einem bei Mainz nahegelegenen Landgute suchen, um sich
dort wöchentlich einmal über die laufenden Geschäfte zu
unterrichten. Im Spätjahre sollte er dann einige Wochen bei
einem sogenannten Wiedertäufer (sie!) im Wormsischen
arbeiten. Endlich wäre er auch zu den Geschäften der kur-
fürstlichen Beamten zuzulassen, also etwa in Gernsheim,
oiler sollte zu den kurfü rst liehen Waldvisital ionen an der
Bergstraße zugezogen werden, in die Tätigkeif der Kameral-
depulation. der (ioneralrozeplur Einblick nehmen usw.
Schleenstein sollte namentlich die örtlichen Zustände im
Kurfürstentum zu erlassen sich bestreben, denn „es giebl
vielleicht in keiner Wissenschaft wenigere allenthalben an
vvendbare Grundsätze als in der Landwirtschaft". Spoor
wiederum müßte bei dem kurfürstlichen Vizedom Amte in
Mainz Zutritt erlangen. Er hätte zunächst die Handwerker
7« Am 27. April 17*5.
77 Johann Fiebig, Professor der Mineralogie, stirbt L792; Bocken
heimer. a, a. 0., S. 34.
186 Wilhelm Stieda.
und Künstler in Mainz zu verzeichnen und zu klassifizieren
und sich dadurch praktische technologische Kenntnisse zu
erwerben. Vorzüglich käme es auf Beförderung der Spinne-
reien und Webereien an. Im Herbste sollte dann auch er
eine Reise machen und zwar nach Seligenstadt und in das
obere Erzstift, auf dem Rückwege Hanau und Offenbach be-
suchen, sich überall danach umsehen, wie es mit dem Aus-
teilen der Wolle an Landleute zum Verspinnen zu geschehen
pflege. Von Frankfurt und Hanau aus werde dieses Ver-
legen besonders geübt.
Der Kurator kam somit auf die in den ursprünglichen
Instruktionen und Vorschlägen Pfeiffers enthaltenen Ideen
zurück. Seligenstadt, wo Spoor schon gewesen war, mochte
wegen der dortigen Tuchmacherei sich für die Erlangung
wirtschaftlicher Kenntnisse und behufs kritischer Vorbil-
dung zur Durchführung von Reformen besonders eignen.
Die Entscheidung zog sich jetzt länger hin, als es früher
der Fall zu sein pflegte. Die Privatdozenten warteten mit
Ungeduld und dräneten auf eine Entschließung. Im Juni
1785 berichtet der Kurator dem Kurfürsten, daß sie mit
ihren Vorlesungen über Polizeiwissenschaft und Landwirt-
schaft fertig geworden wären und nun um Angabe bäten,
was sie im Sommer tun und mit welchen Gegenständen sie
sich im Winter beschäftigen sollten. Offenbar wird diese An-
frage eine Wiederholung gewesen sein, denn bis in den Juni
hinein konnte das Wintersemester nicht gedauert halten.
Was dann daraus geworden ist, ist unbekannt, Die Akten,
aus denen geschöpft werden konnte, reichen nicht weiter.
An ihr Ziel sind beide Kandidaten richtig gelangt. Seit
dem Wintersemester 1788 weist der Catalogus lectionuni
(und dann auch der Kurmainzische Hof- und Staats-
Kalender) als ordentliche öffentliche Lehrer an der Universi-
tät Mainz nach Franz Karl Spoor für Technologie, Fabrik-
wissenschaft, Handelstheorie und Staatsrechnungswissen-
schaft, Schleenstein für Landwirtschaft, Forstwissenschaft,
<lie Theorie i\w Gartenkunst, die ökonomische Botanik und
ökonomische Zoologie. Spoor erscheint zum letzten Male
im Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1794 1)5;
er slarl» im Jahre 1794. Schleenstein ist zum letzten Male
im Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1797/98
nachgewiesen. Fr war jedoch schon im Jahre 17915 nach
Mannheim übergesiedelt78, weil er der französischen llegie-
rung den bekannten „Eid für Freiheii und Gleichheit" nicht
7' Eigenhändiges Schreiben Schleensteins aus Mannheim vom 25. März
1793 au den damals mit dem llul' und der Regierung in Miltenberg wei-
Ausbildung in Kameralwissenschaft. 187
leisten wollte. Nach Aschaffenburg wird er, wenn nicht
schon früher, jedenfalls nach dem Tode l'riedr. Karl Joseph
von Erthals, der im Jahre 1802 erfolgte, übergesiedel! sein.
Karl Theodor, der nene Kurfürst, gründete aus den ihm iiber-
lassenen Einkünften des Kollegial st il'ts St. Peter und Ale-
xander einen allgemeinen Schul- und Studienfonds, aus dem
er das an die Stelle der Mainzer Hochschule getretene
Lyceum in Aschaffenburg dotierte.79 Unter den Professoren,
die laut einem Dekrete Dalbergs vom 10. Oktober 1802 für
die Übersiedelung nach Aschaffenburg, um im bevorstehen
den Lehrjahre mit Anfang des Novembers Collegia zu lesen,
in Frage kamen, war auch Schleenstein.80 Er war um diese
Zeit bereits in Aschaffenburg anwesend. Über seine dortige
Tätigkeit hat sich nichts mehr ermitteln lassen. Er dürfte
im Oktober 1816 gestorben sein, da in diesem Monat sein.'
Witwe um ein Gnadengehalt aus dem allgemeinen Schul-
und Studienfonds sich bewarb. Durch den Tod Schleen-
steins waren diesem .einschließlich der Naturalien, die der
verstorbene Professor bezogen hatte, 1064 fl. und 24 Kreuzer
anheimgefallen, aus welcher Summe der Witwe 212 fl.
Sustentationsbeiträge zugewiesen worden waren. Mil diesem
Betrage nicht befriedigt, erneuerte die verwitwete Professorin
ihr Gesuch am 13. März 1807, ohne daß aus den Akten
ersichtlich ist, ob sie Gehör gefunden hat.83
Spoors Vorlesungen erstreckten sich außer der Polizei-
wissenschaft, mil der er im Wintersemester 1784/85 seine
akademische Wirksamkeit, begonnen halle, und die er auch
im Sommersemester 1785 las, auf Technologie und Gewerbe-
polizei (politia opificiorum), die er bis zum Sommersemester
1788 im Sommer täglich von 7—8 Uhr, dann seit dem Winter
L788/89 im Wintersemester vortrug. Sie war seine Haupt
Vorlesung und wurde im Anschluß an Beckmanns Buch82
gehallen. Neben ihr kündigle er seit dem Sommersemester
[788 Handelstheorie und Staatsrechnungswissenschaff an,
Ealls sich Zuhörer finden sollten (siquis adsil desiderantium
numerus). Später scheint das Interesse für die letztere
Vorlesung, die ja auch eine sehr wichtige war, gewachsen
lenden Statthalter und Domdechanl Dalberg. Gefällige Mitteilung des
Kreisarchivs Würzburg.
"'■' Bavaria, Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern, Bd. I
S. .",",'.) (lXlilii.
80 Berichl des Geistlichen Rates Scheideis auf das Delikt Kolto
Gefällige Mitteilung des Kgl. Kreisarchivs Würzburi
bi Kgl. Kreisarchiv München. M. \. 997. Herr Professor G. Hart
in Aschaffenburg hatte die Güte, mich auf diesen Aki aufmerksam zu
machen. — s- Anleitung zur Technologie etc., 1777.
188 Wilhelm Stieda.
zu sein, denn seit dem Sommer 1789 las er Handelstheorie
und Staatsrechnungswissenschaft täglich des Morgens von
7 — 8 Uhr. Daran schloß sich eine, vermutlich kürzere, Vor-
lesung üher den Einfluß des Handels auf den Geist der
Nationen. In diesen heiden Vorlesungen bestand das Pro-
gramm des Sommersemesters, das in Mainz vom 1. Mai bis
Ende September, oder von Mitte April bis Mitte September zu
dauern pflegte. Im Wintersemester, das in der Regel am 12.,
seltener schon Anfang November begann und bis Mitte April
dauerte, beschränkte er sich dann auf die Technologie und
Gewerbepolizei, einschließlich der Geschichte gewerblicher
Erfindungen.
Schleensteins Programm war etwas umfangreicher. El-
las über die Theorie der Landwirtschaft, ferner Forstwissen-
schaft und Forstrecht, über Handelstheorie (seit dem S.-S.
1796) und seit dem S.-S. 1797 über Technologie. An
einen bestimmten Turnus, in dem seine Vorlesungen wieder-
kehrten, scheint er sich nicht gehalten zu haben.83 Auch
er schloß sich an Beckinannsche Bücher an und legte die
Grundsätze der deutschen Landwirtschaft84 seinen Be-
trachtungen zugrunde.
Zur Herausgabe selbständig erscheinender Bücher
scheint weder der eine noch der andere Neigung gehabt zu
haben. Ob sie gelegentlich in der periodischen Presse
kleinere Abhandlungen und Aufsätze veröffentlicht haben,
habe ich nicht zu ermitteln vermocht.
Anhang.
1. Instruktion für den Dozenten der Technologie und
Handlungs-Theorie.
Großh. Hess. Haus- u. Staatsarchiv Darmstaclt, Akten betr. die Kameral-
fakultat zu Mainz, S. 19— 22.*
1.
Die gegenwärtige Instrukzion beschränkt sich bloß auf die
Vorbereitung, welche innerhalb dieser vier Monathe bis zu An-
fang des uächsten Kursus zu nehmen wäre.
8:1 Nach den allerdings nicht lückenlos erhaltenen Vorlesungsverzeich-
nissen der Universitäl Mainz von 1784—1707 in der Stadtbibliothek zu
Mainz. — 81 Erste Ausgabe, Göttingen 1769.
1 Die Wiedergabe dieses wie der folgenden Sliicke erfolgt unver-
kürzt und in der Schreibweise des Originals. Nur in der Interpunktion
und in dem Gebrauche großer Buchstaben zu Beginn der Worte ist. ge-
legentlich des bessern Verständnisses wegen geändert worden. Sofern
die Überschriften vollständig vom Herausgeber herrühren oder einige Worte
in ihnen ergänzt sind, wurden Klammern angewandt.
Ausbildung in Kameralwissenschaft. 189
2.
Da Naturgeschichte und Chemie bis auf den nächsten Kurs,
Physik und Mathematik aber Ins auf die weiteren Kurse aus-
gesetzt bleiben, so halte er sich inzwischen im Zeichnen zu üben,
Vorzüglich aber sich Fertigkeit zu erwerben, Werkzeuge und
Maschinen, wie er sie bey Handwerkern, Künstlern und Fabri-
kanten antrifft, gleich nachzeichnen zu können.
3.
Dessen Hauptbeschäftigung aber bleibl sich sowohl im theo-
retischen als praktischen des demselben angewiesenen Faches
zu üben, da Sr. Kurfstl. Gnaden ihm Technologie, Fabrikenwissen
schaff, Theorie des Handels, der Warenkunde und des Buchhaltens
gnädigst bestimmt haben.
4.
Um sich aber A. im Theoretischen Kenntnisse zu sammeln,
so habe derselbe die beste in seinem Fache bisher erschienene
Litteratur zu benutzen, und welche Werke ihm zu seiner weiteren
Bildung nöthig seyen, anzuzeigen, daß sie angeschafft werden.
Vorzüglich habe er durch geschickte Zeichnungen sich schon
vorläufig alle Werkzeuge und Maschinen, die ganze Manupulation
bey Handwerkern, Künstlern und Fabrikanten bekannt zu machen,
um schon die ganze Art zu kennen, und um nicht alsdann erst
die Anfangskenntnisse davon studieren zu müssen, wenn bei
etwaigem* Besuch derer Handwerker, Künstler und Fabrikanten die
Zeit schon zu wirklicher Beurtheilung und zu soliden Raisonne-
ments über Kunstanlage zu verwenden ist.
Dergleichen Zeichnungen sich in denen Kupferwerken der
Pariser Encyclopadie in folio und in denen eigends zu solchen
Gebrauch zu Paris herausgegebenen Zeichnungen unter Aufsicht
der Akademie über Handwerker, Künstler und Fabriken befinden.18
Er habe also zu sorgen, daß, ehe er die Werkstätte derer
Handwerker, Künstler und Fabriken besuche, ihm die Theorie
davon schon ganz geläufig seyo.
5.
Um sich aber I!. auch zugleich praktische Erfahrungen
in seinein Fache zu sammeln, so habe derselbe
a. Werkstätten derer Handwerker, Künstler und Fabrikanten
in hiesiger Sladl zu besuchen, vorzüglich diejenigen zu beob
achten, deren Hauptprodukte zu einem Handelszweig werden,
und welche mit Spinnen und Wehen sich beschäftigen. Kr habe
aber übrigens alle Gattung Handwerker und Künstler zu be
suchen, um bey dem Akademischen Vortrag der Technologie mil
Einsicht und Erfahrung sprechen zu können.
Um aber hierinn desto mehr Gelegenheil zu seiner Vorbe
Leitung zu erhalten, geruhen Sr. Kurfstl. Gnaden demselben den
Zutritt bey dem Kurfstl. Amt der hiesigen Sladl gnädigsl zu ge
lii Doch wohl Diderol et d'Alembert, Encyclop6die ou dictionnaeri,
raisonne etc. des sciences, des arts et des metiurs, 1751 — 1777, gemeint
190 Wilhelm Stieda.
statten, mit dem Auftrage, die Handwerker und Künstler der
hiesigen Stadt (namentlich die vorzüglichsten jeder Art) zu ver-
zeichnen, zu klassifizieren und sich dadurch praktische techno-
logische Kenntnisse zu erwerben. Der weitere Zutritt zu denen
Stellen, welche mit der eigentlichen Handlung beschäftigt sind,
bleiben noch vorbehalten.
6.
um sich zugleich
b. auch praktische Erfahrung des Handels zu ver-
schaffen, habe derselbe sich um Bekanntschaft und Zutritt in ver-
schiedene hiesige Handels Comtoire zu bewerben, um in freund-
schaftlicher Unterredung auch den praktischen Gang des Handels
zu erfahren und mit anzusehen.
7.
dann habe er
c. kleine Reisen nach Höchst, Frankfurt, Offenbach, Hanau,
Homburg und zu denen der dortigen Nachbarstadt sich befindenden
Kolonien französischer Refugies, ferner nach Frankenthal und
Neuwied zu machen, um die an solchen Orten befindlichen
Fabriken zu besehen, auch gelegentlich solcher Reisen in denen
oberen Städten2 und in Seeligenstadt sich umzusehen, in welchem
Zustand die Wollspinnerey und Tuchweberei dort gegenwärtig
seye, und zu untersuchen, wie stark ihre Zahl seye, wie weit
ihre Arbeiten in den Grad der Kunst gehen und wohin sie solche
Produkte ihrer Industrie veräußern.
8.
und endlich habe er
d. während der künftigen Herbstmesse in Frankfurt sich
aufzuhalten, sich das bei Anfang der Messe erscheinende Meß-
schema anzuschaffen, die darinnen genannte auswärtige Fabri-
kanten und große Kaufleute zu bemerken, ihre Gewölber zu be-
suchen, um die Art ihrer Waaren, und die Preise kennen zu
lernen, wobey er durch geschickt angelegten feineren Umgang
Gelegenheit haben wird unter dem Vorwand eines Handelsgeschäfts
in nähere Unterredung zu kommen und dadurch sich manche
praktische Erfahrung zu sammeln.
Er ha he zu gleicher Zeit in Frankfurt den Zug des dortigen
Handels und die verschiedenen Niederlagen auswärtigen Handels
zu studieren, bey welchen Frankfurt der Hauptorl des Umtausches
lind deren Bestellungen geworden ist.
2. Note zur Instruktion für den Dozenten der Landkultur.
Großh. Hess. Haus- u. Staatsarchiv Darmstadt, wie oben.
1.
Die Hauptabsichl dieser Instrukzion wäre, wie sich erwähnter
Dozent, innerhalb dieser vier Monathen bis zu Anfang des künf-
tigen Kursus zu beschäftigen und zu seinem angewiesenen Fach
sich vorzubereiten habe.
2 Im oberen Erzstifte ?
Ausbildung in Kameralwissenschaft. 191
Da ökonomische Zoologie, ökonomische Botanik und Chemie
bis auf den nächsten Kursus; Physik und Mathematik aber bis
auf weitere Kurse ausgesetzl bleiben, so hätte derselbe inzwischen
auf Fertigkeiten im Zeichnen zu denken, und zwar vorzüglich
Pflanzen, Bäume, oekonomische Maschinen, Garten- Anlagen, Län-
derei Eintheilungen, oekonomische Gebäude etc. zu zeichnen.
3.
Dessen Hauptgeschäft bliebe aber sich das Theoretische und
Praktische seines angewiesenen Faches mehr bekannt zu machen
und zwar
4.
a. in Absicht des Theoretischen die Theorie seines Faches
in denen besten Schriftstellern über Landkultur und in denen
neuesten Werken hierüber zu studieren, neu erfundene Arten
der Landkultur und ökonomische Maschinen zu untersuchen, auch
die neuesten Meinungen in landwirtschaftlichen Sachen sich be-
kannt zu machen, und sie zu prüfen, ob sie wirkliche Nutzen und
Anwendung finden oder nur bloß an Charlatanerie gränzen; auch
diese letztere mus man wissen, da ein geschicktes Genie durch
gehörige Abänderungen und Zusäze sie zu denen praktischen
Säzen berichtiget.
Hiezu hätte er aber die theils auf der Universitäts-Bibliothek
schon vorhandenen Werke zu benuzen, theils anzuzeigen, was
ihm nöthig scheine, daß ihm zu solcher Vorbereitung noch an-
geschafft werde.
5.
In Absicht, des Praktischen aber, (§ 3) um sich zu-
gleich praktische Erfahrung zu sammeln und sie mit. seiner Theorie
zu vergleichen, habe er innerhalb dieser vier Monathen folgende
Vorbereitung zu befolgen, und zwar
a. Von Zeit zu Zeit in ein nahe gelegenes großes Landgut
zu gehen, die dortige Einrichtung zu studieren, und zugleich den
ganzen Gang der dortigen Ökonomie und Acnon Feldarbeiten zu
beobachten, dann
b. die Woche etlichmal in die der Stadl nahe gelegenen
Dörfer zu gehen und die Einrichtung ihrer Feldarbeiten und ihrer
Landkultur zu untersuchen, auch
c. beständig kleine Reisen in benachbarten Gegenden vor
zunehmen, z. B. ins Rheingau, ins Nassauische, Darmstädtische,
Pfälzische, um auch dort die verschiedene Art der Landkultur
zu beobachten, und zwar nicht bloß in Absicht des Getreidebaues
und Weinbaues, sondern in Absichl des Hanfs, Flachs, Tabak,
Futterrüben, Färbekräuter etc.
(I. gelegenheitlich solcher Reisen sich Mühe zu geben mil
geschulten Landwirthen unserer Gegend in Bekanntschaft zu
kommen und mit ihnen ökonomische Gegenstände zu korre-
spondieren.
192 Wilhelm Stieda.
Bey solchen Reisen habe er sich nun die Flur-Eintheilung
und Erdarten bekannt zu machen, ob Brache, Geineindeweiden da
seyen oder nicht, ob man Allmonde habe, und wo man sie ab-
geschaft hat, auf welche Art es geschehen seye, was für Pro-
dukte gezogen werden, wie die Viehzucht beschaffen seye, worinri
ihr Vorzug oder Mangel bestehe, was für Futterkräuter, was
für Handelskräuter, ob Bienenzucht da seye und wie sie ge-
schehe, ob auch schon etwas Seidenbau da seye usw.
6.
Da er aber in seinem Fach nicht bloß auf Getreidebau,
Hopfenbau, Viehzucht eingeschränkt ist, sondern demselben auch
Gartenkunst und Forstwissenschaft angewiesen sind, so habe der-
selbe auch hierauf Vorbereitung vorzunehmen, und besonders
a. die schönen englischen Gärten unsrer Gegend zu besuchen ;
den Schwezinger Garten, den schonen Busch, das Wilhelms Bad3,
den Garten der verstorbenen Landgräfin bei Hanau, den Gräfl.
Osteinischen Garten auf dem Niederwald.4
b. Von Schwezingen eine kleine Reise nach Carlsruhe zu
machen und die dortige schöne Baumschule zu studieren, und
c. auf diesen Reisen in denen mainzischen, pfälzischen,
nassauischen, hessischen Waldungen ihre Forsteinrichtung zu
beobachten und die in jeder gepflanzte Holzarten, wodurch sich
zugleich vorbereiten wird, bey der nächsten kurfürstl. Wald-
Visitazion, wozu ihm der Zutritt gnädigst gestattet ist, seine Reise
mit mehr Einsicht benutzen zu können.
7.
Bei allen diesen habe er aber hauptsächlich darauf zu
sehen, daß er die Lokalverhältnisse unsrer Gegend, ihre Pro-
duktion, Natur-Vortheile, die gegenwärtige Art der Landkultur
kennen lerne, u. sie mit. denen benachbarten pfälzischen,
nassauischen, hessischen, Badenischen Gegenden vergleiche, um
einzusehen, worinnen dieselbe voneinander abgehen, was aus
solchen Staaten wohl noch gut5 wäre, und überhaupt was nach
unserem Lokalverhällniß auf seinen durch solche Vorbereitung
gesammelten theoretischen u. praktischen Kenntnissen6 sich wohl
bey uns anwenden ließe.
8.
Inzwischen seye ihm auch der Zutritt a) bei der kurfstl.
Universitäts Cameraldeputazion und b) bei diu' Universitäts Ge-
neral Rezeptur gestaltet, um auch durch die dort vorhabenden
landwirtschaftlichen Geschäfte Gelegenheit zu seiner weiteren
Bildung zu nehmen, sich allenthalben anschaulich zu belehren
und würklich mit Hand anzulegen.
:I Hei Wachenbnchen.
i Über Gartenbau vergl. Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, 1779,
in kameralistischer Beziehung Krünitz, Enzyklopädie, Bd. 16, S. 117 IT..
341ff. Weitere I alerat uranga Ben daselbsl S. :S76. Außerdem J. v. Falke,
Der Garten, seine Kunst und Kunstgeschichte, o. .1.
5 Unleserlich. — fi Unleserlich.
Ausbildung in Kameralwissenschaft. 193
9.
Es bleibe ihm aber zu seinem Fache angewiesen die ganze
Landwirtschaft, inclusive die Theorie der Landkultur samt Garten-
lau, Forstwissenschaft, der ökonomischen Zoologie und der öko-
nomischen Botanik.
3. (Schleensteins) unterthänig gehorsamste Berichterstattung
von einigen kleinen ökonomischen Reißen.
Großh. Hess. Haus- u. Staatsarchiv Darmstadt, Akten betr. die Kameral-
fakultät zu Mainz, S. 35 ff.
Der von Ew. Excellenz am 15. July mir gnädig zugetheilten
Instruktion zu Folge, war es sogleich meine erste Beschäftigung,
die der Stadt nahe gelegenen Dörfer die Woche etlichemal zu
besuchen und die Einrichtung ihrer Feldarbeiten und ihrer Land-
kultur zu untersuchen.
Hierauf nahm ich kleine Reißen in das Darmstädtische,
Nassauische, Pfälzische, Zweibrückische und in das Rheingau
vor, um auch dort (nach gnädiger Vorschrift) die verschiedene
Art der Landkultur zu beobachten und dieselbe mit der unsrigen
zu vergleichen usw.
Mil dem Wunsche, daß ich hierin die Hohen Absichten
Ew. Excellenz nahe gekommen seyn möchte, erstatte ich Hoch-
denselben meinen unterthänigen Bericht ab.
Gonzenheim.7 Die vorzüglichsten Produkte, welche hier
gewonnen werden, gewährt der Gartenbau, den die hiesigen
Landleute in einem Grade von Vollkommenheit treiben, der alle
Aufmerksamkeit, verdient. Der Boden beinahe in der ganzen
Gegend besteht aus einem leichten hitzigen Sande, dem man
aber in der Nachbarschaft des Dorfes seine erste Gestall nicht
so leicht mehr ansieht. Die geschickte Behandlung des Bodens,
die starke Bedüngung (wozu nebst dem eigenen Viestande des
Dorfes die Nähe der Stadt den größten Vorschub leistet | haben
ihn in einen so glücklichen Mittelboden verwandelt, in dem die
meisten Gewächse freudig ihr Fortkommen haben. Zum Garten-
bau aber hal ihn die Natur, da sie die (legend mil Wasser ver-
sehen hat, da das Dorf in der Nähe einer großen volkreichen
Stadt, liegt, wo die Gartengewächse gerne Abnehmer finden, vor-
züglich geschickt gemacht. Beide Vorlheile wissen die hiesigen
Landleute sehr gut zu benutzen. Ihre Gartenländer sind in
schmale Beete abgetheilt, die an einer Seite mit Graben versehen
sind, wohin sie denjenigen Vorrath von Wasser leiten, den sie
zu hinlänglicher Befeuchtung ihres Landes bedürfen. Erfahrung
und lange I'hung haben die meisten hiesigen Wirthe zu ge
schickten Küchenü'ärlnern gemacht.
7 Über die Ortschaften Gonsenheim, Mombach, Bretzenheim, Hechts-
keim, Bodenheim, Wachenheim vergl. K. .1. Brilmayer, Rheinhessen, 1905
Ober Fruchtbarkeit, Pflanzenproduktion usw. dieser rheinhessischen Dörfer
sibt einige Auskunft J. Konr. Dahl, Statistik und Topographie der mit
dem Großh. Hessen vereinigten Lande des linken Rheinufers, 1816, S. 22ff,
Beitrage z. Gesch. <3. Universitäten Mainz u Gießen.
194 Wilhelm Stieda.
Mombach. Auch hier macht der Gartenbau eins der vor-
züglichsten Produkte aus. Allein in der Vollkommenheit, wie ich
ihn in Gonzenheim antraf, wird er hier noch nicht betrieben.
Bretzenheim und Hechtsheim. In diesen beiden Dörfern
hat der Fruchtbau den Vorzug. Das Erdreich besteht im Ganzen
genommen aus einem vermischten Leimboden, der fast durch-
gängig sehr gut gedüngt und zubereitet ist. Fast alle Haupt-
arten werden hier vortheilhaft gebauet. Auch fand ich hier
meistens beständige Stallfütterung eingeführt, besonders in
Bretzenheim, wozu freilich die Noth wegen Mangel an Weid-
gange die Leute gebracht hat. Man irret aber, wenn man er-
wartet, daß man dagegen einen starken Kleebau eingeführt hätte;
ich fand nur sehr wenig ewigen und deutschen Klee angebauet.
Allein hier eröffnet, sich eine andere Quelle zu Unterhaltung
ihres Viehstandes. Da die Stadt so nahe ist8, so besteht ein
großer Theil der Fütterung aus den Abgängen von den Bier-
brauereien, Branntweinbrennereien u. d. g., welche aus der Stadt
herbeigeholt werden. Beide Dörfer würden ihren Viehstand un-
gemein vermehren können, wenn sie, indem sie gute Felder
haben, den deutschen Kleebau mehr einführten. An beiden
Orten herrscht noch die Gewohnheit, die Felder in drei Fluren
einzuteilen, doch aber fand ich mit Vergnügen, daß man schon
einen guten Teil der Brache mit Buben, Kappes u. d. g. anbauel.
Eingeführter Kleebau, mehrere Einschränkung der Schäfereien,
die hier ziemlich beträgtlich sind, Freiheit, seine Felder nach
Wohlgefallen zu benutzen, würden den Wohlstand dieser Dörfer
ungemein erhöhen.
Nacken heim und Boden he im. Die Lage und der Boden
des hiesigen Landes haben dasselbe theils zum Weinbau theils
zum Fluchtbaue geschickt gemacht. Mit Bedauern sah ich an
dem letzteren Orte eine ungeheure Strecke sehr guten Landes
zu einem elenden Weidgange bestimmt, das, wenn es theils zum
Fruchtbaue, theils zum ordentlichen Klee- und Wiesenbau be-
nutzt würde, seinen Ertrag ungemein vermehren und die Ge-
meinde in Stand setzen würde, ihren Viehstand ansehnlich zu
vermehren. In Nackenheim sah ich, daß man sich schon mehr
auf Produktion einiger andern Naturalien gelegt hatte, die ich
an den oben benannten Orten noch sehr vermißte, z. B. Flachs,
Lein, Welschkorn; auch traf ich hier schon hier und da sehr
schönen deutschen Klee an.
Gräfenhausen im Darmstädtischen.-' Das Land von
Mainz bis Groß Gera und von hier nach Gräfenhausen besteht
aus feinem Sande, der last durchgängig gut zubereitet ist. Über-
haupt herrscht im Darmstädtischen unter den Landleuten viel
Industrie. Man kann eigentlich nicht sagen, was das Haupt
s Hechtsheim liegt eine Stunde von Mainz.
'■' Über Gräfenhausen, Pfungstadt, Gundernhausen und Dieburg verglj
.1. ,\. Demian. Sl;dislik und Topographie des Großherz. Hessen. L825J
Teil 2; sowie (I. \V. .1. Wagner, Statistisch-topogr.-histor. Beschreibung
Großherz. Hessen, L829— 31.
Ausbildung in Kameralwissenschaft.
produkt des Landes ist. Man sieht die Felder hier mit Roggen,
Gerste, Haber, Welschkorn, Hirse, Lein, Hanf, Mohn. Kappes,
Cartuflen nsw. abwechslen. Die Landwirte gewinnen dadurch
den Vortheil, sich, wenn ihnen ein oder das andre Produkt
misrathen sollte, an den andern wieder zu erhohlen. Hier fand
ich fast allenthalben die Methode eingeführt, deutschen Klee
unter die Somnierfrüchte mit auszusäen und nach abgebrachtem
Gel leide den Klee in der Brache zu benutzen. Viele ehemalige
Weidgänge fand ich hier abgeschafft und auf eine einträglichere
Art benutzt, kurz, ich bemerkte noch manche zurückgelassenen
glückliche Spuren der in Darmstadt 1777 angeordneten, 1780
aber wieder aufgehobenen Landkommission.1"
Das herrschaftliche Schloß in Gräfenhausen dient zn ein* ■
Invaliden Hauße und zur Erziehung der armen Soldaten-Waisen-
kinder.11 Den Fond dazu macht ein sehr ansehnliches dazu ge
höriges Gut aus. Mit Vergnügen sah ich hier, wie man die Kräfte
der Alten sowohl als jene der Kinder zum Vortheile des Haußes
und zur Erhaltung der Gesundheit in den manichfaltigen Ge
gehäften der Wirtschaft zu benutzen suchte. Da dem Gujte ein
sehr geschickter Verwalter vorgesetzt ist, so fand ich hier für
meine Wißbegierde sehr viele Nahrung. Der Viehstand, der nicht
aus dem Stalle kömmt, ist sehr groß, ohne daß bei dem Hofe
viele natürliche Wiesen sind. Man mußte also die Hauptstärke
auf den Kleebau, sowohl den deutschen als auch den ewigen,
setzen; und wirklich wird derselbe in einem Grade von Voll-
kommenheit getrieben. Die Methode, wie man hin' den deutschen
Klee haut, habe ich in der Beilage sub Lit. A beigefügt.
Pfungstadt. Der hier eingeführte Krappbau reizte vorzüg-
(fch meine Aufmerksamkeit. Die Art, wie er an diesem Orte ge-
baut wiid. habe ich in der Beilage sub Lit. B. bemerkt. So ein-
träglich der Krappbau ist, so gewiß reicht die Art, wie man hier
zu Werke gehet, den meisten Landleüten zum Verderben. Es
hat, sich nämlich eine Gesellschaft zus ammenge than, welche durch
baaren Vorschuß den Krappbau befördern will. Ilieher wende!
sieb der Landmann, der des (leides bedürftig ist, er bietel sich
an, einen Morgen Landes mil Krapp zu bepflanzen, und erhält
dafür zum Voraus MO, 40 und mehrere Gulden. Anstatt nun den
Acker, wie es der nützliche Krappbau lodert, tüchtig zu bearbeiten
und zu düngen, verfährt er in beidem ganz nachlässig, und die
Folge davon isl, daß zur Zeit des Kiiisauiiiielns anstatl etwas zu
gewinnen, kaum der Landmann seinen Vorschuß herausbringt,
Vnii hier aus reißte ich über Darmstadt, wo ich die beiden
englischen Gärten sab, nach Gunernhaußen.
Herr von Rimpsch12 besitz! hier eine sehr ansehnliche, wohl
1,1 Vergl. über sie Fr. Soldan, Geschichte des Großherzogtums He
L896, S. L76ff.
11 Es wurde im Jahre 1770 zu diesem Zwecke angewiesen und dann
seil L81Ü ah Militärhospital benutzt; Wagner, a. a. 0., IM. 1, S -
l- Unleserlich; könnte auch Rimpach gelesen werden.
196 Wilhelm Stieda.
eingerichtete Wirtschaft. Bei dem melkenden Rindviehe ist be-
ständige Stallfütterung eingeführt. Allein mit den Ochsen wird
eine andere Methode befolgt. Da zu dem Gute ansehnliche Wal-
dungen gehören, so bleiben dieselben beständig darinnen, fressen
sich fett und werden alsdann verkauft. Ein großer Theil der ge-
wonnenen Produkte wird in der bei Hofe befindlichen Brauerei
und Brennerei benutzt.
Dieburg. Die merkwürdigsten Gegenstände, die meine Auf-
merksamkeit auf dem Gute des Herrn von Großschlag13 beschäf-
tigten, waren: 1. Ein sehr schöner und in wohlgebauten Ställen
gut unterhaltner Viehstand. 2. Der Küchengarten. Die verschie-
denen Gattungen, Arten und Abarten der Gemüße, die man in
diesem vortrefflichen Garten antrifft, müssen in jedem Oekonomen
den Wunsch erregen, daß doch verschiedene derselben, die gewiß
zum Theil weit einträglicher sind, als unsere gewöhnlichen, in
unseren Feldern gemeiner gemacht würden. 3. Das ausländische
Gehölze. Man findet hier auf einem kleinen Platze eine große
Manigfaltigkeit desselben.
Aschaffenburg. Der Oeconomiehof Seiner Kurfürst].
Gnaden. 13a
Das hier aufgeführte Oekonomiegebäude ist schön dauerhaft,
und in allem, dem Zwecke der Oekonomie gemäß. Die darinn
befindlichen Ställe sind reinlich, geräumig und zum Füttern und
Melken des Rindviehes sehr bequem eingerichtet. Aus demselben
sind Rinnen in das in der Mitte des Hofes angebrachte Dünger-
magazin geleitet, das zugleich mit Cisternen versehen ist. Der
Viehstand ist sehr ansehnlich und von guter Schweizerart. Be-
sonders aber vergnügte mich die Nachzucht, darunter ich Stücke
fand, die mir vor der Mutterart Vorzug zu haben schienen. Das
Land, welches zu dem herrschaftlichen Gute gehört, besteht
theils aus feinen hitzigen Sande, theils aus etwas gröberem Kies-
boden. Da es hier an genügsamen natürlichen Wiesen fehlt, so
muß auf den Kleebau vorzüglich Bücksicht genommen werden,
den ich auch bei meinem Hierseyn sehr gut gerathen fand. Allein
diese Quelle bleibt bei der Beschaffenheit dieses Bodens in
trockenen Jahren für itzt noch immer äußerst gefährlich. Sorg-
fältiger Bau des Erdreiches, gute und tüchtige Bedüngung des-
selben werden in wenigen Jahren das ganze Land in einen so
^segneten Mittelboden umschauen, dem man fast alle Arten von
Früchten mit Vortheil wird zumuthen können. Auch werden
die Obstbäume (welche man in einer bei dem Oekonomiegebäude
13 Der letzte Freiherr Carl Friedrich Wilibald Groschlag von Die-
burg starb 1795). Kneschke, Allgem. Deutsches Adels-Lexikon, 4, S. 54.
13a Der Ükonorniehof Seiner Kurt. Gnaden ist der heutige Nilkheinii-r
Hof in der Gemeinde Seider bei Aschaffenburg. Vergl. über ihn P. A.
Winkopps topogr.-stat. Beschreibung des Großherzogtums Frankfurt, Weim.
1812, S. 344/345; J. W. C. Steiners Gesch. u. Topographie der alten Graf-
schalt und Cent Ostheim u. der Stadt Obernburg a. M., Aschaffenb. 1821,
S. 294 ff. Eine Instruktion für den Hofverwalter vom Jahre 1780 im Kgl.
Kreisarchiv Würzburg. Gefällige Mitteilung des Herrn Kreisarchivrats
Dr. Göbl in Wiirzburg.
Ausbildung in Kameralwissenschaft. l'.»7
sehr weißlich selbst angelegten Baumschule erzieht), in gehöriger
Ordnung auf den Feldern umhergepflanzt, dem Land mehr An
niuth und dem Boden mehr Consistenz geben. Auch der hier-
aufgerichtete schöne Bienenstand wird bei dieser Umfassung un-
gemein gewinnen.
In den beiden schönen Gärten, dem Schönbusche und Schön-
thale, fand ich bei dem Vergnügen auch für meine Wißbegierde
viele Nahrung. 'Ich studierte die Anlage der beiden Gärten, be-
schäftigte mich mit den darin befindlichen ausländischen Hölzern
und besonders mit der Manigfaltigkeit der im Schönthale an
Wänden gezogenen Obstarten.
Emerichshofen. Das Landgut Sr. Excellenz Herrn Curators
von Bentzel.14
Man muß bei dem Anblicke, dieses herrlichen Landgutes
sich nur einen Augenblick die ehemalige Sandwüste denken, um
das entzückende Vergnügen zu fühlen, gleichsam eine neue
Schöpfung durch Menschenhände hervorgebracht zu sehen. Der
Boden des Landes besteht fast durchgängig aus einem leichten,
hitzigen Sande; allein durch abwechselnde Bedüngung desselben
mit Leim, Asche und Viehdünger, durch seine geschickte Bear-
beitung und Bepflanzung, sieht man ihm bei dem ersten Anblicke
seinen eigentlichen Ursprung nicht an. Das ganze Land ist in
schönen Ordnungen mit Obstbäumen bepflanzt, die für das Auge
eben so vielen Beiz haben, als sie dem Boden durch Ertheihmg
mehrerer Haltbarkeit nützen. Die zu dem Gute gehörigen Wiesen
sind mit italienischen Pappeln umpflanzt und bestehen aus ein« 'in
Torf gründe, den man aber durch geschickte Leitung der Canäle,
durch l'berdeckung mit anderer Erde usw. gezwungen hat, das
Schönste und gesundeste Gras zu geben. Allenthalben sieht man
die Natur durch Einsicht und Industrie zum Vortheile ihres Be-
silzcrs umgewandelt. Das herrschaftliche Gebäude, das an dei
einen Seite an einen schönen Garten stößt, der mit einem Teich
umflossen ist, ist dauerhaft wirtschaftlich bequem und fällt heri
lieh ins Auge, ohne verschwenderisch prächtig zu seyn. Die
übrigen Wirtschaftsgebäude, die Scheunen, Ställe, die Brennerei,
das Brauhauß stehen in der schönsten Symetrie; alles, was bei
der Wirtschaft dem Auge eckelhaft seyn könnte, hat man sehr
geschickt zu verbergen gewußt, und doch wird man, alle diese
14 Heute die zur (iemeinde Kahl a. Main gehörige Einöde mit Schlol
niil drei Wohngebäuden. Bis 17(J7 befand sich an dieser Stelle das dem
Biainzischen Staate gehörige ,, Kahler Reisig", einst Wald, damals unfrucht
bare Meide, etwa 2500 Morgen. Der Kurfürst Emmerich Josef, nach dem
(h'v 'tri Emmerichhof en genannt wurde, überließ am 17. März L768 das
Terrain in Erbbestand an die drei „Entreprenneurs" : den Geheimen i lofr.it
Franz Ansein, Freiherrn von Benzel, den Hofrat Philipp Karl von Dael
und den Hofkammerrat Johann Heinrich Linden zum Zwecke der I ihai
machung. In den nächsten Jahren wurde die Kultivierung durchgeführl
und drei Höre gegründet. Der Besitz Benzeis war stark überschuldet und
rollte im Jahre 17(.)2 gerichtlich versteigert werden. Nach einem kur-
mainzischen Hofkammerakt im Kgl. Kreisarchiv Würzburg. Gefällige Mit-
teilung des Herrn Kreisarchivrats Dr. Göbl in Würzburg.
198 Wilhelm Stieda.
Gebäulichkeiten nach den strengsten Regeln der Oekonomie be-
urtheilt, nicht sagen können, daß ein einziges bequemer und nütz-
licher hätte angebracht werden können. Das Rindvieh ist hier
nicht von großer Schweizer Art, sondern von einem sehr ein-
träglichen Mittelschlage. Allenthalben fand ich Gegenstände, die
meine Aufmerksamkeit reizten und meine Wißbegierde befriedigten.
und ich kann dieses Landgut, als eine praktische Schule der
Landwirtschaft ansehen.
Nassau. Unsere größesten Cameralisten, worunter ich Herrn
von Pfeifer in seinem Lehrb. 2. B., 1. Th., § 268, nur anführen
will, haben es schon lange als ein Hauptmittel zur Verbesserung
und Aufnahnje der Landwirtschaft angesehen, die zerstreuten
Güter der Unterthanen zusammenzulegen und ihnen ihre Grund-
stücke in großen Strecken beisammen zuzumessen. Mit diesem
wichtigen Geschäfte hat man im vorigen Jahre zu FrikhofenU;i
im Nassau-Dillenburgischen den Anfang gemacht. Ich begab mich
hierher, um den ganzen Gang ihres Verfahrens einsehen und die
Mittel kennen zu lernen, wodurch sie die Unterthanen zu diesem
Unternehmen bewegten. Ich hatte das Glück, an den Herrn
Comissarien sehr gefällige Männer zu finden.
Wendelsheim im Pfälzischen.15
Hier hatte ich Gelegenheit, mit einem sehr geschickten Oeko-
nomen bekannt zu werden, Herrn Krämer, der sich schon als
Schriftsteller in diesem Fache gezeigt hat.16 Er verwaltete die
Güter des Prinzen von Salm Kirburg17, und ich fand auf den-
selben Einrichtungen, die für mich in vielen Absichten sehr lehr-
reich waren. In Begleitung dieses Mannes setzte ich mein*'
Reiße nach Kirchenpoland18 fort, wo ich den dasigen englischen
Garten sah. Von hier aus kamen wir nach Kayserslautern.
dem ehemaligen Sitze der Pfälzischen Cameral hohen Schule.111
Ich besah hierauf in dem Umkreise von 3 bis 4 Stunden einige
Landgüter, die mir vorzüglich waren gerühmt worden. Den
Schellenberg, einen ehemaligen schlechten Weidegang von
mehr als 1000 Morgen, sah ich in schönes Landgut umgewandeil.
Auf der Reichenbach, einem ansehnlichen Gute, fand ich
herrliche Felder. Zu Sichelbach, wo die hohe Cameralschule
ein Gut angekauft, hatte20, war ich Augenzeuge von der Pro-
stitution, die sie sich in der ganzen Gegend gemacht haben. Schon
14;i Frickhofcn, Pfarrdorf im preuß. Regbzk. Wiesbaden.
15 Rheinhessisches Pfarrdorf. Brilmayer, a. a. 0.
"■ Vielleicht ist Jon. Jak. Krämer gemeint, der im Jahre 1782 ..P.e.
Pachtungen über die oekonomisehen Bemühungen des 18. Jahrhunderts**
veröffentlicht hat.
17 Friedr. Joh. Otto Franz. Christian Philipp, Fürst von Salm-Kyrburg
seit 1779; geb. 1715. Krebel, Europ. genealogisches Handh. für 1781.
18 Kirchheim-Bolanden, Stadt in der bayerischen Pfalz.
19 Über die Hohe Kameralschule in Läutern, Stieda, a. a. 0.., S. 109
bis 119.
20 Über das Landgui am Siegelbach, das die Hohe Kameralschule
als Mustergut bewirtschaften ließ, vergl. C. Fraas, Geschichte der Landbau-
und Forstwissenschaft, 1865, S. 116; Stieda, a. a. 0., S. 110.
Ausbildung in Kameralwissenschaft. 199
der 3. Pächter war kurz vor meiner Ankunft durchgegangen und
die Frucht«' wurden auf dem Felde versteigert. Das einzige
Monument, das man noch davon hier antrifft, isl ein prächtig
erbauter Viehstall.
Rheingau. Meine Ilauptabsicht hei dieser Heise war, die
veischiedenen Laagen, Erdarten und die Art und Weise den
Weinstock zu behandeln genau kennen zu lernen.
Im Vertrauen auf die gnädige Nachsicht Euer Excellenz
unterwerfe ich diese meine Berichterstattung Indien Einsichten.
Euer Excellenz unterthänig gehorsamster
Schleenstein.
Beilage Li f. A.
Methode den Deutschen Klee mit den Sommerfrüchten
zu bauen.
Man säet in ein gut zubereitetes und wohlgedüngtes Feld
mit der ('.erste z. B. den deutschen Kleesamen aus und läßt
beides mit einander aufwachsen. Nun zur Aerntezeit wird die
(leiste abgebracht, und wenn das Wetter ein wenig günstig ist,
so hat. man sich in diesem Jahre noch einer Kleeärnte zu er-
neuern Den Winter über bleibt das Kleestück mit Mist bedeckt,
der das folgende Frühjahr wieder abgezogen wird. Ist nun im
JFrühlinge kein Frost mehr zu befürchten, so wird Gyps auf den
Klee gestreut, und die Pflanzen werden dadurch stärker aus dem
linden getrieben. Bedient man sich aber dieses Mittels zu frühe,
so setzt man sich der Gefahr aus. bei einstellenden Frost seineu
Klee zu verlieren. Nun wird der Klee den Sommer über 3 biß
4 mal benutzt. Gegen den Herbst wird das Feld in groben Stücken
nur einmal umgestoßen, und ohne neuen Dünger zu geben, Koggen
auf den Acker ausgesäet. Die Kleeschollen faulen den Winter
aber, legen sich zusammen und düngen den Boden. Wenn nun
die Roggenärnte eingethan ist. so wird der Acker durch Pflügen
und Kggeu tüchtig zerrissen und gut gedüngt. Nun fängt man
wieder von \rorne an, säet z. B. Gerste mit Kleesamen aus und
verfährt auf die oben beschriebene Weise.-1
Beilage Lit. B.
Wie der Krappbau in den Gegenden d:-s I! heinst ronis
behandelt wird.
1. Werden zu einem Morgen guten Landes a L60 Ruthen
a 1(5 Rheinland. Schuhe L6 vierspännige Wagen Dung
erfordert.
-' über die Verbreitung des Kleebaues in Deutschland s. C. Fraas,
Geschichte der Landbau- und Forstwissenschaft, L865, S. 215, 219. In
der Pfalz beginnt der Klecl.au sich wesentlich in dein Jahrzehnt L760 l<«u
auszubreiten; am Rhein soll er durch einen Schüler Schubarts einge
führt sein.
200 Wilhelm Stieda.
2. wird der Dung 2 Schippen tief untergraben und wenn
dieses geschehen ist, zu Anfang des Mayen, bei einer
feuchten Witterung die Pflanzen gesetzt.
3. Auf den Morgen werden 12000 Stücke Pflanzen gerechnet.
4. Wird der Acker in Beete abgetheilt, deren jedes 10 biß
12 Schuhe breit, und zwischen 2 allemal ein Zwischenraum
von 2 Schuhe gelassen wird, welchen man im ersten Jahre
zu Kraut, z. B. Kohlrabi, benutzt. In folgenden Frühjahre
wird dieser Zwischenraum ausgehoben, und auf die Beete
vertheilt.
5. Diese Beete werden in kleine Furchen abgetheilt, da-
rinnen die Krapp Setzlinge 5 biß 6 Zoll von einander
gelegt, mit Erde die Wurzel bedeckt und mit dem Fuße
zugetreten. In diesem Zustande werden sie gelassen bis
in den folgenden Herbst, da dann der Acker umgerodet
und der Krapp ausgemacht wird. Inzwischen aber muß
der Acker etlichemal von Unkraut gesäubert werden. Vor
dem Ausmachen wird das Krappkraut abgemähet, gedörrt,
und den Winter über mit den Ochsen verfüttert.
Anmerkung.
Wenn der Acker also gut zubereitet ist, so kann er bei
einem Mittelertrage 80 Zentner grüne Wurzeln liefern, die a 2 fl.
pro Pfund von dem Acker verkauft werden, ohne was vorher
aus Pflanzen gelöst werden kann.22
4. (Spoors) kurzer Bericht über eine kleine technologische
Reiße.
Gnoßh. Hess. Haus- u. Staatsarchiv Darmstadt, Akten betr. die Kameral-
fakultät zu Mainz, S. 29—33.
Bevor ich, nach der mir gnädig ertheilten Instruction, die
kleine technologische Beiße unternahm, so machte ich mich mit ver-
schiedenen Handwerkern in hiesiger Stadt bekannt, um mir da-
durch Lust und Fähigkeit zu erwerben, den Zustand derselben
auch bei Ausländern zu untersuchen, und ihre Vortheile um1
neue Erfindungen zu bemerken.
Mit dieser praktischen Vorbereitung ausgerüslet, die mir
meine, auswärts gemachte, Bemerkungen gar vorzüglich erreich
terte, träte ich d. 16ten Sept. meine Beiße an.
Mein erster Aufenthalt war in Frankfurt während der Messe.
Ich schalle mir allda das, bei Anfang derselben erschienene
Meßschema an, und bemerkte mir die, darinn genante, aus-
vvärlige l'ahi icanlen und Kaufleuthe.
22 Über Krapp oder Färberröthe s. Vom Anbau und Commerce des
Krapps in Deutschland, Leipzig 177'.). 8°; Krünitz, Enzyklopädie, Bd. L26;
S. 21311., und. .1. Beckmann, Gesch. d. Erfindungen, Bd. 4, S. 4t ff. Der
Krapp wurde im IN. Jahrhundert wesentlich in Breslau und im Elsaß in
der Gegend von Hagenau und Bischweiler gebaut.
Ausbildung in Kamerahvissenschaf't. 2<U
Nachdem ich mir ihre Bekanntschaften durch mancherlei
Weege zu machen suchte, bat ich sie um die Erlaubniße, ihre
Gewölber zu besuchen, wozu sich Einige desto bereitwilliger
zeigten, je gewisser ich mich als einen Commissionair hinstellte,
der vielleicht noch mancherlei Geschäften mit Ihnen zu machen
Gelegenheit haben würde.
Auf solche Weiße lernte ich die Art der Waaren, ihre Mannig-
faltigkeit, ihre tüite und Preiße kennen.
Auch war es mir hier schon eine vorzügliche Gelegenheit,
mich mit den Fabricanten über die Verfertigung der Waaren
selbsten in nahe Unterredung einzulassen; wodurch aber meine
wissenschaftliche Neugierde nicht befriedigt wurde, weil ich nichi
an Ort und Stelle wäre, wo ich die ganze Verfahrungsart mil-
ansehen konte, wie aus Naturproducten Kunstproducte werden.
Ich begäbe mich daher, nach weiterer Anweisung meiner In-
struction am Ende der Frankfurter Messe nach Ofenbach, das
mit Recht ein Manufacturstädtgen genannt zu werden verdient.
Hier hatte ich die erwünschteste Gelegenheit, die Arbeiten,
und Verfertigung der Bijouteriewaaren, des Plüsch, und Cafa,
der Wollenfärberei, der Wachslichter, Waagbalken, usw. in ge-
höriger Ordnung zu sehen; wodurch ich in den Stand geset/.et
wurde, vermittelst meiner Kenntnisse aus der Naturgeschicbl<\
Phisik, Mechanik, und Chimie die Gründe der verschiedenen
Arbeiten, und ihre Folgen leicht zu begreifen, und einzusehen.
Ich bemühe te mich sodann die Kunstsprache der Arbeiter
zu verstehen, fände aber hierbei, wie unangenehm es seye, daß
einerlei Werkzeuge und Arbeiten, bei verschiedenen Handwerkern,
ganz verschiedene Benennungen haben; welche man, wenn gleich-
wohl die technologische Terminologie philosopbisch, oder sisle
matisch bearbeitet werde, sich dennoch immer eigen machen
muß, so lange wir von den Handwerkern und sie von uns ver-
standen werden sollen; sogut als man die Provinzialnahmen
der Pflanzen wissen muß, wenn man die Botanik gemeinnützlich
machen will.
Die rohe Materalien, und Nebenmaterial ien, die Verschieden-
heit in Werkzeugen, und Gerätschaften, die entweder neue Er-
findungen, oder noch nicht allgemein bekannt sind, suchte ich
nichl allein kennen zu lernen, sondern auch letztere durch Zeich-
nungen meinem Gedächtnisse aufzubewahren.
Ich wurde in den Werksteller] von dem Grundsatz voll
kommen überzeugt, daß die Geschicklichkeit der Handwerker,
und die Künstlichkeit der Werkzeuge meistens in verkehrter
Verhällniß stehen, daß je künstlicher die Werkzeuge, desto ein
faltiger die Arbeiter seyen, usw. • Ich bemerkte aber zugleich,
wie schwer es falle, von den Arbeitern etwas abzusehen, und
zu erfragen, die meistens nicht gewohnl sind, über ihre Be
schäftigungen nachzudenken, noch weniger Lust und Fähigkeit
haben, sie zu erklären; die ungedultig über den unwissenden
Frembden werden, der sie mit Kragen und Einwürfen aufhält,
und die aus Einfalt eben dasjenige, als eine seltene Kunst, und
202 Wilhelm Stieda.
als ein unerforschliches Geheimniß verheelen, wonach sich der
ehrte sorgfältig erkundigt.
Von Ofenbach setzte ich meine Reiße nach Seeligenstadt
fort. In diesen Landstädtgen wohnen ohngefähr 40 Wollen-
weber23, von welchen aber nur 18 oder 20 auf ihre Rechnung
arbeiten. Sie verfertigen aus Landwolle 9/4 breite geringe Tücher,
liefern solche theils an das hiesige Militär, theils verkaufen, und
schneiden sie selbige in den benachbarten Gegenden auf den
Märkten aus, und schmeicheln sich aus dergleichen Tücher einen
beträchtlichen Gewinn zu ziehen; wenn nur der Absatz davon
durch die Menge sehr schmaler und schlechter Tücher, welche
die Pfälzische und Gräfl. Erbachische Weber im Mainzer Lande
um einen geringen Preiß verkaufen, nicht alzusehr geschwächet
werde; da doch derselben Herrschaften den Seeligenstädter nicht
erlaubten, auf den Märkten in ihren Landen, mit Tücher, die
doch weit besser seyen, feil zu halten. Ja sogar bestellten die,
in Seeligenstadt, und in der Nähe wohnenden .luden bei den
auswärtigen Weber dergleichen schlechte Tücher, und gingen
mit denselben allda haußiren.
Es ist nicht zu läugnen, daß die Seeligenstädter Tücher nach
ihrer Art gut gewebet seyen; nur fehlet es ihnen, meiner Ein-
sicht nach, an Kenntnisse und Muth, die Wolle gehörig zu sor-
tiien, und daraus mehrere, der Feinheit und Rreite nach ver-
schiedene, Tücher zu machen, da es doch allemal, sowohl für
den Tuchmanufacturisten, als für den einzelnen, sich selbst
verlebenden, Weber keine vorteilhafte Einrichtung ist, nur ge-
linge, grobe Sorten von Tücher zu verfertigen. Die hohe Direction
der Handwerker würde also sehr reiflich handeln, die Seeligen-
städter Weber anzuweisen, auf welche Sorten von Tücher sie
ihre Industrie verwenden sollen, damit daraus sowohl für sie,
als das Land der bestmöglichste Vortheil gezogen werde: und
dann wird das erste seyn, denselben in genauer und richtiger
Sortirung der Wolle, geschulten und faßlichen Unterricht zu geben.
Ich behalte mir vor, sobald mein Lehramt mir einige Zeil
übrig last, und ich die Seeligenstädter Webereien noch einmal
besuchet habe, einen vollständigen Plan zu entwerfen, wie den-
selben auf die leichteste Art aufzuhelfen seye.
Vor der Hand aber ginge mein dermaliges Gutachten dahin,
die Pfälzer und Gräfl. Erbachischen Weber von dem Verkauf
ihrer Tücher auf den Märkton im Mainzer Lande aufzuschließen;
weil 1. derselben Herrschaften den Anfang gemacht haben, ein
gleiches gegen unsere Weber zu verordnen; weil 2. dieser aus-
wärtigen Tücher weit schlechter sind, und unsere Unlerthanen,
durch den Anschein eines wohlfeileren Preises, ohnbemerkt be-
trogen werden. Sodann solle man eben den in Seeligenstaili
wohnenden .luden, den Verkauf der Pfälzischen und Erbachischcn
Land I lieber untersagen. Durch diese gegründete Verbothe werden
wenigstens unsere Seeligenstädter Webereien vor dem gänzlichen
::' Im Jahre 1825 hatte Seligenstadt noch 22 Tuchmacher aufzuweisen.
Deniian, a. a. 0., 2, S. 83.
Ausbildung in Kameralwissenschaft. 2«»:;
Verfall gesichert, welcher ihnen nicht ausbleiben kann, sobald
sie nicht einen ungestörten Absatz, auf dermalen und mit ge
ringen Tücher, erhallen.
Der letzte Ort, <\c\i ich auf meiner Reiße besuchte, wäre
Frankenthal, wo ich wieder verschiedene Manufacturen, und
Fabriken angetroffen, die in Ofenbach nicht etablirel sind, als
Wollenzeug- und Tuchmanufactur, Porcellanfabrik, und andere.
Ich brauchte hier die neinliche Art, meine praktische Kenntnisse
zu vermehren, die in Ofenbach mir so mancherlei Nutzen ge
währte, und hatte auch das Glück, in diesen Manufacturstädtgen
Manches, sowohl in der Zubereitung der Materialien, als der
selben Verarbeitung, zu erfahren, das meine Erwartung übertraf.
Ich schließe meinen, in die Kürze gezogenen Bericht mit
folgender Anmerkung, daß ich schon auf dieser praktischen
kleinen Reiße recht lebhaft empfände, was D'Alembert von den
Künsten und Handwerken sagt: ,,Es lohnt sich sehr wohl der
Mühe, daß man sie kennen lerne, die Künste und Handwerke; es
sey entweder wegen der Vortheile, die man daraus zieht, oder
wegen der Ehre, die sie dem menschlichen (leiste machen. In
weh liein Sisteme der Phisik, und Metaphisik, bemerkt man mehr
Erfinduugsgeist, mehr Weisheit, mehr Harmonie, als in den Ma-
schinen iles Strumpfwirkers, des Tressenniachers, des l'osamen-
fiers. des Tuchmachers oder des Seidenarbeiters?" Hin Urteil,
das ganz eines D'Alemberts würdig ist!
Unterthänig gehorsamster
F. C. Spoor.
5. (Reisebericht der Herren Spoor und Schleenstein.
Gmȧb. Hess. Haus- a. Staatsarchiv Darmstadt, Akten betr. die Kameral-
fakultät zu .Mainz, S. 91- IM.
Halle d. 7'"" May L784.
Hochwohlgebohrener Reichsfreiherr.
Gnädiger Herr Curator !
Eine fehlgeschlagene Gelegenheit, mit welcher wir schon
den 171"1 April unsere Heiße anzufangen dachten, machte, daß
wir dieselbe zuerst den folgenden Tai; antrallen. Wir he
dauerten, daß wir auf dem Kurfürstlichen Oeconomiehof bei
Aschaffenburg H. Inspector Weßeli nicht antreffen konnten. Wir
suchten aber, soviel es möglich wäre, uns um die ganze Anlage
und Einrichtung zu erkundigen. In Würzburg waren wir so
glücklich, an H. Hofkammerrath Stoll einen Mann zu finden,
dessen Gefälligkeit, und Einsichten in die Landwirtschafl uns
seine Bekanntschaft eben so angenehm, als lehrreich machte.
Er hatte die Güte, uns selbst auf den Fürstlichen Oec iehof,
er vorgesetzet ist zu begleiten, und alles was diese ganze
Anstalt betrifft, zu erklären. Die vornehmste Gegenstände un
serer Aufmerksamkeit waren diesemnechsl das berühmte Julius
204 Wilhelm Stieda.
hospital24, nebst der dabei befindlichen Botanik25, Anatomie26,
and einmischen Laboratorium, die Universitätsbibliothek, die
Wollenspinnerei, und Manufaetur im Zuchthauße.27 Wir reisten
von hier über Fürt nach Nürnberg; hier begegnete uns das Un-
angenehme, daß diejenigen Personen, an welche verschiedene
gute Freunde uns Addressen mitgegeben, abgereist waren. Wir
fanden in Rücksicht der Manufacturen, die bekannte Rohgießereien
ausgenommen, beinahe alles wieder, was wir in Fürt gesehen
haben.28 Auf der Ratsbibliothek hatten wir das unvermuthete
Vergnügen den Verfasser der entdeckten Geheimnissen der Land-
und Haußwirtschaft29, H. Baumann, Ordensgeistlichen aus der
Abtei Eberbach, kennen zu lernen. Er bezeigte ungemeine Freude,
als er die Absicht unsrer Reiße erführe, bot uns seine Freund-
schaft und Briefwechsel an, und machte uns sogleich wogen ver-
schiedenen ausländischen Sämereien einige Aufträge. Er ginge
auf Würzburg, wo er, wie wir zu vermuthen viele Ursache
haben, sich um eine Professur der Oeconomie bewerben wird. —
Wir werden uns immer mit dem lebhaftesten Vergnügen an
unsere Aufnahme bei den H. Professoren zu Erlangen erinnern,
ihre Gefälligkeit, Freundschaft, und Verbindlichkeit gegen Fremde
läsl nichts zu wünschen übrig. H. Hofrath Schröber, an welchen
wir von H. Geh. Rath von Pfeifer eine Addresse hatten, war uns
als ein Mann beschrieben worden, bei dem wir das Gefällige
im Umgang nicht suchen dürften. Würklich schien uns sein
Äußeres nicht günstig; er ist schüchtern, spricht sehr ängstlich,
und zurückhaltend. Um so auffallender wäre es uns, da er
mit ungemeiner Gefälligkeit uns selbst in den hiesigen botanischen
Garten führte, in dem Universitäts- so wie in seinem Privat
Naturalienkabinetl mit unverdroßener Mühe uns alles vorzeigte
und erklärte, und uns empfal, bei unserer Rückkunft nach Mainz
ihm Nachricht zu geben, auch bei jeder Gelegenheit, wo er uns
eine Gefälligkeit erweisen könte, ihm zuzuschreiben. Auf unsre
Bitte, uns mit einer Addresse nach Leipzig zu versehen, war er
sehr willig, und überreichte uns ein Empfehlungsschreiben an
II. Professor Leske. Bei H. Hofrath Suckov, einem bejahrten,
gutherzigen Mann, der uns eine Empfehlung an seinen IL Bruder
zu Jena mitgab, sahen wir die phisicalische Instrumenten. Herr
Hofrath Meißel, der uns sehr freundlich aufnähme, besuchten wir
verschiedenmalen, und wohnten einer seiner Vorlesungen bei.
II. Hofrath Delius, Vorsteher des hiesigen klinischen Instituts,
-'■' Vergl. Lutz, Rückblick auf die Entstehung und Entwicklung des
Juliusspitals, Würzburg 1876.
Vergl. Lutz, a. a. 0., S. 33, 83.
Vergl. Lutz, a. a. 0., S. ;s:>. 81, 82.
-'• Das Zuchthaus winde im Jahre Kill.") eröffnet und in ihm eine
Tuchfabrik zur Beschäftigung der Sträflinge errichtet; eine Verbesserung
nahm im Jahre L732 der Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn vor.
Archiv des historischen Vereins von I nterfranken und Aschaffenburg,
Bd. IV (1905), S. 19, Anm. 2.
s Di'' gleiche Bemerkung bei Meermann, Reise, Teil 2. S. 274.
so Wien 1783.
Ausbildung in Kameralwissenscbaft. 205
ein großer Chimist, verlangten wir zu sprechen; allein er war
krank und lag zu Bette.
H. Hofrath Heberlin, an welchen wir von H. Hofrath llart-
leben30 eine Empfehlung zu machen hatten, begleitete selbst uns
in die Universitätsbibliothek, und von da nach denen daselbst.
befindlichen Manufacturen. Den Abend vor unsrer Abreiße Eührte
er uns noch in eine Gesellschaft, die sich wöchentlich einmal
versammelt, und" worinnen wir noch andere H. Professoren, und
Justitzräthe kennen lernten. Der Inhalt ihrer meisten Gesprächen
mit uns beträfe die verbesserte [Jniversitäl zu .Mainz: dal.) ihre
Lobeserhebungen unverstellt waren, zeigten ihre Mienen, aus
denen oft ziemlich deutlich Beneidung hervorblickte. Wir winden
uns mit Vergnügen auf dieser Universität noch lange aufgehalten
haben, wenn wir Gelegenheit gehabt hätten, ein in unser Fach
schlagendes Collegium zu besuchen. Es waren zwar in der
Lectionstafel verschiedene angezeigt, wovon aber keines zu Stande
gekommen war. In Rücksicht der Polizei und Oeconomie der Stu-
dierenden erhielten wir verschiedene hierüber herausgekommene
Verordnungen. — H. Hofrath Schroeber hatte uns an H. Kammer-
registrator Wunder in Baireit eine Emphelung mitgegeben; dieser
zeigte uns das dortige ansehnliche Naturalienkabinett. In dem
sogenannten Brandenburger Zuchthauße, nicht weit von der Stadt,
sahen wir die berühmte Marmorschneiderei und Schleiferei: Wir
erhielten die Verzeichnisse sowohl der verschiedenen Marmor
Sorten, als der Preiße der gefertigten Waaren. In Hol. wo
sehr viele Baumwolle gesponnen, und zu Schnupftüchern ver-
arbeitet wird, besuchten wir einige Webstühle. — In Leipzig,
wo wir uns eine Zeitlang aufzuhalten gesonnen waren, gaben
wir unser Emphelungsschreiben an H. Professor Leske ab, von
dei'i wir auch sehr freundschaftlich aufgenommen wurden. Allein
wir fanden ihn wegen der Messe mit so vielen Geschäften über-
häuft, überhaupt alles so sehr im Gedränge, und den Aufenthalt
so kostspielig, daß wir unsere Reiße nach Halle fortzusetzen,
und von da nach Leipzig wieder zurückzukehren beschlossen.
Unßere Reiße hatte bis Hof wegen beständig anhaltendem
Regen und Wind viele Beschwerlichkeil für uns. Aber dieses war
sehr unbeträchtlich gegen das, was wir durch das Voigtland aus-
zustehen halten. Der häutige Schnee, der auf vielen Bergen noch
nicht weggeschmolzen war, hatte alles bodenlos gemacht. Wir
hallen Mühe, mit 3 Pferden des Tags 6 Stunden weil Eortzu
kommen, saßen immer in offenen Wagen, und mußten täglich
die Abwechslungen von Regen, Schnee und Hagelwetter erfahren.
Alle diese Unbequemlichkeiten verdoppelten unsere Reisekosten,
da wir überdies hier alles theurer, und in schwerem Geldfuße
zu bezahlen hatten.
Wir bitten dabei' unterlhänig, Ew. Excellence mögen die
Gnade haben, uns einen Wechsel nach Leipzig unter der Addresse,
in dem blauen Engel, wo wir d. 22ten May wieder eintreten
30 Franz Joseph Hartleben, 1740—1808, Professor der Pandekten
in Mainz.
^0(i Wilhelm Stieda.
werden, anzuweisen. - Wir erwarten demnächst den Hohen Be-
fehl, ob wir die Rechnung wegen dem empfangenen Gelde in
der Mitte oder am Ende unserer Reiße einschicken sollen.
Ew. Excellence werden es uns nicht zur Ungnade aufnehmen,
daß wir nach unserer Schuldigkeit Hochdenselben nicht schon
eher Nachricht, von unserer Reiße gegeben haben ; indem wir
keinen sicheren Ort. haben anzeigen können, wo wir die Hohe
Befehle zu erwarten hätten.
Die wir mit schuldigster Ehrfurcht uns zu nennen die Gnade
haben Ew. Excellence
Unterthänig gehorsamste
F. Spoor und Schleenstein.
6. (Reisebericht der Herren Spoor und Schleenstein aus
Leipzig 1784, Juni 5.)
Croßh. Hess. Haus- u. Staatsarchiv Darmstadt, Akten betr. die Kamerad
fakultät zu Mainz, S. 96 ff.
Hochwohlgebohrner Reichsfreiher]',
Gnädiger Herr Curator !
Mit dem gerührtesten Danke für die Hohe Fürsorge, die uns
Ew. Excellence immer angedeihen ließen, melden wir Hochden-
selben, daß wir von Herrn Kammerrath Frege zu Leipzig einen
Wechsel zu 200 Rlr. Louisd'or ä 5 Rthlr. den 31, May ausbezahlt
erhielten.
In Halle waren bei unserer Ankunft, die Vorlesungen noch
nicht angefangen; wir besahen daher innerhalb Halle die Stadt]
und königliche Salz-Koten, das berühmte Waisenhauß mit allen
dazu gehörigen Einrichtungen, verschiedene Fabriken und machten
sodann eine kleine Reiße auf einige Meilen in der Gegend von
Halle. Wir befuhren wegen der Verschiedenheit der Kohlen und
der Art, sie zu gewinnen, zwei Kohlenwerke zu Löbegin und
Wettin; im ersteren hatten wir noch das Glück, eine ganz neue
Atdage eines Berckes (?) anzutreten. Bei dieser Gelegenheit be-
suchten wir auch den durch die Schriften des Herrn Hofrathen
Schubart so berühmten Landwirthen Herrn Oberamtmann Holz-
hausen?1 in Gröbzig, welcher die Güte hatte, uns seine ganze
sehr beträchtliche Oeconomie zu erklären und allenthalben selbst
zu begleiten. Endlich die nahe dabei gelegene Kupferschmelzhütle
zu Rothenburg. Bei unserer Rückkehr hallen die Kollegien ihren
Anfang genommen, wo wir besonders (hm Vorlesungen der Herren
Professoren Förster und Karsten, Professor der ExperimentaJ
phisic, Junghans, der Botanik, Richter, der Chemie,
Goldhagen, der Zoologie, beiwohnten. Herr Professor Förster be-
zeugte uns, wie wir glauben aus besonderen Absichten, viele
31 Vielleicht ist Joh. <i. Holzhausen gemeint, der allerdings erst
später, nämlich im Jahre L785 „Beilage zu J. C. Schubarts Schrillen" und
1787 „Schreiben an Schubart v. Kleefeld über Riems Reise nach (iröhzig"
veröffentlicht hat.
Ausbildung in Kameralwissenschaft. 207
Freundschaft und Gefälligkeit; er führte uns in die Gesellschaft
der Gelehrten, wo wir auf einmal mit mehreren berühmten
Männern Bekanntschaft machten und von Verschiedenen die
Correspondence erwarben. Nebst verschiedenen Privatnaturalien-
Kabinetten besuchten wir noch die Bibliotheken, welche wir aber
in unserem Fache schier gar nicht benutzen konten.
Bei unserer Bückreise nach Leipzig machten wir dem Herrn
Kammerdirektor » Hofmann von Berlin, der sich während des
Sommers auf seinen Gütern zu Discau aufhaltet, unsere Aul
Wartung. Wir hatten hier das Glück, einen sehr großen und
eifrigen Landwirthen zu finden. Nachdeme er uns die ganze Ein
richtung seiner Wirthschaft erklärte, hatte er sogar die Gefällig
keit, uns sein Oeconomiebuch und Rechnungen zur Ueberzeugung
seiner vorteilhaften Bestellung vorzulegen.
In Leipzig erkundigten wir uns sogleich bei Herrn Pro-
fessoren Leske und Boeßig um alles, was in unser Fach einschlage.
Wir erfuhren aber wider Erwartung, daß das Studium der
Kameralwissenschaften auf hiesiger Universität schlecht betrieben
würde: Professor Leske zählet in seinen Vorlesungen über die
Naturgeschichte 6 Studenten und Boeßig über die Oeconomie nur
Vier. Die Bibliothecken sind in Ansehung dieser Wissenschaften
gar nicht, zu achten, und der botanische Garten ist in sehr ge-
ringen Umfang. Wir werden daher auch in Leipzig uns nicht.
lang aufhalten, sondern sobald möglich nach Jena unsere Meise
fortsetzen. Göttingen wird wohl der einzige Ort sevn, wo wir
uns mehreres von der Bibliotheck und botanischem Garten zu
versprechen haben. Wir werden eilen, dahin zu kommen.
Wollen daher Ew. Excellence an uns hohe Befehle ergehen
zu lassen geruhen, so erwarten wir selbige in Göttingen, jedoch
zu mehrerer Sicherheit mögen Ew. Excellence auf die Adr.
Post, restant zu schreiben die Gnade haben.
Leipzig d. 5.ten Juni 17S4.
Ew. Excellence
ünterthänig gehorsamste
F. Spoor and Schleenstein.
7. (Reisebericht der Herren Spoor und Schleenstein .ms
Göttingen 17.S4, Juli 6.)
(irvißh. Hess. Haus- u. Staatsarchiv Dam betr. die Kare
fakultäl zu Mainz. S. L00— 101.
Excellence
Hochgebohrner Reichsfreiherr,
Gnädiger Herr Curator!
Bei unserer Reiße von Leipzig nach Jena besuchten wii
durch seine oeconomisi he Schriften so sehr berühmten II. Hof-
rathen Schubart :!- auf seinem Landgute zu Würgwitz, welches
82 Oeconom.-kameralistische Schriften, Leipzig 1783- L78
208 Wilhelm Stieda.
nur einige Meilen von der ordentlichen Straße ablag. Dieser große
und eifrige Landwirth hatte die Gefälligkeit, uns allenthalben hin
auf seine Felder selbst zu begleiten, und alles augenscheinlich
zu zeigen, was er in seinem Werke über die Landwirthschaft
lehret. In Jena fanden wir zwar an H. Kammerrath Suckow
einen sehr großen Eiferer für die Kameralwissenschaften, dessen
Korrespondenz zu erhalten, wir auch so glücklich waren; allein
im Ganzen geschiehet auf dieser Universität in Rücksicht er-
wähnter Wissenschaften sehr wenig. W'ir machten also nach
Unserer Instruktion Bekanntschaft mit noch einigen H. Pro-
fessoren, besahen, was uns in unserem Fache dienlich seyn konnte,
und setzten unsere Reiße nach Erfurt fort. Hier bedauerten wir
die Abwesenheit Sr. Excellence Herrn Stadthalter; allein weil
man von Hochdesselben baldiger Ankunft sprach, so erkundigten
wir uns, um Gewißheit zu haben bei H. Hofrathen Redacker, der
uns aber auch nichts bestimmtes sagen konnte. Wir machten in
Begleitung des H. Kammeracceßisten Thelemann bei H. geheimen
Rath von Bellmont33, und H. Kammerräthen unsere Aufwartung.
H. Kammerrath Müller führte uns in Gesellschaft des H.
Professor Stumm und Thelemann nach der Erbacher Stahlquelle,
wo ersterer die gewohnlichen Handproben mit diesem Wasser
machte, und uns zugleich das Resultat der aus diesem Wasser
gemachten einmischen Untersuchung mittheilte.
Wir reißten sodann nach Dietendorf, um die dortige Manu-
facturen der Herrnhuther zu sehen. In Erfurt besuchten wir vor-
züglich das Polizeihauß, die Zeug- und Landmanufactur. Unsere
Reiße von Erfurt, nach Göttingen nahmen wir über Heiligenstadt34,
wo wir uns einen Tag aufhielten. In Göttingen sprachen wir so-
gleich mit H. Professor Beckmann, bei dem wir uns um den Zu-
stand der Kameralwissenschaften erkundigten. Wir erfuhren von
ihm, daß die Bibliothek in diesen Fächer vollkommen besetzt,
und der oeconomische Garten in sehr gutem Zustande seye.
Wir freueten uns, hier endlich das, was wir nirgend antrafen,
nemlich einen Ort zu finden, wo wir mit den nöthigen Hülfs-
mitteln unterstützet, unsere Kenntnisse erweitern könne. Da
uns an der Freundschaft des Professor Beckmann sehr viel
gelegen ist, theils um die öfentliche Bibliothek, und den oeco-
nomischen Garten, theils seine eigene Privatbibliothek, Mine-
ralien, und Maschinensammlung zu benutzen, und überdies der
Ruhm dieses Mannes und sein zahlreiches Auditorium uns an-
lockte, so beschlossen wir, seinen Vorlesungen über die Oeco-
nomie und Technologie beizuwohnen. Hiezu kömmt noch, daß
er durch den oeconomischen Garten, die ansehnliche Sammlung
von Maschinen usw. in Stand gesetzt wird, die Sachen, die er
voil ragt, vor Augen zu legen. Wir glaubten daher nicht, der
Hohen Willensmeinung Ew. Excellence entgegen zu handeln, wenn
83 Job. Arnold Rellmont, 1718—1803, Churf. Mainzischer wirkl. gebj
Rat und Regierungsdirektor in Erfurt.
;;1 Preuf, Stadt im Regbez. Erfurt.
Ausbildung in Kamerahvis.-en-i-hatt. 209
wir uns in seine Collegien für dieses halbe Jahr einschreiben
ließen, die zwar schon einige Zeit angefangen waren; allein da
wir aus den Vorlesungen des H. Geheimen Raths von Pfeiffer in
diesen Wissenschaften schon bewandert, sind, nichts dabei ver-
lieren. —
Wir bitten nun. Ew. Excellence mögen die Gnade haben,
uns einen Wechsel nach Göttingen zu iiberschicken : wir können
leicht vermuthefi, daß es Ebendenselben sein- auffallend seyn
werde; allein die große Reißunkosten und das außerordentlich
theure Zehren von Leipzig bis Göttingen, die Praenumerations-
gelder für die Collegien, die Anschaffung der nöthigen Hand
Sucher und sonst noch andere Vorausbezahlungen entblösten uns
ganz vom Gelde.
Wir werden mit dem zu hofenden Wechsel viel länger ans
dauern können, indem die sehr schwere Reißunkosten uns von
einer sehr ansehnlichen Ausgabe befreien.
Die wir uns zu beharrlichen Gnaden schuldigst empfehlen
Göttingen, den 6. Juli 1784.
Ew. Excellence
Unterthänig gehorsamste
F. Spoor und Ä. Schleenstein,
wohnhaft bei Schneidermeister Bruhns
auf der Jüdenstraße.
8. (Reisebericht der Herren Spoor und Schleenstein aus
Göttingen 1784, Aug. 11.)
Großli. Hess. Haus- u. Staatsarchiv Darmstadt, Akten betr. die Kameral-
fakultät zu .Mainz, S. 108—112.
Göttingen, d. 11. Aug. 84.
Excellence
Hochwohlgebohrner Reichsfreiherr,
Gnädiger Herr Curator!
Das Hohe Schreiben Ew. Excellence vom 25ten Juli haben
wir den 30.,en Juli empfangen, und sagen llochdenselben dafür
'Jen gehorsamsten Dank.
Die (iuädige Aufnahme unserer eingeschickten Rendite ist
iins die stärkste Ermunterung, alle Krallen aufzubieten, uns
in der Zukunft, dein Staate recht brauchbar zu machen.
Die an die Kurfürstliche Kammer in Heiligenstadl ange
wiesene 300 fl. dortiger Währung haben wir den 3.ten Aug. er
halten. Es war uns dalier ohnmöglich, dem Hohen Befehl Ew.
Excellence zufolge die beiliegende Rechnung zu Ende <l<^ Julius
anzuschicken. Nichts wird der Rechnung, luv. Excellence so
raffallend seyn, als der Betrag des Fuhrwesen: Allem ofl trafen
wir den Postwagen zu der Zeit, nicht an, wo wir mil unseren Ge
■^hüllen fertig geworden; oder, wir würden uns manchmalen
ohne allen Nutzen 2 oder 3 Tagen an einem Ort aufgehalten
Beitrage z. Gesch. d. Universitäten Mainz u. Gießen. II
210 Wilhelm Stieda.
halten, wenn wir ihn hallen abwarten wollen. Zum andern wäre
es ohnmöglich, hei sehr kaltem ungestümen Wetter durch die
Nacht auf offenem Wagen zu fahren. Unit wir fanden nach ge-
nauer Berechnung, daß der ordinäre Wagen für uns beide mit
unserem Koffer heinahe eben so hoch gekommen wäre, als wenn
wir auf einen besonderen Wagen gefahren.
Unsere Beschäftigungen in Göttingen sind an einem Tage,
wie dem Anderen. Die Gegenstände unserer Arbeiten sind 1. die
Vorlesungen über Oeconomie und Technologie, den Tag durch
2 Stunden beizuwohnen, 2. die Universitätsbibliothek, welche in
allen Theilen der Kameralwissenschaft gut besetzet ist, und welche
wir die Morgends- und Nachmittagszeit durch mehrere Slunden
benutzen, 3. der oeconomische Garten, der uns des Morgens in
der Frühe wenigstens zwei Stunden beschäftigt. Die übrige Zeit
müssen wir dazu anwenden, die aus Büchern gemachte Auszüge
zu Hauße in gehörige Ordnung zu setzen.
Ew. Excellence werden daher gnädig einzusehen geruhen,
wie beschwerlich uns die Aufarbeitung unserer zukünftigen Vor-
lesungen durch den Winter fallen, welche uns manche Stunden
kosten, die uns zu den ersten Gegenständen beinahe ohnentbehr-
lich sind.
Nach unserer Instruktion sollen wir auch den Harz be-
reißen. Wir finden dazu keine andere Zeil, als nach geendigten
Collegien im Monath October, in welchem aber die gewöhnlich
in hiesiger Gegend eintretende übele Witterung unsere Beiße
dahin sehr leicht hindern kann; - - Bleiben daher Ew. Excellence
bei der Instruktion, so müssen wir, um dem Hohen Befehl ganz
sicher nachzukommen, den Monath September dazu wehlen, wo
wir aber die richtige Vortheile in Ansehung der Bibliothek, des
oeconomischen Gartens und der oeconomischen Vorlesungen
dieser Beiße aufopfern müssen; da unser Aufenthalt auf dem
Harz wenigstens durch 4 Wochen bei schwerem Geldaufwand
wehren muß, um daraus den gehörigen Nutzen zu ziehen.
So leid es uns ist, die schöne Werke auf dem Harz der-
malen nicht zu befahren, so sahen wir uns dennoch aus ange-
gebenen Ursachen verbunden, bei Ew. Excellence deswegen noch
einmal anzufragen; da wir uns überzeugten, daß es der Hohen
Absich I, warum man uns hieher nach Göttingen geschicket, um
deswillen entgegenseye, weil wir verschiedene Vortheile entsagen
müßten, wodurch wir unsere Theorie fester und ausgebreiteter
machen, und wir ohnehin die Befahrungen mehrerer Bergwerken,
sofern uns die praktische Beißen Gnädigsl gestattet werden, auch
mit weil größerem Vortheile nachholen könnten.
Wir werden uns ilzl nicht getrauen, die Beiße nach dem
Harz vorzunehmen, bevor Ew. Excellence deswegen die Hohe
Willensmeinung an uns wieder haben ergehen lassen.
Die Wintervorlesungen fangen gewöhnlich 3 Wochen nach
Michaelistag an und endigen sich in der Osterwoche. Die Sommer-
vorlesungen nehmen 3 Wochen muh Ostern ihren Anfang und
werden in der Michaeliswoche beschlossen.
Ausbildung in Kamerahvksenscliafl.
211
Bei dem ersten Eintritt in die Bibliothek suchten wir die
Bekanntschaft des H. Professor und Bibliothecarius Dietz, der
sich auch gleich anfangs gegen uns außerordentlich freundschaft-
lich bezeigte. Er böte uns an, die Bibliothek nicht nur zu den
gewöhnlichen 2 Tagen der Woche, sondern auch außer dieser
Zeil zu besuchen, die Bücher, so wir besonders benutzen wollten,
nach Hauße mitzunehmen, und außer den gewöhnlichen Slunden
uns selbsten ohne weitere Anfrage Bücher zu holen. U. Pro-
fessor Dietz (hat) Sonnabend öffentliche Vorlesung über die ge-
lehrte Geschichte, besonders vom 15,cn Jahrhundert, welcher wir,
um mehr mit. ihm bekannt zu werden, beiwohnen. - - Aus seinem
sehr freundschaftlichen Betragen, welches er gleich Anfangs gegen
uns geäußert, merkten wir, daß er eine geheime Absicht dabei
halien müßte; und wir haben gefunden, daß wir dieselbe errathen,
«nachdem wir 2 Wochen nachher seine Vocation an die Kurf.
Mainz. Universität erfahren.
Ew. Excellence mögen die Hohe Gnade haben, uns zu er-
lauben, zwei Herbaria viva, die wir auf Anrathen des H. Pro-
fessor Beckmann bei dem oeconomischen Gärtner bestellt haben,
in die nächste Bechnung einzuführen. Wir haben dieselbe aus
dieser Ursache für sehr nothwendig gehalten, weil sie nicht allein
uns zu Unterhaltung der gesammelten Kenntnissen der (iewächsen
dienen, sondern auch wir die Pflanzen nach der Natur den zu-
künftigen Zuhörern der oeconomischen Vorlesungen vorlegen
können. Wir hätten diese Bestellung noch nicht unternommen,
sondern zuvoderist bei Ew. Excellence darum angefragt, wenn
wir nicht hätten befürchten müssen, daß nach einiger Zeit ver-
schiedene Pflanzen mit den Blüthen ausgegangen wären. Das
Buch Papier mit Gewächse einzulegen, kostet 36 Kr., wie stark
aber die Einlagen weiden, läßt sich jetzt noch nichl bestimmen.
Wir empfehlen uns Ew. Excellence zu Hohen Gnaden.
Ew. Excellence
Unterthänig gehorsamste
F. Spoor, und A. Schleenslein.
1784
Berechnung der Gelder, so
uns für unsere Sommerreiße
aus dem Kurfürstlich main-
zischen Universitätsfonds aus-
bezahlt worden.
Ein-
nah-
men
11.
rli.
ki-.
Aus-
gaben
Hl.
kr.
April d.lOten
May d. 31tL'n
August <
3 ICD
In Mainz Conventionsgeld
In Leipzig 3()() 11. in Louisdor
a 5 Thh'. niaelil
In Heiligenstadt 300 11. in
Louisdor ä 5 Tlilr. 4
Groschen machet . . .
Resl
n.
rh.
kr.
300
—
_
—
—
360
—
—
—
347
23
—
—
—
14*
•2[0
Wilhelm Stieda.
1784
Ein-
nah-
Berechnung der Gelder, so
Aus-
gaben
Rest
uns für unsere Sommerreiße
men
aus dem Kurfürstlich main-
i
zischen Universitätsfonds aus-
fl.
kr.
fl.
kr.
fl.
kr.
bezahlt worden.
rh.
rh.
rh.
Vom 18. April
Diäten für Beide
bis 11. August
p. Tag 4 fl. 48 kr. betragen
—
—
556
48
—
—
inclus.
Reiseunkosten u. Trink-
gelder
Mainz
April d. 18ten
Für Fuhrwesen nach Aschaf-
—
—
13
4
—
—
A seh äffen bürg
d. lOten
Die Einrichtung auf dem Kur-
fürstl. Oekonomiehof zu
—
—
—
48
—
—
— ■
Für Fuhrwesen nach Würz-
—
—
DJ
20
—
—
W ü r z b u r g
d. 21ten
Trinkgeld für diejenigen, so
uns im Hospital alles zeigten
—
—
2
24
—
—
d. 22teu
Auf dem fürstl. Oeconomiehof
—
—
48
—
—
d. 24len
In der Wollenspinnerei und Ma-
nufactur im Zuchthause .
—
—
—
34
—
—
—
In der Bibliothek ....
—
—
3G
—
—
d. 25ten
Für Fuhrwesen nach Nürnberg
N ü r n b e r g und F ü r t h
—
—
18
8
~~
d. 26ten
Dem Lohiidiener p. 1 1/a Tage
—
—
1
30
—
—
—
Auf der Rathsbibliothek . .
—
—
1
12
—
—
—
In der Rothgießerei
—
—
36
—
—
—
In der Brillantschleiferei im
Zuchthause
—
—
—
24
—
—
d. 27teu
Auf der Papiermühle zu Mügels-
dorf bei Nürnberg . . .
—
—
30
—
—
d. i2Sten
In der Hutfabrik ....
—
—
—
24
—
—
—
In den Drahtziehereien . .
—
—
48
—
—
—
In den Rothgerbereien . .
—
—
20
—
—
d, 29ten
Für Fuhrwesen nach Er-
—
—
3
50
—
—
E r 1 a n g e n
d. 3()tcn
Dem botanischen Gärtner
—
—
1
12
—
—
—
Im Naturalicnkabinet . . .
—
—
—
48
—
—
May
d. Iten
In der Kaltunmanufaklur
—
—
—
36
—
—
—
In der Papiermühle . . .
—
—
26
—
—
Ausbildung in Kameralwissenschaft.
2lS
1784
Berechnung der Gelder, so
uns für unsere Sommerreiüe
aus dem Kurfürstlich mainzi-
Ein-
nah-
men
Aus-
gaben
Best
schen Universitätsfonds ausbe-
zahlt worden.
11.
rli.
kr.
fl.
rh.
kr.
11. ,
, kr.
rh.
May (1. llen
In der Spiegelschleiferei . .
—
24
—
In der Goldschlägerei . . .
—
—
—
12
_
—
d. 3tei1
In der Anatomie ....
—
—
—
24
_
—
—
In der Bibliothek ....
—
—
—
48
_.
—
—
Gewürkte Strumpfmacher
Handschuhmacher ....
—
—
—
22
—
—
—
Bandmanufaktur ....
—
_._
—
36
—
Seiden- u. Sammetmanufaklur
—
—
—
18
—
—
d. 4lcn
Für Fuhrwesen nach Bayreuth
B a y reut h
—
—
12
i:>
—
d. 5ten
Im Naturalienkabinet .
—
—
—
48
—
—
—
In der Marmorschneiderei im
—
1
L2
—
—
d. 6ten
Für Fuhrwesen nach Hof .
—
7
10
—
—
— ■
Unterwegs Alaunsiedereien
und Schmelzwerk . . .
—
—
2
28
—
—
Hof
d. 7tL'n
In den Baumwollenspinnereien
—
und Webereien ....
—
—
—
is
—
—
Für Fuhrwesen nach Gera
—
—
14
12
—
—
Gera
d. 10te»
In der Zeugmanufaktur . .
—
—
—
49V2
—
—
—
Das Fuhrwesen nach Leipzig
—
—
15
311/*
—
—
—
Das Goffre nachzuholen . .
—
—
5
—
—
—
d. llte»
Leipzig
Dem Lohndiener ....
1
12
d. 13,en
Für Fuhrwesen nach Halle
Halle
—
1 1
22' v
—
—
d. 15ten
In den Salzkoten ....
—
—
1
2:»
—
—~
d. 18teu
Für Fuhrwesen nach Löbegin
und Gröbzig
—
—
\
2:.
—
—
—
In der Kohlengrube Löbegin
—
—
\
2:>
—
—
—
Dem Aufseher zu Gröbzig .
—
—
—
36
—
—
d. L9ten
Für Fuhrwesen von Gröbzig
nach Bothenburg, Wettin
und zurück nach Halle
—
—
.)
53
—
—
—
In der Schmelzhütte zu Bothen-
—
—
1
19
—
—
—
In den Kohlengruben zu Wettin
—
—
2
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Die Einrichtung im Waisen-
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Wilhelm Stieda.
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1784
Berechnung der Gelder, so
uns für unsere Sommerreiße
aus dem Kurfürstlich mainzi-
schen Universitätsfonds ausbe-
zahlt worden.
Im Naturalienkabinet .
Dem Vorsteher der Seiden-
plantage
In der Universitätsbibliothek
In der Rathsbihliothek . .
In der seidenen Strumpfmanu-
faktur
Für das Fuhrwesen zurück
nach Leipzig
Leipzig
Zusammen dem Lohndiener
Ein Privatnaturalienkabinet zu
sehen
Die Universitätsbibliothek
Die Modellkammern . . .
Die Rathsbihliothek . . .
Die verschiedenen Einrichtun-
gen bei Breitkopf . .
Kammfabrik
Seidene Strumpfmanufaktur
Im botanischen Garten . .
Fuhrwesen nach Zeitz . .
Zeitz
Fuhrwesen zu Hofrath Schu-
bart Würchwitz . . . .
Fuhrwesen nach Jena . .
Jena
Im Naturalienkabinet auf dem
Sch]of3
Auf den Bibliotheken . . .
Im botanischen Garten
Wollene Strumpfmanufaktur
Gerbereien
Fuhrwesen nach Erfurt .
E r f u r t
In der Wollenbandmanufaktur
Nach Diedendorf um die dor-
tigen Manufakturen der
Herrenhuter zu sehen . .
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Ausbildung in Kameralwissenschaft.
-215
1784
Berechnung der Gelder, so
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aus dem Kurfürstlich mainzi-
schen Universitätsfonds ausbe-
zahlt worden.
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Von Erfurt über Gotha. Mühl-
hausen nach Heiligenstadt
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Fuhrwesen nach Göttingen
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Göttingen den ll'"n August 1784.
Unterthänigst gehorsamste
(i. A. Schleenstein.
F. C. Spoor.
35 Grundsätze der deutschen Landwirtschaft, '■'>. Aufl. L783. 1 Rtlr.
12 Gr.
6 Anleitung zur Technologie, 2. Aufl. L780. 2 Rtlr.
37 J. Karl Willi. Voigt, Miie-i ;i !■ '-iscln- lieis<-ii duivli das Herzogtum
Weimar a. Eisenach, L782. 1 Rtlr. L5 Gr.
:;v Fr. Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland and die
Schweiz, 12 Teile, 1783—1797, zu 1 Rtlr. Danach waren offenbar uoch
nicht mehr als 7 Bände erschienen. Die Bücherpreise nach Heinsius'
ßücherlexikon angegeben.
121(5 Wilhelm Stieda: Ausbildung' in Kameralwissenschaft
9. (Reisebericht der Herren Spoor und Schleenstein an den
Kurator Benzel in Mainz aus Göttingen 1784, Septbr. 5.)
Giioßh. Hess. Haus- u. Staatsarchiv Darmstadt, Akten betr. die Kameral-
fakultät zu .Mainz, S. 115 — 116.
Excellence
Hochwohlgebohrner Reichsfreiherr,
Gnädiger Herr Curator !
Unseren Brief vom ll.ten Aug. nebst der dabei gelegten
Rechnung werden Ew. Excellenz erhalten haben.
Womit wir uns hier beschäftigen, haben wir im vorigen Briefe
schon die hohe Gnade gehabt Hochdenselben anzuzeigen. Be-
sonders macht uns die Bibliothek, worauf wir den größten Theil
des Tages zubringen, außerordentlich viel zu thun; und dieses
um so mehr, da es uns an der Litteratur in den Kameral Wissen-
schaften beinahe ganz fehlte. Wir sind beschäftiget alle Werke
in diesem Fache durchzugehen, und uns aus allem, was uns
nützlich scheint, Auszüge und Anmerkungen zu machen. Diese
Arbeit häuft sich aber so sehr, daß wir die Hofnung aufgeben
müssen, die Menge der Auszüge hier in ein zusammenhängendes
Si stem zu bringen. Wir würden Ew. Excellence um die hohe
Gnade ersucht haben, uns von den Vorlesungen den nächsten
Winter zu befreien, um aus dem gesammelten ein vollkommenes
Ganze zu machen, wenn wir nicht überzeugt gewesen wären,
daß unsere Bitte gegen den Plan von Ew. Excellence seye.
Wir legen hier einen Catalog von den nächsten Winter-
vorlesungen in Göttingen bei ; wir müssen aber bemerken, daß
die Vorlesungen gewöhnlich 8 Tage später, als die Anzeige ist,
ihren Anfang nehmen.
Nach unserer Instruction nehmen wir die Rückreise über
Cassel und Fuld. Wir halten es daher für nöthig, zu Anfang
des Octobers von Göttingen abzureisen. Ew. Excellence werden
aus der eingegebenen Rechnung zu ersehen die Gnade haben,
daß wir mit dem angezeigten Reste bis zu Ende des Octobers
nicht auskommen können. Wir bitten datiere Hochdieselbe uns
wieder mit einem Wechsel nach Göttingen zu versehen.
Die wir Ew. Excellence uns zu hohen Gnaden ferner emphelen
und in tiefester Ehrfurcht beharren
Ew. Excellence
unterthänig gehorsamste
Spoor und Schleenstein.
Göttingen d. 5. September 1784.
-C3»0»K»-
Beiträge zur Geschichte der
Stadt und Universität Gießen.
Gießen 1591, nach Federzeichnung W. Dilichs.
VI.
Alt-Gießen.
Von Gustav Frhrn. Schenk zu Schweinsberg.
(Mit. einer Siegeltafel und einem Lageplan; im Texte eine Planskizze,
zwei Ansiehten, drei Siegelabbildungen. Nebsl drei urkundli
und einem Anhang.)
clien
iieaben
Die Anfänge einer Stadt, die mehr als einmal in
schweren Kriegszeiten den Landesherrn und seine obersten
Behörden in ihren festen, von Philipp dem Großmütigen er-
bauten Mauern geborgen und die Landgrafschafi Hessen-
Dannstadt so vor dem Untergang bewahrl hat, einer Stadt,
die seit 300 Jahren der Sitz der Landeshochschule ist. die
endlich auch als Gemeinwesen in erfreulichstem Aufblühen
begriffen ist, verdienen eine eingehendere l'td ersuchung,
als sie es bisher erfahren haben.
Meine Arbeit soll da/u den Anfang machen; ihre Er-
gänzung wird hauptsächlich von einer planmäßigen weiteren
Aufdeckung der Grundmauern der Burg zu erwarten sein.
I. Die Gründungs zeit (U'i' Stadt Gießen.
Die Stadt (ließen wird zum erstenmal im M.ii des
■lahres 1 248 erwähnt: der Schultheiß, die Schöffen und die
Gemeinde der Bürger zu ,,(<izen" bekundeten damals einen
vor ihrer Kapelle ausgesprochenen Verzicht. Die Urkunde
220 Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
führt als Handlungszeugen sieben Ritter und fünf Schöffen
auf; ihr wurde das Stadtsiegel - - „nostre civitatis sigillum"
angehängt.1 Dieses Siegel zeigt einen gepanzerten Reiter
mit Schild und Fahne; es führt in einem späteren, besser
erhaltenen Abdruck, der auf der Siegeltafel unter No. 2
wiedergegeben ist, die Umschrift: f Willemmus. dei gracia.
Palatinos, com. in. Tuigi.2 Man lernt also aus ihm den
Stadtherrn kennen; den Grafen Wilhelm von Tübingen,
der mitunter auch als Graf von Gießen bezeichnet wurde.
Fast gleichzeitig mit dem ersten Auftreten der Stadt-
SD O
gemeinde erhält man Kenntnis von dem Vorhandensein einer
zweiten Korporation in Gießen, der der Burgmannen der;
gräflich tübingenschen Burg. An zwei Urkunden aus den
Jahren 1251 und 1255 hängen die „castellani" von Gießen
ihr gemeinsames Siegel an, ohne dabei der Mitwirkung der
Stadtgemeinde Erwähnung zu tun.3 Fürst F. K. zu Hohen-
lohe-Waldenburg hat das an der Urkunde von 1255 hängende
Burgmannensiegel nach dem Original abgebildet.4 Eine Yer-
gleichung mit dem Stadtsiegel ergibt aber, daß es sich um
ein und denselben Stempel handelt, der in den Urkunden
sowohl als Stadt-, wie als Burgmannensiegel bezeichnet
wird. Beide Gemeinschaften waren mithin seit Gründung
der Stadt in organische Verbindung getreten, ohne daß die
Burg ihre Sonderexistenz aufgegeben hätte.
Wenn eine Stadtgemeinde ein Siegel führt, unter einem
Schultheißen steht, ein Schöffenkollegium gebildet hat und
ihren Gottesdienst in einer eigenen Kapelle besucht, so ist
offenbar ihre Gründung bereits zum Abschluß gelangt. Es
SD SD SD
würde im allgemeinen nichts entgegenstehen, die Entstehung
Gießens vermutungsweise bereits in eine etwas ältere Zeit
zu versetzen : in vorliegendem Falle kann man aber mit
Wahrscheinlichkeit den rechtlichen Abschluß der Gründung
als innerhalb der Jahre 1243 bis 1248 geschehen ansetzen.
Gerade das gemeinsame Siegel der Stadt und der Burg-
mannschaft ermöglicht diese Ansetzimg. Es ist nämlich
durch einen stümperhaften Stempelschneider einem Siegel
des Stadtherrn selbst, des Grafen Wilhelm von Tübingen]
1 Urkunde No. 1.
ä A. Wyß, Hessisches Urkundenbuch, I, Abt. I, No. 215, und III,
No. 1356. Wvl'i wollte es als No. 3 der Siegeltafeln seines 3. Bandes
wiedergeben. Infolge seiner Erkrankung unterblieb es.
•; V. F. (I. Gudenus, Codex Diplomatien* etc.. II, No. 66 u. 85.
4 F. K. z. II. Über die Siegel der Pfalzgrafen von Tübingen s. 6 u.
Taf. II, 5a. Der Abbildung zugrunde liegt das Originalsiegel im fürstlich
solmsischeri Hausarchive zu Braunfels. Dann desselben Autors Sphragi-
stisebe Aphorismen, S. 103 u. Tafel 25, No. 281.
Alt-Gießen. 221
nachgebildet worden, das dieser zuerst im März 1244 führte,
während er im August 1243 noch mit einem nur Schild und
Helm des Hauses Tübingen darstellenden anderen Stempel
siegelte.5 Fürst Hohenlohe bildete beide Siegel nebeneinander
ab, und wies bereits auf die Abhängigkeit de* Siegels der Stadl
von dem ihres Herrn hin. Er kannte freilich das älleste
Siegel des Grafen Wilhelm nicht, das z. B. einer hessischen
Urkunde aus dem Jahre 1239 anhängt. Es wurde auch zu
den Schiffeuberger Fälschungen aus angeblich 1229 und 12.").")
benutzt.6 Dieses Siegel war, besonders auch in der Umschrift,
weit besser gestochen als das von 1244. Die große Lilie,
die in dem Siegel von 1244, wie in dem Stadtsiegel, als auf-
fälliges Beizeichen zwischen Bein und Gewand des Reiters
vom Rande aus hoch hinauf reicht, findet sich im Siegel-
rest von 1239 an jener Stelle gar nicht, obgleich sie darauf
sieht har sein müßte. In dem Fragment von 1229 sei sie, sagt
Wyß, unter den Füßen des Pferdes teilweise erhalten. Sie
muß also bedeutend kleiner gewesen sein; etwa nur so
groß wie in dem Siegel des älteren Bruders Rudolf.7
Ich vermag mich bei dieser Sachlage der von Wyß ans
gesprochenen Ansicht, daß das älteste Siegel des Grafen
Wilhelm als Muster für das Gießener neue Stadtsiegel ge-
dient habe, nicht anzuschließen. Der Stempelschneider mag
es zwar gekannt haben, richtete sich aber in wesentlichen
Punkten auch nach dem von 1244, das seinem schwachen
Können eine leichtere Aufgabe stellte.
Dann müßte also der Abschluß der Stadtgründung kurz
vor 1248 fallen. Dazu stimmt gut die Zeugenreihe einer
Urkunde von 1245, die einen Austausch /wischen den
Klöstern Arnsburg und Altenberg über ihre Höfe zu Heuchel-
heim bei Gießen betrifft. Als anwesende Zeugen ans Gießen
treten dabei nur drei Burgmannen auf; ans Heuchelheim zwei
dort wohnhafte Gießener Bunrmannon und alle Hauern des
Dorfes. Wäre ein Schultheiß von Gießen bereits bestelll ge-
wesen, so würde seine und der Schöffen Anwesenheit erwähnt.
worden sein, ebenso wie bei einer l'rknnde von 12öl, in
der es sich auch um Heuchelheimer Grundstücke bändelte.8
Die Sitte, daß landesherrliche Städte in ihren Siegeln
das Bild und das Wappen ihres Herrn führten, kommt gerade
6 Wirtembergisches l'.-ll. IV, S. 60 u. 76. Die Umschrifl lautet:
f COMES WILLEHELMUS DE TUWING.
6 Wyß, a. a. 0., III. No. 1.117, 1348 u. L349, and in seinen Exzerpten.
Von der Umschrift ist erhalten: j WILHE GRACIA ■ P
TVINGIN— i I'. Hohenlohe, a. a. <>., Tafel I, No. 3.
8 De Gudenus, Codex dipl., II, No. 59 U. 66.
-2±2
Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
in Hessen um diese Zeit recht häufig vor. Nach dem Ver-
kauf der Herrschaft Gießen an den Stammvater des hes-
sischen Fürstenhauses erscheint das Bild des Landgrafen
in dem neuen Siegel.9
Auffällig ist die völlige Beibehaltung der Umschrift des
Herrensiegels in dem der Stadt, ohne jeden auf den Ort be-
züidichen Zusatz. Aus der Nachbarschaft ist das älteste
gemeinsame Siegel von Burg und Stadt Friedberg bekannt,
das auch den gemeinsamen Herrn, den Kaiser, als Subjekt
enthält: Sigillum Cesaris in Frideberic.10 Hier trennte sich
aber Stadt und Burg bald, während in Gießen die Gemein-
schaft auch in den Siegeln erhalten blieb.11
Vor der Gründung der Stadt Gießen scheint das
zum tübingenschen Landesteil gehörige Großen-Linden der
Markt- und Münzort der Herrschaft gewesen zu sein.12
0 Es ist vorstehend abgebildet worden. Auch erscheint es um-
gezeichnet als Außcnschmuck dieses P.andes.
1(1 Abgebildet in den Kunstdenkmälern im Großh. Hessen, Kreis Fried-
berg, S. 72. - • " Das Nähere im Abschnitt VII.
12 Dil' Münze No. 182 im Funde von Nauhorn mit der deutlichen
Umschrift, Linden(siumo) wird von Fachleuten als ein Beischlag zu der
No. 117 desselben Fundes angesehen. Ich halte sie für ein Erzeugnis
der Lindener Münzstätte, die von dem Herrn, dem Pfalzgrafen von Tü-
bingen, weder verliehen gewesen sein wird. An das Ministerialengeschlechl
v. Linden als Münzherrn isl sicher nichl zu denken. Zeitschrift f. "Numis-
matik. XVI, S. Lölff.: II. Weber, Der Münzfund von Nauborn.
Alt-Gießen. j-.1::
II. Die Burg Gießen.
Früher als die Stadt selbst findet sich schon ihr Name,
ier an dem befestigten Sitz des Gründers, des Grafen Wil-
helm von Tübingen und seiner Vorfahren von der Mutter-
Seite her, haftete. Nicht nur er selbst wird seil 1214 mit-
unter als Graf von Gießen bezeichnet, auch seine Groß-
mutter, die Gräfin Salome, wohnte als Witwe im Jahre 1197
in ihrer Burg „Giezzen". Sie starb vor dem Jahre L203. Ihre
einzige Tochter Mechtild war mit dem Vater des Grafen Wil-
helm, dem schwäbischen Pfalzgrafen Rudolf von Tübingen,
vermählt, dem sie die halbe Erbschaft des einst nach dem
Gleiberg benannten Grafenhauses in die Ehe gebracht hatte.
Graf Wilhelm von Gleiberg, der sich urkundlich von
1131 — 1158 findet, war mit einer Gräfin, die denselben
seltenen Vornamen Salome führte, vermählt. Es lieg! kein
zureichender Grund vor, an der Identität der um das Ja lu-
ll.").") erwähnten, mit der noch 1197 lebenden Gräfin zu
zweifeln. Sie mag die letzte Gattin des Grafen Wilhelm
gewesen sein; als ihr Geburtsjahr aber kann man etwa das
Jahr 1117 annehmen. Sie würde dann als Achtzigerin ver-
storben sein.13 Ihre einzige Tochter kann als Spätfing, etwa
1150 geboren sein. Sie nannte ihren jüngsten S »hu nach
ihrem Vater Wilhelm; ein Taufname, der dem Hause ! ii-
bingen bis dahin fremd war. Die Einschiebung einer Gene-
ration zwischen den Grafen Wilhelm von Gleiberg und die
Plalzgräfin Mechtild halte ich für überflüssig.14
Ulrich, Graf von Tübingen, Herr zu Gießen, ein Sohn
des Grafen Wilhelm, hat dann bekanntlich diese ihm ent-
legene Besitzung zwischen dem l.">. A umist L264 und dem
29. September 1265 an Landgraf Heinrich, Herrn von Hessen,
veräußert.15 Aus der Sühneurkunde des Käufers raitHartrad,
Herrn von Merenberg"5, erfährt man, daß die edlen Männer
von Isonburg und von Brauneck auch wegen des Kaufes
im Streite mit dem Landgrafen lagen.17 Der Herr von Meren-
13 Die Hypothese, die Wyß, a. a. <>.. S. null'., über ihre Abstam-
mung aufgestellt hat, ist nicht haltbar. Es fehlen ja unter den Mitherren
von Mctternich um 1185 z. II. die Herren von fsenburg und die Gl
von Katzenelnl)02en, also die Haupterben der Grafen von Arnstein.
" Anders Wyß, a. a. (.).. S. lölf.
15 Zuletzt in meinem Aufsatz in den Quartalblättern des ih-t \,
f. d. Großh. Hessen. N. F., II. Bd., No. 6 (1897), S. 227ff., eröi
'« Wyß, a. a. 0., No. 1356».
17 icdi hahe dort zu zeigen versucht, daß es sich um Ansprüche
handelte, die von den Ehemännern und Kindern zweier Schwestern des
Verkäufers erhohen wurden. Ich bin jetzt zu der Ansicht gelangt, daß
<.'s sich, außei um Heilwig von Isenburg, noch um die ungenannte Gattin des
224 Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
berg erhielt das ehemals von dem Grafen von Tübingen
getragene Gießener Burglehen, auf das er bei Beginn des
Streites verzichtet hatte, zurück. Die Erwähnung gemein-
samer Gerichtsbezirke zeigt, daß dieses Verhältnis, das noch
lange zwischen Hessen und Nassau fortbestand, aus alter
Zeit herrührt.
III. Die Familienzugehörigkeit des Grafen Wilhelm
von Gleiberg.
Daß Graf Wilhelm von einem Sprößling aus der Ehe
des Grafen Friedrich von Luxemburg mit einer Schwester
des letzten, 1036 verstorbenen Konradiners der Wetterauer
Linie, des Grafen Otto von Hammerstein, herstammte, darüber
besteht jetzt wohl kein Zweifel mehr.18. Er mag etwa ein
Enkel des 1057 erwähnten Friedrich von Gleiberg gewesen
sein; der Name seines Vaters ist unbekannt. Das Reiter-
siegel Wilhelms, das Wyß seiner trefflichen Abhandlung
beizufügen beabsichtigte, liefere ich unter No. 1 der Siegel-
tafel nach, weil ich mit ihm darin übereinstimme, daß es
sich mindestens um den Abguß von einem echten Siegel
handelt, wenn es auch einer späteren Schiffenberger Fäl-
schung angehängt ist. Wilhelms Geburtsjahr kann man etwa
auf das Jahr 1090 ansetzen.
Die einzige ernste Schwierigkeit, die dieser Ableitung
der letzten Grafen von Gleiberg entgegenzustehen scheint,
ist der Umstand, daß weder Graf Wilhelm, noch sein Vater
in der Schiffenberger Stiftungsurkunde von 1129 erwähnt
werden, während die Stifterin, die Gräfin Clemencia von
Gleiberg, hervorhebt, daß sie eine Teilhaberin, die Pfalz-
gräfin Gertrud, hatte, der ein Viertel des Wiesecker Waldes,
in dem das Kloster erbaut, wurde, zustehe.19 Da man an der
Echtheit der Urkunde nach der sorgfältigen Untersuchung
von Wyß nicht wohl zweifeln kann - - das ihr aufgedrückte
erzbischöfliche Siegel folgt unter No. 3 der Siegeltafel20 — , so
bleibt nur die Annahme übrig, daß die Folgen der 1103 ge-
Jfciiiricli von Brauneck handeln wird (1245 — -1265), die zwei Söhne,
Gebhard (1267 ff.) und Heinrich (1267 ff.), hatte.
18 Siehe meine genealogischen Studien zur Reichsgeschichte im Archiv
für Hess. Gesch. u. Ä.-K., N. F., III, S. 351ff. Außer Wyß hat sich gleich-
zeitig II. Witte in seinen genealogischen Untersuchungen zur Reichs-
geschichte unter den salischen Kaisern mit dem Hause Luxemburg-Gleiherg
eingehend beschäftigt. (Mitteilungen des Instituts für österreichische Ge-
schichtsforschung, V. Ergänzungshand, S. 441 ff.)
19 Die Pfalzgräfin besaß diesen Bruchteil als Zubehör der späteren
Herrschaft Cleeherg, die ihren Anteil an der Grafschaft Gleiberg darstellte.
20 Noch ein anderes Siegel desselben Erzbischofs folgt unter No. 5
der Siegeltafel, auf das Wyß wiederholt Bezug nimmt.
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In «/a 1 Originalsiegel.
Siegeltafel zu dem Aufsatze Alt- Gießen.
Alt-Gießen. 225
schehenen Eroberung der sehr festen Burg Gleiberg durch
König Heinrich, den Vater des Grafen Wilhelm auch seines
Anteiles an dem Wiesecker Wald, und zwar zugunsten
seiner Agnaten in Luxemburg beraubt balle. Die Restitu-
tion mag erst nach der Gründung Schiffenbergs geschehen
sein. Nachträgliche Schwierigkeiten können als«» der Stiftung
der Gräfin dementia bei dieser Sachlage leicht erwachsen
sein, über deren Beseitigung man aus echten Urkunden
nichts weiß.
Um Anhaltspunkte für Zeit und Umstände der Erbauung
|er Burg Gießen zu gewinnen, ist eine Orientierung über die
Verzweigungen des Hauses Luxemburg erforderlich,
ein Thema, das auch durch Wyß und Witte nichl völlig
geklärt worden ist, Es sind dabei zuerst einige künstlich
geschaffene Erschwerungen des Problems zu beseitigen.
Witte bringt die Eroberung Gleibergs mit dem Kampfe
um das Erbe des Pfalzgrafen Heinrich von Laach in Ver-
bindung, den er für einen Bruder des 1057 erwähnten Grafen
Friedrich von Gleiberg und für einen Sohn des Graf en Dietrich
von Luxemburg, des jüngsten Sohnes der konradinischen Erb-
tochter, hält. Ich sehe aber keinen Grund, an der gleich-
zeitigen Angabe in der Chronik des Marianus Scottus zu
zweifeln, daß Heinrich von Laach ein Bruder des Vaters des
Gegenkönigs Hermann von Salm gewesen sei.-1 Es bedarf mir
einer leichten Änderung in der Anordnung der Genealogie
des Hauses Luxemburg, um diese Nachricht verständlich zu
machen. Man hat Gisilbert Graf von Salm zu scheiden
von seinem ältesten Sohn Gisilbert Graf von Luxemburg,
dessen jüngerer Halbbruder Heinrich Graf von Laach ge-
wesen sein wird. Als nächste Erben des Pfalzgrafen, der
aber bekanntlich seinen Stiefsohn an Kindesstatl annahm,
würden nur seine Großneffen in Betracbl gekommen sein,
wie die nachstehende Übersicht ausweist.
Von den sechs Söhnen des Grafen Friedrich von Luxem-
burg bleiben nur zwei als mögliche Ahnherren der späteren
Grafen von Gleiberg übrig, die Grafen Hermann und
Theoderieh.
.Man hat versucht, diesen Grafen Hermann mil dein
Pfalzgrafen Hermann II. von Lothringen (1064 f L085) zu
identifizieren.22 Das scheitert an den Altersverhältnissen und
21 Herr Archivdirektor Dr. Friedensburg halle dir Güte, die I»'
treffende Stelle im Codex Palatinus 830 zu vergleichen: sie isl unzweifel
baft gleichzeitig und richtig gedruckt.
22 Wenck, Hess. Landesg., III, S 206 217; dann Annale,, ,| bist.
Vereins f. d. Niederrhein, XV, S. 37ff. Ihnen sind M. Schmitz, Die
Beitrage z. Gesch. d, Universitäten Mainz n Gießen i ■
226
Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
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Gesch. d. lothringischen Pfalzgrafen, S. .'52 IT., und Witte, a. a. <)., S. 443 ff.,
auch Meyer v. Knonan in den Jahrbüchern d. I). K. gefolgt; während
Wyß, a. a. ()., S. 4553), diese Hypothese für schwach begründe! erklärte.
Alt-Gießen.
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Das aus der Notiz über die Güter der \.btei Siegburg zu Bendorf her-
geholte Argument ist durch Oppermanns Untersuchung beseitig! worden,
(Westdeutsche Zeitschrifl I. Gesch. u. Kunst, XXI, S. 83.)
15*
i2L28 Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
besonders auch daran, daß Heinrich von Laach aus ehe-
rechtlichen Gründen unmöglich die Witwe des Bruders
seines Vaters hätte heiraten können. Man weiß über die Her-
kunft dieses Pfalzgrafen Hermann nichts Sicheres. Da er als
cognatus König Heinrich V. bezeichnet wird, und seine Erb-
schaft wenigstens zum Teil an diesen gelangt sein soll, da
er ferner, gemeinsam mit König Heinrich IV., im Jahre 1082
einen Forst im Kirchspiele Remagen besaß, so muß er aus
sehr angesehenem Geschlecht entsprossen sein. Dafür
spricht auch seine geplante Heirat mit einer Tochter des
Gegenkönigs Rudolf und sein Ehebund mit Adelheid von
Orlamünde. Grafenrechte besaß er im Ruhrgau und Keldach-
gau; auch seine Beziehungen zum Kloster Brauweiler endlich
sprechen stark dafür, daß er mit dem Hause des Pfalz-
grafen Ezzo verwandt war, dem sein Vorgänger angehörte.2'
Bezüglich des Grafen Theoderich aber habe ich in der
folgenden Tafel eine Vermutung zum Ausdruck gebracht,
deren Begründung, als hier zu weit führend, bei anderer
Gelegenheit versucht werden soll. Es bliebe also nur Graf
Hermann als Ahnherr der letzten Grafen von Gleiberg übrig,
deren übersichtliche Zusammenfassung vorstehend versucht
worden ist.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Herren
von Merenberg durch Beerbung eines Grafen Otto von Glei-
berg Mitherren von Gleiberg geworden sind.24 Sein an ge-
fälschter Urkunde hängendes Siegel ist unter No. 7 der Siegel-
tafel wiedergegeben.
Meine, in der genealogischen Tafel gegebene Hypothese
über die Abstammung der Grafen von Are aus dem Hause
Luxemburg beseitigt die Schwierigkeit, daß die halbe Herr-
schaft Gleiberg allein kein Äquivalent für die den anderen
Söhnen Graf Friedrichs zugefallenen reichen Besitzungen
gewesen sein kann.25 Bereits Witte hat die Momente her-
vorgehoben, die für eine Verwandtschaft beider Häuser
sprechen. Die Güter um den Laacher See würden danach
23 So schon Lacomblel im Archiv f. d. Gesch. des Niederrheins, III,
1. S. 33. Die späteren Beziehungen seiner Witwe zu Limburg a. d. Lahn
erklären sich einfach aus ihrer dritten Ehe mit Heinrich v. Laach.
24 Der /weif,.], den Wyß (a. a. 0., S. 458 ff.) an der Existenz eines
Grafen Otto von Gleiberg erhoben hat, läßt sich gegenüber dem wieder
aufgefundenen lateinischen Original des Eppsteiner Lehnbuches, dessen
Veröffentlichung durch Herrn Archivdirektor Dr. Wagner bevorsteht, nicht
aufrechterhalten.
2r> Auch Graf Wilhelm von Gleiberg war zu Tbür im Maiengau be-
gütert.
Alt-Gießen. _•_■ |
zu den ältesten Besitzungen des Hauses Luxemburg ge-
hören können, über dessen Abstammung ich mich bei
anderer Gelegenheit, abweichend von Parisot, äußern weide.
IV. Graf Heribert. Das Alter der Burg Gleiberg.
Der Schwiegervater des Grafen Friedlich von Luxem-
burg, der ihm als Mitgift seiner Tochter die Burg Gleiberg
zugewiesen haben muß, war der Konradiner Graf Heribert,
der jüngste Sohn des Grafen Udo (f 949;, dcv der Wetterau
und dem Oberrheingau vorstand.-6 Die Mutler Heriberts
stammte aus dem Hause Vermandois. Vermählt war er mit
Irmintrud (Imiza), einer Tochter des Grafen Megingoz und
der Herzogstochter Gerberge von Lothringen.27
Heribert starb im Jahre 992, nicht 997, wie man seither
nach einer unbestimmten Angabe Thietmars annahm. -s Sein
Todestag war vielleicht der 5. Juni; es findet sich im Nekro
logium des S. Cyriaciklosters Naumburg in der Wetterau ein
Eintrag, den man auf ihn beziehen kann.29 Dieses in der
Burg Naumburg errichtete Kloster scheint bereits eine Grün-
dung seiner Vorfahren gewesen zu sein. Auch ein unehe-
licher Sohn Heriberts, namens Bernhart oder Bennelin, be-
schenkte es im Jahre 1035 mit einigen Hörigen.30
Aus einem Reichsaufgebot für Italien vom Jahre 981
erhellt, daß Graf Heribert selbst mit 20 Gepanzerten zu er-
scheinen hatte.31 Im Todesjahre Heriberts verfügte Köni-i
Otto die Rückgabe der ihm zu Benefiz verliehenen Güter des
Klosters S. Maximin, die im Nahegau, Wormsgau und Speier-
gau gelegen waren. Im Jahre 976 lagen drei Orte bei Geln-
hausen im Kinziggau in der. Grafschaft Heriberts.32 Daß er die
Burg Gleiberg bereits besessen hat, das erhellt aus einer Nach-
2<: Udo war ein Sohn des 910 verstorbenen Herzogs Gebhard von
Lothringen.
-7 Siehe meine genealogischen Studien zur Reichsgeschichte im Ar-
chiv f. Iiess. (lesrh. u. A. K., \. F. III, S. 351 IT
2^ Alon. denn. SS. XIII, S. 206, Z. 18: Ob Heribraht comes; S. 207,
Z. 4: Ob Heribran(h)l comes. Thietmari Chron IV. 60.
a? Großn< Hofbibliothek zu Darmstadt, Handschrift J. L955 fol.:
Bonifacii episcopi. Obiil Herebertus. Qui contulil n asteri stro pro
remedio anime sue quedam mancipia et jus quod habemus in Erbstat.
30 Schmidt. Zur Gesch. d. Kl. Naumburg, im Archiv f. hess. Gesch.
ii. A. K., I, s. 213ff. Im Necrologium ist die Schenkung zum 1. Ja
miar eingetragen. — Dieser liennelm sclieiul sich auch als Zeuge seines
Bruders Otto v. Hammefstein bei einer Schenkung an die \.btei Werden
zu finden. H. Bresslau in Forsch, z. I). Gesch., XXI. S. 105.
81 Neuester Abdruck hei Uhlirz, Jahrbücher d. D. II. unter Otto n
u. III., Exkurs VIII. -32 m. <;., |)|i. n; No. L28
230 Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
rieht, die seine an Weif II. vermählte Enkelin Imiza von
Luxemburg; betrifft. Sie stamme aas dem salischen Ge-
schlecht von der Burg Gleiberg. Das kann sich nur auf die Her-
kunft ihrer Mutter beziehen; es bedeutet, daß Gleiberg von
diesem Geschlecht bereits bewohnt war. Ich halte es aber für
unwahrscheinlich, daß es eine alte Feste der Wetterauer Kon-
radiner gewesen ist, deren Hauptsitz im mittleren Lalmgau
vielmehr das benachbarte Wetzlar war. Die Grenze des
Wetzlar umgebenden Bannforstes lief so nahe an Gleiberg
her, daß es bei dessen Abgrenzung nicht Sitz eines Kon-
radiners gewesen sein wird. Auch findet sich innerhalb des
zum Gleiberg gehörigen Gebietes ein alter Herrensitz zu Oden-
hausen a. d. Lahn, der, seinem Namen nach, Gründung eines
Udo ist. Er diente noch im 13. Jahrhundert als Witwensitz
der Herrschaft Merenberg.33 Auch das Nichtvorhandensein
einer Klosterstiftung zu Gleiberg spricht für eine spätere
Entstehung; etwa nach der Erbteilung, die Heribert mit
seinen Brüdern getroffen hat ; also nach der Mitte des
10. Jahrhunderts.
Die Grafschaft in dem vom Dekanat Wetzlar des Erz-
bistums Trier eingenommenen Teile des Lahngaues, der
sich von Gießen bis Weilburg zu beiden Seiten der Lahn
erstreckte, scheint nach der Katestrophe des Herzogs Eber-
hard den Konradinern nicht mehr zugestanden zu haben.
Während des 10. und 11. Jahrhunderts finden sich wenigstens
keine Grafennamen, die sich mit der Familie des Grafen
Heribert oder seiner Erben in Verbindung bringen ließen.
Es scheint, daß erst im 12. Jahrhundert die Grafenrechte
in der östlichen Hälfte des Gebietes an das Haus Gleiberg
gelangten, das bis dahin seine Grundherrschaftals Immunilät
besessen haben wird. Die Art der Verteilung der Gerichls-
barkeit im Hüttenberg zwischen Hessen, Nassau and der
Herrschaft CTeeberg legt allerdings die Vermutung nahe, daß
mindestens die Centgerichtsbarkeit dort schon frühe zu Glei-
berg gehörte; während noch 1065 das zum Hüttenberg ge-
33 Im Jahre 1906 habe ich hinter dem Kirchhofe von Odenhausen
die Reste eines wahrscheinlich quadratischen Wohnturmes von über 9 Meter
Seitenlänge bloßgelegt, dessen Mauerstärke 1,50 beträgt. Er gehörte zu
einem Herrenhofe, der jetzt größtenteils von dem Kirchhof bedeckt ist.
Die Kirche, eine kleine romanische Basilika, gehörte sicher bereits zu
diesem Herrenhofe. — i Über Odenhausen, auf dem Gipfel des Berges
Altenburg, habe ich vor einigen Jahren einen ovalen Mauerring festgestellt.
Die mit mit Speiß versehenen Bruchsteinmauern haben eine Fundament-
stärke von ca. 2 m; der Umfang des Mauerzugs beträgt 384 m, die größte
Breite 77 m; der Inhalt 0,95 Hektar. Da sich keinerlei Spuren der IV-
wohnung dieser Stätte landen, so scheint diese Burganlage unvollendet ge-
blieben zu sein.
Alt-Gießen.
231
hörige Großen-Linden in der Grafschaft eines Grafen Wern-
her lag.
Auch die oberlahngauische Grafschaft Hiiclicsl.il]. die
im Beginn des 13. Jahrhunderts den Herren von Merenberg
als Allod zustand, zeigt in früherer Zeil fremde Grafen
namen, die freilich, ebenso wie im Hüttenberg, Vasallen-
Eamilien der Konradiner und ihrer Erben angehört halten
könnten.
Daß die übrigen Kinder Graf Heriberts, insbesondere
(iraf Otto von Hammerstein und Gerberga, Markgräfin von
Bchweinfurt, teil an Gleiberg gehabt hätten, dafür findet
sich keine Spur. Sie sind offenbar mit anderen Besitzungen
abgefunden worden.
Auch die Pfalzgrafen von Tübingen hatten, obgleich
sie in der Burg Gießen Alleinbesitzer waren, ihren Anteil
an Gleiberg nicht etwa aufgegeben. In der Sühneurkunde
zwischen Hessen und Merenberg vom Jahre L265, die
Zwistigkeiten anläßlich des Ankaufes der Herrschaft Gießen
beilegte, überträgt der Landgraf alle Rechte und Ansprüche,
die der Verkäufer, Ulrich, Graf von Tübingen, an der Burg
Gleiberg hatte, dem Herrn von .Merenberg zu Eigentum.
Endlich vermag der Grundriß der Burg Gleiberg
selbst, uns vielleicht, neben der Geschichte ihrer Herren,
Anhaltspunkte zu gewähren, die für die älteste Geschichte
Gießens ins Gewicht fallen können.
Aus der hier beigefügten, nach dem Gleiberg-Führer
hergestellten Skizze (\i^ ältesten Teiles, der Oberburg Glei-
berg, erhellt, daß ZU beiden Seiten des innersten J'ores a
besondere Baugruppen lagen; jede hatte einen Berchfrit
(b und c) und daran anstoßend'- Wohngebäude (d und e
Der zwischen den beiden Baugruppen gelegene lh>l (f) harrt
in seinem oberen Teil noch der Aufräumung. Die Beste der
romanischen Kapelle liegen im westlichen Teile bei g. Dieser
Befund entspricht dein, was wir aus der Geschichte der
232 Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
Burgherren erfahren haben, daß nach dem Jahre 1136 nur
noch zwei Linien an der Burg beteiligt gewesen sind.
Auch mir erscheint die Art des Mauerwerks an dem
viereckigen, in der Außenmauer stehenden, gebrochenen
Berchfrit erheblich älter zu sein als die des freistehenden
runden Turmes b. Der Turm c ist aus verhältnismäßig
kleinen, rauh behauenen Stücken hergestellt, die eine recht-
eckige Vorderseite zeigen, während der Turm b aus Basalt-
säulen auf gemauert ist. Die Mauerstärke des viereckigen
Turmes beträgt nach meiner Messung 3,65 m, die lichte Weite
des Innenraumes 4,65, so daß also die Seitenlänge nahezu
12 m erreicht.34
Es scheinen mir zwei Möglichkeiten zur Erklärung vor-
zuliegen.
1. Nach der Zerstörung der Burg im Jahre 1103 fand
der Neubau des viereckigen Turmes statt. Später, nach
1136, wurde die Burg geteilt, der Besitzer der Osthälfte
errichtete sich dann den Bundturm auf seinem Alleineigen-
tum. Er oder seine Erben kamen in Streit mit ihrem Nach-
barn, und zerstörten ihm den alten, früher gemeinsamen vier-
eckigen Berchfrit. Der so in seiner Sicherheit Bedrohte
baute sich eine neue Burg im Tale zu den Gießen.
2. Nach der Zerstörung von 1103 wurde die Trümmer-
stätte geteilt. Der Herr der Osthälfte baute sich einen neuen
runden Berchfrit, während der der Westhälfte, auf dessen
Anteil der 1103 gebrochene viereckige Berchfrit gefallen
war, sich nicht zu einem Neubau auf Gleiberg entschloß,
sondern (ließen erbaute. Er behielt seine Rechte auf die
Hälfte von Gleiberg zwar bei, machte aher immer weniger
Gebrauch davon. Erst 1265 ging das volle Eigentum der
Westhälflc auf den Herrn der Osthälfte über.35
1 ;'4 Die völlige Ausräumung des Turmes und Hofes steht bevor; auch
die Untersuchung der höher erhaltenen Turmwand nach dem Albertusbau
lim wäre erwünscht.
:i:' Hen Dr. Dersch hat in einem Märburger Vortrag, über den die
Oberhessische Zeitung referierte, die Ansicht geäußert, daß der viereckige
Berchfril noch 1561 bestanden haben müsse.' Er stützt sich auf eine im
Marburger Staatsarchiv verwahrte flüchtige Kartenskizze, die in jenem Jahre
anläßlich vom Grenzstreitigkeiten zwischen Hessen und Nassau gefertigt
worden ist. Gegenüber der deutlichen Federzeichnung Dilichs von 1591
und der guten Ansicht der Burg bei P. Fürst, Lihellus novus politicus
]>l>. VI, F 17, 1638, müßte dann die Zerstörung des Turmes vor 151)1
geschehen sein. Es fehlt aher auch keineswegs an älteren Skizzen, die
deutlich nur den einen runden Berchfrit zeigen; z. B. Plan No. 662 im
Darmslädter Haus- u. Staatsarchiv, der zu denselben Grenzstreitiskeilen
gehört, wie der Flau von 1561. Zudem ist der Marburger Plan von 156!
ganz schematisch ausgeführt: er zeigt keine Spur des Bemühens, sorgfältig
den Zustand der Burg wiederzugeben. Vergl. auch: Hessenland 1906,
X. 20, 21 u. 23.
Alt-Gießen. -j:;:;
Da Graf Wilhelm von Gleiberg (1131—1158) in seinen
Urkunden stets allein, ohne Erwähnung seines an Gleibera
mitbeteiligten Verwandten, handelt, so scheinl mir die
Teilung, wie sie später zwischen Hessen und Xassau vor-
handen war, sclx.n frühe, etwa bald nach 1136, stattge
fanden zu haben.
Die Xichtejrwähnung von Gießen zwischen den Jahren
1136 und 1197 ist meines Dafürhaltens kein genügender
Beweis dafür, daß die Burg erst kurze Zeit vor 1197 er-
richtet worden ist.
V. Die Lage und die Reste der Gießener GrafenbuTg.
Man hat in Gießen drei Burgen oder Schlösser zu
unterscheiden :
1. Die Grafenburg aus dem 12. Jahrhundert, die den
Anlaß zur Gründung der Stadt gab. Sie hieß im lö. Jahr
hundert die alte Bnr^, im Gegensatz zu einem Neubau.
2. Die zweite Burg, der Sitz des landgräflichen Amt-
maims; später das alte Schloß, die Kanzlei, genannt. Ihre
Erbauungszeit ist unbekannt; sie fiel vermutlich mit der Er
Weiterung der Stadt zusammen; also etwa in das erste
Viertel des 14. Jahrhunderts.
3. Das neue Schloß, das erst etwa 1537 von Land-
graf Philipp, anläßlich der Erbauung der Festungswerke er
richtet wurde.
Die falsche Datierung dieses dritten I laues hatte früher
Mißverständnisse verursacht. Hier soll die Lage der Grafen-
burg und ihre Ausdehnung, genauer als seither bestimmt.
werden.30
Johann-Just Winckelmann, der 1620 als Sohn eines
Superintendenten in Gießen geborene Verfasser (\i-v Hessi-
schen Chronic, hatte bereits die richtige Auffassung, die
sich späteren Anzweifelungen gegenüber bestätig! hat.37
36 Frühere Literatur: F. Kraft, Gesch. v. Gießen etc., S. L36fl
Meine daran anknüpfende Ausführung im Archiv f hess. Geschichte etc.
XI\, S. 4271T. II. v. Ritgen, Die erste Anlage Gießens und seiner
Befestigungen, im IV. Jahresbericht, des oberhess. \nniis f. Lokalgeschichte,
S. 35 ff.
37 Hessenlands Beschreibung, II, Cap. <i, S. 20!): darzwischen
zunegst ein Burg-Schloß gestanden, itzo noch die alte Burg genant, dessen
alte Mauren mit dem Umgang und Schießlöchern in der Mitten zusehen ....
In gedachter Allen Burg sind die Gebäue und Gründe frey, darin ist auch
die Superintendur mil llaui.i, Hof, Stall and Garten begriffen, an dein,
von Schwalbach adelichen Wohnung; ist vormals ein Fürstl. Leherf ge-
wesen, aber im Jahr 1585 mit Bewilligung des Lands-Fürsten, von den
Salvelden erblich zum Ober-Pfarrhauß erkauft Die Haubt-Kirche
stehet negst bey der allen Burg."
234 Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg
o-
Aus dem beigefügten Grundriß erhellt, was sich bis-
her von den Resten der Burgmauern gefunden hat, und wie
sich deren Ergänzung etwa zu denken wäre. Ich schätze den
Flächeninhalt dieser Wasserburg auf fast 3V2 Morgen, wozu
dann noch der breite äußere Graben käme.
Sie bestand aus einer im Rechteck angelegten, mit hohen
Mauern umgebenen inneren Burg von etwa 46 m X 28,5 m,
deren Einbauten sich auf den Palas des Grafen und einen
Berchfrit beschränkt haben werden. In dem geräumigen
Zwinger, der in unregelmäßig eiförmiger Gestalt die innere
Burg umgeben haben muß, hat man die Ställe und Scheuern,
auch die Unterkunftsräume für die Burgmannen und das
Gesinde zu suchen.38 Über das Vorhandensein einer Vor-
burg wird weiter unten die Rede sein.
Auf der Grundrißskizze sind die Umrisse der Häuser
und Hofreiten, sowie ihre Nummern, nach der amtlichen Auf-
nahme eingetragen. Seitdem ist über die Burgstätte die
Kirchstraße neu durchgeführt worden.
Die vorhandenen Mauerreste und die Spuren der Graben-
anlagen sind mit dem bezüglichen Urkundenmaterial nach-
stehend übersichtlich zusammengestellt worden.
A. Die innere Grafenburg.
1. Die Reste der Burgmauer.39
Erhalten sind über der Erde in dem Wohnhause der
Hofreite Flur I, No. 1088 (1887 Eigentümer: Wallenfels,
August; bis 1772 Lehen der Familie v. Schwalbach, dann
dem Landesherrn heimgefallen), die Außenmauern nach
Westen und Norden (1,50 m stark und 9,50 m hoch).40 Süd-
lich an diese Hofreite stößt die Hofreite Flur I, No. 1093,
„hinter dem Burggraben" (1887 Eigentümer: Leib, Karl und
Ehefrau, früher ein Teil der alten Superintendentur, 1807
an Wagner Loos verkauft). Die westliche Hausmauer ist
die Verlängerung der des nach Norden anstoßenden Hauses
Wallenfels. Südlich daran stieß in derselben Hofreite ein
dreistöckiges Wohnhaus (die alte Wohnung des Superinten-
denten), deren Westwand, die Fortsetzung des seither ver-
• 38 Die Anordnung des Grundrisses erinnert an die Burg Nordeck, die
ans romanischer Zeil stammt. — 39 v. Ritgen, a. a. 0., S. 42 — 44.
40 Kraft, a. a. 0., S. 136. v. Ritgen sagt, in der Westinauer hätte!
sich zwei Hundbogenfenster in tiefen .Nischen befunden, die später er-
weitert und ins Viereck umgestaltet worden seien.
■
Alt-Gießen. -i:\:,
folgten Malierzugs war.41 Auch zur Südseite dieses Wohn-
hauses muß als Fundament die Burgmauer benutzt worden
sein. Bei Anlage der Baugrube zum neuen Pfarrhaüse (Flur I,
No. 1095), das über der Ecke des alten Baues steht, trat
die Südwestecke der Burgmauer gut erhalten zutage.41' Da
mit wäre die Länge der Mauer und die Richtung dreier
Seiten derselben festgelegt. Für die Lage der vierten, der
Ostseite, scheint zwar v. Ritgen auch Anhaltspunkte ge-
funden zu haben, bezeichnet, sie aber leider nichl nälier.43
Für diese nach der Kirche zu gerichtete Seite des Recht-
ecks der inneren Burg liegt mir nur eine sichere An-
gabe aus dem Jahre 1772 vor. Als damals das heimgefallene
schwalbachische Burghaus (I, No. 1088) für den landgräf-
lichen Oberamtsverwalter hergerichtet wurde, berichtet der
Oberst und Oberbaudirektor L. J. Müller: die Hofmauer sei
sehr ruiniert, sie habe, dem Ansehen nach, vor alten Zeilen
eine Defensionsmauer vorstellen müssen. Insoweit solche
nach dem Kirchenplatz zu gehe, wolle sie der Oberamts-
verwalter Sues heruntergebrochen haben, weil der Hof allzu
enge davon eingeschlossen sei. Hier wird man also die von
Winckelmann beschriebene alte Mauer mit dem Umgang
und den Schießlöchern zu suchen haben.
Verlängert man die Nordwand des schwalbachischen
Hauses (1088) bis zur heutigen Grenze der Hofreite nach
dem Kirchenplatz zu, so wird man jedenfalls ganz in der
Nähe der Nordostecke der inneren Burg sein. Eine Parallele
durch diesen Punkt zu der Westmauer schneidet die Hof
reite 1092, dann die schmälste Stelle der Kirchgasse, und
trifft rechtwinklig mit der Verlängerung der Südmauer, etwa
an der Grenze der alten Parzellen 1100 und 1099a, zu
sammen. An diese schmälste Stelle der Kirchgasse setze ich
die 1527 erwähnte Behausung in der alten Burg neben und
über der Porthen. Dieses innere Burgtor lag danach nahe
der Südostecke. Für den von Ritgen vermißten Berchfril
stehen bisher nicht überbaute Hof- und Straßenflächen inner
halb der Herrenbur» zur Verfügung. Auch ist es nicht aus-
geschlossen, daß ihn eine der älteren Bauten überdeck! hat.
41 Heim Abreißen dieses Baues im Jahre 1868 scheint leider keine
Aufnahme der Mauer stattgefunden zu haben. Laut Bericht von 177!) be-
stand diese Wand des Hauses aus Stein. (Großh. Haus u. Staatsarchiv,
Akten, Pfarrgebäude, Gießen.)
42 Eigene Erinnerung, die die allgemein gehaltene Angabe \. Ritgens
bestätigt.
4:; Nach seiner Rechnung müßten die Nord- und Südseite je .'{li m
lan^ gewesen sein, während ich nur 28,50 m annehme.
^::(i Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
2. Urkundliches über die Hofreiten der inneren
Grafenburg.
a. Der erste schwalbachische Burgsitz (I, No. 1088;
daranstoßend im Zwinger, 1089 und 1090). Dieser Burg*
sitz in der alten Burg zu Gießen, ein Hauptwohnsitz der
Familie, war hessisches Lehen. Er fiel 1771 dem Lehns-
herrn heim.
b. Der zweite schwalbachische Burgsitz (Teil von
1099a und 1100). Dieser Burgsitz, gelegen zwischen dem
Kirchturm und der Superintendentur, war ebenfalls hessi-
sches Lehen. Er grenzte 1712 an das Haus des Kriegszahl-
meisters Meurer, der ihn mit lehnsherrlichem Konsens von
den von Schwalbach erwarb.44 Es sei ein uraltes Gebäude
nebst Gärtchen. Das Meurersche Haus lag an der Kirch-
gasse, gegenüber dem Kirchturm und der Hofreite No. 1092.
Es gehörte nach und nach dem Superintendenten Dr. Lieb-
knecht, dem Advokat Dr. Liebknecht, dem G. K. Filimann.
Im Brandkataster von 1819 führte es die Nummer 18.45
1695 wird der Garten bezeichnet als gelegen bei dem
Haus in der Altenburk, wo die Durchfahrt unterher
gehet, an der Frau Clodien Hauß46, mit dem Platz, wo
die Scheuer darauf gestanden bei dem Haus.47 Ein alter
Vermietungsvertrag dieses Hauses vom Jahr 1527 bezeichnet
es als die Behausung in der alten Burgk beyneben und
über der Porthen und die Schuwer daran, den Garten
bueßen der porten zu der obgemelten Behausung gehörig.
Die v. Schwalbach verliehen sie damals an den Stadt-
schreiber Job. Hornigk, der die verfallenen Gebäude wieder
herstellen sollte.48
An der engsten Stelle der Kirchgasse befand sich also
noch 1695 die alte überbaute Pforte in die innere Burg.
c. Der erste und zweite Burgsitz der v. Roden-
hause i.i. Diese Familie trug noch 1496 zu hessischen Lehen:
Ein Haus mit seiner Zubehörung gelegen zun Gießen in]
wendig der Altenburg, und noch ein Haus nebst Zubehörung
daselbst gegen der von Dernbach Hausung, die früher der
verstorbene Graft v. Rodenhausen gehabt habe.49 Im Jahre
44 Großh. Haus- u. Staatsarchiv, Lehnsakten, v. Schwalbach.
45 Großh. Ortsgericht Gießen, Kataster, errichtet zwischen 1728 und
1743 und später fortgeführt.
■U] Vergl. bei 2, d. Gemeint ist die Hofreite No. 1092.
47 Großh. Haus- u. Staatsarchiv, Lehnsakten, Band betr. Ausfindige
machung der Lehnsbestandteile von 1695 ff.
48 Großh. Haus- u. Staatsarchiv, Urkunden, (ließen. Alte Abschrift
aus Nebels Nachlaß.
4!l Großh. Haus- u. Staatsarchiv, Lehnbuch Landgraf Wilhelm III..
fol. 81'.
Alt-Gießen. •_>:;;
1497 verkauften die Lehenträger dein Lehnsherrn ihre
Hausung mit dem Beihans und der Hofstätte dabei in der
Altenburg zu Gießen gelegen.50 Es ist als sicher anzunehmen,
daß dies dieselbe Hofreite ist, die Landgraf Philipp im Jahre
1537 seinem Rentmeister zu Gießen, Endres Salfell genannt
zum Bern und seiner Hausfrau auf Lebenszeit einräumte.
Sie wird in der Urkunde als die landgräfliche Behausung
hinter dem Pfarrkirchhof bezeichnet.51 Diese Vergünstigung
verwandelte der Landgraf später in ein Mannlehen. In
dem Lehenrevers der Söhne Salfelts wird es als landgräf-
liches Freihaus, an Joh. v. Schwalbachs Behausung gelegen,
bezeichnet. Im Jahre 1585 verkauften die salf eltischen
Lehnsbesitzer dieses Haus an den Gotteskasten zu Gießen,
wozu der Lehnsherr 1590 einwilligte.
Das älteste der beiden Häuser in der Superintendentur
wurde 1807 veräußert (No. 1093), das andere wurde, wie
oben erwähnt, abgerissen. Es liegt eine Skizze über den
Bezirk dieser großen Hofreite aus dem Jahre 1780 vor.
Endlich fällt jedenfalls zum Teil noch in die innere Burg
d. der Burgsitz der von Dernbach (I, No. 1092,
1887 gehörig Knoll, Willi., und Ehefrau). Obgleich diese
Behausung während des 15. Jahrhunderts öfters erwähnt
wird, so fehlt es doch an älteren auf sie bezüglichen Leims-
urkunden. Als im Jahre 1661 ein Bauplatz für den Super
intendent Dr. Misler gesucht wurde, kam ein solcher auf
dem Kirchhof, hart, an dem schwalbachischen Hause in
Vorschlag. Der noch mit einem Kellergewölbe versehene
Platz sei lange Jahre her wüst, früher habe nur ein Stall
darauf gestanden. Es heiße, er sei ein Lehen, das die
v. Dernbach trügen, die es aber an die vom Scheide ge-
ii.innt Weschpfennig versetzt hätten.
Die v. Dernbach bestreiten die Lehnsei genschafl und
erklären sich zum Verkauf bereit52, der auch zustande kam.
J. N. Misler erbaute ein Wohnhaus, das er an eine
mit dem Professor D. Clodius verheiratete Tochter vererbte.
Diese Hofreite wechselte häufig ihre Besitzer. Im Jahre
1773 gehörte sie einem Herrn v. Rotten holt' ;, der sie meist-
bietend veräußern ließ. Dies Anwesen wird erst nach Zer
Störung der Ostmauer angelegt worden sein; es erstreckt
sich über die innere Burg hinaus in den Zwinger hinein.
50 Großh. Haus- u. Staatsarchiv, Urkunden, Gießen.
■■' Mitteilung des Staatsarchivs Marburg; aus dem blauen Kopiare
M 1, fol. 224. — 52 Qroßh. Haus- u. Staatsarchiv, Pfarrakten, Gießen.
■r':; Nicht „v. Rotenhausische", wie v. Ritgen, a. a. 0., S. lt. irrig
angibt.
238 Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
B. Der Zwinger.
1. Burgmannshäuser im Zwinger.
a. Der Hof der Familie Riedesel v. Bellersheim
(Flur I, No. 1097 und 1098, Hofreite hinter dem Burggraben.
1887: Baltzer, Karl). Seit 1455 bis zum Heimfall im Jahre
159954 findet sich ein Zweig der Familie Riedesel v. Bellers-
heim im Besitz eines hessischen Burglehens : ein Haus mit
Scheuern und Hofreite gelegen zu den Gießen in der Alten-
burg. Seit 1599 wird das Einkommen aus diesem Lehen
an Miete und Erbzinsen in der Gießener Amtsrechnung
verrechnet. Landgraf Ludwig hatte einen Teil des Gartens
zu der nach Norden anstoßenden Superinte ndentur abge-
treten, damit darauf eine Scheuer erbaut werden könne.
Dieses Stück reichte bis an die Südmauer der inneren Burg,
umfaßt also etwa die Hälfte der heutigen Pfarrhaushof reite
(1095, 1096). Der Rest wurde 1622 an den Vizekanzler
Dr. Nie. v. Otthera gegen einen Grundzins von 5 fl. über-
lassen.55
Diese große Hofreite wird vermutlich aus mehreren
alten kleineren Burgsitzen zusammengelegt sein.
b. Der Burgsitz der von Elkerhausen, früher den
von Buseck gehörig. 1408 belehnt Landgraf Hermann
Drei v. Elkerhausen mit seinem Hof, als der begriffen hat
gelegen zwischen der Stadtmauer und der Kirchen zu den
Gießen, der ihm von Burkard und Herrn Gernand v. Buseck,
Ritter, heimgefallen sei. 1446 wird der Hof im Lohnbrief
bezeichnet als „zu der Cappellen" ; 1458 wohnte der Lehn-
träger darin.56 Im Jahre 1470 willigte Landgraf Heinrich
in den Tausch, den der Lehnsbesitzer Craft v. E. über
sein Haus und Burgseß bei der Kirche zu Gießen mit den
Baumeistern und Heiligenmeistern der Gießener Pfarrkirche
getroffen hatte. Der Tausch sei „um merglichs noitdorftiges
nutzens willen" der Kirche geschehen. Auf dem Rücken
der Originalurkunde steht von wenig späterer Hand „zum
baw".57 Es ist bereits früher bemerkt worden, daß der
allein noch von der alten Pfarrkirche siehende Turm die
54 Der letzte Lehenträger war Quirin Riedesel, f 1599, Aug. 17.
55 Großh. Haus- a. Staatsarchiv, Lehnsakten und Rechnungen. Die
späteren Besitzer hießen nach dem (üeßener Grundbuch Dr. Overlack;
Geh. Ra1 und Universitätskanzler Koch, Hofkammerral Emmerling, Georg
Heinrich Kind. Joh. Daniel Ebel. Nach dem Brandkataster von 1819
führte es die No. 715.
"; Copional des Statthalters Rudolf Sehend; im Archiv des Oberh
zu Nieder-Ofleiden, Eol. L87'ff.
b"{ Großh. Haus- ii. Staatsarchiv, l'rkunden, Gießen.
Alt-Gießen. 239
Jahreszahl 1487 trägt. Das Chor der alton Stadtkirehe
reichte bis auf gleiche Höhe wie das Haus an der Nordost-
ecke des Marktplatzes, und war nur ca. 22 Fuß von dem
Eckhause der Schloßgasse entfernt.58 Die Kirche ist nach
und nach westwärts vergrößert worden, ihr Turm scheinl
auf der elkerhausenschen Hofreite erbaut zu sein, die sich
auf dem Platz, zwischen der Kirche und den Hofreiten
1092 und 1089 befunden haben mag. Diese Lagebestimmung
ist zwar nicht ganz sicher; die urkundlichen Nachrichten
widersprechen ihr aber nicht, wie ein Blick auf den Lage-
plan zeigt.
c. Der dritte Burgsitz der v. Rodenhausen, später
den von Trohe zuständig. In den Jahren 1414 und 1440
finden sich hessische Lehnsurkunden der v. Rodenhausen,
wonach sie einen Burgseß zu Gießen auf dem alten Ein-
graben gelegen bei der Kirchen trugen. Im Jahre 1471
wurden vier Gebrüder v. Trohe mit einem Burgseß zu den
Gießen gegen der Capellen daselbst und 3 Mark Geldes
auf der Stadt beliehen, inmaßen die Senand von Roden-
lausen und seine Altern gehabt. Die Lage dieses Burg-
sitzes konnte im Jahr 1590 nicht mehr ausfindig gemacht
werden, auch 1627 war sie gänzlich unbekannt.59 Es scheint.
daß auch dieser Burgsitz in dem Raum zwischen der Kirche
und den Nummern 1092—1088 gelegen hat, neben dem
Sitze der v. Elkerhausen. Er wird also zum alten Kirch-
hof hinzugeschlagen worden sein.
d. Der Burgsitz der Familie Schlaun v. Linden.
Eckhard Schlaun hatte 1414 einen Burgseß in der Alten
bürg zun Gießen zu hessischem Burglehen. Seine Nach-
kommen wurden noch im 16. Jahrhundert damit beliehen.
Dieses Lehen kam später auf die Schetzel und 1661 an
den Kanzler Fabricius. Er und seine Lehnserben führten
einen langen Prozeß mit den v. Schwalbach, die den
schlaunschen Burgsitz im Jahre 1517 angeblich gemietet
haben sollen. Es scheint also, als wenn der Platz dieses
Burgsitzes unter dem Zubehör der großen schwalbachischen
Hofreite zu suchen wäre, etwa auf \o. 1089.
2. Mauer- und Grabenreste des Burgzwingers.
Der einzige Mauerrest, der sich bis jetzt nach Mitteilung
des Tiefbauamts Gießen gefunden hat, lieg! in der schnellen
58 Grundriß vom 30. Okt. 1811 zum Neubau der Stadtkirche im
Qroßh. Haus- u. Staatsarchiv, Plansammlung \'<>. 681 (5) Eingetragen in
den diesem Aufsatz beigegebenen Lageplan der allen Bu
59 Großh. Haus- und Staatsarchiv, Lehnsurkunden und Adel, Bu
Becker Tal.
:>4o Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
Gasse zwischen dem Hause No. 1097 and der Grenze von
No'. 1107 gegen 1106. Ein ungefähr 2 m starkes Mauerstück
ziehl in Tiefe von etwa 1 m quer über die Straße, gleich-
Laufend mit dem sogenannten Burggraben. Es kann keinem
Zweifel unterliegen — ich habe es bei seiner Aufdeckung
gesehen -, daß es ein Rest der äußeren Burgmauer
ist. Noch heute heißt der Raum hinter den Häusern am
Markt der Burggraben. Rechnet man seine Breite von
der Verlängerung dieses Mauerrestes bis zur Grenze der
Hofreiten am Markt, so ergäbe sich das stattliche Ausmaß
von 10 m. Denkt man sich den Grabenzug in dieser Breite
um die vorher beschriebenen Hof reiten fortgeführt, so er-
gibt sich das in der Planskizze entworfene Bild. Die heutige
Stadtkirche würde mit ihrer hinteren Hälfte in dem alten
Burggraben stehen. Die äußere Pforte wird man dicht süd-
lich des Kirchturms anzunehmen haben. Der Anschluß der
ältesten Stadtmauer ist längs der nördlichen Häuserreihe
am Kirchenplatze zutage getreten. Das schwächere Mauer-
werk mitten in der Gasse von der Marktstraße nach dem
Burggraben hin, bedarf noch weiterer Untersuchung.
Es ist. selbstverständlich, daß sich durch Verfolgung
der Spuren der Außenmauer noch Änderungen in ihrem
Grundriß ergeben können. Bei der feuchten Beschaffenheit
des Untergrunds, auf dem sie erbaut wurde, ist es nicht
wahrscheinlich, daß man später auch ihre Fundamente völlig
entfernt hat, die auf einem Pfahlrost ruhen werden.
VI. Die zweite Burg und der Lauf der ältesten Stadt-
mauer.
Die Anlage einer zweiten Burg in Gießen zeigt, daß die
Verhältnisse der alten Grafenburg dem Bedürfnis des Herrn
von Burg und Stadt nicht mehr genügten. Es kann sein,
daß die gewöhnlich in der schwäbischen Heimat wohnenden
Grafen v. Tübingen ihren Gießener Burgmannen, auf deren
Treue die Erhaltung ihres Besitzes hauptsächlich beruhte,
nach und nach zu viele Rechte eingeräumt hatten. Ihre ge-
nossenschaftliche Selbständigkeit mag dem neuen Landes-
herrn, dessen Hausbesitzungen in der Nähe lagen, lästig ge-
worden sein. Auch das Anwachsen der Stadt und damit die
Beschränkung des Raumes für die landgräfliche Gutswirt-
schaft, ebenso die veraltende Art der Befestigung der Grafen-
burg kann den Neubau mitveranlaßt haben, in dem der
Amtmann des Landgrafen allein wohnte. Er enthielt auch,
wie heute wieder, Unicrkunftsräume für den Landes-
herrn (Beilage III, S. 251) selbst.
Alt-Gießen. 241
Die erste urkundliche Erwähnung der neuen Burg mag
vor das Jahr 1328 fallen, was natürlich nicht ausschließt,
daß die Erbauung selbst beträchtlich früher anzusetzen sein
kann. Im Jahre 133G erneuert Landgraf Heinrich dem Kon-
rad Herrn v. Trimberg ein Burglehen „ad castrum nostrum
G"., das dieser bereits von Landgraf Otto getragen habe
(f 1328).60
Ob es Zufall ist, daß Landgraf Heinrich von Hessen im
Jahre 1305 einen Burgmann aufnahm „ad oppidum nostrum
dictum G"., und sein Sohn Otto, als er den Johann Herrn
v. Westerburg 1324 zum Burgmann in Gießen annahm, auch
nur von dem „oppidum" G. spricht?" Wäre es wörtlich zu
nehmen, so bestand die neue Burg damals noch nicht. Ich
kenne keine ältere Urkunde, die beide Burgen nebeneinander
erwähnt.
Zur annähernden Bestimmung der Erbauungszeit der
neuen Burg kann auch noch der Umstand herangezogen
werden, daß Stadt und Herrschaft Gießen wahrscheinlich be-
reits vor dem Jahre 1335, sicher aber vor 1338, an die Reichs-
kämmerer von Falkenstein, Herren zu Münzenberg, zur
Hälfte wiederkäuflich veräußert worden war.62 Diese Zwei-
herrschaft dauerte bis zum Jahre 1364 an. Die Herren von
Falkenstein erhielten ihre Hälfte zu hessischem Lehen; sie
wurden von Hessen auch als Ganerben in die Herrschaft
Gießen aufgenommen, das von den Besitzern der nahen
Festen Lieh und Butzbach eine kräftige Stütze für das 1324
eroberte, exponierte Gießen erwarten mochte.63 Es ist un-
wahrscheinlich, daß während einer solchen Besitzgemein-
schaft der Neubau der Burg geschehen isl ; er wird bereits
von Landgraf Otto angeordnet worden sein.
60 Senckenberg, Selecta juris et Historiarum de, III, S. 568, und
Wenck, Hess. Landesgesch., II, U. B., S. 342.
61 Wenck, Hess. Landesgesch., II. U. B., S. 246. (Korrektur des
Datums nach Mitteilung des Herrn Archivdirektors Dr. Reimer.) Beur
bindete Nachricht v. d. ... Commende Schiffenberg, II, Beilagen No. 220.
62 Urk. von 1338 m: Beurkundete Nachrichl v. il Com. Schiffen-
berg, II, Beilage No. 220.
"■■ Archiv f. Hess. Gesch. ii. A.-Iv. I, S. 52 u 53; II, S. 132. Die
Erkunde von 1335 April 27 bei Reimer, Hanauisches l'.-l!.. II, No. 439,
spricht dafür, daß damals die Falkensteiner bereits Mitherren in Gießen
waren. Wyß hal die Crkundc von 13.-5'.), Juli 28, übersehen, in der sämt-
liche Herren v. Falkenstein als Herren von Gießen handeln (Scriba, Re-
gesten, Oherliessen, \"o. 1310). Er bezieht irrig die Ganerbeneigenschaft
der Falkensteiner zu Hessen, Merenberg und Isenburg auf Cleeberg (a.a.O.,
III, S. 495), während sie sich auf ihre Mitherrschafl in Gießen gründete.
sie muß, analog der Urkunde von 1363, bei der ersten Veräußerung bereits
festgesetzt worden sein, die ich zwischen L328 und 1333 geschehen an-
setzen möchte.
Beiträge /.. Gesch. <]. Universitäten Main/, u. Gießen. 16
242 Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
Die Beilage 2 enthält ein Inventar der Bure und der
zugehörigen Wirtschaftsgebäude aus dem Jahre 1435.
Die Ansicht, der Aula auf Seite 327 gewährt gleichzeitig
das Bild des alten Schlosses, wie es im Jahr 1754 beschaffen
war. Daß es vor Anlage der Festung Gießen einen andern An-
blick gewährte, erkennt man aus zahlreichen Einträgen der
Festungsbaurechnung von 1533. 64 Da werden wiederholt
von den Maurern Steine an der Stadtmauer hinter dem
Schloß gebrochen, ebenso von der Stadtmauer vor dem
Schloß. Es war also zwar von der Stadt durch eine Mauer
getrennt, aber doch von der Stadtbefestigung mit einge-
schlossen. Die Mauerreste, die sich früher und in neuerer
Zeit vor und hinter dem Schloß in der Erde vorgefunden
haben, rühren wohl daher.
Der heutige Zustand des alten Schlosses scheint mir
nicht zu gestatten, seine Erbauungszeit über das 14. Jahr-
hundert hinauf anzusetzen. Insbesondere spricht der spitz-
bogige innere Torbogen neben dem Turm, ein Bauteil, der
weiiig Änderungen ausgesetzt zu sein pflegt, für diese Zeit.
Es findet sich zwar im Keller eine im Rundbosen geschlossene
Türöffnung, aber ohne jede Gliederung. Eine runde, aus
Quadern aufgeführte Säule, ebenfalls ohne alle Gliederung,
stützt das Tonnengewölbe des Kellers zunächst des Heiden-
turmes. Sie steht nicht in der Mitte des Gewölbes, scheint mir
vielmehr erst nachträglich, zur Verstärkung gesen eine neu
angebrachte Belastung des Gewölbes über ihr, angebracht
worden zu sein.ß5 Die Art der Bearbeitung der Quader-
steine hat seinerzeit E. Wörner veranlaßt, sich für ihre
Entstehung in romanischer Zeit auszusprechen66; nach
Äußerungen von Fachmännern aber ist dieser Schluß nicht
zwingend. Es könne sich auch um flüchtige Renaissance-
arbeit handeln. Bekanntlich wurde das alte Schloß im Jahre
1590 von Landgraf Ludwig IV. neu zugerichtet.67
1 '■ Großh. Haus- u. Staatsarchiv, Kriegs- u. Militärangelegenheiten,
II. Abt., Konv. 16.
\.uch \. Ritgen, a. a. 0., S. 53, glaubt, daß sie eine später
angebrachte Mauer stützen sollte.
,;(1 Quartalblätter des Hist. Vereins f. d. Großh. Hessen, 1889, S. 62.
07 Krall, a. a. 0., S. 135, Anm. -). Durch Herrn Hauptmann und Kon.«
servator Kramer freundlich vermittelte Photographie, und gutachtliche brief-
liche Mitteilung des Herrn Prof. Dr. B. Sauer, der auch eine Äußerung
des Herrn Privatdozenten Dr. Rauch erwähnt. Herr Professor Sauer hält
die untere Kellertüre, die kein Profil und keinen Beschlag hat, wegen
der Ähnlichkeit ihrer Herstellung mit einer Kellertüre auf dem Wirberg
für romanisch.
Alt-Gießen. 243
Bei Herstellung des Schlosses für das Absteigequartier
des Landesherrn und für das Museum des Geschichtsvereins
hat der bauleitende Architekt H. Hofmann keine Bauteile
bemerkt, die meiner Datierung widersprächen.
Vielleicht aber führt ein indirekter Weg zum Ziele :
die Verfolgung der Mauern der ältesten, kurz vor
1248 gegründeten Stadt. Ich kann mich für diese Auf-
gabe auf die antaillierten Angaben von Kraft und v. Ritgen
(a. a. 0., S. 45 ff.) stützen, sowie auf die Einzeichnungen,
die das städtische Tiefbauamt im Verlaufe der Kanalisations-
arbeiten gemacht und mir freundlich zur Verfügung gestellt.
hat. Kraft hebt auf S. 139 mit Recht hervor, daß man dabei
den Umstand nicht außer acht lassen dürfe, daß bereits
1325 eine Neustadt, südlich neben der alten Stadt, angelegt
worden war, deren Bewohner damals, ebenso wie die vor
den Toren Wohnenden, den Bürgern, die innerhalb der
Mauern der Stadt wohnten, gleichgestellt wurden. Es liegt
nahe, daß man nach 1325 die trennende Mauer zwischen
Alt- und Neustadt beseitigte. Kraft rechnet zu dieser alten
Neustadt die Häuser der Marktstraße (Kühgasse) vom
E. Pistorschen Hause an bis zur abgerissenen Neustädter
Pforte. Mauerreste haben sich in der Marktstraße jedoch
nur weiter nach dem Marktplatz zu gefunden. Vom Pistor-
schen Hause zieht er die Mauer der Altstadt westwärts an
den Stadtbach, an dem Südende des Burggrabens; nach Süd-
Osten aber auf das J. B. Nollsche Haus („Zum Ritter")
zu, von da an den Hintergebäuden der Häuser an der Mäus-
burg her an die Hintergebäude von Ph. Möhl, in dessen Hof
ein halbrunder Wehrturm erkennbar gewesen sei (S. 138).
Von dort lief sie nach dem früheren Stadtwagehaus in der
Schulstraße hin, neben dem noch ungefähr bis zum Jahre
1870 ein Stück der Stadtmauer erhalten war. Bei der Kana-
lisation in der heutigen Schulstraße haben sich Mauerreste
bach dem Markt hin nicht vorgefunden, so daß man an-
nehmen darf, daß es sich bei der Stadtwage um einen Rest
der ältesten Mauer gehandelt hat. (ieht man nun zuerst zu
äer Nordseite der Altstadt am Kirchhofe über, so haben
sich die Fundamente der 1533 auch hier abgerissenen Stadt-
mauer längs der Häuser an der Nordseite des Kirchen-
platzes vorgefunden. Sic zogen danach durch den Burg-
graben nach der Zwingermauer der Burg hin. Krall hat die
Fundamente der Stadtmauer östlich davon, hinter dein früher
H. Heichelheimschen Hause am Lindenplatz, zu dem eine
kleine Gasse von der Schloßgasse nördlich abzweigt, ge-
sehen; sie seien „im l>ogen nach der Schloßgasse ein-
-_! | i Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
gezogen" gewesen.68 Wenn ich diesen Ausdruck richtig
verstehe, so lief dieses Fundament also nicht parallel dem
Stadtgraben, der nach dem alten Schloß zu in gerader
Richtung streicht, sondern es wendete sich im Bogen nach
Süden hin, nach der Schloßgasse zu. Verbindet man diesen
Punkt im Bogen mit dem Manerrest an der Stadt wage, etwa
vor dem Ostende der Kaplaneigasse her, so fiele das alte
Schloß, samt den ihm gegenüberliegenden Hofreiten, außer-
halb des alten Mauerrings.
Kraft rechnet (S. 140) zur alten Stadt nur die Häuser
am Markt und an der Süd- und Ostseite des Kirchenplatzes,
in einem Teile der Schloßgasse, die früher Burggasse hieß,
die Kaplaneigasse, einen Teil der Schulstraße, die Wagen-
gasse, die Mäusburg bis zum Stern, die Wettergasse und
die Marktstraße bis zum Pistorischen Hause, dessen hintere
Hofreite an den Burggraben stößt. Endlich noch das Gäßchen
von der Marktstraße nach dem Burggraben zu.
Das ist. ein sehr beschränkter Raum, der den einer
geräumigen Vorburg nicht viel überschreitet. Da in der
innern Grafenburg und dem Zwinger keine Kapelle gelegen
zu haben scheint, so darf man annehmen, daß die spätere
Stadtkapelle dicht, vor dem Burgtor wenigstens in einer von
Alters dazu gehörigen Vorburg lag. Diese Vorburg, von deren
Befestigung vielleicht noch die Mauerreste im südöstlichen
Teil des Burggrabens herrühren, wurde, nur wenig erweitert
zur Anlage der Stadt, verwendet. Der Neubau der zweiten
Burg und die Anlage der Neustadt im Süden mögen dann
auch eine unbedeutende Erweiterung der Stadt, an der Nord-
ostecke mit. sich gebracht haben, um die Befestigung der
neuen Burg mit der Stadtmauer in Verbindung zu bringen.69"
68 Kraft glaubt, daß die alte Waldpforte deshalb hinter dem Heichel-
heimschen Hause gestanden habe, nicht an der Ecke des Einhorns. Die
starken Fundamentreste am Einhorn sprechen aber gegen Krauts Annahme.
i lui'jcn- ist der Zug der Mauer durch die Schloßgasse bei der Kanalisie-
rung nicht angetroffen worden.
,;:i Man hat lediglich aus dem Straßennamen Mäusburg schließen
wollen, daß noch eine dritte Befestigung bestanden habe. Mir scheint es-,
viel näher zu liegen, daß dorl Bürger des zu Gießen häufigen Namens
Mauß wohnten, deren Behausung von Studenten bewohnt, scherzweise die
Mäußburg genannt wurde. Der Name kommt, meines Wissens nicht vor
L643 urkundlich vor; er war damals wohl noch neu. Einen ähnlichen
Scherznamen legten nach Nebels chronikalischen Aufzeichnungen 1786 Stu-
denten einem allen Keller auf dem sogenannten Graveliusberg bei, in dem
sie sich einrichteten. Sie nannten ihn die Eulenburg, welcher Name blei-
bend wurde.
Alt-Gief3en. l'45
VII. Die Genossenschaft der Burgmannen.
Gießen muß von der Ritterschaft der Umgegend be-
sonders als Wohnort bevorzugt worden sein. Auch in der
Stadt selbst, nicht nur in der alten Burg, gab es nicht
wenige ihnen zuständige Wohnhäuser, die natürlich nicht
frei waren, sondern der Stadt zu dem üblichen Grundzins
beitrugen, der jährlich an den Stadtherrn abzuführen war. In
dem Zinsregister der Stadt von 1495, das Herr Oberbiblio-
thekar Dr. Ebel für mich freundlich ausgezogen hat, finden
sich Häuser des Wigand v. Rodenhausen, Gilberts v. Buseck,
Crafts v. Weitershausen, eine ehemalige Elkerhausensche,
jetzt landgräfliche Hofstatt. Ferner das Haus des Graft
v. Badenburg und der Halber (jetzt landgräflich), das des
Mengos v. Fetzberg (früher dem Graft Rode und den Milch-
Engen gehörig), Wernher Rüßers v. Buseck, Mengos v. Fetz-
berg (angefallen von Eckard v. F. ; früher Imelut Gemmen
gehörig), Crafts v. Elkerhausen, ein Pfarrhaus (früher Fyhen
v. Bleichenbach zustehend) und endlich das den Burg-
mannen gemeinsam gehörige Haus.
Die Burgmannen waren beteiligt am Gericht der Stadt70,
an der Vermögensverwaltung, besonders an der des Mark-
waldes, an der Vorstandschaft der Kirchenfabrik. Sie traten
noch lange hin, auch in Kriegsfällen, als Genossenschaft
selbständig auf.71 Noch im 14. Jahrhundert führten Burg-
mannschaft und Rat, wie früher, ein gemeinsames Siegel,
das hierunter abgebildet ist.
Später, vor 1371, führle die Sladl ein eigenes Siegel.
Das wenig schöne, mit dem geflügelten G. und der beid-
70 Noch 1350 erfolgte eine Auflassung vor Burgmannen und Schöffen,
als Recht ist zu den Gyesen. Baur, U.-B. d. Kl. Arnsburg, Nb. 836.
71 So z. B. 1370 in einer Fehde mil dem Staufenberg besitzenden
Grafen v. Ziegenhain; Kuchenbecker, Analecta Hassiaca, I. S. 130.
246 Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg.
nischen Krone versehene größere Stadtsiegel, das nicht vor
1500 vorkommt, ist am Schlüsse dieses Aufsatzes abge-
bildet worden.
Wie die Burgmannen ihre geselligen Vergnügungen ge-
regelt hatten, wußte man bereits aus einer Einung vom
30. Dezember 1477, die unter Mitwirkung des Landesherrn
zustande kam.72 Die Beilage 2 gibt eine ältere Einung aus
dem Jahre 1388.
Das gemeine Haus der Burgmannen, ihr Rathaus, Trink-
stube und Festhaus, die heutige Engelsapotheke (No. 793 des
Lageplans), gehörte im 18. Jahrhundert den beiden letzten in
Gießen ansässigen Burgmannengeschlechtern, den v. Schwal-
bach und den Nachkommen des Statthalters Rudolf Schenck
zu Schweinsberg, der 1544 das Burglehen der v. Elkerhausen
erworben hatte. Während die Familie v. Schwalbach ihren
Wohnsitz in der alten Grafenburg bis zu ihrem Erlöschen bei-
behielt, wohnten die anderen Burgmannengeschlechter später
meistens auf ihren Gütern. Nur in Kriegszeiten bevölkerten
sich ihre im Schutz der Landesfestung gelegenen Burgsitze.
Erklärung der Siegel. )
Auf der Tafel:
1. Angebliches Siegel des Grafen Wilhelm von Gleiberg (1131 — 1158) von
einer gefälschten Urkunde. Umschrift: j COMES • WILLEHELM-' • DE
GLIZB'.. Vergl. A. Wyß, Hess. Urkundenbuch, I, 3. Band, No. 1334
und S. 141 IT., § 21 u. § 25.
"_'. Gemeinsames Siegel der Burgmannen und der Stadt Gießen. 1248 bis
1265. Umschrift: f WILLEMMVS • LEI • GRACIA PALATINVS • COM
IX TVIGf. Vergl. A. Wyß, a. a. (>., I. 1, No. 215; I, 3, No. 1356, Anm.,
Abs. 2. Im Text dieser Abhandlung Seite 220.
72 Estor, Auserlesene kleine Schriften, III, S. 296—303. Falls Mainzer
Jahresanfang anzunehmen wäre, so müßte man 1476 datieren.
*) In 2/3 der wahren Größe dargestellt.
Alt-Gießen. 247
3. Siege! ilcs ErzBischofs Megener von Trier. 1129. Vergl. A. Wvß,
a. a. 0., I, 3. No. 1329; S. 409, Kap. 2.
4. Angebliches Siegel der Gräfin Clemencia von Gleiberg von einer ge-
fälschten Urkunde. Vergl. A. Wyß, a. a. 0., I. 3, Xo. 1332; S. 444,
§ 24. Auch allgebildet bei F. K. Fürst zu Hohenlohe<-Waldenburg,
Sphragistische Aphorismen, No. 43.
5. Zweites Siegel des E. B. Megener. 1120. Vergl. A. Wvß, a. a. 0.
G. Siegel des Klosters Schiffenberg. 1246. Vergl. A. Wvß, a. a. 0.,
No. 1352.
7. Angebliches Siegel des Grafen Otto von Gleiberg von einer gefälschten
Urkunde. Umschrift: f OTTO ■ COMES • DE • GLIBER(G). Vergl. Wyß,
a. a. 0,, I, 3. No. 1342; S. 445, § 25.
Im Texte :
8. Seite 222. Zweites Siegel der Stadt Gießen. 1264ff. Umschrift: SIG
ILLVM : CIVITATIS : DE : GIEZEN. Vergl. A. Wyß, a. a. 0., No. 1356.
9. Seite 245. Gemeinsames Wappensiege] der Burgmannen und Bürger zu
Gießen. 1332ff. Umschrift: f S' CASTRENS1VM ET OPIDANORYM
In GYZYN. Vergl. A. Wyß, a. a. 0., I, 2, No. 576 u. 569.
10. Größeres Siegel der Stadt Gießen: ein geflügeltes g, daraus hervor-
springenden Löwen, darüber eine „heidnische" Krone darstellend. 1500:
1500. llmjcrjrift: 3 maiu§ • oüibnnovü • in • gieäfen. Seite ;246.
(Der Stadt klein Ingesiegel finde! sich 1392 erwähnt bei A. Wyß,
a. a. 0., No. 1245.)
Beilagfen.
1. Schultheiß, Schöffen und Gemeinde der Stadt Gießen
bekunden den Verzicht des L. v. Rodheim u. s. Ehefrau
gegen Kloster Arnsburg auf Güter zu Steinbach. 1248 Mai.1
Cunradus sculthetus, scabini et burgenses universi in Gizen.
Con stare facimus omnibus litte ras has visuris, quod Ludewicus
de Rodeheim et Binhildis uxor ejus, communieata manu renun-
ciaverunt, nobis presentibus ante capellam nostram in Gizen,
1 Aus eigenhändiger, alle Abkürzungen nachzeichnender Abschrift
Bodmanns, die beim Nachlasse Nebels (Großh. Haus- u. Staatsarchiv zu
Darmstadt'1 verwahr! wird. Die sorgfältige Nachzeichnung des Siegels
beweist, daß es das auf der Tafel unter No. 2 wiedergegebene älteste
Gießener Siegel ist. Von der stark beschädigten Umschrift war nur er-
halten: ... Mi GRACI Dasselbe Siegel winde be-
reits nach schlechter Zeichnung aus Kindlingers Handschriftensammlung ab-
gehildet von Günther, Die Wappen der Städte des Großh. Hessen, Fig. I I
(Archiv f. Hess. Geschichte u. A.-K., [II, 2. Heft, XI, S. 30). Unvollständiger
Druck bei Baur, U.-B. d. Kl. Arnsburg, No. 54, nach Kindlingers Hand:
Schriftensammlung. Der im hiesigen Archive vorhandenen Abschrift
ist die Bemerkung beigefügt: „Sigillum cerae albae jam Euscae impressum".
Das Original befindet sich gegenwärlig im Staatsarchive zu Marhurg.
Es trägt, die Rückenaufschrift: De böls I Steinbach. No. 16.
Das Siegel ist nicht mehr im selben Zustand, als ihn die Zeichnungen
Bodmanns und Kindlingers erkennen lassen. Es fehlt jetzt das unlere
Stück, auf dem die Lilie im Siegelfeld sichtbar war. Mas Faksimile Bod-
manns ist fehlerfrei.
248 Gustav Frlir. Schenk zu Schweinsberg.
omni actioni et querimonie, quam habebant vel habere poterant
contra conventum in Arnesburg super bonis in Steinbach, et
resignaverunt eadem bona in manus Wilhelmi abbatis ejusdem
loci, recipientes decem et octo solidorum Coloniensium ab eodem.
In evidentiam hujus rei testes ibidem fuerant deputati : Sifridus
de Hattenrode et Wernerus füius ejus. Waltherus Sluen. Ernestus
de Rodeheini. Wernerus de Rodeheim. Johannes de Leikestren.
Eckardus de Luzellinde, milites, Meigotus, Wigandus, Eckardus,
Rubertus, Heinricus scabini. Albertus quondam abbas in Arnes-
burg, Fridericus Ovelacker et alii quam plures. Ut hoc itaque
ratum maneat, nostre civitatis sigillo fecimus hanc paginam
confirmari. Actum anno domini m.° cc.° xlviij. Mense Majo.
2. Ordnung der Trinkstube der Burgmannen zu Gießen.
1388 Ausg. I.2 *
Dis hiernach geschrieben ist die alte Einunge3 unser der
burgman zu Gießen.
Wir die burgman gemeynlich zu Gießen, die wohnhaftig sein
zu Gießen oder noch wohnhaftig werden, erkennen öffentlich in
disem brieffe vor uns und alle unsere erben, das wir einmutig-
lichen mit unser aller guten willen, wissen und verhünguns einer
eynung überkommen sein, als von unsers gemeinen haus wegen
zue Gießen, als hiernach geschrieben stehet. Zum ersten, welcher
burgman unter uns abgehet von tods wegen, das gott lange ver-
halte und söhne lesset, die nicht haus gehalten haben und bey
uns wohnhaftig sein wollen, der söhne soll ieglicher geben den
bawmeistern an den baw des hauses ein gülden und geloben,
die eynung zu halten als hiernach geschrieben steht. Were es
auch sache welcher burgman söhne hefte, die gewapnet ritten,
die sollen auch geloben diße eynung zu halten. Auch zöge ein
burgman bey uns in, (der) in unser haus nit gehöret, und wil
der in unser eynung, der soll geben vier gülden an den baw des
hauses, als wir vor geben haben, und die eynunge schweren
zu halten. Auch soll unser keiner sich mehr zu unserm haus
zu thun, unten oder oben, er thue es dan mit rath der bauw-
meister. Es ist auch geredt, daz unser keiner unsern keller oder
haus beraden*, weder mit wein oder hier, oder mit keiner andern
Sachen solle, es were dan sache daz wir gemeynlichen oder
unser ein theil heiße sie mehr oder minner5 wein oder bier
kauften wollen, daz mögen wir in unsern keller legem und unter
uns den wein oder bier ohn ein kerb geben pristern und burg-
mannen. Und sollen die bauwmeister den wein und bier scheren,
und wen sie zu ihnen nemen nach moglicheyt. Und wan der wein
oder bier auskommet, wer dan wein oder bier getrunken hat, soll
bezahlen den unserm knechte binnen« den nechsten monat dar-
nach, und wer das nichl thete und der knechi den bauwmeistern
- Au- ungefähr L600 gefertigter, fehlerhafter Abschrift im Großh.
Haus- u. Staatsarchive, l'rkundenabteilung, Gießen.
3 In der Vorlage: „zeigunge". — i „bewoden" in der Vorlage.
5 „mehr oder nimmer". — 6 .feinen".
Alt-Gießen. 249
daz sagete, den sollen die bauwmeister pfenden und des möge
und macht han, und mag der kriech! die pfände versetzen oder
verkeuffen ohn zorn und ohn alle gefehrde, und were es
gache, das iemandl sein pfände wehrete dru bauwmeistern, das
sollen uns die bauwmeister kundt thuen und zusprechen, und
den sollen wir ihme gemeynlich helffen pfenden, und wer es darzu
lesset kommen, der soll es verbüßen mit einem gülden, den soll
man auch niemandt laßen und soll gefallen an den bauw. Auch
soll unser keiner oder unser söhne spielen in unserm hauße und)
geldt oder um bedegunge ohn gefehrde, und wer das breche, der
sol es verbüßen mit einem gülden an den bauw und soll man den
niemandt laßen, und wer den gülden nit gebe, den sollen die bauw-
meister pfenden als vorgeschrieben stehet. Auch wan wir holtz
bedurften in unserm haus des sollen ihr zween ein wagen vol
holtzes fuhren, wen die bauwmeister es zu der zeit heißen ahn
gefehrdte, darwieder soll sich unser keiner setzen und wer das
nit. endet, den sollen die bauwmeister pfenden vor sesse thornus
als vorgeschrieben stehet als dicke es nur geschieht. Were es
auch, das wir bauwens an unserm hauße bedorffen, heften wir
dan nitt gemeynes geldts, so sollen die bauwmeister mit unser
aller rath oder der meinsten menge ein7 geldt setzen8 ein thornos
mehr oder minder und daz bauwen nach rath als vorgeschrieben
stellet, und wer des geldts nit gebe, den sollen die bauwmeister
pfenden als vorgeschrieben stehet vor zwirnt als viel als
an in gesatzt9 ist. Were es auch sache, das wir gemeynlichen
oder unser eins theils zehren wolten in unserm hauße, wan dan
unser knecht oder magdl aus gewinnet von was Sachen das were,
das sollen wir gutlich bezahlen und wer das nit thete und unser
knecht oder magdt den bauwmeistern das sagten, den sollen die
bauwmeister pfenden als vorgeschrieben stehet vor zwirnt als
viel als er gelten soll ohn geverdte. Ist es auch sache, das unser-
eins theils zehren in unserm hauße, es sey eßen oder trincken,
darzu soll niemandt greiften, er wolte dan mit gelden oder sey mit
ihrem willen, det das iemandt darüber, den sollen die bauwmeister
pfenden vor zwirnt als viel als der einer in der mitschaft üilt
als vorgeschrieben stehet. Were es auch sache, daz unser einer
oder mehr mit unserm knecht und magdl zu schaffen gewonnen
oder sie mit uns von was sachen das queme, des sollen sie und
wir an den bauwmeistern belieben und wen sie unter uns darzu
nehmen und sollen des macht haben gutlichen oder rechtlichen
zu entscheiden. Auch soll ein jeglich burgman der gesessen isl
unserm knecht und magdl geben zwischen S. Michelstage und
S. MerLenstage alle jerlichen zwo mesten korns und wer das nil
thete, den sollen die bauwmeister pfenden vor daz körn, und
wer sein pfandl wehrete, der soll es verbüßen mii eim gülden.
Bienge auch ein bauwmeister ab von todts wegen, das gotl friste,
so soll der ander bauwmeister nach unser aller rath einen andern
bauwmeister kueßen oder nach reih der meinsten menge binnen10
den nechsten viertzehen tauen, und darwider soll sich niemand
7 „mit". — 8 ..stechen". — 9 „gesagt". — 10 „l'iimeii-.
250 Gustav Frlir. Schenk zu Schweinsberg'.
setzen, Audi sollen wir keinerley zweygunge mit worten oder
mit wercken in unserm hauße unter ein haben, von was Sachen
das queme, und soll unser keiner auch den andern keinerley
schuld in unserm hauße fordern, wer das breche und nicht heltt,
der soll aus dem landt11 als ferne ryden und bleiben als die
bauwmeister und wen sie unter uns zu ihn nehmen sprechen,
das er thun solle- ohn geverdte. Welche zeit auch unser bauw-
meister uns verbotten in unser haus umb unser noth, da sollen
wir alle hinkommen ohne gefehrdte, und wer daz nit thete, der
soll das verbüßen mit einem Engeischen, als dick des noth ge-
schieht. Alle diße vorgeschriebene stuck und artikul und ein
ieglichen besonder haben wir gelobt und geloben in handt in
guten treuen ahn aydtstadt stett und veste zue halten ohn alle
gefehrdte und arge liste. Und des zu uhrkundt und vestigkeyt
haben wir die burgmannen die in unser eynung sind alle mit
ein gebeten die strengen herrn (.'rafften von Rodenhausen, herrn
Cunen von Dernbach, herrn Heinrich vjon Schwalbach, herrn Ger-
nanden von Bußecke, rittere, das sie ihr eigen insiegel vor uns
und unsere erben und vor sich selber umb unser bitt willen an
dießen brieff gehangen, des wir die vorbenanten uns bekennen.
Datum anno domini millesimo trecentesimo octuagesimo oetavo,
in crastino Pelri apostoli ad vineula.
3. Verzeichnis des 1435 abgelieferten Inventars und Vorrats
in der Burg zu Gießen.
Anno domini m° cccc xxxv sabbato post festum beati Martini
sunt scripta sub sequentia.
Item hain ich Heynrich Sneydeler myme gnedigen herren
viiandeleg(et) in syme huse czun (iießen czum irsten:
Item 350 maldir gedroschens kornß uff den leben in dem
huse czun (iießen und 2OV2 maldir korneß. Item 80 maldir
gedroschener habern und 2^ 2 maldir. Item 8V2 maldir ge-
droschener erwiß. Item 3 maldir unde 4 niesten oleyß. —
Hein 1 1 •> maldir unde 5 niesten robesamenß. - ■ Item 80 maldir
kornes in der schuwern in dem stroe alz daz myns gnedigen
herren hoffemeynsler unde sin gesworn gesynde geacht(el) haint
dy <'s myl der band dar in gelegt hain. Item 85 maldir
häbern auch in der schuwern in dorn stroe alz daz myns vor-
ge(nanten) gnedigen herren gesynde auch geachtet haint. - Item
10 maldir gersten in dem stroe in der schuwern als das dy
egnant(en) myns gnedigen herren knechte geacht(et) hain.
[tem 1 vierne male/, czu eyme gebruwe unde hoppen dar czu. -
Hein L2 maldir meles uff der loyben alz daz myns gnedigen herren
hoffemeynster geacht(et) hail. - Hein in unßers herren forwergk
23 melkekuwe. [tem 20 steer unde kelbere. - - Item 73 swyne
groeß unde cleyne. Item 9 phaelepherde unde 1 jungfoln. -
H-'iii I folnhengist unde 1 mudirchen. 13 - Hein 85 schefen kese.
[tem .'')2(i kese alz man plegei zeun Gyeßen machen. - [tem
" „der handt". — 12 „den".
1: L437 war der Viehbestand: 21 küwe (16 melke), 91 swine (16 uf
dem koben zu mesten), 318 schaffe.
Alt-Gießen. 251
80 quart. botern.' Item 1 donne smalczes. — Item 150 syten
fleysch unde 25 syten. • Item 7 kuwe dorres fleyschis. - Item
17 kuwe in dem salcze. - • Item1 1 firtel schale in dem salcze. -
Dem 8 fudir Ijeers. — Item I1/2 fudir dunbeers. — Item 7 kessel
groeß unde kleyn. - Item 9 phanne groeß unde cleyn. • Item
6 eren doppen groeß unde kleyn. - • Item 8 ysern kochleffel. —
Item 9 ysern unedeckel(!) Item 2 haeln. Item 1 dyegel.
— Item 4 hackemeßer unde 1 schabe. — Item 8 beslahen eymer.
— Item 1 senffmolen. Item 2 eßigkruge unde eyn veßchin
vol eßiges. - - Item 1 braetspiß. — Item lmorßer unde 1 stoeßel. -
Item 2 ii'enße panne. ■ Item 2 roeste. - - Ilem in dem bruhuse
1 brüphanne. — Item 2 koppern schufen. Item 1 sodekessel.
— Item 200 hemel unde 3 hemel in dem salcze. Item eyn
brügeczauwe von bodden. Item 4 achtel salczes. Item
2 czyntener unßlydd(es). - Item 50 phund wachses alz daz der
hoffemeynster unde Henne Ychel geacht(et) hain. - - Item 3 hand-
vaß. — Item 3 erenbecken. Item 4 erenluchter. — Item
6 armbrost. Item 1 wynde. Item 2 sptingurtel unde
3 hocken. Item 5 banckducher. Item 9 sthlekußen. —
Ilem 3 phund «iarneß czu dyeschtuchern. - ■ Item myns gnedigen
herren bette in syner kammern. Item 1 heubtpöl. Item
1 ruwedecke. Item 1 schärduch. Item 4 bette in des
schribers kammern. - - Item 3 heubtpole. — Item 7 par lylachen
in der burgk. Item 1 bette der kelnirßen unde 1 heubtpöl.
Item uff dem kellir 1 bette unde 1 heubtpöl. Item dy
eckirknechte 2 bette unde 2 pare lylachen. • ■ Item den meyden
1 bette unde 1 heubtpoel eyn decken unde 1 par lylachen. —
Item der hofemeynster 1 bette, 1 heubtpöl, eyn betteduch unde
1 lylachen. - - Item des foydiß junge eyn bette, eyn decke unde
1 lylachen. — Item 2 betteduchir. Item Claeß der almüser
1 lylachen. - - Ilem 1 rnwedecken uff des schrybers bette. - Item
10 küßen uff den betten in der burgk. Item 10 drelich dys-
lachen. - - Item eyn gude lange drelichs handtwele myns gnedigen
herren. Item anderwerbe 5 kleyne drelich handtwelen.
Item 4 brotducher den knechten. Item eyn wenig fläßes in
mviies gnedigen herren kysten. - - Item 3 kluwen garneß. - - Item
1 donne myt feederm Item 4 hantbößen. Item eyn halbe
donne mvl pylen. — Item 5 nuwe boßen dy myn gnediger herre
geyn Gießen hau gesand kleyne unde groeß. Item b' hindir-
stoii'ko an dy hoeßen. Item eyn bößen dy man nennyl. den
radenhud. - Item Hi fudirge vaß. ■ ■ Item 1 halbfudirg väß.
Item 4 kappftßbüdden. Hein 13 secke hose unde gud.
Mein 5 mesten. Item 12 gude ulen myl suermylch. Item
2 beslehen weyne in myns gnedigen herren forwlergk. Item
1 plugk unde 3 cyden.14 Hein 4 czenen schußein. Hein
2 halbfirtels Qeschin. Item 1 qua r 1 Qesch. Item 1 firmaß
Qesch. - - Hein 1 ecke!.). Item 1 hauw c^a belli. Mein .") misl-
gabelu. ■ —
Original im GrolJh. Haus- 11. Staatsarchiv zu Darmstadt, Domanial-
gebäude, Gießen.
14
Oh statt cydern = zetter (Vordeichsel)?
Anhang.
Giessa Hassorum,
eine in Kupfer gestochene Ansicht der Stadt aus
dem Jahre 1612.
H. v. Ritgen hat in seinem Aufsatze: „Die erste Anlage
Gießens und "seiner Befestigungen" die ihm bekannt ge-
wordenen Abbildungen der Festungswerke von Gießen auf-
gezählt.1 Im Jahre 1887 erwarb das Großherzogliche Haus-
und Staatsarchiv aus einer aufgelösten Darmstädter Privat-
sammlung einen bis dahin unbekannten Kupferstich, der
Gießen von Südost her darstellt, Wie mangelhaft er vom
künstlerischen Standpunkt aus sein mag, so gibt er doch ein
deutliches Bild der Festungswerke und der Hauptgebäude
der Stadt, so daß er neben der trefflichen Federzeichnung
\V. Dilichs aus 1591 einen bescheidenen Platz finden mag.
Das Original mißt in der Breite 32,5 cm, in der Höhe fast
18 cm; nebenstehend ist es verkleinert wiedergegeben.
Auf dem breiten, unteren Rande sind zwei dichterische
Erzeugnisse zum Lobe Gießens gedruckt. Das in lateinischer
Sprache hat den Professor der Dichtkunst und Historie,
auch Universitätsbibliothekar, Konrad Bachmann zum Ver-
fasser; der des deutschen zog es vor, seinen Namen zu ver-
schweigen. Dann folgt eine Erklärung der dem Stiche
beigefügten Buchstaben. Das Stück ist nebenbei ein alter
datierter Druck Chemlins2, der es für die Besucher der
neuen Universität hergestellt haben wird. Es macht fast
t\cn Eindruck einer Reklame.
Sic facies GrIESSAE eil, quam foi'sä atque aggere valli
Cinxit Amor Patriae, Magne Philippe, luus.
Hoc vallum, lianc Eqffam polt Caefaris ira diremit,
licl'tiliiil Fdei3 teil Ludovicus honor.
1 Vierter Jahresbericht des Oberhessischen Vereins f. Lokalgeschichte,
(ließen INNO, S. 57 f.
2 Er war der Zweitälteste Gießener Buchdrucker. Vergl. Könnecke, Hess.
Buchdruckerbuch, Marburg 1894, S. 243, und Buchner, Die Anfänge des
Buchdrucks ... in Gießen, Mitteil. d. Oberhess. Gesch. -Vor., N. F., V,
S. 34; \ I. S. L61 IT. — -; So für Eidei.
Anhang.
253
i>54 Anhang.
Inipofuitque domum Marti et belli ui'ibus aptam,
Fecit et annona divite fubüdium.
Nunc Utriusque Nepos animam infpiravit, et urbem ■
Eduxit Coelo, fideribusque locat,
Caefaris indultu quando huc Academica jura
Tranftulit ; hinc Patruo Major Avoque cluet.
Conradus Bachmannus Profe/fbr.
GIESSEN die Statt in Heffenland
Nun mehr in aller Welt bekand /
Von Sud-Ost her fo wird gelehn /
Wie fie thut liier vor Augen ftehn /
Philips Lantgraff das Fürstlich Blut
Dem gantzen Vatterland zugut
Die Fei'tung / Burg / und gantze Stall
Mit Wehr und Wall umbgeben hat :
Die doch hernach durchs Keyfers Zorn
Zeri'chleifft / zerbrochen / und verlorn :
Biß das Ludwig der gütig Helt
Sie widerumb zu recht geftellt/
Verheuert hat Paftei und Wall
Dem gantzen Land zu wolgefaln.
Das Zeughauß auffgebawet schon /
Daffelbig mit Munition
Gar wol verteilen und Gefchütz /
Und was zu Krieges Brauch ift Nütz.
Letzlich aber Ludwig der frumb
Als in fein erblichs Eigenthumb
Ein hohe Schul gerichtet an /
Wie das bekannd ift Jederman /
Dadurch ihr Lob / Ruhm / Preiß und Ehr
Von Tag zu Tag wechft mehr und mehr /
Gott wol hinforl diefelbig Schul/
Widern Teuffei und hellfchen Pfuel
Gnädig befchützen immerdar/
Behüten auch für falfcher Lahr
und uns erretten auß Gefahr.
Bedeutung der Buchstaben im Abriß: a Bedeul die Kirch / b tlio
Üniversitet und neu Fürstlich Collegium. c. .Das Zeughauß. d. Die Altaun
deß Himmelslauff zu observiem. e. Das Ampthaüß. f. Das Rahthauß.
g. Die viel- Pforten.
Gedruckt zu Gieffen/durch Cafpar Chemiein. 1612.
Auf dein Stiche ist das Neuweger Tor, dem das bei
Dilieh erscheinende Vorwerk fehlt, mit dem prosaischen
Namen „Kuhthor" bezeichnet, der im Volksmimde noch im
Anfange des neunzehnten Jahrhunderts gebräuchlich ge-
wesen sein soll.
VIT.
Neue Beiträge zur Geschichte
von Johann Balthasar Schuppius in der zweiten
Periode seiner Marburger Professorentätigkeit
(1639 — 1646).
Von Wilhelm Diehl.
Unter den Professoren der hessen - darmstädlisrhcn
Landesuniversität zu Marburg hat keiner das Glück gehabt,
derartig oft nach allen Seiten seines Wesens in Mono
graphien dargestellt zu werden wie Johann Balthasar
Schuppius. Trotzdem gibt es in der Lebensgeschichte des
Mannes, vor allem in den hessischen Perioden seines Lebens,
immer noch rech! viel zu entdecken. Das sehen wir z. B.
an den beiden jüngsten Arbeiten von Fiessen-Darmstädtern,
die sieb mit Schuppius beschäftigen: der Ausgabe von Joh.
Baltbasar Schupps Briefwechsel mil dem Landgrafen Johann
von Hessen, die Nebel 1890 in den Mitteilungen des Ober-
bessischen Geschichtsvereins, Bd. II, S. 4!) IT., veranstalte!
hat, iiml der vor kurzem in den „Beiträge zur hessischen
Schul- und Universitätsgeschichte", Bd. I, S. L69 IT., abge-
druckten Aibeil \V. M. Beckers „Aus Johann Balthasar
Schupps Marburger Tagen", die eine Anzahl von Briefen
256 Wilhelm Diehl.
Schupps an den Ulmer Superintendenten Dieterich mitteilt
Beide Arbeiten bringen nicht nur eine Fülle neuen, bisher
unbekannten und unbenutzten Materials hei, sie rücken auch
das Wirken des Mannes unter ganz neue Gesichtspunkte und
lassen manches, was man bisher nicht oder nicht recht ver-
stand, in einem neuen Lichte erscheinen.
Nachfolgende Arbeit soll eine Ergänzung zu den Bei-
trägen von Nebel und Becker bilden. Sie bezieht sich auf
die Zeit, die zwischen den von beiden Forschern behandelten
Perioden liegt. Sie hebt mit dem Zeitpunkt an, wo der von
Becker herausgegebene Briefwechsel Schupps mit Konrad
Dieterich durch Dieterichs im März 1639 erfolgten Tod einen
jähen Abbruch fand und erstreckt sich bis zum Anfang von
Schupps Braubacher Zeit, von der Nebels Studie ihren Aus-
gangspunkt nimmt. In den acht Jahren, welche zwischen
den beiden Endpunkten 1639 und 1646 liegen, sind für
Schupps Leben drei Ereignisse besonders wichtig geworden:
1. der Auftrag, den ihm der Landgraf Georg IL im Jahre
1639 zur Ausarbeitung einer Geschichte Ludwigs V. und
Georgs IL bis zur Gegenwart gab, 2. Schupps Prorektorat
im Jahre 1643 und 3. die finanzielle Not, in die Schupp
1644 kam, die 1645 gegen ihn geführte Disziplinarunter-
suchung und die damit zusammenhängenden Bestrebungen,
von Marburg wegzukommen. Die drei Ereignisse stehen in
einem gewissen Zusammenhang. Die beiden letzten sind
die Ursache dafür geworden, daß aus dem ersten und damit
Schupps Opus historicum nichts ward. Hieraus ergibt sich
die Einteilung der nachfolgenden Studie.
Das Material, das zu der nachfolgenden Arbeit, benutzt
ist, und bei dessen Sammlung ich in weitgehendem Maße von
Herrn Staatsarchivar Dr. Dieterich unterstützt wurde, ist
zum Teil bereits früher von Forschern auszugsweise be-
nutzt worden, zum Teil war es bisher unbekannt. Es enl-
stanini! drei Fundorten, dem Haus- und Staatsarchiv in
Darmstadt, der Registratur des Ministeriums des Innern in
Dannstadt und dem Universitätsarchiv in Gießen. Ganz un-
liek.imil waren bisher die aus der Ministerialregistratur
stammenden Akten über Schupps Prorektorat (Faszikel
,, Rektorwahlen") sowie die aus den Gießener Akten mit-
geteilt en Berichte, die sich auf Schupps Professorentätigkeit
und seine Anteilnahme an der Verteidigung von Marburg
beziehen. Teilweise benutzt waren die Dannstädter Archiv-
akten, die von der Beauftragung Schupps mit der Aus-
arbeitung eines Opus historicum hassiacum handeln, sowie
diejenigen, welche den Briefwechsel Schupps mit Maxi-
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 257
miliar] zum Jungen darbieten. Notizen und Auszüge aus
ihnen haben Wenck in seiner hessischen Landesgeschichte
und Henke in der Zeitschrift für historische Theologie (1866)
dargeboten.
I. Wolff von Totenwarts Plan zu einer hessischen Chronik
und das Projekt der Ausarbeitung einer Geschichte Lud wigsV.
und Georgs IL durch Schuppius.
Im Jahre 1639 tauchte einmal wieder das schon mehr-
mals in Angriff genommene, aber bisher noch niemals durch-
geführte Projekt auf, zur „höheren Ehre des hessischen
Regentenhauses" eine hessische Chronika bearbeiten zu
lassen und herauszugeben. Die Veranlassung hierzu bot
der damals in Hessen hochangesehene, bei Georg IL „in
besonderen Gnaden" stehende Kanzler Anton Wolff von
Totenwart, der seit 1626 auf die Notwendigkeit der Heraus-
gabe eines solchen Opus historicum hingewiesen und es
zum Beispiel auch fertig gebracht hatte, daß sein Freund
Melchior Goldast im Anfang der dreißiger Jahre den Auf-
trag zur Bearbeitung einer Chronica hassiaca erhalten hatte,
deren Vollendung und Drucklegung leider durch Goldasts
Tod vereitelt worden war. Wolff von Totenwart richtete
am 19. März 1639 zwei und am 3. April 1639 ein drittes
Schreiben an Landgraf Georg IL, in denen er seinen Plan
ausführlich darlegte und eingehend begründete. Wir bringen
diese drei Berichte unten zum Abdruck (Beilage I). Nach
ihnen sollte das von Totenwart geplante Werk die ganze
hessische Geschichte in Vergangenheit und Gegenwart be-
treffen und zu ihr die wichtigsten Quellenstücke und Ma-
terialien, teils im Wortlaut, teils im Auszug darbieten. Es
sollten diese Mitteilungen gleichsam ein „Opus Barilalum
Hassiacarum" bilden und die Tendenz verfolgen, des „uhr-
alten fürstlichen hessischen Hauses Gloria" so zu verherr-
lichen, wie diese es verdiente. Dabei sollte es die Gegen
wart, ebenso berücksichtigen wie die Vergangenheit; so
sollten zum Beispiel in ihm die „Schwedische und llüssels-
heimische Sach" und die I niversilülsstaluten ebenso ge-
wissenhaft behandelt werden, wie beachtenswert'' Kund-
gebungen Ludwigs V. und aller seiner Vorgänger.
Außer diesen Nachrichten über die Anlage des ganzen
Werkes bekommen wir aus den drei Berichten noch Mit-
teilungen über die Persönlichkeiten, die bei der Heraus
gäbe beteiligt sein sollten. Einen bedeutenden Einfluß auf
das Werk wahrte sich der Kanzler selbst, und zwar da-
Heitriifre z. Gesch. d. Universitäten Mainz u. Gießen. l"
258 Wilhelm Dielil.
durch, daß er die Materialsammlungen, die er sich seit
Jahren hergestellt hatte, zur Grundlage des Werkes machte.
Außer ihm sollten an dem Werk noch zwei Personen in
besonderem Maße arbeiten: Professor Konrad Bachmann,
dem der Kanzler die Rolle eines Vervollständigers und Re-
daktors seiner Sammlungen zugedacht hatte, und der Ober-
archivarius Tülsner, der die Oberleitung über den Druck
haben sollte.
Aus dem in den drei Berichten entwickelten Plan des
Kanzlers ward nichts. Als er im Jahr 1G39 in Ungnade fiel,
fiel mit ihm auch das eigenartige Projekt, zu dessen Her-
stellung er so dringlich geraten hatte. Totenwart trug dazu
selbst ein Wesentliches bei. Er vernichtete im Zorn über
seine Entlassung seine ganze Materialsammlung1 und machte
es dadurch unmöglich, daß man bei der Absicht beharren
konnte, möglichst bald eine die gesamte hessische Ge-
schichte umfassende Chronika zu schaffen. Wollte man mög-
liehst bald ein Opus historicuni hassiacum haben, so mußte
man nunmehr sich dazu bequemen, nur diejenige Zeit zu
behandeln, für die das von Totenwart gesammelte und dann
vernichtete Material am ehesten wieder herbeigeschafft
werden konnte : also die Zeit der letzten Jahrzehnte. Man tat
dies auch. In den Berichten, die von der Weiterführung des
Totenwartschen Projekts handeln, ist stets nur die Rede von
einer Geschichte der letzten zehn Jahre des 1626 verstorbenen
Landgrafen Ludwig V. sowie der Regierung des derzeitigen
Landgrafen Georg II. Aus dem Opus Raritatum Hassiaca-
rum, das alle Perioden der hessischen Vorzeit durch Dar-
bietung bedeutsamer Aktenstücke behandeln sollte, ward ein
mehr darstellendes Werk über die 24 letzten Jahre hessischer
Geschichte. Wie ein unseren Akten beiliegendes Blatt aus
dem Jahre 1640 beweist, sollte dies neue Opus historicum den
Titel tragen : ,,Vitae Ludovici fidelis et Georgii Pacifici Hassiae
Landgraviorum, ubi quasi in Theatro, figuris aeneis ingenio
sissima manu Matth. Meriani sculptis, ob oculum ponuntur,
et simul per digressionem repraesentantur, et fide historica
recensentur Res, in S. R. Imperio publice gestae, ab Anno
CIO IOC XVII. usque ad antnim MDCXL." Was in dieses Buch
alles Aufnahme finden sollte, wird uns annähernd klar, wenn
wir das Aktenstück betrachten, das wir unter No. III zum Ab-
1 Auf den Bericht Totenwarts vom 19. März 1639 hat eine Hand aus
Georgs II. Zeit geschrieben: „ Diese herrliche Gollectanea hat der hoch-
qualificirte Herr St. 'Uli alter Wolf von Todemvart bey seiner Widrigkeit und
Verfolgung verbrennet und gesagt: Es were das Hauss Hessen der gleichen
hochschätzbaren Schatzes nichl würdig, uti audivi ex ore Dn. filii Consi-
liarii Aulici Caesarei".
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps.
259
druck bringen.- Es ist ein Entwurf zu dem von Georg II.
handelnden zweiten Hauptteil des geplanten Werkes, her-
gestellt von einem Mitglied des Geheimen Rates.
Wie man hinsichtlich des Inhaltes des zu schaffenden
Geschichtswerkes eine Änderung eintreten ließ, machte man
''s auch mit der Person des Bearbeiters. Der von Totenwarl
als Redaktor vorgeschlagene Professor Bachmann wurde bei-
seite geschoben und für ihn der damalige Professor der Elo-
quenz und Historie Johann Balthasar Schuppius mit der
Ausarbeitung des Opus historicum betraut. Es lag dies
übrigens auch viel näher. Schupp war zur Zeit der einzig«'
Vertreter des Faches der Geschichte an der Universität,
17*
260 Wilhelm Diehl.
während Bachmann zwar vor einer Reihe von Jahren auch
einmal Professor der Historie gewesen war, 1618 sogar eine
Übersetzung von Christoph Helwigs „Chronologia univer-
salis" hatte erscheinen lassen, aber seit Jahren sich aller
Publikationen aus dem Gebiet der Geschichte enthalten hatte.
Dazu kommt, daß Schuppius in den letzten Jahren deutlich
gezeigt hatte, daß er der Pflege der Historie im Sinne seines
verstorbenen Schwiegervaters Christoph Helwig sein ganzes
wissenschaftliches Können zu widmen bereit war. Nachdem
er 1635 seine Lehrtätigkeit mit einer — nach unseren Be-
griffen allerdings eines Geschichtsprofessors wenig würdigen
- dem Kanzler Totenwart gewidmeten Oratio solemnis. be-
titelt: „Series chronologica imperatorum in Monar-
chia Romana" (einer Zeittafel von Julius Cäsar bis Kaiser
Ferdinand II.) eröffnet hatte, hatte er Christoph Helwigs
„Theatrum historicum et chronologicum," sowie
dessen „Chronologia universalis," ersteres mit reichen
Zusätzen, neu herausgegeben und außerdem zwei weitere
historische Arbeiten, seinen „Deucalion cristianus seu
de vero natali Jesu Christi controversia theologica"
und seinen „Hercules togatus seu de illustrissimo
Georgio II. Cattorum Landgravio" geschrieben. Welche
Mühe er sich gab, auch die Studentenschaft für das Ge-
schichtsstudium zu interessieren, beweist ein unter No. II ab
gedruckter Anschlag am schwarzen Brett, mit dem er zu
einer Oration eines seiner Schüler einlud. Er redet darin von
der Wichtigkeit der Geschichtsforschung in hohen Tönen.
Jedenfalls war Schupp als Historiker dem alten Bachmann
überlegen. Der Landgraf trug ihm aus diesem Grund auch
gleichzeitig die Ausarbeitung des Panegyrikus auf den ver-
storbenen Landgrafen Friedrich, dessen Herausgabe Toten-
wart ebenfalls als notwendig bezeichnet hatte, auf. Schupp
ließ ihn 1642 unter dem Titel „Oratio de familia, vita et
obitu Friederici Hassiae Landgravii" erscheinen.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, was man von den
über Bachmanns Stellung in der Reihe der offiziellen
hessischen Chronikenschreiber verbreiteten Ansichten zu
halfen hat. Bachmann wurde weder vor noch mit Schupp
zur Ausarbeitung einer hessischen Chronica herangezogen.
Auch wissen die Akten nichts davon, daß er in Ungnade tiel.
Endlich ist es falsch, wenn man mit, Bischoff behauptet,
Schupp sei in die Arbeit nach Bachmanns Tod eingetreten.
Bachmann, der nie den Auftrag zur Ausarbeitung des Opus
historicum erhalten hatte, freute sich noch sechs Jahre nach
der Übertragung der Chronikbearbeitung auf seinen Schüler
und Kollegen Schupp des Lebens.
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. "261
Unter welchem Datum Schuppius mit der Ausarbei-
tung dieses Werkes beauftragt wurde, ist zur Zeit aus
den vorliegenden Akten nicht zu ersehen. Doch scheint
es sicher, daß er noch in der zweiten Hälfte des Jahres
1639 angewiesen wurde, sich an die Bearbeitung eines
Planes für die „Vitae Ludovici fidelis et Georgii paci-
fici" zu machen, und daß man ihm schon damals „zu
dissem Behuff. Herrn Goldasti arbeit communicirte." Be-
reits am 4. März 1640 erging eine Verfügung von Seiten der
hessischen Räte Dieterich Barthold von Pleß und Philipp
Ludwig Fabricius an Schuppius, die im Hinblick darauf, daß
der Landgraf „gern den anfang solches Wercks haben
möchte", den Wunsch aussprach, Schupp möge doch „soviel
nach ietziger betrüblicher Bewandtnus der Leuffte geschehen
mag, nochmahls seine Gedancken auf das Werck schlagen;
er halte sich gewiß zu versichern, da Er in solcher ihme auf-
getragenen arbeit deme von Ihrer F. Gn. auf ihne gestellten
guthen Vertrawen nach fleißig fortsetzen würd, daß Seine
F. Gn. solches mit würcklichem gnedigen Danck gegen ihn
zu erkennen ohnvergessen bleiben werden". Zugleich
wurden Schupp zwei kleinere neue Aufträge gegeben. Er
sollte „den ihm übersandten, zwischen den beeden fürstlichen
Linien Cassel und Darmstatt aufgerichteten Haubtaccord, wie
auch die darüber vorhandene Kayserliche Confirmation in
einem feinen zirlichen Stylo lateinisch, je eher, je besser
vertiren". Ferner wurde er damit betraut, eine Apologie,
die Landgraf Georg auf ein „an eine vornehme bekandte
Person abgelassenes Schreiben des Schwedischen Hofcantz-
lars und Legatus in Teutschland Herrn Salvius" durch
Professor Schütz hatte abfassen lassen, „in höchster ge-
haime" und „sobald immer müglich, etwas kürtzer und klärer
zu stylisiren", damit sie in einer etwas „weniger weit lau IT
tigen" Form an ihre Adresse befördert werden könne.
Wenn die Geheimen Räte gehofft hatten, daß Schuppius
bereits mitten in der Arbeil für die „Vitae" wäre, so hatten
sie sich getäuscht. Schuppius berichtete am 7. März 1640
in einem Schreiben, das wir unten (Beilage IV) mitteilen,
daß er vor Berufsgeschälten und anderen wissenschaftlichen
Aufträgen noch nicht recht an das neue Werk gekommen
sei; er hat zugleich um Fntschuldigung wegen dieser Pro-
ciaslination.
Trotzdem Schuppius in dem obenerwähnten Schreiben
versprach, „daß ihm das bewuste Historische Werck wohl
recommendiert bleibe", kam er vor anderen Geschäften
auch im Verlauf des nächsten Jahres nicht dazu, dem Pro
262 Wilhelm Diehl.
jekte ernstlich näher zu treten. Das erste Schreiben, das
wir über die Abfassung des Opus historicum aus der nächst-
folgenden Zeit besitzen, ist ein vom 17. Juni 1641 datierter
Brief Schupps (Beilage V). Er zeigt, daß Schuppius es
bisher nur zu dem Entwurf „einer disposition" gebracht
hat, daß er aber von der Absicht erfüllt ist, nunmehr das
Werk ernstlich in Angriff zu nehmen. Ehe dies allerdings
geschah, hielt er es für nötig, daß allerlei Vorfragen ihrer
Lösung entgegengeführt würden. Vor allem wünschte Schup-
pius, daß man ihm einen Amanuensis, einen Gehülfen seiner
Arbeit, beigebe, der ,,unice von ihm dependire", über den
er Tag und Nacht verfügen und den er im Notfall auch ent-
lassen könne, ferner, daß man dem Amanuensis und ihm
selber, die durch ein besonderes .lurament auf die neue
Arbeit zu verpflichten wären, nicht bloß für die Zeit während
der Bearbeitung ein „Recompens" verspreche, sondern für
sie auch eine spätere besondere Belohnung in Aussicht
nehme. Für den Amanuensis erbat er „einen schriftlichen
Promiß zukünftiger Beförderung auf einen guten ahnnehm-
lichen Pfarrdinst", für sich aber richtige Auszahlung seiner
bisherigen Professorenbesoldung (hinsichtlich deren er seit
Jahren Grund zu ernsten Klagen hatte), außerdem Lieferung
von 12 Klaftern Holz und ein par Stück Wild jährlich
und ebenfalls eine schriftliche Versicherung des Landgrafen,
daß er und seine Nachfolger Schupp und seine Familie
das, was sein Schwiegervater Helvicus und was Schupp
selber zum Besten des historischen und oratorischen Stu-
diums bisher getan hätten, und was Schupp mit seiner Aus-
arbeitung des Opus historicum noch tun werde, gnädig
später wolle genießen lassen.
Auf die soeben mitgeteilten Wünsche Schupps ging der
Landgraf ohne weiteres ein. Am 6. Juli 1641 ließ er ihm
durch ein Schreiben von Philipp Ludwig Fabricius kund
tun, daß man dem Amanuensis „52 Reichsthaler und etwa
noch eine Discretion, jede Woch nemlich 1 Reichsthalcr"
geben und die Versicherumr tun werde, daß man ihn, „wan
das Werck fertig, zu einem guten annehmlichen Pfarrdinst
befördern wolle, seinen Qualitäten nach". Ferner erfühl
Schupp aus dem Schreiben, daß ihm die 12 Klafter Holz,
sowie zwei Stück Wild und eine Wildsau bewilligt seien,
daß man für richtige Bezahlung seiner Besoldung sorgen
und ihm unter Hand und Siegel des Landgrafen die ge-
wünschte schriflliche Versicherung geben wolle. Zugleich
wurde von Schupp Bericht erfordert, „ob der Amanuensis
ein Landkind und woher er sey", ob die Geldbesoldung für
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 1263
den Amanuensis genüge, und wie er etwa denke, daß die
neue Geldquelle für seine (Schupps) Besoldung erschlossen
werden könnte, auf die er in seinem Berichte vom 17. Juni
hingewiesen hatte.
Ehe diese Verfügung, die vom 2. Juli datiert war, in
Schupps Hände kam, hatte er hereits einen neuen Bericht,
ein Memorial, eingereicht (Beilage VI), in dem er nochmals
auf die Bedingungen, unter denen das Werk begonnen werden
könne, einging. An wen dieses Memorial, das wir unten
zum Abdruck bringen, gerichtet ist, und unter welchem Datum
es abgesandt wurde, wissen wir nicht; doch ist sicher,
daß es in die Zeit nach dem 17. Juni und vor Einlieferung
der Verfügung vom 2. Juli fallen muß. Schupp wiederholte
hier seine Wünsche und erweiterte sie zugleich. Er bat
für den Amanuensis um eine Discretion pro labore, sowie
vier Klafter Holz zur Erwärmung des Losaments. Für sicli
aber bat er die Gnade aus, daß man ihm nicht nur sofort
einen Abschlag seiner rückständigen Besoldung aus den
Geldern des geistlichen Landkastens gebe, sondern der Uni-
versität reskriptlich mitteile, „daß Schupp lesen möge, wann
er kann", daß er also von seiner Vorlesungspflicht teilweise
entbunden werde. Letztere Notiz ist besonders beachtens-
wert, weil Schupp hier diesen Wunsch, der später erfüllt
wurde, zum erstenmal aussprach. Das Memorial ist übrigens
noch in anderen Beziehungen beachtenswert. Schupp läßt
in ihm durchblicken, daß er bereits an der Arbeit ist: in
Punkt 1 bittet er um Akten über die Erziehung, Reisen und
Hochzeit des Landgrafen Georg II. und in Punkt 3 drängt
er auf Verpflichtung des Amanuensis, damit „er ihm sicher-
lich eins undt anders abzuschreiben undt zu excerpiren
abnvertrawen dörfle". Ferner gibt er uns in Punkt ö und
jler Beilage zu diesem Alemorial einen interessanten Beitrag
zur Gießener Stadtseschichte.
Die Antwort, die Schupp auf die Verfügung vom
2. Juli gab, kennen wir nicht. Vielleicht hat er sie
dem Vizekanzler, mit dem er in der vorliegenden Sache
mehrfach persönlich konferierte, mündlich gegeben. Es
ist dies um so bedauerlicher, als wir dadurch die Mög-
lichkeit verloren haben, den Namen dos Amanuensis, des
in Aussicht genommenen zukünftigen Verfassers einer „deut-
schen Hessischen Chronic", zu erfahren. Wir müssen uns
damit begnügen, festgestellt zu haben, daß es ein Student
war; die Annahme, Bachmann (damals ein Mann von
69 Jahren!) habe Schupp (seinem Schüler) als Amanuensis
gedient, ist damit endgültig als irrig erwiesen.
264 Wilhelm Diehl.
Trotzdem nach der Verfügung vom 2. Juli nur noch
nebensächliche Punkte zu regeln waren, kamen in den
nächsten Monaten die Verhandlungen wegen des Opus
historicum ins Stocken. Schuppius, der um des über-
nommenen Werkes willen seinem Freunde Merian die ver-
sprochene Neuausgabe der historischen Chronik aufge-
kündigt, den Amanuensis zum Zweck besserer Bewahrung
des officii t aciturnitatis in sein Haus und an seinen Tisch
genommen und sich mit ihm bereits mit Eifer an die Arbeit
gemacht hatte, glaubte bereits, dem Landgrafen sei die Sache
wieder leid geworden, er ,,habe etwan seine Resolution
geendert". Um nicht zwecklos arbeiten zu müssen, sandte
er gegen Ende September 1641 zwei Schreiben wegen des
Opus historicum ab; eines, „Memorial" betitelt, an eine
uns unbekannte Adresse, das andere datiert vom 27. Sep-
tember an den Vizekanzler Fabricius (vergl. unten No. VII
und VIII). In dem Memorial bat er, daß doch endlich die
Anweisung für die 12 Klafter Holz, die Formula juramenti,
der wegen Schupps Vorlesungstätigkeit an die Akademie
zu erlassende Befehl und die „Versicherungen" für ihn und
deu Amanuensis ausgestellt und übersandt werden möchten.
Zugleich erneuerte er die Bitte um Bewilligung von vier
Klaftern Holz für den Amanuensis, bat um Auskunft, über
die Art der „Edition des Buchs", gab Nachricht, in welcher
Weise er für einen rechten Fortgang des Werkes und seine
Stellvertretung in seiner Professorentätigkeit gesorgt habe
oder noch zu sorgen denke, und fügte zum Schlüsse einige
Fragen an (über die Instrumente Philipps von Butzbach und
die gesetzwidrige Arretierung eines Studenten durch ein
kaiserliches Kommando), die mit unserer Angelegenheit
nichts zu tun haben. Schuppius läßt in diesem Memorial
deutlich erkennen, daß er eine bestimmte Entscheidung
darüber wünscht, ob das Werk fortgeführt werden odeij
liegen bleiben solle.
Ausführlicher und darum wertvoller wie dies Memorial
ist der Bericht, elen Schuppius am 27. September an den
Vizekanzler abgehen ließ (lieilage VIII). In ihm kommen
alle Klagen und Bitten, die Schuppius im Memorial aus
spricht, wieder vor. Daneben aber enthält der Bericht einig"
Stücke, die über das Memorial hinausgehen. Schuppius
gibt, uns davon Kenntnis, daß auf seine Veranlassung ein
„ehrlicher .Mann-' bereit sei, ein Stipendium für das Studium
der Eloquenz zu stiften, das an zukünftige Theologen ver-
geben werden solle, und macht Vorschläge, wie man mil
Hülle des zu diesem Stipendium gewidmeten Grundkapitals
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 265
4.
ihn und vielleicht noch einen zweiten Professor in dieser Not-
zeit eine Zeitlang kontentieren könne, bis die Verhältnisse
wieder besser würden. Ferner gibt er am Schlüsse seines
Briefes an, wie er die Arbeit jeder Woche einzuteilen gedenke.
Er will drei Tage in jeder Woche unice der Theologie widmen
und den Rest der Woche ganz auf das Opus historicum
wenden. Endlich teilt er uns mit, in welcher Weise er
für die Vertretung seiner ordentlichen Professur gesorgt
habe. Er hat zwei alte Studiosen dafür gewonnen, daß sie mit
Hülfe der ihnen von Schupp übermittelten ,,arcana" seine
Collegia oratoria und historica übernehmen wollen. Er
nennt auch ihre Namen: es handelt sich um Daniel
Richter, einen Schlesier, und Heinrich Delius, einen
Westfalen. Ersterer ist derselbe Gelehrte, der sich später
als Lehrer an der fürstlichen Schule zu Gotha, und zwar
besonders durch eine von Schuppius entlehnte Lehrart einen
Namen machte. Schuppius gedenkt seiner in seiner Schrift
„Der teutsche Lehrmeister" (II, S. 71) mit folgenden beach-
tenswerten Worten : ,,Ich habe hiebevor, vermittels eines
sonderlichen methodi, als ich noch Professor Eloquentiae
war, meine Auditores zur Wolredenheit in der Lateinischen
Sprache angeführt, und ihnen gezeiget, wie sie copiam ver-
borum et rerum sich leichtlich sammlen, und eine Rede
mit zierlichen Worten, fast auff unzehliche Arten verändern
können. Ich weiß, daß alle die, so meiner information sich
hierinn bedienet, wohl dabey gefahren sind. Es ist, wie
ich berichtet werde, dieses compendium nunmehr in der
berühmten Fürstlichen Schul zu Gotha durch Herrn Daniel
Richtern, Fürstlichen Gothischen Rath und Amptsverwesern,
dem ich diese und noch andere Handgriffe gezeiget, einge-
führet worden."
Die beiden eben erwähnten Briefe Schupps bewirkten
es, daß die Vorverhandlungen, die wegen des Opus historicum
nötig geworden waren, rasch zum Abschluß kamen.
Am 29. September 1641 erging an die Universität eine
feindgräfliche Verfügung, in der in Anbetracht der Tatsache,
daß Schuppius „bey fleißiger und schleuniger Fortsetzung
äer ihm auferlegten sonderbahren Arbeit nicht wohl jeder-
zeit, und zu gewöhnlichen Stunden die ordentliche Lectiones
werde halten können", bestimm! war: „daß er Schuppius
zwar noch jeweils publicas lectiones halten und einen wie
den andern Wen dahin sehen solle, wie der sludirenden
Jugend in studio Eloquentiae et Historiariini und also soviel
seine Profession anlangt, durch sonst gute anderwertliche
Anstalten noch wohl vorgestanden werde, jedoch aber solle
206 Wilhelm Diehl.
er umb ietzangeregter Ursachen willen die Verwilligung und
Erlaubnus haben, daß er innerhalb zweyer Jahren nicht
eben die ordentliche lectiones praecise zu halten verbunden
sein solle".
Vier Wochen später lief in Marburg das Formular für
die Eidschwüre ein, auf die Schuppius und sein Amanuensis
angenommen werden sollten. Der Inhalt des Eidschwurs, für
den bei Schuppius „Handtastung an leiblich geschworenen
Ayds statt" eintreten sollte, ging dahin, „daß beide ver-
sprechen und zusagen mußten, daß sie alles dasjenige, was
durch Sr. F. Gn. hirzu verordnete Rhäte und Diener oder
sonst zu Behuf des bewusten Operis Historici von allerhand
Original ien und andern Schrifften, die in einem und andern
Gehaimbhaltung erforderten, ihnen zu "handen oder sonsten
in Erfahrung kommen würde, bey sich in geheim behalten
und davon keinem Menschen, wer der auch seye, Offen-
bahrung weder schrifftlich noch mündlich nicht thun, noch
durch andere in einige Weiß oder Wege thun oder propa-
liren wollen, so wahr ihnen Gott helffe durch seinen Solin
Jesum Christum".
An demselben 29. Oktober, an dem die beiden Eides-
formulare expediert wurden, ging an Schupp eine Verfügung
mit zwei Beilagen ab. In der Verfügung wurde Schupp ge-
stattet, sich einen Amanuensis zu halten, für den „ein ge-
wisses Salarium, nemlich jährlich 52 Reichsthaler und
4 Claffter Holtz" ausgeworfen wurde, und ihm Mitteilung
davon gemacht, daß „er von Haltung der Lectionum ordi-
nariarum innerhalb etlicher Zeit, wan er in solcher Arbeit
begriffen sein werde, befreyet sein solle, daß man sich aber
dessen in Gnaden zu ihm versehe, er werde gleichwohl der
studirenden Jugend darneben also wahrzunehmen wissen,
daß sonderlich die Exercitia oratoria nicht gar zurückblieben."
Gleichzeitig wurde ihm angefügt, daß — wie die beiden Bei-
lagen auswiesen — „ihm vom ersten anfang seiner Arbeit an
zu rechnen, jährlich zwölf Claffter Holtz und dan 2 Stück Wild
sambt einer Sawen in sein Wohnhauß und Küche geliefert
werden sollten; die Lieferung des Wildprets sollte durch <\:'n
Oberforst- und Landjägernleisler Caspar Moritz von Waich-
mar, die des Holtzes von dem Oberforstmeister von Marburg
Jos!. Burckhard Lau von Holzhausen erfolgen."
Mitte November wurde Schuppius und seinem Amanu-
ensis das juramentum taciturnitatis abgenommen. Gegen
Lude November wurden ihm drei Tomi Akten von Gießen aus
zugeschickt. Am 4. Dezember bedankte er sich in einem
unten abgedruckten Briefe (Beilage IX) für die Gnadener-
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. :i<>7
weise, die der" Landgraf ihm „zu dem vorhabenden großen
Werk" hatte zu teil werden lassen, worauf dieser wieder am
10. Dezember in einem herzlichen Schreiben Schuppius er-
mahnte, auch weiterhin seinen Fleiß dem Werk zu widmen.
Mit dem Schreiben des Landgrafen vom 10. Dezember
1641 brechen unsere Akten ab. Es ist dies auch begreiflich.
Schuppius hatte die Vorverhandlungen zu Ende geführt. Es
kam nun darauf an, den Auftrag in ruhiger Arbeit durchzu-
führen. Berichte an die Behörden waren nur nötig, wenn es
galt, neue Akten zu erhalten, die in dem Opus historicum ver-
arbeitet werden sollten. Wenn Schupps Berichte mit dem
Januar 1643 trotzdem wieder einsetzen, so kommt dies daher,
daß Verhältnisse ganz besonderer Art eingetreten waren, die
den Fortgang des Werkes wesentlich hemmten. Wir gehen
auf sie im nächsten Abschnitt ein.
II. Das erste Hemmnis bei der Ausarbeitung des Opus
historicum: Schupps Prorektorat im Jahr 1643.
Unter den Tatsachen, die der Ausarbeitung des Opus
historicum besonders hemmend im Wege standen, steht oben
an die Arbeit, die Schupp mit der Führung des Prorektorates
im Jahre 1643 hatte. Da über diesen Punkt noch recht große
Unklarheit herrscht, ist es unsere Aufgabe, hierauf etwas aus-
führlicher einzugehen. Wir sind dazu imstande, da von uns
die Akten über Schupps Prorektorat im Ministerium des
Innern in Darmstadt aufgefunden worden sind.
In seiner „Ersten und Eylfertigen Antwort au ff M. Bern-
hard Schmids Discurs de reputatione academica" schreibt
Schuppius (1, S. 776): „Ich bin 10 Jahr ein Professor auff
einer vornehmen Teutschen Universität gewesen, habe die
vornehmste officia academica als Rectorat und Decanal ver-
waltet, und der Bengel, der noch in die Schule gegangen, und
mit Ruthen gestrichen worden ist, als ich in einem vor-
nehmen Ehren-Stande gesessen habe, gehet mit mir um, als
ob ich mit ihm Brüderschaft gesoffen oder mit ihm die
Schweine gehütet hätte!" Auf Grund dieser Stelle behauptet
Vial (S. 12), daß Schuppius das höchste Ehrenamt der Uni-
versität, das Rektorat „wenigstens hau Mal bekleidet habe."
Es ist unsere Aufgabe, zu untersuchen, ob und wann dies der
Fall war.
Vor allem möchten wir hierbei feststellen, daß Schuppius
in seiner Professorenlau l'ha hu nur höchstens einmal Rektor
gewesen sein kann und zwar entweder im Jahre H'>.">(.> oder
im Jahre 1643. Die philosophische Fakultät siebte während
268 Wilhelm Diehl.
der ganzen Zeit der Professorentätigkeit von Schuppius, wie
das ganz in der Ordnung war, nur dreimal den Rektor, 1636,
1639 und 1643; von diesen drei Jahren muß aber 1636 für
Schuppius ausgeschaltet werden, da er erst vor kurzem Pro-
fessor geworden war, und das Herkommen die Wahl eines
,, neuen" Professors zum Rektor ausschloß. Ebenso ist sicher,
daß Schuppius entweder nur im Jahre 1639 oder nur im
Jahre 1643 das Rektorat verwaltet haben kann, da nach altem
Herkommen jedesmal, wenn das Rektorat wieder an dieselbe
Fakultät kam also in der Regel alle vier Jahre — ein
anderes Mitglied als vorher für diese Ehrenstelle gewählt
wurde; besonders in der philosophischen Fakultät, die viele
Mitglieder zählte, war es einfach unmöglich, daß jemand in
zehn Jahren zweimal Rektor werden konnte
Sehen wir uns die im Ministerium des Innern in Darm-
stadt aufbewahrten Akten über die Rektorwahlen an, so finden
wir, daß 1639 ein anderer Professor der Philosophie das Rek-
torat führte, und daß 1643 Schuppius an der Reihe war, Rek-
tor zu werden. Es ist auch sicher, daß die Kollegen 1643 ge-
willt waren, ihn zu wählen, und daß es unter den Studenten
viele gab, die ihm von Herzen diese Ehre gönnten, während
andere wiederum es bedauerten, daß Schuppius unter der Last
der Rektoratsgeschäfte ihnen nicht mehr das in wissenschaft-
licher Beziehung weiterhin sein könne, was er ihnen bisher
gewesen war. Alle diese Stimmungen kommen schön in
dem ersten Teil eines deutschen Gedichts zum Ausdruck, das
am 4. Januar 1643, zu einer Zeit, wo der neue Rektor noch
nicht gewählt war, der Student Christoph Hoffmann seinem
verehrten Lehrer in einem mit lateinischer Vorrede und
Schlußwort versehenen Schreiben zugehen ließ. Er läßt in.
ihm Aglaia, Thalia und Euphrosyne auftreten und zuerst ihre
Gedanken über die bevorstehende Rektorwahl vorbringen.
Aglaia gibt der Stimmung Ausdruck, daß von dem bisherigen
Rektor, dem Mediziner Horst das Szepter an Schuppius weiter-
gegeben werden müsse; Thalia und Euphrosyne finden dies
bedenklich: dem Mann der Wissenschaft ist Ruhe nötig,
darum soll man ihn mit der Last des Rektorates nicht be-
laden. Der erste Teil des Gedichtes, der diese Stimmungen
zeichnen will, laute! :
„Aglaia.
Höret waß neues, Ihr Schwesteren, höret!
Höret, und machet es männiglich kund!
Welcher unlängsten mit Feder und Mund
Musen und Gral im wieder verehret
Voriges Leben und ewige Zier,
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. ^<i(.l
Unser Herr Schuppraß, hat itzt erlanget.
Daß Er zu Marpurg, als Rektor, herpranget,
Daß Ihm Glück wünschet ein jeder alhier.
Thalia.
Ist oder wird es in Warheit geschehen,
Daß von Herr Horsten Ihm Scepter und Macht
Heute wird ordentlich werden gebracht,
Müssen wir traurig wie vormals, hersehen :
Phöhuß erhlasset mit großem Wehmuth;
Pallaß sich hermet; und alle Göttinnen
Müssen nur Klage-Gethöne beginnen,
Weil man an unserem Lieben so thut.
Euphrosyne.
Thut nicht so übel an unserem Lieben !
Warumb sol sein getrew-eyfriger Fleiß,
Welchem auch Leyden gab Beyfal und Preiß,
Sich wie auch andre nicht herlich außüben?
Glaubet mir sicher: Ich sage Euch zu:
Weißheit und Künste verdunkelt erliegen,
Unser Ruhm bleibet auch gäntzlich verschwiegen,
Wo man Herr Schuppen nicht gönnet die Ruh."
Euphrosyne behielt recht. Schuppius wurde das Rekto-
rat nicht übertragen. Es wurde in der Sitzung, von der
das Gedicht redet, beschlossen, was vorher schon einmal
in Aussicht genommen worden war, dem 13jährigen Erb-
prinzen, „Herr Landgraf Ludwigen, uf den Fall Ihr Fürst-
liche Gnaden anhero zukommen sich gnedig beliben ließe, die
sceptra Academica unterthenigst zu offeriren." Hiergegen
regte sich zwar eine starke Opposition. Der Präsident des Ge-
heimen Rates glaubte, „von der Annahme dieser Offerte" ent-
schieden abraten zu sollen, „in Ansehung (wie es in einem
Bericht vom 13. Januar 1643 heißt) der darzu erforderter
und bey diser Zeit schwer fallender Spesen, welche man
bey Anstellung eines ansehenlichen Convivii Ehrenhalber
wiird anwenden müssen, und dan auch, daß die jungen
Printzen ein Zeithero in ihren studiis und exercitiis nichl
wenig versäumbt und man wohl Hrsach hatt, mehr auf
fleißig Widereinbringung desselben zu gedenken, alß fernere
Interrumpirung vorgehen zu lassen, wozu noch weiter kombt,
daß ob man zwar in Ermanglung fürstl. Gutschnl'erde etwa
bawrenpferde nehmen könte, er doch ohngern darzu rahten
wolte, das in Ermangelung der Gutscher man die libe junge
Printzen durch Bawernknechte den beißen Weg über den
walt solte hinüber gen Marpurg führen lassen und könte
270 Wilhelm Diehl.
über diß alles die Electio ja wohl und gar leichtlich biß.
ins künfftig Jahr verschoben werden." Aber der Einwand
des Präsidenten half nichts. Der Vizekanzler und der Land-
graf waren dafür, daß des Landgrafen ältester Sohn, Land-
graf Ludwig (der spätere Ludwig VI.), die Rektorwürde an-
nahm. Am 28. Januar siedelte Landgraf Ludwig mit seinem
Hofmeister v. Oynhausen nach Marburg über und am 29.
trat er in feierlichem Akte das Rektorat an und „erwiese
nicht allein bey dero im auditorio publico gehalttenen Ser-
mon, besondern auch die ganze wehrende solennität über
solche hochfürstl. qualiteten, daß sowohl die gesampte Herrn
Professores alß studiosi sich warhafftig darüber verwundert,
. . . verschidene ehrliche Leuth vor Freuden drüber ge-
weinet, die Studiosi auch insgesampt sich verobligirt, bey
ihrem Magnificentissimo auf alle Begebenheiten Gut und
Blut aufzusetzen."
Auch im Jahr 1643 war Schuppius nicht Rektor. Trotz-
dem wäre es verfehlt, wenn man in der Nichtübertragimg"
des Rektorats auf Schuppius eine Zurücksetzung des Mannes
sehen wollte. Daß eine solche nicht beabsichtigt war, er-
sehen wir schon daraus, daß er durch Dekret vom 18. Januar
zum Prorektor ernannt und dadurch mit sämtlichen Rekto-
ratsgeschäften, die der Rektor Magnificentissimus nicht ver-
sehen konnte und sollte, beladen wurde. Wir können sogar
noch weiter gehen: die Übertragung des Rektorats auf
Landgraf Ludwig geschah hauptsächlich gerade auf
Schupps Veranlassung. Neben dem bisherigen Rektor,
Schupps Schwager Professor Johann Daniel Horst, kommt
in den Akten über diese Rektorwahl immer nur ein Mann
als das eigentlich treibende Element vor: Schuppius. Ganz
besonders deutlich trat dies zutage, als in der ersten Hälfte
des Januar es schien, als werde aus der Sache nichts werden.
Neben den Präsidenten, der entschieden gegen die Über-
nahme sich aussprach, traten damals nämlich natürliche
Gewalten! Es trat eine furchtbare Kälte ein, außerdem war
die Lahn derart angeschwollen, daß man z. B. in Gießen,
wo „der Schießplatz mannshoch überschwemmet" war, den
Fluß nicht passieren konnte. In dieser Zeit gab sich
Schuppius die größte Mühe, dem entgegenzuwirken, daß man
die Übernahme des Rektorats auf das nächste Jahr, wie der
Präsident wünschte, verschob oder auch, wie es der Wunsch
Anderer war, eine „Creirung in absentia" eintreten ließ.
Er lichtete mehrere Briefe an den Vizekanzler Fabricius,
von denen wir den letzten unten abdrucken (Beilage X), und
brachte es durch unablässiges Bitten und Fordern, auch eine
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 271
gewisse Schärfe dahin, daß aus dem Projekt schließlieh doch
etwas ward.
Aus dem allein auf uns gekommenen letzten Brief
Schupps an Fabricius ersehen wir übrigens auch, weshalb
sich Schupp so sehr dafür begeisterte, daß aus der Rek-
toratsübernahme durch den jungen Landgrafen etwas ward.
Schuppius, in dessen ganzer Auffassung des Studiums der
Eloquenz in .dem letzten Jahr ein gewaltiger Umschwung
eingetreten war, ein Umschwung nämlich zugunsten der
bisher auch von ihm mißachteten deutschen Sprache, sehnte
sich danach, einmal bei einer wichtigen Gelegenheit von
diesem Umschwung und den dadurch im einzelnen bedingten
Fortschritten Zeugnis abzulegen. Er hatte nicht nur sich
selbst zu „großen Taten" gerüstet, sondern er hatte seit
Wochen eine große Anzahl seiner Schüler dazu veranlaßt,
poetische und oratorische Arbeiten in deutscher Sprache
zu verfassen, die bei Gelegenheit der Rektoratsübernahme
dem Landgrafen dargeboten werden sollten. Er wollte sich
mit seinen jungen Leuten nicht umsonst bemüht haben;
er wollte auch nicht, daß ihm diese günstige Gelegenheit
zur Ostentatio ingenii entgehe.
Durch einen günstigen Umstand sind einige von diesen
dichterischen Erzeugnissen auf uns gekommen. Eines haben
wir oben zur Hälfte mitgeteilt. Sein zweiter Teil schildert
den Eindruck, den die Nachricht von der Bereitschaft des
Landgrafen zur Rektoratsübernahme gemacht hat, klagt
darüber, daß der Landgraf wegen der ,, zornigen Län" noch
in Gießen bleiben muß, und schließt mit einem Wunsch
für Schupps weitere wissenschaftliche Arbeit. Dieser zweite
Teil lautet:
Aglaia.
Bessere Zeitung, Ihr Schwesteren, kommet:
Durumb so lasset das Sorgen nur seyn.
Itzo schickt Darmstad den Printzen herein,
Welcher das Rectorat über sich nimmel.
Oeffnet dem Printzen von Hessen die Thor!
Danck-saget euerem Vater und Helden,
Daß Er Sein Marpurg noch lasset was gelten!
Schwebet in völliger Freuden und Flor!
Thalia.
Stillet das Sausen und Brausen, Ihr Winde!
Lasset das Bellen und Schellen anstehn!
Rase nicht, also, du zornige Län!
Fließe doch! Fließe doch wieder gelinde!
272 Wilhelm Diehl.
Solche vor niemals gesehene Fluth,
Solches unsägliche Demmen und Schwemmen,
Sehet! wil unser Verlangen auffhemmen;
Machet unß einen recht-traurigen Muth.
Euphrosyne.
Gießen mag dieses Haupt haben indessen,
Bis sich der Himmel auffs neue beschmückt
Erden und Felder und Wälder anblickt.
Brauche der Zeiten; und mache, das Hessen,
Wie du, Geliebter, vor diesem gethan,
Möge dein Ehren-Lob weiter außbreiten!
Schreibe! Dein Nähme zu itzigen Zeiten
Klimmet schon biß an der Sternen Altan.
Drei weitere Dichtungen, eine „Entschuldigung der auf-
geschwellten Lahn", einen Dialog, betitelt „Marpurger
Schäffer Wüntsche" und einen Hymnus auf Ludwig VI.,
bringen wir in Beilage X (b — d).
Sehen wir aus den soeben dargebotenen Nachrichten,
daß schon die Vorbereitungen auf das Rektorat Ludwigs VI.
gerade Schuppius viel Mühe machten und sich als Hemmnis
seiner ruhigen Arbeit an dem Opus historicum erwiesen, so
war dies noch mehr der Fall, als ihm am 18. Januar unter
dem Titel des Prorektorats die ganze Fülle der Rektorats-
geschäfte aufgeladen wurde. Seine Arbeit mußte darunter
notwendig leiden. Es trat ein Stillstand in der Ausarbeitung
des Opus historicum ein, der bis Ende 1643 anhielt.
III. Weitere Hemmnisse bei Ausarbeitung des Opus historicum
und das Ende der historischen Arbeiten Schupps.
Die Verwaltung des Prorektorates im Jahr 1643 warf
Schupp in seiner Arbeit am Opus historicum zurück. Immer-
hin hätte er in dem kommenden Jahr manches Versäumte
nachholen können, wenn sich nicht noch ein anderes viel
gefährlicheres Hemmnis eingestellt hätte: Schupps ver-
zweifelte finanzielle Lage. Es ist aus anderen Darstellungen
bekannt und auch leicht begreiflich, daß der im Jahr 1643
begonnene sogenannte ,, Hessenkrieg" ganz besonders die
Universität Marburg, und zwar vor allem in finanzieller Be-
ziehung, schädigen mußte. Einer, der dabei am schwersten
betroffen wurde, war Schuppius. Schon 1641 hatte er über
mangelhafte Lieferung seiner Besoldung zu klagen. Er be-
mühte sich vergeblich, Geldquellen ausfindig zu machen,
aus denen der Landgraf ihm das liefern könne, was ihm
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 273
von Rechts wegen gebühre. Als dies nichts half, suchte er
im Jahr 1642 Geld zu leihen. Dies gelang ihm auch, alter
doch nicht in dem Maße, daß er der Geldsorgen auf die
Dauer ledig geworden wäre. Bereits im November 1643 be-
fand er sich, wie Beilage No. XI beweist, in solcher Lage,
daß er zu ganz absonderlichen Maßnahmen greifen mußte.
Im Jahr 1644 erreichte das Elend des Mannes, der alles
andere, nur nicht ängstlich rechnen konnte, den Gipfelpunkt.
Zum Beweis sei auf den Brief hingewiesen, den wir unter
No. XII mitteilen. Er redet eine deutliche Sprache ! Schupp
hatte bereits in der ersten Hälfte des Jahres 1644 die Über-
zeugung, daß er in seiner Marburger Professur nicht bleiben
könne, wollte er nicht verhungern. Er erneuerte darum seine
bereits vorher begegnenden2 Versuche, in einen Dienst zu
kommen, der ihn besser ernährte. Es boten sich ihm auch
verschiedene Gelegenheiten. Am 29. Juli 1644 schrieb der
bisherige Superintendent von Schmalkalden, Hieronymus
Prätori us, der einen Ruf nach Frankfurt an des verstorbenen
D. Tettelbachs Stelle erhalten hatte, daß er sich in seiner
Schmalkaldener Stelle, um die sich eifrig sein Kollega
M. Johannes Stephani bewerbe, keinen anderen Nachfolger
als Schuppius wünsche. Er pries ihm die Stelle als ,, conditio
quieta, lauta et honorinca" an. Schupp hatte auch Aussicht,
die Stelle zu erhalten. Statthalter Pleß, dem er sich wegen
dieser Angelegenheit offenbarte, trat in einem noch erhal-
tenen Bericht vom 28. Oktober 1644 warm für Schupp
ein.0 Aber Schupp zog nicht recht. Er hatte schwere Be-
denken, an einen Ort zu gehen, von dem er vielleicht in
einem halben Jahr wieder vertrieben werden konnte. In
dieser Lage schrieb er an Maximilian zum Jungen den in-
teressanten Brief, den wir unter No. XII abdrucken. Er
teilt dem vertrauten Patron darin mit, wohin eigentlich seine
Wünsche zielen. Er möchte nach Frankfurt in den Pfarr-
dienst kommen, wohin er schon 1639 getrachtet hatte, und
dabei im Nebenamt Rektor des Gymnasiums werden. Wenn
er nur irgend Aussicht hat, will er sofort, seine Professur
quittieren, sich ganz dem Predigtdienst in Marburg widmen
und „sich sonsten in der Theologia üben".
Es ist ganz klar, daß die schweren Existenzkämpfe,
die Schuppius in dieser Zeit durchmachen mußte, ihn zu
freudiger Arbeit nicht kommen lassen konnten. In dem so-
- Vgl. linker, a. a. 0. Außerdem hatte er sich L642 Mühe gegeben,
Superintendent in Gießen zu worden.
3 Vgl. .loh. Just Winckelmanns „Einfältiges lledenkou", lieraus<i.
von Diehl, S. 189 f.
Beiträge z. Gesch. d. Universitäten Mainz u, Gießen. 18
274 Wilhelm Diehl.
eben erwähnten Brief vom 4. Dezember 1G44 sagt er ja
ganz offen, daß er bereit sei, alle seine bisherigen Berufs-
geschäfte, also auch den Auftrag betreffend Ausarbeitung des
Opus historicum fallen zu lassen und sich lediglich den
Übungen zu widmen, die ihm den Weg in die Frankfurter
Pfarrei besser ebnen könnten. Tatsache ist ferner, daß
Schuppius weder 1644 noch 1645 eine Arbeit im Druck er-
scheinen ließ, ganz im Unterschied von seinen Gepflogen-
heiten in den vorausgehenden und in späteren Jahren.
Schon aus den im Herbst 1644 geschriebenen Briefen
Schupps geht deutlich hervor, daß ihr Autor verbittert war.
War es in der hessen-darmstädtischen Kirche bisher auch
schon mehr als einmal vorgekommen, daß leistungsfähige
Theologen den Weg nicht machten, den sie hätten machen
müssen, so war doch unter diesen Leidenskollegen Schupps
keiner, der soviel gearbeitet und in einer Zeit, die so manchen
„promovierten Schwachkopf" aufwies, so wenig erreicht
hatte, wie er.
Die Folgezeit lieferte ihm neue Anstöße zu weiterer Ver-
bitteruns;. Er kam nicht nach Frankfurt und auch in Hessen
bot sich die Gelegenheit zur Promotion, die er suchte,
nirgends. Dafür brachten ihm die' nächsten Monate eine
Disziplinaruntersuchung, die geeignet war, das gute
Urteil, das Landgraf Georg von Schupp hatte, wesentlich zu
modifizieren und dadurch seine Aussicht auf die verdiente
Beförderung noch weiter hinauszurücken. Aus dem Be-
streben heraus, die Marburger Bevölkerung religiös zu
fördern, hatte Schupp, der seit Professor Steubers 1643 er-
folgtem Tod Prediger im Deutschen Haus in Marburg war,
eine Betstunde eingerichtet, die allsonntäglich um 1 Uhr in
der Elisabethenkirche abgehalten werden und in „einer Unter
richtung des Catechismi" gipfeln sollte. Dadurch hatte sich
aber eine „unerhörte Neuerung" eingestellt. Die Betstunde
wurde nicht hur von „dem Teutschhäusigen Gesinde und den
Armen im Hospital", deren Parochus Ordinarius Schupp war,
sondern auch von vielen Marburger „Bürgern und Bürger-
innen zusambt ihren Kindern, Knechten und Gesind" be-
sucht, außerdem hatte Schupp für das Gebet eine Form ge-
wählt, die über alles Herkommen hinausging: es wurde in
ihm nicht nur für den Kaiser und die hessischen Fürsten,
sondern auch für den Teutschmeister und die Ordens-
personen gebetet! Vicestatthalter, Vicekanzler und Räte in
Marburg hielten Schupps Vorgehen für im höchsten Maß be-
denklich. Sie luden ihn deshalb auf den 4. Januar 1645 zu
einer Vernehmung vor die Kanzlei und berichteten darauf
Neue Beitrüge zur Geschichte Schupps. 275
an den Landgrafen. Das Protokoll von Schlipps Vernehmung
ist um der Antworten Schupps willen höchst beachtenswert.
Wir bringen es in Beilage XIII zum Abdruck. Ehe die
Marburger Regierung mit der Abfassung ihrer Anklage-
schrift gegen Schupp fertig war, in der auf Erteilung eines
„scharpfen und ernstlichen Verweises" Antrag gestellt wurde,
weil Schupp „in seinem aigensinnigen Kopf allerhand an-
zügliche und verächtliche Wort in seiner Vernehmung ge-
brauchet", trat ein neuer Fall ein, der Material für ein Vor-
gehen gegen Schupp lieferte. Als Schupp es nicht erreichen
konnte, daß die Leichenpredigt für das in diesen Tagen ge-
storbene Kind seines Schwagers Horst, das in der Elisa-
bethenkirche beigesetzt wurde, von dem deutschherrischen
Pfarrer Happel in Seelheim gehalten werden durfte, ließ er
nicht den Marburger Archidiakonus Henckel die Beerdigung
versehen, sondern hielt sie selbst und erwähnte ,,pro ex-
ordio, wie es an dem were, daß er jetzunder billich bey den
Freunden und in der Trauerreihe stehen solte, hette aber
diese Predigt übernehmen müssen, dan was er thäte (da
es gleich zu der Ehr Gottes angesehen), were unrecht, und
wolle ihm alles sinistre interpretirt und nicht gut geheißen
werden und möchte auch wohl darumb der unglückseligste
Mensch sein;" außerdem schloß er „bey gethanem Gebett
die Teutsche Herrn wider Verbott und Herkommen expresse
mit ein". Auch über diesen Vorfall wurde von der Re-
gierung in Marburg eingehend an den Hof berichtet.
Das Ergebnis der Disziplinaruntersuchung brachte für
Schupp eine schwere Ahndung seiner Übertretungen. Am
21. Januar 1645 wurde eine aus Gliedern der Regierung
und der Universität bestehende Kommission ernannt, „die
sich invorders mit allem nötigen Underricht vorher auß den
actis und sonst gefast machen, furters ihn Schuppium vor
sieb erfordern, demselben seinen Unfug und ungeziemende
Gebahrung vorhalten, des Landgrafen darob geschöpfte
Displicentz neben einem starken Verweiß zu erkennen
geben und die befehlende Mainung dahin anzeigen solle,
daß er sich der angemaslen Neuerung und seiner unge-
ziemenden Gebahrung künftig bey Vermeidung schwerer
Andung gäntzlich und allerdings enthalten solle." Am 21.
März 1645 fand die Untersuchungssache gegen Schupp ein
Ende. Er mußte in allen Stücken nachgeben. Seine Bet-
stunde und sein Gehet fielen; es wurde sogar ein Patent an-
geschlagen, daß alle Bürger und selbst die Studenten von
nun an nur in der Stadtkirche kommunizieren dürften. Nur
soviel erreichte Schupp, daß es ihm gestattet wurde, „in
18*
276 Wilhelm Diehl.
das Hospital zu gehen und die armen, wan selbige gessen
haben, aus dem Catechismo zu examiniren."
Durch die Disziplinaruntersuchung, deren Gang und
Ergebnis wir eben geschildert haben, wuchs Schupps Ver-
bitterung. Wir sehen das aus den Briefen dieser Zeit. Noch
ehe das Urteil gefällt war, wandte er sich mit einem
Memorial (Beilage XIV) an den Landgrafen, in dem er „aus
hochdringender Noth und höchstbewegenden Uhrsachen"
dem Landesfürsten vorträgt, was sein Herz bewegt. Er
gibt darin eine Geschichte seines Marburger Martyriums,
legt dar, was er gearbeitet hat, und wie ihm die Arbeit ge-
lohnt worden ist, und bittet, ihm Gelegenheit zu geben, daß
er sich in der Untersuchungssache rechtfertigen und aus
seiner Not erlöst werden könne. Ähnliche Gedanken und
Stimmungen begegnen uns in einer Reihe weiterer Briefe,
die wir unter No. XV ff. zum Abdruck bringen.
Schupps Memorial konnte den Ausgang der Unter-
suchung wegen der Betstunde nicht modifizieren. Dafür
bot es aber die Veranlassung dazu, daß man am Hofe sich
wieder einmal an das Projekt der Ausarbeitung des
Opus historicum erinnerte und Maßnahmen ergriff, um
es aufs ner.e zu fördern, und daß Schupp gezwungen
wurde, diesem Werk noch einmal vorübergehend seinen
ganzen Fleiß zu widmen. Am 9. Januar 1645 ließ der Land-
graf den Statthalter von Pleß auffordern, sich doch einmal
genauer über den Stand der Schuppischen Arbeit, von
der man in Darmstadt so lang nichts gehört habe, zu
orientieren, „die Arbeit selbst sobald sich zeigen zu lassen"
und über das, „was dißfals verfertiget were, nachrichtlich
zu berichten." Selbstverständlich stellte sich dabei heraus,
daß Schupps Arbeit noch lange nicht vollendet war. Schupp
erklärte dem mit den Erhebungen von Seiten dos Statl-
halters betrauten Johannes Mylius : „Er hoffe, der Herr
\ m cslatihaltcr werde sich g. erinnern, in was Troubles Er
eine geraume Zeit gelebt, welche Ihn oftmal so verwirret
in seinen Gedanken gemacht, dz er gar nicht eine solche
Arbeit zu verfertigen vermocht, massen er anitzo eben-
mäßig in solchen angustiis begrieffen, daß er seiner nicht
mächtig sey. Er trage deßwogen Bedencken eine halbaus-
gefertigte Arbeit censuriren zu lassen, thue aber unsern
gnedigen Fürsten und Herrn underthenig versichern, so
wahr er ein ehrlicher Mann sey, wolle er das Ihm aufge-
gebene Werck zu hoch besagter Ihre F. Gn. Contento auß-
l'erti^cn. Fr wolle gleichwohl auch dem Herrn Vicestatl
haltcr morgen Selbsten zusprechen und Ihm sein Anliegen
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 277
entdecken." Was Schuppius dem Statthalter „ entdeckt" hat,
wissen wir nicht. Wir können es aber erraten. Er hat ihm
wohl ein doppeltes entdeckt : erstens den Stand seines
Werkes und zweitens den Stand seiner Finanzen. Wir
folgern dies daraus, daß aus dieser Zeit drei nicht genauer
datierte Briefe Schupps vorliegen, einer an den Statthalter
von Pleß (Beilage XVI), einer an den Kanzler Fabricius
(Beilage XVII),. und endlich ein Memorial (Beilage XV), in
denen diese beiden Themata im Mittelpunkt stehen. In
dem Brief an Pleß insbesondere übersendet Schuppius den
ersten Bogen seines Werkes und nimmt dessen unvollendete
stilistische Form gegen etwaige Einwendungen in Schutz.
Zugleich bittet er dringend um völlige Befreiung von seiner
Professur und um Zahlung seiner Besoldung, da er sonst
genötigt sei, den Dienst zu quittieren. In dem Schreiben
an Fabricius, das von einem neuen gleichzeitig in Pflicht
zu nehmenden Schreiber des Schuppius überbracht wurde,
handelt Schuppius von denselben Dingen. Fabricius hat
bereits den ersten Bogen in Händen gehabt und an ihm
Kritik geübt, die sich besonders auf die von Schupp ge-
wählte Form des Dialogs mit Lucidor bezog. Schupp suchte
die Einwände des Kanzlers zu entkräften und ließ gleich-
zeitig durchblicken, daß es viel besser wäre, daß man ihm
zu seinem Geld helfe, als daß man an einem im ersten
Entwurf befindlichen Werk herummäkele. Die Klagen wegen
mangelnder Besoldung muß Schupp in der Folgezeit noch
mehrfach geäußert haben. Sie führten schließlich dazu, daß
de» Landgraf ihm im Mai 1645 ein Präsent überreichen
liel.l, für das Schupp in dem unter No. XVIII abgedruckter]
Briete sich bedankte. Dieser Brief beweist übrigens noch
mehr als die beiden vorausgegangenen, daß Schuppius wieder
mitten in der Arbeit war. Hatte er in dem vorhergehenden
Brief an Fabricius in Aussicht gestellt, daß er demnächst
das fürstliche Archiv in Gießen einmal zu seinen Zwecken
durchmustern werde, so bittet er hier um ganz bestimmte
Akten, die er zu seiner Arbeit braucht, die Genealogien,
die Bachmann eins! dein Landgrafen verehrt balle, eine
Arbeit des Hofrats Johannes Alylius und „so etwa sonsten
etwas von Hessischen Antiquitäten vorhanden". Gleich-
zeitig bedankl er sich für die Übersendung einer „Catzen-
elnbogischen Chronick". In einem vom L3. Mai datierten
Schreiben bitte! er tun Auskunft wegen einer Lindener
Sage und um nochmalige Übersendung alles dessen, „was
nur von alten schrifftlichen Documentis vorhanden sei".
Bei dieser Gelegenheit erfahren wir, daß Schuppius immer
278 Wilhelm Diehl.
noch in den Anfängen seiner Arbeit steckt; er hofft aber,
zur „Beschreibung der fürstl. Darmstadischen Liniae" über-
gehen zu können.
Schupps Wunsch nach genealogischen Akten und Ma-
terialien wurde erfüllt. Am 17. Mai wurde der Statthalter
von Pleß aufgefordert, für Schupp alle einschlägigen Ma-
terialien, die Bachmann oder Mylius unter Händen hätten,
zu entlehnen. Gleichzeitig wurde zur Überlieferung an
Schupp „eine hessische alte Chronic in 4to, eine in folio
und eine Beschreibung der an Hessen angränzenden Lande"
abgeschickt und Schupp eröffnet, daß „sich in Gießen von
Genealogicis nichts sonst und fast nur fragmenta befunden
hätten, außer einer großen Tabula Genealogica, deren In-
scription (vera Genealogia etc.) auf einligendem Zettul zu
sehen". In einem Postskriptum wurde Pleß noch aufge-
geben, Schupp ,,ein weiteres zugleich mittkommendes Con-
volutlein von hiebevor in Vorschlag gekommener Zusammen-
truckung etlicher Hessischen Raritäten" vorzulegen, „davon
Professor Bachmannus gute Nachricht haben werde". Es
ist dies das in unseren obigen Ausführungen benutzte, zur-
zeit im Haus- und Staatsarchiv aufbewahrte, von Bachmann
handelnde kleine Faszikel.
Die Begeisterung, mit der Schupp trotz der Geldnot
und des üblen Ausgangs der Disziplinaruntersuchung die
Bearbeitung des Opus historicum wieder in Angriff gd
nommen hatte, hielt nur etwa ein halbes Jahr an. Es ist
auch durchaus begreiflich. Seine finanzielle Not ward von
Monat zu Monat immer größer statt geringer. Im August
1645 belief sich sein Ausstand an rückständiger Besoldung
auf über 1000 Kammergulden. Dazu kommt, daß ihn das
Unglück geradezu verfolgte. Seine Frau wurde von einem
schweren Leiden befallen, das ihre Verbringung in ein Bad
nötig machte. Sein Vater, von dem Schupp seit Jahren
die Auslieferung eines stattlichen Patrimonii erhoffte, hei-
ratete im Jahr 1645 noch einmal und machte dadurch
Schupps Finanzpläne ein für allemal zuschanden. Die Gläu-
biger drängten ihn; er mußte, um die schlimmsten unter
ihnen zu befriedigen, wertvolle Geschenke und sein Silberge-
räte verpfänden (vergl. hierzu die Briefe aus dieser Zeih.
Außerdem war keine Aussicht, daß es bald besser würde.
Die l'nmegeml von Marburg füllte sich mit Kriegsgetümmel,
das nach keinem guten Ende aussah, und in Hessen regte
sich niemand, um Schupp auch nur eine Vertröstung auf
eine bessere Zukunft zu geben.
Schupps Interesse am Opus historicum ließ unter solchen
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 279
Verhältnissen naturgemäß nach und die Folge hiervon war,
daß ihn nun auch dieser Auftrag nicht mehr an Marburg
und seinen bisherigen Beruf kettete. Als sich im August
1645 neben der noch immer offenen Schmalkaldener Super-
intendentur eine weitere, bessere Pfarrstelle, die Stelle eines
Hofpredigers bei Landgraf Johann in Braubach, auf tat, für
die Schupp einen Ruf erhielt, forderte er, kurz entschlossen,
von der Universität seine Entlassung. Er erhielt sie. Die
Folge dieser Aufkündigung war der Verzicht auf Weiter-
arbeit an dem begonnenen historischen Werk. Es war daher
kein Zeichen der Ungnade, sondern ein ganz folgerichtiger
Akt, daß Landgraf Georg II. am 16. Oktober 1645 an Schup-
pius den Befehl gelangen ließ, alle ihm überlassenen Akten
dem Sekretarius Malcomesius abzuliefern, „damit sie noch
vor dem bevorstehenden abzugk naher Darmstatt mit
sicherer Gelegenheit zum fürstl. Archiv in Gießen gebracht
würden". Außerdem ist zu beachten, daß Marburg immer
mehr in Bedrängnis kam, wovon der Bericht No. XXIII und
XXIV Zeugnis ablegt, mithin für den Verlust der wertvollen
Stücke zu fürchten war.
Schupp blieb in Marburg bis Anfang Dezember. Am
2. Dezember nahm er honores Doctorales in Theologia4 an.
Dann traf er wegen seiner zukünftigen Stellung die Wahl.
Da Schmalkalden nun nicht mehr in Betracht kam, weil
Praetorius daselbst verblieb, entschied er sich für Brau-
bach, für welche Stelle er anfänglich nicht recht begeistert
gewesen war. Dann verließ er Marburg.
Mit Schupps Abreise von Marburg hören alle seine Be-
ziehungen zu dem Opus historicum hassiacum auf. Man
übertrug dessen Ausarbeitung im Jahr 1647 Schupps Schüler
Johann Justus Winckelmann, änderte dabei aber den
Plan des Werkes wieder im Sinne des ursprünglichen Toten-
wartischen Projektes: Winckelmann bekam den Auftrag, eine
„hessische Chronica" zu schreiben, die die gesamte hessische
Vergangenheit behandelte. Ob Schuppius bei der Auswahl
dieses jungen Mannes irgendwie mitgewirkt hat, wissen wir
nicht. Wahrscheinlich ist es allerdings nicht. Ebensowenig
wissen wir, wohin nun das, was von Schuppius wirklich
ausgearbeitel war, sowie seine Materialsammlung gekommen
ist. Schuppius hat nach seinem Weggang von Marburg
keinerlei historische Arbeiten mehr im Druck herausgegeben.
Fast alle seine Schrillen, die er in der Zeit zwischen 1646
i Hierzu sollten ihm nach des Landgrafen Wunsch 40—50 II. Zu-
schuß gegehe» werden. Da kein Gold vorhanden war. sprach die Uni-
versität für die gleiche Summe „Wahren heym Krämer" gut.
280 Wilhehn Diehl.
und 1661, seinem Todesjahr, erscheinen ließ, bezogen sich
auf die Gegenwart und erörterten praktische Fragen der
Religion, Sittlichkeit und Bildung. Er scheint sogar eine
gewisse Abneigung gegen die Herausgabe weiterer histo-
rischer Schriften gehabt zu haben. Sonst hätte er doch
wohl die Herausgabe einer der vielen, zum Teil umfang-
reichen Schriften, die er in den Jahren 1657—1661 er-
scheinen ließ, unterlassen und dafür eine vermehrte und
verbesserte Neuauflage von Christoph Helwigs Theatrum
chronologicum besorgt, die Schupp so nötig schien und
so sehr am Herzen lag, daß er in seiner Schrift „Freunde
in der Noth" im Jahr 1657 an seinen Sohn Anton Meno
schrieb: „Allein diss einige must du mir zu Gefallen und
auff meinen Befehl thun: Du must deines Großvaters Thea-
trum chronologicum augiren, und wieder aufliegen lassen.
Und du solt es hinführo augiren und defendiren, so lang du
lebst. Res haec non patitur moram. Dann von unterschie-
denen Orten gedrohet wird, wann ich es nicht also bald
wolle aufliegen lassen, so wollen sie es aufliegen. Und
ist allbereit zu Londen in Engelland nachgedruckt worden."
Vielleicht, daß ein späterer Fund uns einen Teil des
Schuppischen Manuskripts wiederbringt! Bis dahin müssen
wir uns mit den Notizen, die wir oben gegeben haben, zu-
frieden geben. Eines freilich muß hier zum Schluß noch
einmal besonders betont werden. Die Annahme Bischoffs
(S. 16), Schuppius habe „wohl zur Beruhigimg des Land-
grafen und als Vorgeschmack des zu erwartenden seinen
Hercules togatus sive de illustrissimo celsissimoque heroe
Georgio II. oratio 1640 in Druck gegeben", mithin: man
müsse diese Schrift in Zusammenhang mit dem Opus histo-
ricum bringen, ist unbedingt abzuweisen. Schuppius hat
diese Rede, die recht wenig historischen Stoff enthält, im
Anfang des Jahres 1638 in Marburg gehalten und sie erst-
malig mit einer Vorrede, die vom Mai 1638 datiert ist,
herausgegeben. Der Inhalt der Rede und der Plan, sie
drucken zu lassen, stammt also aus einer Zeit, wo noch
niemand an das von Schupp auszuarbeitende Opus hislori-
cum dachte, wo noch nichl einmal Wolff von Tofonwarl «lern
Landgrafen sein Projekt zu einer Sammlung denkwürdiger
Stücke ans Hessens Vergangenheit unterbreitel halte. Auch
die Ansicht, daß Schupp um dieser Rede willen zur Heraus-
gabe des Opus historicum bestimmt worden sei, scheint
mir hinfällig. Beide Ansichten tun dieser Gelegenheitsrede
eine Ehre an, die sie wirklich nicht verdient.
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 281
«.
Beilagen.
I.
Drei Berichte des Kanzlers Anton Wolff von Todenwarth
an Landgraf Georg II. über die Abfassung einer hessischen
Chronica.
(Darmstadt, Staatsarchiv, IV, 1, 8.)
a. Das erste Schreiben vom 19. März 1639.
E. F. Gn. -mag ich, nechst unclertheniger und gehorsamer
erbihtung meiner pflichtschuldigen getrewen Dinste, nicht bergen,
welcher gestalt ich, bey newlichster perlustrir- und Durchblätte-
rung meiner wenigen privatbibliothec under anderm sonderlich
observirt, daß albereit von etlichen hundert iharen hero die
höchste Kayser : und Königliche, auch Chur : und fürstliche
Häusser, im heyligen Römischen Reich, Ihre große embsigkeit und
intention dahin gerichtet, damit von Ihren und der Ihrigen großen
und löblichen thaten, auch tugendhaften expeditionen, und rühm-
lichen rahtschlägen und Verrichtungen fort und fort, in der
weiten Welt viel möge gesagt, gerühmet, aufgezeichnet, zu ewigem
preiß in truck gebracht, von vornehmen Scribenten und Ver-
wahrern, gleichsam aus einer Hand des Ruhms und encomii in
die andere gelifert, und also allgemächlich eine familia nach
der andern celebrior, augustior et honoratior gemacht werden,
dessen dan viel, fast unzehlbare treffliche Zeugnussen vorhanden,
und insonderheit im hochlöblichen fürstlichen Hauß Hessen (wan
auch schon weiterer Bericht ermangeln solte) die treffliche historia
et series multorum praeclarissime actorum et rerum gestarum
ex scriptis Sleidani, Thuani et aliorum vorhanden seind, und
sonderlich ist Sleidanus gleichsam darzu erbohren, und vom
lieben Gott, aus Niderland in Oberteutschland gesandt worden,
daß er die, von Ewerer Fen. Gn. hochgeehrtem Herrn proavo
weyland Herrn Landgraf Philippsen dem Eltern, laudatissimae
recordationis zu Krigs : und Fridens Zeiten geführte wichtige ex-
peditiones, auch jeweils dabey mit uiid<M'gel()ffene denckwürdige
reden, und anders mehr beschriben liatl, und in gefolgten Jahren,
hatt mein in der Jugend gewesener trewer praocepfor, under-
weiser und Informator Herr Friderich Hortleder, nunmehr
fürstlicher Sachsen-Weymarischer vornehmer Rhat, vollends gar,
alle Caroli Quinti [mperatoris, adeoque etiam Philippi Magnanimi
heroica et laudabilia facta et acta (so weil sich von Sleidano
darauf bezogen, und die gantze historia Sleidani daraus com-
pilirt worden) zusammen trucken lassen, und wan derselbe Slei
danus (welcher sich aber dardurch dergestall abgemattet, daß
er endlich allerdings bis puer worden, und seiner [eiblichen
Tochter Taufnahmen, ans großer Schwachheil des Gemühts, nicht
weiter nennen können) nicht auf die Bahn kommen were, und
das seinige, in so mühsamer fleißiger Conscribirung suae historiae
Carolinae, nicht so tugendlich gelaistet, und dem Stättrhal zu
Straßburg, nicht alles von Wort zu Wollen vorgelesen, und <\cv
Rhat daselbsi sich aus guhtwilliger anhöninij, desselben ah: und
vorlesens, der Geschichte und wahrhaften Relation selbst nicht
282 Wilhelm Diehl.
so trewlich erinnert hette, So würde Thuanus zu einem so ge-
waltigen Anführer und Wegweiser wohl nimmer kommen sein,
und würde sich Ewerer Fen. Gn. hochlöblicher Herrn Vorfahren,
und Ihres Uhralten fürstlichen Hauses, billiche gloria, nicht
ohn die größeste Injuri, sonsten sehr geschwächt, und gleich-
sam (salvo debito honore suo) zu Bodem gelegt und geschwächt
hefunden haben, welchen Verlust keiner gesunden Verstands und
ehrlichen Hertzens, vor einen geringen Schaden, und vor ein
unschätzbares halten und dises hohen uhralten, alle Zeit mit
Römischen Kaysern, auch andern christlichen Königen starck
befreundeten fürstlichen Hauses Dignitaet und Reputation ein
anders gönnen würde.
Und mag E. F. Gn. ich mit beständiger redlicher Wahrheit
versichern, auch wohl mit ehrlichen trewen, ietzo noch lebenden
Leuhten beweisen können, daß E. F. Gn. hochseeliger liebster
Herr Vatter mein weyland gewesener genediger milder Fürst und
Herr, nicht nur von Erhalt: sondern auch nur von Ergrößerung
Seiner Fen. Gn. hohen Hauses, und eben auch von fleißiger
Aufzaichnung und künftiger Edirung eines und des andern löb-
lichen und rühmlichen Wercks, oftmahls im spatzirenfahren und
dan im fast täglichen auf: und abgehen, auf meinem Wahl-
garten zu Darmstatt, viel geredet und sonderlich anno 1626 zu
Rüsselsheim, under damahls von Hauß aus gebrauchter Sawer-
bronnencur, manchmahl gantze stunden oder halbe Tage, zu
mir, in mein inngehabtes Zimmer, mit großer fürstlicher Leuht-
seeligkeit kommen, und von so bewandten Sachen, sehr eyferig
und dergestalt geredet, alß ob Seine Fe. Gn. auch nicht gern
Verzugk eines einigen Tags darin gestattet oder gesehen heften,
und wan es under so gestaltem, respective genedigem und unter-
1 henigem Gespräch ohngefehr geschehen, daß etwa frembde Brief
oder Posten angelangt, oder sonst dergleichen andere avocamenta
sich zugetragen, haben Seine Gottseelige Fe. Gn. sich sehr oft
darüber bewegt, und allezeit die Impedition berewet, wie sonder-
lich der von Hertingshausen, Erbküchenmeister und alter Jäger-
meister (welcher deßmahls Ihrer Gottseeligen Fen. Gn. sonders
gehaimer und vertrawter Minister war und Seiner Fn. Gn. etwa
seihst von denen Sachen reden gehört) bezeugen kann.
Nun habe Gnediger Fürst und Herr, ich eine Zeithero under-
thenig wahrgenommen, daß sehr viel, zu Ihrer und Ihres hohen
Hauses fürstlicher Reputation auch billichmäßiger Extollir: und
Laudirung, gehörige Sachen, wo nicht gar nicht zu huck ge-
setzt, jedoch nicht mit solcher großen embsigkeil und Aul
merekung, wie es sonst wohl billich sein solle, für all zu großer
und häuffiger menige der täglichen nicht wohl umbgänglichen
Expediendörum in achtgenommen und considerirt worden; dan
obwohl in Seiner Gottseeligen Fen. Gn. annoch vorhandenem
Buch, dal.» Ehrengedächtnus genannt, viel feine und aninuthige
Sachen befindlich sein mögen, so weys ich doch aus damahliger
Zeit noch selbst wie eylfertig alles bey Bestellung der fürstlichen
Leich und Aufsetz : oder Vergreiffung des fürstlichen Lebenver-
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 288
lauffs habe müssen dahergehen, und daß (wie gemeiniglich zu
geschehen pflegt) der Geschäfte hernach, da mann einmahl zu
warten, aufzuschieben und die darzu nohtwendige geringe Surap-
tus zu ersparen angefangen, so gar viel zusammen kommen,
daß man hernach alß schon alles considerirt und vorüber ge-
wesen, nicht wohl zu einem jeglichen Werck genügsame Zeit
und Arbeit anwenden können, und zweifelt mir nicht, wan in
den Tagen Seiner Fen. Gn. chrislseeligen Lebens, fein alles were
zusammen gelegt, und dardurch dasjenige, was man hiernechst
einmahl, serae posteritati gleichsam zu Händen lifern, und alß-
dan Ihro daran einen verborgenen Schatz vertrawen wolle, in
tempore starck beobachtet, und dem hohen fürstlichen Hauß,
und vilen aus demselben Hause, löblichst rührenden und her-
stammenden fürstlichen Häubtern, zu Dinst und Nutz, in Zeiten
colligirt worden, es solte sich mancher ehrlicher Patriot höch-
lich darüber erfreuwen und selbiger Gestalt würde ohn einigs
Menschen befugte Beschwernus, das Lob und die Würde dises
hohen Hauses ungleich weiter gebracht und ergrößert worden
sein. Und bedünckt es mich, auch noch Zeit zu sein, daß die
noch übrige und vorhandene reliquiae et fragmenta, welche dan
auch, auf dise stund, nicht gering zu achten seind, compilirt,
und in einen tomum oder sonderbaren fasciculum redigirt würden,
worzu Ewerer Frn. Gn. und dem gantzen Land, auch dero
fürstlichen hohem Hause, gantz trewlich dinen, und trefflichen
anlaß geben könte, der noch alhie wohnende, und an dergleichen
sachen, seine Lust und Frewdigkeit habende und under den
Professoren zum längsten in Dinsten gewesene, aus Niderhessen
hurtige und Ewerer Frn. Gn. aufrichtig und trewlich zugethane
patriot M. Conradus Bachmannus, mit welchem ich gestriges
mittags lang und viel darvon geredet, und hirmit derjenigen
sliick, welche ich nur hinder ihm Gott lob stattlich und häufüg
und copiose vorhanden zu sein vermercke, zu undertheniger
Nachrichtung in abschrift etwas überschicke, und halle gantz-
lich darvor es werde auch das gantze Werck, welches wohl auf
etliche Alphabet excessiren möchte, in quarta forma oder in
folio füglich können verlegt, und zu dergleichen newen Collec-
taneis manchem Libhaber so viler anmuhtiger sachen, ohn einige
Beschwerde geholffen werden, doch stehe! alles zu Ewerer Fen.
(in. hochweiser genediger Verbesserung, all.» deren ich keines-
wegs, begehre hirinn oder sonst vorzugreiffen oder maas zu
geben. E. F. Gn. und den» hochgelible Imuw Gemahlin, auch
fürstliche junge liebe Kinder Gelles allmögender Obhand und
Beschirmung gantz trewlichst in underthenigkeil emphelend.
Datum Marpurg am li). Martii anno l(i.")(.).
Postscriptu in.
Auch Durchleuehtiger IJochgehorncr, Genediger Fürst und
Herr, hab ich biß dato underthenig wahrgenommen, daß aus freund
licher guhter einigkeit, je ein Fürsl zu Hessen, für des andern
seines Mittfürsten Reputation und existimation sorgfaltig gewesen,
und darvor gehallen, daß die honorirung deß andern Anverwandten
284 Wilhelm Diehl.
Fürsten Ihm zubefordern und in acht zu nehmen, sonderlich ob-
ligen solle, und solches ist dem geschworenen Erbvertrag ähnlich
und gemäß gestalt im Erbvertrag mit haytern Worten stehet, Wir
- in incipes Hassiae) sollen unß under einander fördern, und je einer
des andern nutz und ehre suchen, und trewlich mainen etc. und
zweiffeie nicht, wan etwa in vorigen Zeiten ein im Leben geblibener
Fürst, dem andern seinem Mittfürsten ehre erwisen, und aber der-
gleichen honorirung dißmahls nicht geschehen und underbleiben
solte, so würdens des seelig verstorbenen Fürsten hinderlassene
posteri, vor eine vorsätzliche geringhaltung oder gar despectirung
ihres tocls verblichenen progenitoris (wo eben nicht öffentlich, je-
doch heimlich) mit Unmuht zu Hertzen und gemüht führen. Weil
dan nunmehr fast geraume Zeit verstrichen, in welcher wey-
land Herr Landgraf Friderich der Eitere, Ewerer Fen. Gn. Herr
patruus, unversehens dises Leben geendiget, so könte nicht
schaden, daß E. F. Gn. durch ein sonderlich fürstlich aus-
schreiben, dero Universität alhie befehlen lißen, daß Seiner Gott-
seeligen Fen. Gn. zum letzten ehren ein professor ex Academia
eine wohlstudirte lateinische laudation oder parentation halten,
und darmit es ihme oratori selbsten, an nohttürftiger materia
laudum nicht leicht mangeln möge, mit Ewerer Fen. Gn. ge-
heimen Rhat und Vicecantzlarn D. Fabricio fleißig und zeitlich
communiciren solte.
Dasselbe fürstliche Befehlschreiben nun, könte auch der
fürstlichen Fraw Wittib zu Homberg vor der Höhe freundlich
communicirt, und darbey gebetten werden, Ihre Fe. Gn. wolten
daraus ohnbeschwert Ewerer Fen. Gn. trewhertziges redlich ge-
meintes intent und gemüht, zum beßten versehen, und wan
Sic, hochgedachte fürstliche Fraw Wittib, Gott zu ehren, und
dem gantzen fürstlichen Hauß zu rühm, und repulation etwas
zu moviren hette, dasselbe noch bey guhter Zeit thun, dan
E. F. Gn. gern sehen wolten, daß mit der vorhabenden alhiesigen
Oration und parentation dergestalt geeylH würde, darmit dieselbe
in kurtzem in offen truck ausgehe, und allenthalben zu desto
besserem glimpf verstanden werde.
Thue hiermit E. F. (in. all.) deren ich hierdurch keineswegs
begehre vorzugreifen, in dero beharrliches fürstliches Wohl-
wollen mich nochmahls empfehlen.
1». Das /.weife Schreiben vom 1'.). März 1639.
Die Verzaichnus derienigen stücke, welche meines unvor-
greifflichen underthenigen Darvorhaltens, in das vorhabende
sonderbare große Opus Raritatum Hassiacarum kommen sollen,
hah ich <'hcn ietzo under Händen und lasse es durch Ewerer
Fen. Gn. Landcancellisten, Johann Hermann Henrici (welcher
sonst von gar fertiger Hand, und des Schreibens in Lateinischer
und Grichischer Sprach zimlich kündig sei) sauber zusammen-;
tragen, in ünderthenigkeil darvor hallend, wan es nur einmahl
fein rein und hübsch zusammengeschriben ist, so werde hernach
der gantze Truck desto schleimiger fortgehen können, und bitte
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 285
demütig, E. F. Gfn. geruhen, die hierzu nohtwendiglich gehörige
Moram, genedig im beßten aufnehmen.
Das Werck an sich seihst, soll mit Gottes Hülff, sich so
füglich schicken, und beschleunigen, daß es verhoffentlich Ihro
zu keiner Displicentz geraichen möge, und thue hiermit in Ewerer
Fen. (in. Hulde und propension mich in Gehorsam emphelen.
Datum Marpurg am 19. Martii anno 1639.
c. Das Schreiben vom 2. April 1639.
Mir zweiffeit nicht, E. F. Gn. werden sich gnedig erinnern,
was vor etlichen wenigen Wochen, an dieselbe ich von fleißiger
Asservir : und Zusammentruckung vornehmer stücke, welche zu
dero uhrallen fürstlichen Hauses trefflichem und ewigem Ruhm
gedeyen könten, underthenig üherschriben.
Darauf hab ich nunmehr nicht underlassen, die Verzaichnus
derselben stücke, und den Catalogum selbst, underthenig und
wohlmainend umb desto wenigem Vergessens willen, aufzu-
zaichnen, in ohngezweifelter demütiger Hoffnung, aus bloßer über-
sehung der, nunmehr gefertigter designation, werde das gantze
Werck, viel heller und klärer sich selbst recommendiren. Und
bleibt allezeit der ältiste under den hisigen professoren, M. Con-
radus Bachmannus, bey mir unwürdigem alten Diner, in der-
jenigen Recommendation, daß er billich, einem guten und fleißigen
antiquario, wo nicht eben vorzuziehen, doch optimo maximo
jure zu vergleichen.
Derselbe ehrliche alte Mann aber lebet, wie ich wohl spüre,
bey seinen, disem hochlöblichen uhralten fürstlichen Hause
Hessen, trewlichst und willigst geleisteten Dinsten, nicht in merck-
lichem Überfluß, also daß es an ihme ein wohlverdinter rechter
Gotteslohn were, wen E. F. G. seiner, alß eines alten Manns,
nach fürstlichem guten Beliben und Wohlgefallen, etwa zu ge-
legener Zeit, mit einem leidlichen Stücklein paaren Gelds gnedig
gedencken lißen, doch bleibet alles, ohn einige masgebung zu
Ewerer Fen. Gn. Beübung und Gefälligkeil lödiglich ausgesetzt.
Marpurg, am 2. Aprilis 1639.
PostsC L'i pl ll in.
Auch Durchleuchtiger flochgeborner Genediger Fürst und
Herr, hab ich nicht underlassen, zuerwögen, und in lindert henig-
keit zu überschlagen, was die ablnukung des ganlzen, zu dises
hochlöblichen uhralten fürstlichen Hauses vornehmer Reputation
angesehenen Wercks, erfordern und kosten werde. Und halte
ohnmaßgeblich mil Vorbehalt Ewerer Fen. Gn. höherer Gedancken
darvor, Euerer Ken. (in. jetziger Professor poeseos M. Conradus
Bachmannus, als welcher ohne das wegen der an Herren Land
graf Henrichs hochseeligen andenckens, in huck gefertigter exe-
quialien, und darbey gehabter laniiwürigcr und vieler müh, noch
zu begaben, und vor seine trew, mildiglich zu belohnen ist,
werde in Underthenigkeit danckbar und sehr wohl zufriden sein,
wan von Ewerer Fen. Gn. er vor dieselbe vorige müh, und dan
vor die jetzige, an Conquirirung des tomi singularis Hassiaci,
286 Wilhelm Diehl.
in allem and allem getragene labores etwa mit dreyßig Reichs-
thaleni paar begnadigt, und solches ihm forderlich gelifert werde.
Ich bedencke auch underthenig, daß bey edirung eines so an-
sehnlichen fürstlichen Buchs in Folio, eine nohtturft erhaische,
an einem bequemen Ort. nach collocirung eben deßienigen fürst-
lichen hessischen und fürstlichen würtembergischen Wapens, wie
solche Wapen auf dem fürstlichen Schloßsaal alhie, in dem
höltzernen Portal stehen, so dan nechst Herbeyfügung des Chur-
sachsi sehen und fürstlichen Brandenburgischen Wapens, zwey
feine taugliche emblemata zu setzen, welches dan dem fürstlichen
Hauß Hessen und disem gantzen Buch einen merklichen Wohl-
stand geben würde, und vermeine underthänig, der Ewerer Fen.
Gn. ohne das gehorsamlich wohlzugethane Buchtrucker Merian,
werde vor solche Wapen und emblemata, wo nicht wohl-
feiler und leidlicher doch etwa aufs höchste mit vier und zwantzig
Reichsthalern zu contentiren sein.
Daß gantze buch an sich selbst würd mit Gottes Hülff gar
wohl abgehen, sonderlich wan dieienige treffliche teutsche send-
brife, deren ich in meiner underthenigen Verzaichnis gemeldet,
darin gelassen, und nicht herausgenommen werden, dan es seind
die in der Schwedischen und Rüsselsheimischen sach, an den
damahligen Römischen Kayser abgeschickte Brif, so dan die
beede Schriften, welche alhie zu Marpurg anno 1625 auf dem
offenen fürstlichen großen Saal, durch Malcomesium lauht ver-
lesen worden, ferner Ewerer Fen. Gn. hochgeehrten Herrn Gros-
vatters, Herrn Landgraf Georgens hochseeligen milden Andenckens,
an das hochlöbliche fürstliche Hauß Würtenberg abgangene War-
nungen und andere, theils jocose, theils serio abgefaste und vor-
handene Stücke, trefflich und dergestalt gefasset, daß ich gäntz-
lich darvor halte, es werden dieselben Sachen allein daß Werck
sehr wehrt und angenehm machen, und die daraus helleuchtende
Constantz, Weisheit, Resolution und Redlichkeit, denen in Golt
ruhenden hochgeehrten üben Fürsten und Herren das beste und
herrlichste Monument sein. Ich geschweige der hisigen fürstlichen
Regirungsordnung auch statutorum Academicorum, welche Stücke
sämbtlich, mit solcher Vigilantz begriffen seind, das sie allein,
wohl etwas, bey einem ieden Leser nutzen werden, und billich
hochzuachten seind.
Und dörfften E. F. Gn. vor den Abtruck des gantzen Wercks
sei listen, sich in keinen Unkosten wagen, sondern die Buch-
trucker werden Gott und Ewerer Fen. Gn. zu dancken Ursach
haben, wan ihnen das gantze opus (dessen conquirirung und Zu-
sammenbringung gleichwohl viel müh gekostet) frey under die
Hand gegeben, und überlassen würde.
In alle Wege aber, Genediger Fürst und Herr, ist zu nöhtiger
Beobachtung und fleißiger correctur nöhtig, daß neben eines
ieden Buchtruckers ohne das billich underhaltendem fleißigen
Correctore, auch insonderheit Ewerer Fen. Gn. Rhat und Ober
archivario D. Tülsnern anbefohlen werde, ein scharpf Aug auf
die Obercorrection zu halten, und dieselbe Correctur zu ver-
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 287
treuen, und dannit dasselbe mit desto mehrer anmuht und
Frewdigkeit durch ihn beschähe, so könte durch E. F. Gn. ein-
getingt werden, daß Ihrem Rhat, und Oberarchivario D. Tülsnern
alß supremo Correctori entweder an guten, ihme seilest wohl-
anstehenden rohen Büchern, oder an paarem geld durch die
Typographos der Wehrt von viertzig gülden nach und nach ge-
handreicht werde.
Wie hoch ein gantzes vollkommenes exemplar dises vor-
handenen Wercks lauffen werde, läßt sich ietzmahls, und eh man
weys, wie hoch es sich an der Anzahl des papiers ertragen
werde, schwerlich bestimmen. Weil aber E. F. G. selbst, wie
man mit Wahrheit wohl sagen kann, der Author des gantzen
Wercks seind, auch auf solche maas und weise, wie ich in
Underthenigkeit droben vorgeschlagen, die gradirstücke, gantz
verlegen werden, so vermeine ich gehorsamlich, es soll und
werde billich kein exemplar über vier gülden kommen können,
und were alßdan hirnechst auch nothig, daß umb wenigem
Vertewerns, und aus der sach suchenden privatnutzens willen,
die taxa aigentlich bestimbt, und dardurch Ursach gegeben werde,
daß iederman welcher zu erkauf: und Lesung so gethanen gantzen
Wercks Neigung trägt, desto leichter und ohngehinderter, darzu
kommen könte. Welches alles Ewerer Fen. Gn. ohn einige Mas-
gebung, ich underthenig zugleich anfügen, und mir solches zu
milden gnaden, zudeuten, und vor keinen Vorgriff aufzunehmen,
gehorsamlich bitten sollen. E. F. Gn. auch dero vielgeliebte
hochangehörige, Gottes starkem schütz und Schirm zu allem
fürstlichen Wohlstand trewlich emphelend.
II.
Ein Programma, mit dem Schuppius die Studenten zu einer
historischen Oration eines seiner Schüler einlädt,
vom 16. Juni 1639.
(Gießen, Univ. -Archiv, Personalakten Schupps.)
.loh. Balthas. Schuppius, Eloquent, el Historiarum Professor
in Academ. Marpurgensi Eloquentiae aliarumque artium liberalium
Cultoribus s. p. p.
Euntes ad praelium mildes, orationis igniculis accendendi
sunt, ut hostem cupianl prius quam Eeriant. Dux ipsß qui et
militis officium subire solet, prius dicit quam ducit, prius hor-
tatur quam pugnal, el frustra hostem arniis invadit, nisi suos
prius vicerit oratione. Vivimus et nos in mililia, o Juvenes,
hie castra et arenam habemus, intra hoc perpetuum bellum nobis
geritur, et quotidie pugnandum est contra ignorantiam. Hodie
hora prima bono cum Deo in arenam producam tyronem quendam,
qui prhnum publicae lucis tyrocinium positurus, aut vincere cupil,
aut ab industria vestra vinci. Erit is Doclissimus juvenis Dn.
Joann. Esaias Fabricius, qui Deo adjuvante orationem recitabit
de serie Historiarum ab orbe condito usque ad hoc aevum. Reci-
tari equidem debeaf haec oratio in Auditorio philosophorum,
288 Wilhelm Diehl.
seil quia viri quidam in illustrissima aula eminentes, eam audire
cupiunt, cogimur actum nunc instituere in collegio ad Laniun.
Ea enim est philosophicae gentis sive negligentia sive fatalis pau-
pertas, ut ea subsellia non possideat, quibus excipere possit
hospites honore dignissimos. Solus Aristoteles, cogitur ire pedes.
Caeterum ut prolixis verbis ad audiendam orationem hanc vos
invitem, non admodum necessarium puto. In tempore vivimus,
turpissimum itaque nescire quid in tempore vel sit, vel fuerit.
Temporis lux est historia, historiae lex est veritas. Veritas
virtutem commendat. Virtutis censura requirit exactum Judicium
et facundum ingenium. Si et ingenium et Judicium deest, utrum-
que suppleri potest labore, labore superari potest omnis si quae
occurrit molestia. Aestas jain est o commilitones aut si mavultis
fratres vocari. Cogitandum itaque de Hyeme. Hyems vitae,
senectus est. Senectutis baculus, honesta Juventus. Juventutis
cibus, varia doctrina. Doctrinae condimentum Historia. Non
video quomodo mereatur nomen literati, qui in historiis hospes
est. Quoties amaenissimum hunc historiarum hortum ingredior;
puto me invenisse omnia, quae alii mortales misere affectant et
aut raro aut nunquam consequuntur. Jactent alii opes suas,
mihi, cum Cn. Lentulo, tot sestertia numerare, licet quot übet.
Alii in quibus nunc evehendis nunc deprimendis fortuna jocatur,
loquantur quas gerunt sive togae sive militiae primas dignitates.
Mihi nunquam aditus praeclusus est ad Rempubl. Romanam.
Quotidie loqui mihi licet, sive cum Julio Caesare sive cum
Augusto. Si bellum delectat, sine periculo cum Scipione Cartha-
ginem expugno. Si putatis o amici, me vana opinione falli,
respondeo, eandem opinionem totum fallere mundum. Vanitas
est in omnibus rebus humanis. Et hoc ex historiis discitur.
Volui equidem dicere an etiam inveniri possint subsidia quibus
in lectione Historiarum uti possimus. Ast non solum Charta me
destituit, sed et tempus. • Aptabit se propediem alia occasio, ea
de re disserendi. Interim valete et vos amantem redamare
peragite.
Dab. raptim 16. Jun. 1639.
III.
Zusammenstellung der Hauptabschnitte, die in der
>,Vita Georgii II." von Schuppius behandelt werden sollten.
(Entwurf des Geheimen Rats).
(Darmstadt, Staatsarchiv, IV, 1, 8.)
Praefatio elegans praemittatur.
Eingang zu machen per diein natalem. Parentes. Auch nach
einander zu setzen, wie verschickt worden, wz vor Länder be-
suchet . . . zur Zeit obitus patris. Sey nit älter alß so und so
gewesen, da sie in liegirung getreuen, habe Privilegium Majoren-
uilalis gezogen. Trätime. Notificationes der Geheimden Rälhe,
wie Tot notificirl worden. Wie Comites, Barones, Nobiles Dinst
gesucht, angemeldet. Habe sich dargegen vorgesehen. Zu
Neue Beiträge zur Geschiehte Schupps. 289
H. Vattern Rätlien gehalten. Genedige Versprechnus der Gnade.
Bestallungsrenovation u. Pflichtnehmung.
Illustrissimi Ausschreiben nach H. L. Ludwigs Tot, so au
Kayser, Chur: und Fürsten ist geschriben worden, item im Land
an Regir., Univers, und Superintendenten, alle Beambten. Leich-
bestattung.
Caesaris Gratulatio zur Regirung, Hispanischen Gesanden
Gratulation, der Churfürsten Meintz, Colin, Bayern, Sachsen und
Pfalz, underschiedener Communen Gratulationes.
Testamentseröffnung. Privilegium Majorennitatis H. L.
Huldigungseinnehmung.
Einbekomiming der Feste Rheinfels, feste Platz ('atz. ganz
und gar.
Einbekommung der andern adjudicirten Oerter.
Reformatio zu Schmalkalden und in der Nidergrafschafft.
Landgraf Johanße verschickt in frembde Lande.
Accord wegen des Franck. Hauses.
Fürstl. Beylager zu Torgaw.
Annus secularis Academiae Marpurgensis.
Gütliche Handlungsanfang mit H. L. Wilhelmen.
Vertragstomus. Confirmationstomus.
Selbstabfertigung einer Gesandschafft gen Wien pro confir-
matione Caesarea.
Verschickung Herrn Landgraf Johanßen, und wie der Ab-
schied genommen, auch wz vor ein Schreiben mitgegeben worden.
Universal Landtag zu Cassell und gäntzliche Vollzihung deß
Accords.
Particularlandtag zu Marpurg und Schatzungsbewilligung
de ao. 28.
Abschaffung der Lindloischen Soldatesca auß dem Ober-
fürstenthumb Hessen.
Newe Zunötigung der alten Landgräfin Fraw Julianen und wie
Umstrissimus Ihr begegnet.
Her jungen Landgrafen, Casselischeu und Darmstadischen
Lini, Aidschwür auff den Haubtaccord.
Abwendung und Ausschaffung der casselischen Einquartirung,
sonderlich Illustrissimi Raiss gen Schweinfurt, und wie sich
Collaldo erzaigt, auch wie Caesar so enixe rescribirl. Ubi no-
tanda Illustrissimi solicitudo pro subdilis.
Verschickung IL L. Henrichs und L. Friderichs in frembde
Lande.
Tötlicher Hintritt Fräulin Amalien und Leichbestattung.
Leichherausbringung.
Tötlicher Hintrit und Herausbringung auch L. Henrichs Leich-
bestattung.
Periculum principis in piscina Reinheimensi.
Fürstlich Kind tau ff deß jungen Prinlzen.
Kirchenvisitation, sonderlich die Instruction uff die Kirchen-
visitation.
Landvisitation und Instruction.
Beiträge z, Gesch. d. Universitäten Mainz u Gießen. 19
290 Wilhelm Üiehl.
H. L. Ludwigs Epitaphium zu Marpurgk, welches Illustrissi-
mus uffrichten lassen.
Meldimg Ehrngedechtnuß.
Ysenburgische Sach. Proceß mit Ysenburgk.
Proceß mit Maintz wegen etlicher Ebisdorffischer Gefälle.
Commissio in der Teutschmeister Sache und wie sich lllustr.
dargegen erzaigt. Seriem facti und wie Illustrissimus respondirt.
(1. Remonstrationsschrifft, 2. latinus Extractus.)
Zusetzung, so Illustrissimo geschehen, in der Nidergraf-
schafft, Religionssachen betreffend, von Churtrier.
Illustrissimi Rayß gen Regenspurgk ao 30.
Uegenspurgische Puncten, wie es derzeit im Reich gestanden,
wol auß zuführen.
Cantzleybaw zu Darmstatt, wz vor Schrifft hinein gelegt
w orden.
Reichsritterschafft Beginnen und wie Illustriss. begegnet.
Leipsischer Tag und warumb lllustr. nicht erschienen und
doch darauf negotiirt.
Franckf. Compositionstag.
Güttlich Handlung im Reich.
Schreiben ad Caesarem wegen Rüsselsheim.
item oratio publica, Avie resolvirt worden.
Zumuthung, so H. L. Wilhelm beschehen, die Religion zu
mutiren.
Closter Geißmar betr.
Aii'lerwertliche Dotirung der Universität.
Renovirung des Hohen Hospital und Almoßen.
Refutatio Casselischen Schreibens.
Statuta academica NB. Titulos nach einander zu setzen,
wan schon kein numerus darbey ist.
Discurs mit dem Reichscantzlar Ochsenstern pro pace.
Große convicia wider lllustr. et, Illustrissimi Leuthe. Wz man
ausgestanden innocenter. Drauf zu antwortten glimpflich et per dicia.
Uffrichtung des Gymnasii zu Darmstatt.
Schul ha w zu Darmstatt.
Theilung der Superintendentzen.
lllustr. sein damit umbgegangen ein Gymnasium zu Gißen
anzustellen, hab aber nicht pro voto von statten gehen wollen
propter tempora ileploratä.
Comitiva pro Juridica Facultate.
A.ppellationsprivilegium.
Ostfrießländisch lleuralh, Werbung zu Regensburg.
Abfertigung.
Anstalt del.i Statutenbuchs.
Große .lauen, eventus mit dein Hirsch und Schwein.
Ernewerte Definitorum Ordnung.
Judenordnung und was derselben anhangt.
Postanordnungen.
Executio über Straßenräuber, so 1. zu Gißen, 2. zu Darni-
statt justifieirt worden.
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 291
Illustrissimi Vortrag alhie zu Gießen, ob Illustr. Recht oder
unrecht gethan, daß sich des Leipsischen Tags enthalten, et
responsum ad Landstände.
Theologorum responsum in eadem causa.
Regis Sueciae Schreiben ad Illustrissimum.
Regis Galliae schreiben ad Illustr.
Zu gedencken, daß Gesandschafften da gewest.
Deß Kön: Spanischen Ambassadeurs Verdugo Ankunfft und
Gratulation zu 'Illustr. Regirung.
Alß Spannisch Volck in Illustr. Land gewesen umb Gießen,
wie 111. darum geschrieben und sonst uffschlagen wollen.
Illustrissimi Schickung ad reg. Sueciae.
Illustrissimi Selbstraisen ad Reg. Sueciae.
Uebergab Rüsselsheim et Capitulatio. Schreiben ad Caesarem
deßwegen.
Ordnung wie es mit den Stipendiariis, so jura studiren, soll
gehalten werden, 13. Augusti 1633.
Vergleich mit H. Landgraf Johanßen Fr. Gn.
Vorhabende Anordnung eines Newen Revisions- oder Ober-
appellationsgerichts.
Newe Cantzley Ordnung und darauff erfolgte kayserl. Con-
firmation den 6. Martii 1635.
Ordnung von besserer Haltung der Sonn- und Feyertag 1632.
Ordnung von besserer Übung deß Catechismi 1633.
Anstellung Fast-, Büß- und Bedtägen de Anno 1632 et seqq.
Bestrafung der Gottslästerer.
Illustrissimi getragene Sorgfalt bey allgemeinen Fridens-
tractaten.
Wie Illustrissimo zugemuthet, Niderhessische Volcker ein-
zunehmen, item in Nidersächsische Krayßverfassung zu begeben,
und warumb Illustrissimus dessen Bedenckens gehabt 1639.
Deß Hertzogs von Longueville u. der Weimarischen Armee
Übergang über Rhein und genommene Wintterquartier in Illu-
strissimi Land, deren Uffbruch, Hinderlassung etlicher Regimenter,
deren Geldpressuren und Exorbitantien, 1640 vom Anfang des
Monahts Januarii und in folgenden Monaten.
Beschickung deß Churfürstentags zu Nürnberg u. Antreibung
zum Pacificationsweßen 1640.
Niderhessische Administrationssach 1637.
Creiß Obristen Atnbt 1636.
IV.
Schreibon von Schuppius an Dieterkh Barthold von Floß
und Philipp Ludwig Fabricius vom 7. März 1640.
(Darmstadt, Staatsarchiv, IV, 1, 8.)
Derselben hochgeehrtes schreiben, hab ich wohl empfangen,
bericht darauff in höchster eyl, daß mir das bewuste historische
Werck wohl recommendirt bleibe. Nach dem ich aber in etz-
lichen schweren Theologischen Arbeiten begrieffen, undt Maltb.
19*
292 Wilhelm Diehl.
Merian zu Francfort seine historische Chronic zu reformiren ver-
heißen, welcher sie gegen Johannis auflegen will undt zu dem
endt mit grosem Unkosten schon für einem Jahr etzliche Ball
Papier zu Basel machen lassen, undt über das die Studiosi in
sorgen stehen, die Beschwerung undt Trübsal des Landes möge
zunehmen undt wachsen, daß sie etwa genötiget würden von
hier abzuziehen, alß werde ich täglich ja fast stundtlich von
ihnen ahngelauffen, undt will einer dieses für seinem Abschied
von mir haben, der ander ein anders. Daß mir also unmöglich
ist, alles mit Fleiß undt bedacht zu elaboriren. Bitt demnach
unterdinstl. E. Wohl E. St. auch E. Hg. wollen diese abgenötigte
Procrastination sowohl bey Ihre fürstl. Gn. in unter thänigkeit
entschuldigen, alß auch für ihre Person in bestem ausdeuten.
Das scriptum Apologeticum hab ich gegenwertigem Botten
nicht können mit geben, will es aber verfertigen undt mit nechster
post über schicken. Den Vertrag zwischen beyden Fürstl. Heusern,
will ich gleichfalss durchlesen. Möchte gern wissen, ob alle
beygefügte Schreiben auch sollen vertirt werden, welches auff
ein ziemlich opus auslauffen würde. Befehl E. hochE. St. auch
E. u. Hgg. in Gottes genädigen schütz, undt mich dero beharr-
lichen Gunst, verbleibendt
Deroselben
alzeit verobligirter Knecht und Diener
Marp. am 7. Martii 1640.
V.
Schreiben von Schuppius an Philipp Ludwig Fabricius
vom 17. Juni 1641.
(Darmstadt, Staatsarchiv, IV, 1, 8.)
Aus dem ahn meinen Schwager D. Horsten jüngst abge-
lassenen Schreiben, werden E. Excell. verständiget seyn worden,
'laß ich wegen gefährlicher Schwachheyt meiner Kinder ver-
hindert, worden sey, wegen Ahnstellung des operis historici weiter
Bericht zu thun. Undt nachdem diese Tag ein ander Zufall
sich bey diesen Kindern zugetragen, muß ichs nochmalß biß
auff künftige Post verschieben. Sende inzwischen E. Excell.
diese in eyl entworfene disposilion, und bitte sie wollen per
ocium sich darinn ersehen, und bedacht seyn, wie ich in diesen
acht puncten könne völlig informirt werden.
Wegen der Recompens hab ich mich bedacht, undt in con-
sideration gezogen, daß sich bey diesen bösen Zeiten ein jeder
patientiren müsse. Es wird auch ein jeder der mein gemüth
kennet, wissen, wie so gar von keinem mercenario ingenio ich seye.
Bitte derohalben, daß mir nur ein Amanuensis gehalten
werde, und wohl accomodirt werde, jedoch, daß er unice von
mir dependire undt ich macht habe, ihm tag und nacht zu be-
fehlen, undl ihn widerabzuschaffen, wann er mir nicht ahnständig.
Für mich, bitte ich nur umb richtige Bezahlung meiner Besol-
dung. Will sie geliebts Gott so wohl verdienen, alß ein ander
der mil dergleichen Arbeiten nicht beladen ist. Und will zu dero
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps 293
«.
Erlangung ein sonderliches extraordinari Mittel Eurschlagen, das
meinen Herrn Collegis ahn ihrer Bezahlung nicht soll verhinder-
lich seyn. Dofern aber in unverhofftem Fall, dieses nicht solte
ahngehen, stelle ich zu E. Excell. Consideration, ob ich aus
der fürstl. Rentcammer meine gewisse Bezahlung haben könne,
also daß eß hernach der Academi ahn ihrem Deputat abgekürtzt
werde. Wollen ihre fürstl. (in. dem Oberfnrstm. befehlen, daß
er mir auff den Winter 12 Claffter Holt/, gebe, und ein par stück
Wildt schieße,, hab ihrer fürstl. Gn. ich dafür unterthänig zu
dancken. E. Excell. werden sich auch erinnern, was bey ihrem
Abzug wegen des Wildts gedacht. Wann ich es haben könte, woll
ich nach gehaltener meiner Disputation die Professores einmahl
ins Avellin bitten und auff ihrer fürstl. (in. Gesundtheit trincken.
Damit mir der Amanuensis desto williger sey, hoffe ich ihre
fürstl. Gn. werden ihm eine fürstl. schriftliche promiß thun, daß
sie ihn, wann das Werck fertig; sey, zu einem guten ahnnehmlichen
Pfardinst befordern wollen. Es ist kein gemeyn ingenium, wird
einmahl seine Lücke wohl vertreten können. Will ihn NB. dazu
ahnführen, daß er einmahl bey einem solchen ruhigen fetten
Pfarrdinst eine schöne deutsche Hessische Chronic schreibe.
Ich hab auch das unterthänige Vertrauwen zu ihrer fürstl.
Gnaden, sie werden sich nicht zu wider seyn lassen, mir eine
fürstl. Versicherung zu thun, daß ihre fürstl. Gn. oder dero Suc
cessores ahm Regiment, diese Arbeit, welche nur noch manchen
süßen schlaff brechen wirdt, undt derentwegen ich fast mein
Studium theologicum in etwas zurücksetzen muß, genädig gegen
blich oder hinfuro gegen die meinige erinnern wollen, undt
wollen mich oder die meinige genießen lassen, nicht allein des
Fleißes, den mein Schwigervatter D. Helvicus bey der Universität
Gießen ahngewendt, sondern auch ^\i'^ wohlmeynens dessen ich
mich alhier gebraucht in Widerauffbringung des Studii Historici
und Oratorii, welche zu Marpurg last erloschen waren.
Endlich stelle E. E. ich frey. ob sie ein formulam juramenti,
welches ich und der Amanuensis ablegen sollen, wollen abfassen
lassen, und mir es zuschicken, damit ich mich darin ersehen
könne. Biß nechst hiervon mehr, befehl E. Excell. in Gottes
stareken Schutz, und wünsch ihr eine glückliche Bronnen Cur.
Marpurg in höchster Eyl am 17. .hin. 1641.
VI.
Memorial Schupps, Juni 1641.
Darmstadt, Staatsairhiv. IV, 1. 8
Memori a 1.
1. Von ihre!- fürstl. (in. Herrn Landgraf Georgen 1. educa
tion, 2. Reyse; bey dem von Grünroth.
Item ob Ehrnged. von Grünrod nichts annotirt, was in einem
oder dem andern furgangen, auff dem Beylager in Sachsen, undt
der Heymführung zu Marpurg.
2. Daß ein fürstl. Rescripl ahn die Academi geschehe, daß
ich lesen möge, wann ich kann. 2. Daß mir das fürstl. Rescripl
294 Wilhelm Diehl.
möge zugeschickt werden wegen versprochener genädiger Re-
muneration, wann das Werck glücklich verfertiget. 3. Ob ich ein
Ahnweysung auff die versprochene 12 Claffter Holtz haben könne.
NB. Wild. 4. formula juramenti.
3. Daß dem Amanuensi ein formula juramenti furgeschrieben
werde, damit ich ihm sicherlich eins undt anders abzuschreiben,
undt zu excerpiren ahnvertrauwen dövffe. 2. Daß ihm das fürstl.
Rescripl zukommen möge, darin ihre fürstl. Gn. ihm gg. ver-
sprechen, nach Verfertigung des Wercks ihn zu befordern, undt
jährlich eine Discretion zu geben pro labore. 3. Weil er viel
damit zu thun haben undt tag undt nacht arbeiten wird müssen,
ob er nicht ein Ahnweisung auff 4 Claffter Holtz haben könne?
Im übrigen will ich ihn versorgen.
4. Ob ich nicht, wann mir andere Mittel fehlen solten,
etwa 100 oder 150 Rthlr. auß dem Geistlichen Landtkasten, in
itziger Meß ahn Abschlag meiner Besoldung haben könne? Ich
sag, wann mir andere Mittel, darauf ich vertröstet binn, mangeln
solten.
5. In gg. Recommendation zu behalten, die Sache mit dem
Hauß. E. Excell. sehen hier ein Verzeichnüß von 21 Heusern,
darin schlechte Leuth wohnen, welchen mann gar leichtlich ein
ander Losament schaffen kann, undt ihre Hern Hoffineister
Streyffen eingeben. Ich gedencke ihrer fürstl. Gn. so treuwlich
zu dienen alß der Herr Hoffineister, hoffe derovvegen ich habe
so viel Recht zu meines Vattern Gütern alß er. Wann der
Herr Hoffmeyster sagen wolt, er hab in diesen vorgeschlagenen
Heusern nicht Raum genug, wüste ich ihm kein bessern Rath
alß daß er den König in Spanien umbs Escurial ahnspreche,
darinn hat er Palläst genug. Wie mancher großmütiger vor-
nehmer General behilft* t sich unter einem Bauwern Tach? Die
Stallung hat mein Vatter selbst vonnöthen und hat nicht so
viel Platz, darinn er ein Handvoll Grommet legen kann. Ich ge-
schweyge, wie gefährlich der Schornstein seye, undt deswegen
zu besorgen sey, es möge das Gesindt in Abwesen eines Hauß-
hern der gantzen Statt ein Unglück auff den Hals ziehen.
6. Wegen der fürstl. jungen Herrschafft, ob ich den bewusten
Grafen antworten solle?
B e i 1 a g e :
(Verzeichnis von Gießener Häusern.)
1. Doctor Otterains Erben Hauß, so des Obristleutnampls
W. bewohnt I.
2. Juncker Schwalbachs Hauß, darinnen Hermann Rüdiger
wohnet I.
3. M. Bachnians Hauß, darinnen der Organist wohnett.
4. Hanß Jacob Försters Hauß, so Volpert Daniell Schenck
zuvor ingehabt, auch Secretarius Barda(?) bewohnett halt.
5. Balthasar Königs Hauß, darinnen ein Kutscher wohnett.
6. Jost Junghauß Hanß, wohnett ein Trompeter.
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 295
7. Caspar Barthen Hauß. darinnen M. Jacob 'Irr Schneider
wohnett.
8. Des Wirth zum Hirsch Hauß über der Lindenbach.
9. 10. Zwei Häuser, davon eines Conrad der Trompeter be-
wohneü, das ander hatt Her Jacob Fabritius der Cammerdiener
bewohnett.
11. Herr Marien Stephani Hauß von Gleybergk.
12. D. Kropsan Hauß.
13. Capithän Ortten Hauß.
14. D. Samuels Hauß, darinnen Haupttman Scheuerraan
wohnett.
15. Das Schohlhauß, darinnen ein Musicant wohnett.
16. Hauß Henrich Graulags Hauß, so lödig stehet!.
17. Cloß Röderß Hauß. darinnen M. Herman der Balbirer
wohnett.
18. Das kalte Loch, darinnen Caspar Kirchnerß \V. wohnett,
zuvor Juncker Kollenbach undt Ehr l). Winckelman S. Superin-
tendens, hatten dieses Hauß bewohne! I.
19. Ludwig Reitzen Hauß, darinnen der Sattelknechti oder
Marstaller wohnett.
20. Henrich Loni Hauß, welches der Herr Erbschenk dahevor
innengehapl.
21. Hans Schencken Hauß, darinnen M. Christoffel der
Schneider gewohntt. Welches zuvor Peter Junghen bewohnett,
auch seine Pferdt, Kühe undt Schwein darinnen gestaltt, hat,
4 wo nicht fünf Stuben.
VII.
Memorial Schupps, September 1641.
(Darmstadt, Staatsarchiv, IV, 1, 8.)
Memoriale.
1. Ahn Herrn Cantzlar Fabricium hab ich wegen i\v^ operis
hislorici geschrieben, auch den 1. Sept. mündlich geredet, bitte
dinstl., mein hochgeehrter Herr wolle ahn seinein vornehmen Ort
dahin cooperiren, daß Resolution erfolge.
2. Ich hab damahls ähngehalten, daß mir mögen 12 Clafter
Holtz ahngewiesen werden, und! dann daß ich meine bey der
Universität; stehende Besoldung empfangen möge. Welches hochg.
Heri- Cantzlar mir auch 2. Jul. schrifftlich versprochen. Oh ich
nun eine würckliche Ahnweysung bekommen könne?
3. Weil der Amanuensis das juramentum taciturnitatis prae-
sliren soll, wird sichs nicht wohl schicken, daß er bey Studenten
wohne. Welche ihm in die Charte gucken, also stell zu meines
hochgeehrten Herrn judicio, oh Ihrer Eürstl. 'in. unterthänig vor-
zubringen sey, dal.'i iinn zu erwärmung eines eygenen losaments,
welches ich ihm eingegeben hab, mögen 1 Claffter Holtz ahnge
wiesen werden?
4. Zu Beförderung der Sachen hab ich den \.manuensem
ahn Discdi genommen, undt versprochen sonsten nach Nothurff!
ihn zu accommodiren, damit er mir gleichsam ein Registratur in
296 Wilhelm Diehl.
den actis halte, undl mir nichl allein eines und! anders zu seiner
Zeit auffzusuchen wisse, sondern auch Achtung habe, daß nichts
verlohren werde. Nun kann mein hochgeehrter Herr leicht lieh er-
achten, daß mir dieses schwer falle. Bitte also dinstl., er wolle
mir seinen Rath mittheilen, ob ich ihn bey Zeyten dimittiren solle
undt sein Glück lassen anderswo suchen, weil die würekliche Ahn-
ordnung wegen seines Unterhalts etwas lang außen bleibt, davon
in beyliegender Copia N. 2 ist gedacht worden.
4. Ob Ihre fürstl. Gn. das juramentum taciturnitatis von
mir undl dem Amanuensi wollen abnehmen lassen, damit desto
sicherer unß ein oder ander Document könne ahnvertrauwet
werden? Ob etwan wie ich längst gebeten ein formula juramenti
auffzusetzen sey, daß ich mich zuvor darinn ersehe?
5. Ob dem Amanuensi das fürstl. Genadenschreiben, davon
in dieser Copia N. 2 § 1 gedacht, könne eyngehändiget werden,
damit er mir zu aller Arbeit desto williger sey?
6. Ob mir das fürstl. Rescript, davon in dieser Copia N. I,
§ 3 gedacht, könne zukommen? Es möchte etwa kommen, daß
Ihre fürstl. (in. ich wann das Werck glücklich absolvirt, in Unter-
thänigkeil umb ein genad ersuchete, welche vielleicht ihrer fürstl.
(in. Rentcammer nicht würde schädlich fallen.
7. Wie eß niil der Edition des Buchß solle gehalten werden?
8. Was ich gemacht habe, will ich alle Monat oder alle Vir-
theil Jahr nach Hoff schicken. Kanu wocheidlich über ein Bogen
nicht machen. Hoffe aber, es solle so gemacht werden, daß es
sich mehr durch seine Qualität alß Quantität commendire.
9. Ob das Schreiben ahn die Academi abgehen könne, daß
ich Macht habe zu lesen, wann mir möglich. Davon in Copia
i\\ 1 zu sehen § 4. Ich hab schon solche Ahnordnung gemach l,
daß so viel Privat collegia oratoria werden gehalten werden, daß
niemand über Mangel der Information klagen wird. Ich werde
auch nicht vergessen, durch actus publicos jehandts die Jugend
zu excitiren.
10. Weyll ihre fürstl. (in. Herr L. Philips ihre Instrumen!
der Academi vollend verehrt, wie es mit dero Abholung solle ge-
halten werden?
11. Wo mann ein Platz nehmen solle, da die Instrumenta
hinzustellen seyen ?
12. Weyl Johann Witte Riga Livonus, unahngesehen daß er
ihrer fürstl. (in. Paß gehabt auch ein offenes testimonium von
der Universiläl furgezeygt, dennoch vom Keyserl. Commendant
zu Hermanstein, Freyherrn von Metternich ahngehalten worden,
undt ihm nach Erlegung einer Rantzion seine Bücher auffgehalten
werden, alß hat, er deswegen ahn ihre fürstl. Gn. supplicirt. Ob
«•s nun nichl ein Miltel sey, damil dem guten Kerle geholffen werde,
daß ahn Ihre l'iirsll. (in. von der Academi geschrieben würde undt
es 'hernach ihre l'iirsll. (in. einschließen undl ahn den von Metter-
nich begehrten, daß er der Universiläl Suchen möge statl geben,
undt g. Willen die Bücher folgen lassen. Oder ob es ahn Herrn
Cantzlar Schützen könne geschrieben werden, daß er es etwa
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. -J'.»7
ahm Keyserl. Hoff suchte! Es periclitirt ihrer fürstl. Gn. Re-
putation, indem der Paß nicht hesser in Acht genommen, undt
die Academi ist schuldig sich des Kerles in diesem unverdienten
Fall almzunehmen.
VIII.
Schreiben von Schuppius an Philipp Ludwig Fabricius
vom 27. September 1641.
. (Darmstadt, Staatsarchiv, IV, 1, 8.)
E. Excell. wollen mir großg. verzeyhen, daß ich nochmahlige
Erinnerung thue wegen des operis historici. Ich hab zwey stu-
diosos dahin disponiret, daß sie collegia oratoria undt historica
halten wollen. Der eine ist ein Silesius, nahmens Daniel
Richter, der ander ein Westphalus mit nahmen Henr. Delius.
seindt 2 alte Cärles. Hab ihnen zu dem Ende etzliche arcana
communicirt. mit welchen ich sonst noch ein Weyl zurück ge-
halten hette. Undt weyl sie unterschiedene Materien tractiren
werden, hoffe ich. es soll eine Aemulation zwischen ihnen er-
wachsen, daß einer den andern zum Fleyß ahnfrische undt also
die Studirende Jugendt in diesem Paß keineswegs verseumht
werde. Fürs ander hab ich Hern Merian seine historische arbeyt
auffgekündiget, damit ich zu diesem Werck desto mehr Zeyt undt
Ruhe haben könne. Undt bah hiemit einen grosen Zorn undt.
Sauersehens verdient. Fürs dritte hab ich den Amanuensem zu
mir ins Haus und ahn meynen Disch genommen, undt bitte dem-
nach E. Excell. zum dinstlichsten, sie wollen ihren hochwichtigen
Geschafften, soviel abbrechen, undt etwa den Herrn Consiliariis,
welche itzo der Universitätsrechnung beywohnen, committiren, daß
sie das juramentum taciturnitatis von mir und meinem Amanuensi
ahnnehmen undt etwa sonst mit mir reden, was ihre fürstl. Gn.
in diesem Fall wollen von mir gehalten haben. II. Daß mir die
Acta, alsobalt gelieffert werden, damit ich alsohall horis successivis
darauß excerpire, was zu meiner intention dienlich undt also
zum wenigsten mache, daß mir der Amanuensis nicht müßig da
gehe. III. Daß der Academi almgedeutet werde, daß ich lesen
möge, wann ich kann. Ich werde doch nicht l'eyren, sondern
Jehands ein actum publicum ahnstellen und! sehen, daß ich die
Studiosos bei gutem contentemenl erhalte. IV. Daß mir das Eürstl.
Genadenschreyben eingehändigel werde, daß Ihre fürstl. Gn. die
Arbeit wann sie fertig ist, genädig erkennen wollen. Ich will mil
Gottes genädiger llülff, all mein euserstes Vermögen darin un-
ges|tart lassen. E. Excell. werden sich großg. erinnern, daß im
Nahmen unsers Gn. Fürsten undl Nenn sie mir den 2. .lul. schrift-
lich versprochen, daß ich meine Besoldung richtig bekommen
solle. Also stelle zu E. Excell. großg. Belieben, ob sie mir ferner
die grose Gunsl undt Beförderung thun wollen, undl machen, daß
die Herrn Commissarii etwa auff Mittel gedencken, und mil mir
reden, wie ich meinen geringen Ausstand ahn Gell und Fruchl
bekommen könne. Wie ich hinfuro könne alle Meß he/.ahll weiden,
dazu hoffe ich Mittel zu erlinden, welche weder ihrer fürstl. (in.
298 Wilhelm Diehl.
beschwerlich, oder eynem andern Professori ahn seyner Zahlung
verhinderlich seyn sollen. Unter andern Mitteln ist auch dieses.
Es ist ein Ehrlicher Mann, welchen ich dahin disponirt, daß er
ein Stipendium surften will, daß allezeit ein Studiosus zu Mar-
purg desselben genießen undt ihrer fürstl. (In. sich verobligiren
soll, daß er sich auff das Studium eloquentiae begeben undt dahin
sehen wolle, daß er es in Theologia appliciren undt einen guten
Prediger geben könne. Welches itzo fast rarae aves sindt. Wann
nun dieser ehrliche Mann von der Academi dieses Capitals halben,
so er dazu vermachen wirdt, auff ein gewiß Unterpfand, genug-
sam könt versichert werden, also daß die Academi dieses Stipen-
dium davon richtig bezahlen wolte, könte mann dieses Capital
nehmen, undt nicht allein mich sondern auch sonst noch einen
Mann davon ein Jahr oder etzlich contentiren. Im Fall diese
oder dergleichen Mittel etwa falliren solten, hoffe ich, E. Excell.
werden ihrem gg. Versprechen nach, mir Beförderung thun, daß
mir meine Besoldung alle Meß auß fürstl. Renteammer gegeben,
undt der Academi ahn ihrem Deputat abgekürtzt werde. Es ist
ein geringes, wirdt der fürstl. Renteammer wenig schaden, ich
aber kann es ohne höchste Beschwerung undt Verhinderung ahn
meinem scopo nicht entrathen. E. Excell. werden sich erinnern,
daß derselben ich ohnlängst zu verstehen geben, daß ich viel
auff frembden Academien auff meine Studia und Conversation
gelahrter Leuth gewendet und dannenhero ein hundert Thaler oder
etzlich schuldig blieben. Wann ich nun dazu ohne Besoldung
leben solte, würde mir manche arbeyt gar widerwertig gemacht
weiden. Mann würdt es leichtlich in diesem opere spüren können,
wann ich liberi et praesentis animi gewesen sey. E. Excell. ver-
sichern sich, werde ich ein wenig contentirt, ich will das Werck
mit Gottes Hülff so freuwdig und eyfferig ahngreiffen, daß das
gantze fürstl. Haus Hessen bey der Posterität Reputation davon
haben soll. VI. Verhoffe auch, E. Excell. werden ahnordnung
machen, daß der Amanuensis das versprochene fürstl. Rescripi
bekomme, daß ihre fürstl. (in. ihn nach vollendeter Arbeyt, auff
seyn unterthänig ahnsuchen ihn für andern gn. befordern wollen,
wozu er qualificirt. Versicher E. Excell., daß es kein gemeyn
ingenium sey, und seine Stell wohl einmahl werde mit Ruhm
zu orniren wissen. E. Excell. werden auch etwa eingedenck seyn,
wie er sonsten soll aecommodirt werden. Undt weil mehr mit
diesem Werck es zu thun geben wirdt, alß mancher meynt, undt
aber der Amanuensis sehr fleißig ist, und des Nachts wird wieder
einbringen wollen, was er des Tags in seinen privat-Studiis ver-
seumbi. alß bitt E. Excell. ich dinsll., sie wollen für allen Dingen
dahin gg. cooperiren, daß ihm zu Erwärmung seiner Stuben
mögen 4 Claffter Holt/, assignirl werden. Ich wolte wohl mittel
iinden, daß ihm ein ander das Hollz bezahlt. Weil er aber die
Sache so er abzuschreiben hat, niemand darff sehen lassen,
muß er ein eygne Slnb haben, undt allein wohnen. Daß Übrige
sey zu ihrer fürstl. (in. genädigen Disposition gestellet, ob sie zu
seyner Adimentirung etwas weyters verordnen wollen oder nicht.
Neue Beiträge zur Geschichte Schup] s 299
VII. E. Excell. werden sich auch gg. entsinnen, daß sie den 2. Jul.
auß Gießen berichtet, daß Unser Gnädiger Fürsl und Herr dem
Herrn Oberforstm. Rauwen genädig befehlen wollen, daß er mir
dieses Jahr 12 Claffter Holtz, 2 stück Wildl undt 1 Sauw lieffeni
solle. Nachdem nun der Winter für der Thür ist, alß stelle
E. Excell. ich ahnheitnb, ob sie mir Beförderung thun wollen,
daß ich des Holtz halben eine Ahnweysung bekommen könne.
In unverhofftem wiedrigen Fall müste ich mich bey Zeyten ander-
werts versehen, ehe etwa, welches Gott gg. verhüte, des Krigs
Volcks halben die Wald unsicher werden wolten. E. Excell.
machen, daß zugleich im Befelch ahn H. Oberforstm. des Wildts
gedacht würde, dörffte E. Excell. ich hinfuro nicht etwa weiter
darumb bemühen, undl würde veruhrsacht gegen E. Excell. danck-
bar zu seyn. Wie ich dann ohne das durch vielfaltige Guththaten
von E. Excell. so hart verobligirt binn, daß ich nicht weyß, wie
ich meiner Schuldigkeit genug thun könne.
E. Excell. verzeyhen mir, daß dieselbe ich dieser Sachen
halben so weitleufftig importunire. Ich hab die betrübte Weyß
ahn mir, daß wan ich meine Gedancken cum irapetu auff ein Werck
geschlagen hab, undt werde daran verhindert undt laß gemacht,
so werde ich hernach des Dings gantz überdrüssig undt binn
hernach gar schwerlich dran zu bringen. Drumb bitte ich dinsll.
E. Excell. wollen machen, daß ich in jetzigem calore erhallen
werde. Ich hoffe wann ich drüber komme, ich wolle ball mit
Gottes Hülff viel gemacht haben. Ich hab mir fürgenommen, wann
die Rechnung undt mein Promotionwesen furüber ist, ich wolle
einmahl ein par Monat nicht für die Thür gehen, und 3 Tag in
der Woche unice in Theologia studiren, die übrige Tag aber unice
auff diese Arbeit wenden. Im Fall Ihre fürsl I. (in. etwa ihre Re-
solution geendert heften, undt das Werck wolten ahnslehen lassen,
were ich auch in Unterthänigkeit wohlzufrieden undt wüste meine
Zeit genugsam ahnzuwenden. Ich habe jüngst ahn Ihre HochE.
St. Herrn Praesidenten Plessen geschrieben, hoffe nicht, daß Ihre
HochE. St. mir meinen gebrauchten Furwilz werden für übel
halten. Im Fall aber seyne HochE. St. eynige Displicentz daran
geschöpfft, bitt ich E. E. wollen ihrer preyßwürdigen Gewohn-
heit nach mich bestermahsen exculpiren. E. Excell. befehl ich
damit neben ihren lieben Ahngehörigen in Gottes Bewahrung undl
bleibe so lang ich lebe.
E. Excell.
ganlz ergebener Ireuwer Diener.
Marpurg in Eyl am 27. Sept. L641.
IX.
Schreiben von Schuppius an den Landgrafen Georg II.
vom 4. Dezember Kill.
(Darmstadt, Staatsarchiv, IV, 1, 8.)
Was E. fürsl I. (in. wegen Ubernehmung des operis Historici
mir genädig befohlen, undl deswegen sich leine!' fürstlich resul
300 Wilhelm Diehl.
virt, hab ich mit unterthäniger lleverentz vernommen, undt nicht
allein neben meinem dazu benötigten Amanuensi das juramentum
taciturnitatis in Gegenwart E. fürstl. Gnaden Raths und Pro-
t'essoris D. Tülsneri abgelegt, sondern auch im Namen Gottes
ein würcklichen Ahnfang zu der Arbeyt gemacht.
E. fürstl. Gn. versichern sich, daß sie durch ihre nicht allein
auß selbigem schreyben sondern auch andern fürstlichen Be-
zeygungen verspürte Cleinentz mein gantz Gemüth dergestalt ver-
knüpft! undt verbunden haben, daß ich solang ein lebendiger
Athem in mir bleiben wirdt, gantz begierig undt eyferig seyn
werde, alles zu thun und zu leysten, was in meinen eusersten
Kläfften und Vermögen ist, und was nur immer ein treuwer auff-
richtiger Patriot seinem so gütigen Landtsfürsten undt Herrn in
unterthänigem Gehorsam leysten kann oder soll. Ich hab offt
beklagt, daß E. fürstl. Gnaden hocherleuchten von Gott reichlich
gesegneten Verstandt undt andere heroische fürstliche Qualitäten
andere Leuth mir nicht allein alhier sondern auch hiebevor in
freinbden Landen, so vielfaltig gerühmt, undt ich niemalß das
Glück gehabt habe, E. fürstl. Gnaden fast recht zu sehen oder
dero fürstliche hochweyse Discurs selbst ahnzuhören. Undt wie-
wohl ich zu diesem schweren Werck E. fürstl. Gnaden voll-
kommene Tugenden zu beschreiben ich mich gantz ungeschickt
undt viel zu gering befinde, so will ich doch nechst fleißiger Ahn-
i nffung der Göttlichen Allmacht mich Tag und Nacht dahin be-
arbeyten, daß E. fürstl. Gnaden undt die Posterität auß diesem
opusculo sehen, daß ich Fleyß, Vermögen undt unterthänige
Affection hab angespart gelassen. Hoffe E. fürstl. Gnaden werden
ihrer offt hochgerühmten Gütigkeyt nach mir mein Unvermögen
bis zu besserer Übung genädig zu guth halten.
Ich ruffe Gott den allerhöchsten in warer Ahndacht meines
Hertzens demütig an, und bitte er wolle E. fürstl. Gnaden noch
viel erstreckte Jahr in gesundem Auffwesen undt florirendem fürst-
lichem Wohlstandt erhalten, damit sie als ein exemplarischer
dapfferer weyser Regent nicht allein unser liebes Vatterlandl.
sondern auch die übrige gantze hochedle deutsche Nation mit
vielen hochweysen, friedfertigen Rathschlägen undt glücklichen
-^iccessen erfreuwen, undt meiner mehr willigen alß vermögenden
Feder eine Occasion über die ander suppeditiren, E. Fürstl.
Gnaden unsterbliches Lob gleichsam wie in einem Spiegel der
Posteritäl zu zeygen, damit also E. fürstl. Gn. ihrer beywohnenden
hohen unvergleichlichen Qualitäten hochverdienten Lob bey den
Tugentliebenden Nachkommen empfinden, undt dieselbige ein
Exempel eines tugentreichen Regenleu, von E. fürstl. Gn. nehmen
können. Derselbe getreuwe Gott wolle auch E. fürstl. Gnaden
fürstliche Gemahlin und! junge Herrschafft mit langem Leben
sättigen, undt auß einer fürstlichen Glückseligkeit in die ander
führen. Mit welchem christlichen Wunsch ich alles beschließe,
undt E. fürstl. Gnaden genädigen und! beharrlichen Affection mich
in Unterthänigkeil ferner recomniendiie.
Geben Marpurg am 4. Decembr. 1641.
Neue Beiträge zur Geschichte Schupp-. 301
x.
Schreiben von Schuppius an Philipp Ludwig Fabricius
vom 16. Januar 1643 nebst poetischen Beilagen.
(Darnistadt, Ministerium, Rektoratswahlen.)
E. Excell. sende ich hierbey etzliche carmina fast von den
geringsten, welche Herrn Landgraf Ludwigen zu einen von den
Studiosis gemacht, undt bey seiner fürstl. Gn. ankunfft haben ahn
die Kirche sollen geschlagen werden. Andere schöne Eccho,
Lieder, Sonnet* Hirten undt Musen Gespräch, undt dergleichen
sinnreiche poetische Inventiones, deren allzeit noch 15 Stück
sindt, so theilß noch nicht gantz außgearbeitet, theilß noch nicht
abgeschrieben, werde ich mit nechstem schicken. Stelle noch-
malß zu E. Excell. weyser consideration, ob es nicht möglich sey,
weil einmahl ein geschrey davon spargirt, daß ihre fürstl. Gn.
Segen künffligen Sontag herkommen. Ahn meinem wenigen Ort
wolt ich nacht und tag nachsinnen, daß Ihre fürstl. Gn. in diesem
officio gleichsam ein fundamentum famae publicae legten, undt
ohne nutz und frucht in Ihren studiis nicht abginge. Ist noch
eine spes dazu übrig, so möchte ich wünschen, daß es durch
einen eygnen hotten auf Darmstatt, geschrieben würde, ich wolt
den botten gern bezahlen. Daß Ihre fürstl. Gnaden in absentia
creirt werden, ist furwar ihre fürstl. Gn. nicht reputirlich proptei
certas causas, quas praesenti praesens exponam. E. Excell. ver-
zeyhen mir, daß deroselben ich so libere beichte. Sie schließen
daraus meine dinstliche affection, welche E. Excell. so vielfaltige
beneficien in nur erweckt und macht, daß ich; biß in mein grab
mich obligirt erkenne, beharrlich zu seyn
E. Excell.
gantz ergebener treuwer Diener.
Raptim in Marpurg 16. Jan. 1643.
a. Entschuldigung der aufgeschwelleten Lahn.
1. Zürnet nicht, zürnet nicht über das Schwellen,
Edelster Prinz, so ich neulich gemacht.
Warlich ohn meine Schuldt haben die Wellen
Hessenlandt in so groß Schaden gebracht.
Ich bin sonst vol Glitte,
Undt jage das Leidl
Von aller Geinüll<\
Die sich bey mir zu erquicken bereit.
2. Alle die Berge, so immer gefunden
Und) diese Gegendt, die hatten zue Hanf,
Nur bloß aus Hachgir sich hefftig verbunden
Mir durch viel Wasser zue hemmen den Lauf,
Weil ich so vol Gütte etc.
3. Aber ich habe nun alle> vertrieben.
Was mir zuvor so verwirte den Sin,
Fließe nun sänfter nach meinem Belieben
Wieder durch Gärte und Felder dahin.
Ich bin ja vol Gütte etc.
302 Wilhelm Diehl.
4. Kommet nur, kommet nur, ich will mich hütten,
Schönester Fürst, daß ich bringe kein Schad
Nicht sobaldt wiederumh durch überschütten,
Weyll es viel Seufzer veruhrsachet hat.
Ich bin ja vol Gütte etc.
5. Phoebus der wil Euch den Scepter vertrauen,
Über der Musen geadelte Schaar,
So will ich alsdan mit Fleiße beschawen,
Wie Euch ich mindre des Winters Gefahr.
Den ich bin vol Gütte etc.
6. Wan nun der Früling wirdt wieder erscheinen.
Sollen die Üffer in Blatte da stehn,
Weyl ich ohn Fruehtbarkeyt werde bey keinem
Können hinrauschen mit süßem gethön.
Ich bin ja vol Gütte etc.
7. Alß dan soll von Euch die Tugendt vermelden
Unser Herr Schupp, undt selbieger Ziehr
Billich vorziehen viel muthiegen Helden,
Unter dem schönen gemürmel alhir,
Den ich bin vol Gütte etc.
8. Kommet nur, kommet nur, ich will mich hütten
Schönester Fürst, daß ich bringe kein Schad
Nicht sobaldt wiederumh durch überschütten,
Weyll es viel Seufzer veruhrsachet hat,
Ich bin ja vol Gütte etc.
b. Marpurger Schäffer Wüntsche.
Wiewohl die Winterlufft sich hefftig außgelassen,
Jedennoch mit der Herdt auf einem Hügel saßen
Gantz nah bey dem Parnaß, der weise Coridon
Undt alle Titirus, undt redeten darvon,
Daß großen Schad gethan mit vielem Uebergießen
Die vormahls kleine Lahn. Indem kont man nicht wissen,
Was vor ein schöner Thon, nicht weit darvon geschach,
Darumb der Titirus in solche Wort entbrach.
Titirus.
Was mag dieses wohl bedeuten,
Daß dort oben ein Geschrey?
Man siht, daß schon diesen Leuten
Nunmehr fast vergessen sey,
Waß das Wasser und) undt an
In gantz Hessen hat gel bau.
Coridon.
Laß sich doch die Armen frewen
Wiederumb nach solchem leidt.
Denn der Himmel zu verleihen
Ihnen wollust ist bereit,
Weil! der Fürst in diesem Landt
Herr der .Musen ist erkant.
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 303
*.
Ti t i r u s.
Ey, so will ich dan nicht schweigen.
Will mein Sackpfeif hissen gehn.
Nimm du Coridon dein Geigen,
Ich will besser wohl bestehn
Alß due, undt es machen recht
Bisin schon ein Musenknecht.
Coridon.
Nun es soll mir auch behagen,
Waß wiltu dan setzen auf?
Ich will diesen Stab hir wagen,
Gib ein Schaf due aus dem Häuf,
Wan der Sig im Singen mein;
So kanstu der Erste sein.
Titirus.
Wie der Lähnberg1 vielen andern
Gehet in der Höhe vor,
Wie due wirst umbsonst durchwandern
Diese Gegent bis auf Lohr
Undt nicht finden wohl ein Haus
Dem dis Schloß was gebe rauß ;
Wie mein Stab vor andern allen
Jungen Mägdlein wohl gefeit;
Also muß auch wohl gefallen
Allen Völckern auf der Welt
Dieser Fürsten hoher Stamm
Undt so weyt berümbter Nahm.
Coridon.
Wie Parnassus edle Spitzen
Alle Berge stechen ab,
Wie die Mauren, so beschützen
Konten vieler Volcker Hab
Undt das Große Babylon
Andere stißen von dein Thron
Wie Apollo Leyer können
Keiner Sackpfeif werten gleich,
Also w i is t u dich besinnen
Gantz vergebens auf ein Reich,
Da ein Slam, den dieser nichl
Weyi an Tugend! übersticht.
Ti t i rus.
Wie ein Böcklein vor zuegehen
Baldl sich schicket vor <\rv Herdt :
Wie zue reiten Unit bestehen
Alsohaldl ein statlich Pferdt
Also thut Herr Ludwig auch
Wieder aller Jugend! Brauch.
Ursprünglich : Langenberg.
304 Wilhelm Diehl.
Coridon.
Wen ein Adler kaum bekühlet
Schwingt er sich schon in die Höh'
Wen ein Lew die Zähne fühlet,
Sucht er wo er Raub erseh'
Auch der Fürst in diesem Landt
Macht sich in der Blütt bekandt.
Til irus.
Ey, so sollen dan die Felder
Ihm zue ehren fruchtbar sein,
Alle püsch' undt alle Wälder
Grünen, wan der Sonnenschein
Wieder Hirt undt Herd erfreuet
Mitt der güldnen Frülingszeyt.
Coridon.
Muthieges Hessen thue nicht vergessen der voriegen Trew;
Liebe vermehre und stets verehre, Herr Ludwig aufs New.
Alles gesinnen, alles beginnen dis fürstliche Hertz
Wirt dahin richten, daß es mög schlichten den traurigen Schmertz,
Den von viel Jahren due nun erfahren durch Krieges Gewählt
Schädlicher Leute, die wegen Beute in Lieben erkalt.
Drumb Ihn auch krönet undt itz belehnet der Phoebus mit Macht
Über die Schaaren, so zuevor wahren von Musen verwacht.
Wen dis geführet undt sich verliehret bestimmete Zeyt,
Haben viel Kräntze, fröliche Täntze die Musen bereit.
Herr Schupp Euch tragen nach dem Behagen des Helicons auf
Allen zue singen von diesen Dingen, zue ziehren den Lauf.
Alles bekleibet, so Ers beschreibet bey ewiger Welt,
Was nur wirdt können weißlich ersinnen der Edelste Heldt.
Was wiltu nun hierzue sagen?
Gehn dir solche Reim auch ab ?
Wirstu es nun weyter wagen
So bin ich ein rechter lap,
Gelt due kanst itzundt gar Naut?
Sehern dich nur in deine Haut.
Her Titirus blutrot, warf seine Sackpfeif nieder,
Sah Coridon schel an, verfluchte alle Lieder,
Undt gab ein Schaf, undt meint, er hette sehr geirrt,
Daß er so töricht mit dem Mauskopf sich verwirt.
c.
0 wolle, wolte Gott, ihr hette t ewre Gaben,
Die in der Poesi Opitz und andre haben,
0 Musae mir verehrt, so würde diesesmahl
Der Printz, der Edle Printz, der Hessen, dem die Wahl
Und Würde hat gebracht, daß er ein Scepter führet,
Ein Scepter, wie bekand, daß Königen gebühret,
Ein würdig Lobgedicht in Unterthenigkeit
Kinpfuiiüen. Hier gebrichts. Doch ist. der Will bereit.
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 305
Wohlan du liebe Leyr, so laß ein Thon erklingen
Der schlechten einfalt nach, laß (leine Seyten zwingen
Von unerfahrner Hand, und sey auff Lob bedacht
Nach bester Möglichkeit, nichl wie maus sonsten acht.
Sing, weret ihr, o Printz, nicht fürstlich vom Gheblüthe
Daß Königlich doch ist, hett gleichwohl daß gemüthe
Zum Fürsten Euch gemacht! Ja singe auch, daß Blulh
Wie gottlich es auch ist, bey euch das tninste thut.
Dan seyt ihr rrit ein Bild und Spiegel aller Tugend i
Von Mutterbrüsten ahn, vom ersten Jahr der Jugendt?
Hatt. nit der große Sin und fewrige Verstand!
Auff daß waß göttlich ist, von Kindheit sich gewandt?
Drumb hatt der große Fürst, von dem ihr seyt entsprossen
So bald er nur vermerckt, daß Phoebus hab begossen
, Den unvergleichten Sin mit seiner gaben schaar
Gantz keine müh gespart, dieweil er Vatter war,
Dem Vatterland zu gnth, also zu unterbawen
Daß die Posterität hieran mög Wunder schauen.
Diß aber hatt gefehlt, weil Phoebus nit gewolt,
Daß sein beliebter Sohn Regierer werden solt
in seinem großen Reich, erst nach so vielen Jahren:
Nein, sprach er, nit also. Jetzt sollet ihr erfahren
Sonst unerhörte Ding. Dieweil sichs umgewand
Daß (ließe r junge Printz den Alten ahm Verstand
Und Künsten kommet gleich; Soll er Gesetze geben
Darnach in meinem reich all Unterthanen leben,
In seinci' Jugendtblüth : dan der die Cron verdient
Er sey jung oder alt, der wird damil gekrönt.
Glück sey, o wehrter Fürst, bey dießen hohen ehren
Die der gelehrten schaar und Phoebus euch gewellten :
Die Weyßheit selber nuhn euch ihren Herren nennt,
Daß ist der rechte Lohn, daran mau Tugend kent.
Der Macedonier und andre Potentaten
Wan sie umb höchstes Glück die alte Götter bathen,
So wünschten Sie allein, daß in der Weisen Chor
Und Künsten in der Welt, sie andern kehmen vor.
Diß habt ihr, Edler Fürst, mil höchstem rühm erlanget,
Und noch zum Überfluß ihr mit dem Scepter pranget
Das alle Kunst regiert; dem Scepter, so die Welt
Und gute Policey in ihren Schrancken bell.
Glück zu, o Hessenlandt, du magsl dreh seelig nennen,
Daß du wirst dermahleins ein solchen Fürsten kennen.
Durch dessen hohen Sin und inechtigen \ erslandl
Wird wohl regieret sein daß gantze v*atterlandt.
Durch den die güldne Zeit und Fried wird wiederkommen
Den über zwantzig Jahr gantz Teutschland nit vernommen
Dan wird die große angsl und Threnenflüß verkehrt
In Frewdenzeichen sein und waß man lang begehr!
So wird daß öde Feld und ambgekehrte Auen
Versüngen ihre Frewd. wan jedes sehn wird bauen
Beiträge z. Gesch. d. Universitäten Mainz u. Gießen. 20
306 Wilhelm Diehl.
|)as. so Pest, Raub und Brand in Grund verwüstet hat
Ja lauter Frewdigkeit kombt an der Threnen stat.
Wan dan ein besser Lied von den gelehrten Zungen
Dir wird, o thewrer Printz, zu Ehren sein gesungen,
So soll mein alte Leyr, wan gleich auch keiner will.
Von deiner Tugendt Lob doch nimmer schweigen still.
XI.
Schreiben von Schuppius an Maximilian zum Jungen
vom 7. November 1643.
(Darmstadt, Staatsarchiv, XII, 154.1
Nechst dem von E. Hhg. ich abgeschieden, hat es so viel
seltzame änderunge an diesem Ort gegeben, undt last sich noch
ferner so seltzam an, daß ich undt andere gute leuth unser fast
selbst vergessen. Undt ist dieß die Uhrsach, daß E. Hohg. ich biß-
hero nicht ferner zugeschrieben, undt mich bedanckt für alle er-
zeygte hohe Gunst und Beförderung, welche zu verdienen ich mir
mein Lebtag will hochlich angelegen seyn lassen. Undt damit
E. Hohg. ich ferner Occasion an Hand gebe, mich je mehr und
mehr zu verknüpfen, so erinnere dieselbe ich unterdinstlich, daß
ich jüngst gedacht, wie meine nothurfft erfordere, daß ich ein
Stück Gelt uff meines genädigen Fürsten undt Hern schrifftlichen
Consens undt sowohl ihrer fürstl. Gnaden alß auch meine ge-
thane genügsame Versicherung aufnehme. Hab zu dem End unter-
dinstlich gebeten E. E. hochg. wollen mir ferner die grose Be-
förderung thun, und auß gewissen Uhrsachen an ihrem hohen
Ort durch ihre vielgeltende Authorität dahin cooperiren, daß der
Jud im Vogelgesang könne dazu disponirt werden, alß welchem
der meynigen Zustand bekant, undt der auch desto kühner bey
hochg. ihrer fürstl. Gnaden im Widerfordern seyn undt derowegen
mich desto eher wider auß der Obligation bringen könte, in dem
er mir Anlaß geben würde, auf die Zahlung desto besser zu
tringen, wann er mich treiben würde. Wann nun dazu Hofnung
vorhanden, bitte ich unterdinstlich E. E. hhgg. wollen durch dero
praecep torein mich mit zweyen Worten berichten lassen. Oder
durch Zeygern dieses Herrn Hans Georgen Neubauwern, dem ich
ol was zu thun undt darauf vertröstet habe. E. E. Hhgg. würden
mich sehr dadurch obligiren, undt es würde an starcker Ver-
sicherung a parte Illustrissimi nicht mangeln, alß desen Fürstl.
Gnaden itzo meiner armen Feder zu gebrauchen, undt derowegen
es mir an genädiger Hülf nicht werden mangeln lassen, wann ich
nur Mittel zu helfen vorschlagen werde. Wolle von Unserm Zu-
stand particularia schreyben, wann ich nicht eben mit andern
verdrießlichen negociis obruirt würde undt Zeiger dieses eyletr.
E. E. Ilh^u. weiden theils von Ihm selbst vernehmen können.
Womit E. E. Hgg. neben allen dero lieben Angehörigen ich in
Gottes genädigen Schutz empfehle, undt bleib so lang ich lebe
E. E. u. Hhgg.
gantz ergebener treuwer Knecht undt Diener
In höchster eyl.
Marpurg am 7. Nov. 1643.
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 307
xir.
Schreiben von Schuppius an Maximilian zum Jungen
vom 5. Dezember 1644.
(Darmstadt, Staatsarchiv, XII, 154.)
Wie hoch E. Wohl E. St. ich mich obligirt erkenne, hette
ich schon längst in einem publico scripta remonstrirt, wann nicht
andere sonderbare Geschaffte, Widervvertigkeyten undt Schwach-
heyten mich bisher dran verhindert undt es aufzuschieben mich
genötiget heften. Inzwischen schwebt E. St. grose Humanität mir
immer für Augen, und macht mich so kühn, daß dieselbe als
einen arbitrum meines künfftigen Glücks ich ersuche, undt die-
selbe bey dieser zwar eylfertigen jedoch sicheren Gelegenhevt
umb einen guten Rath bitte. E. St. hab als einem berühmten
Patrono operum literatorum, ich schon für einem Jahr zu Franck-
fort geklagt, wje mjt groser Beschwerung ich mich nun ins
zehende Jahr bey der Philosophischen Facultät zu Marpurg auf-
gehalten, undt weyl der Universität alle Mittel zerrinnen, undt
mit menschlichen Augen keine Besserung noch in vielen Jahren
zu ersehen sey, were mir unmöglich dieß Leben länger zu con-
tinuiren. in sonderbarer Betrachtung, daß ich weder mein oder
meiner Hausfrauwen Patrimonium in Händen hab, sondern an
meiner Besoldung hangen müsse wie ein Kind an seiner Mutter
Brüsten. Weil nun dieselbe so viel Jahr außen blieben, müsse
ich mich notwendig in despect setzen, weyl ich keinen Credit halten
könne etc. etc. Euwer St. versichern sich, wann ich meinem
ärgsten Feind mein Uhrsachen all entdecken sollt, welche mich
bewegen, daß ich alß ein mühdes abgemattetes Pferd, aus diesem
Professorischen Joch gern wolte ausgespaunet seyn, er würde
sie für erheblich genung halten, wann nur noch ein christlicher
BJutstropffen in seinem Hertzen zu finden were. Ein Stück dieser
Tili sachen hab ich meinem Patron Vice Statthalter Plessen ent-
deck!, welcher zwar ungern siehet, daß ich von der Universität
sollt abgerissen werden, weyl er aber meine Resolution so fest
gegründet befunden, hat seine St. mich gar beweglich an Unsern
Genädigen Fürsten und Herrn recommendirt, undt gebeten, daß
ihre Fürstl. Gn. auf anderwertliche Beförderung genädig bedacht
seyn wollen. Es hat auch Herr Statthalter mir zu verstehen
geben, was Ihre fürstl. (in. Ihm mil eygnen Händen geantwortet
halten.
Undt ist an dem, daß ich zum Superintendenten zu Schmal
kalden begehrl werde, wie E. St. unter andern aus Herrn Super-
intendenten Praetorü Originalschreyben zu ersehen, da er gedenckl
in medio epistolae: Successorem praeter Te nulluni aliinti de-
sidero esse. Nun stehe ich abermals in Sorgen, ob meine Wider-
Wertigkeit hierdurch möge geendet oder vielmehr in ein ander
Model gegossen undt also nur geändert werden? Dann 1. ist
Schmalkalden ein Ort, den Unser (Jenädiger Fürst und Herr nur
pfandsweys inn hat, undt isl mann nicht versichert, daß mann
einen Monal da sicher bleiben könne, so gar lassen sich die
20*
308 Wilhelm Diehl.
Cassellaner itzo mit ihrer Intention heraus. Nun hab ich eine
weitlaufftige Bibliothec, welche ich nicht zurücklassen kann, soll
ich diese mit grosem Unkosten den unsichern Weg führen, eine
neuwe Haushaltung formiren, undt nicht wissen, ob ich über
Nacht wider aufbrechen müsse, das kompt mir undt den meynigen
sehr beschwerlich für. Zum Andern hab ich einen alten Vatter,
von dem ich ein ehrlich Patrimonium zu erwarten, ziehe ich weit
von Giesen, so sind Unser Sachen so gethan, daß ich deren
wann ich weyt davon binn, nichts werd genießen können. Anderer
Discommoditäten zu geschweygen. Ich hab zwar alles in Gottes
genädigen Willen gestellet. Jedoch hat ein Mensch auch seinen
Verstandt von Gott, daß er desen brauche.. E. WohlE. St.
verzeyhen der eylfertigkeyt desen, dem ich diesen Brief anver-
trauwe, welcher mir nicht zuläst mich recht zu expectoriren,
und mit gebührender Discretion E. WohlE. St. mein Anliegen zu
entdecken. Mit wenigem erinner E. WohlE. St. ich etzlicher
hochg. Wort, so dieselbe gegen mich schießen lassen, als von
derselben ich zu Francfort Abschied nahm. Undt schütte in
höchster Demuth dieß Arcanum in E. St. Schos-, und beychte
deroselben von Hertzen, daß mir nach Marpurg kein Ort in
der gantzen Welt bequemer sey, darin ich mein Leben zubringen
möchte, als Francfort. Wann nun Hern D. Tettelbachs Stell
besetzt were, undt ich könte im Minis terio eine quamcunque
siaiionem haben, also daß mir dabey das Gymnasium anver-
trauvvt würde, dasselb in Flor und Aufnehm durch Gottes Hülf
zu bringen, Ich wollte alle meine Kläffte darin consumiren, und
leicht auf Mittel dencken, daß Ihre Fürstl. Gnaden mich in
Genaden dimittirten. E. St. entdeck Ich dieß arcanum nicht
alß einer vornehmen Regimentsseulen, sondern als ihrer Privat-
person, und meinem Hochgeehrten Patron, undt sage das, daß
ich keinem Menschen auf der Welt lieber gönnen wolt die Ehr
mich zu befördern, alß E. St. Will demnach derselben mich
biemit selbst gleichsam schencken undt verehren. Ein besser
Geschenck als mich selbst, hab ich nicht. E. St. machen aus
mir, was sie selbst wollen, so wird das Geschenck desto precioser
werden. Rathen E. St. mir, daß ich die Condition zu Schmal-
kalden acceptire, so seyen sie versichert, daß sie an dem Ort
einen Diener haben werden, der täglich für sie beten wird.
Rathen sie mir aber etwas anders, so will deroselben ich auch
gehorsamlich folgen. Euwer St. thuen doch in diesem Fall bey
mir wie sonsten Ihre hoch löbliche Gewohnheyt ist gegen tugend-
liebende undt arme Leuth zu thun. Die erste Belohnung, er-
warten sie von Gott, die ander mit meinen treuwen I husten
zu erlegen will ich mir aufs höchst angelegen seyn lassen. Herr
Praetorius wird den nechsten allhier erwartet. Drumb bitt E. Sl.
ich demütig, sie wollen Ihrem Domestico M. Matthiae nur mit
zweyen Worten befehlen, mir zu schreyben, ob und wie ich mich
wegen Schmalkalden resolviren solle? Ich schreyb Unserm
Herrn Gott nicht für, hoffe aber E. St. werden meine innerste
llii Izensgedancken, welche ich wegen Franckfort hab, nicht übel
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 309
ausdeuten. Ich "rede also davon nach menschlicher Thorheyt,
undt überlasse Gott (qui per media agit) die Disposition. Undt
damit ich in meiner Thorheyt fortfahre, so mach ich mir leicht
die Gedancken, es werde, wann etwas furgehen sollte, Difficultät
haben, wegen der Oberstell. Allein E. St. seyen versichert,
wann mir dieselbe offerirt würde, daß ich sie constantissima
modestia recusiren wolte. Mallem ego locum ornare quam a
loco ornari. Ich binn durch so viel Vanitäte gangen, daß ich
nun das Ding .weniger als nichts achte. Ich weys, was es thut,
wann man von seynen Collegis geneydet undt nicht recht geliebt
wird. E. St. lassen mir nach ihrer beywohnenden Höflichkeit
zu, daß ich meiner süßen phantasey weyter indulgire, undt mich
erbiete, wann ich spem an das Ort haben könt, undt an meinen
Qualitäten in Theologicis mangel were, wolt ich alsobalt meine
Profession quitiren, undt mich eynig im Deutschen Haus noch
ein Jahr concionando exerciren, mich sonsten in Theologia üben
und also ferner durch Gottes Hülf capable machen. Sed quorsum
ego? E. Wohl E. St. nehmen hieraus ab die grose Confidentz,
so zu derselben ich geschöpft, undt wie begierig ich sey, mich
i lielei' in deroselben Schuld und Observantz zu setzen. Die eyl-
fertigkeit des Überbringers vergönnet mir nicht, daß ich alle Wort,
auf die Wag lege, welches ich auch nicht für gar nötig halte bey
einem solchem Patron, desen hoher Verstand mein demütiges
Hertz ansehen, undt dieses von einem geängstigten redlichen
Gemüth hergeflossenes eylfertiges Schreyben mit ewiger Ver-
schwiegenheyt vergraben wirdt. Ich widerhohle meinen christ-
lichen Wunsch so für E. WohlE. St. und dero hochangehörige
ich oft thu, undt bleib mit gantzem hert.zen
E. WohlE. St.
treuwer gehorsamer Knecht u. Diener solang ich lebe
llaptim 5. Xbris 1G44 in Marpurg.
XIII.
Protokoll der Vernehmung Schupps in der Disziplinarunter-
suchung wegen Anstellung der Betstunden.
(Darmstadt, Staatsarchiv, Y, 7, 16.)
Den 4. Januarii Anno 1645.
Isi Herrn Lt. Schuppen, Professorn und Predigern zu St. Eli-
sabethen Kirchen durch den Cantzleyknecht angezeigt worden,
wie daß im Nahmen und von wegen des Durchleuchtigen Hoch
gebornen Fürsten und Herrn, Herrn G gen, Landgrafen zu
Hessen, Unsers gnedigen Fürsten und Herrn, wir mit ihme etwas
aothwendiges zu reden heften, und er doch auf die Cantzley
kommen, und solches vernehmen wolle, solle Er, wie der Cantzley-
knecht berichtet, zur Antwort gegeben haben, 1. Er wehre etwas
unpäßlich, 2. helle auf zwey Predigten zu studiren und :'». wüste
nicht, ob er ohne Serenissimi Specialbefelch erscheinen solle,
sich aber doch zu bestimbter Zeit noch eingestelt.
310 Wilhelm Diehl.
Darauf ist in Praesentia Herrn Vicepraesidentens, Johann
Adolph Rawens von Holtzhaußen, Herrn Vicecancellarii D. Ruppels,
Herrn Superintendentis D. Herdenii, Herrn D. Hannekenii, Herrn
D. Seilen, Herrn D. Gehren, und Herrn Lt. Ruppels mit ihm ver-
handelt worden, wie folget.
Anfänglich ward ihm vorgehalten, welchergestalt die fürstl.
Regirungs Räthe in Erfahrung gebracht, ob solte Er in der
St. Elisabethen Kirchen eine sonderbare Rettstund angeordnet,
solches publice vor dem Altar verkündiget und noch darzu ein
eigenes Gebet begriffen, solches trucken zu lassen begehret, und
darinn gesetzet haben, daß erstlich vor den Römischen Kayser,
2. vor den Teutschmeister, 3. vor das fürstl. Hauß Hessen und
4. vor die Ordens Personen solle gebeten werden.
Nun hetten wir unß selbst christlich zu erinnern, daß das
Beten hochnötig wehre, und wir die Intentionem, welche Herr
Lt. Schupp etwa haben möchte, nicht improbiren könten. Es
müste aber solcher Anstalt also gemacht werden, damit unserm
gnedigen Fürsten und Herrn und dero hochlöblichem Fürstlichem
Hauß Hessen dardurch in nichts praejudicirt noch einige ge-
fährliche Newerung zugezogen würde : wie dann niemahls erhört,
daß in St. Elisabethen Kirchen vor den Herrn Teutschen Meister,
oder die Ordens Personen gebeten worden wehre, So pflege man
auch nicht in genere vor die Fürsten zu Hessen zu bitten, sondern
es würde jedes Orts der Landsfürst vorgesetzet, dero F. Gn. Fraw
Gemahlin, fürstliche Kinder und dann dero Herrn Brüder dar-
auf benand, und endlich des fürstl. Hauses Hessen in genere ge-
dacht, und hette ihme in allwege obligen und gebüren wollen,
solcher nachdencklichen wichtigen Sachen sich nicht allein nicht
anzumaßen, sondern uffs wenigst die F. Regirung, oder den
Herrn Superintendenten darvon zu berichten, alsdan hette alles
mit besserer Manier hergehen können: Rem, man möchte ietz-
under leichtlich etwas anordnen, welches hirnechst die Pontiiicii
allegiren, extendiren, und zu ihrem großen Vortheil gebrauchen
dürften, doch hetten wir vor eine Notturft erachtet, Ihn selbst
zu hören, und mit ihm aus diser Sachen zu communiciren. wie
er etwa vermeine, eines und das ander zu behaubten.
Ille: hette ietzunder seine Gedancken nicht frey, möchte
wünschen, daß er zu anderer gelegenheit erfordert worden wehre,
doch wolte er so viel ihm thunlich sich vernehmen lassen, fragte
demnach sobald, ob der Teutsche Meister nicht der Teutschen
Ordens Personen Obrigkeit wehre?
Nos: Ja, doch certo respectu, und daß unser gnediger Fürst
und Herr als Landsfürsl vornehmlich geehrt und dessen Lands-
Eürstliche Hoheit beobachtet würde.
Ille: Weil dan wir geständig, daß der Teutsche Meister der
Ordens Personen Obrigkeil wehre, so wehre Gottes Wort gemäß,
daß man vor die Obrigkeit betten solle, welches er gethan.
Nos: Er müste aber auch nichts newes, noch solche zur
bösen Consequentz gereichende Ding anstellen, sondern der fürstl.
Hessischen Kirchenordnung und herbrachter Observantz sich con-
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 311
formiren, da rinn" würde er finden, daß zwar vor alle Christliche
Potentaten in genere solte gebeten werden, gar nicht, daß er
in specie vor den Teutschen Meister beten solle.
Ille: Er wüste nicht, wie er sich in dise Sachen richten
solte, man wolte Mücken säugen, und Cameel verschlucken.
Nos: Das wehren sehr harte piequante unbedachtsame Wort,
da man also zu reden nicht pflegete. Wir sässen alhir im Nahmen
und von wegen des Landsfürsten, und seyen schuldig und pflichtig,
Ihrer f. Gn. juxa besten Fleißes in acht zu nehmen, gantz nichts
aber zu negligiren, oder zu versäumen, und netten mit ihm
placide reden wollen. So gebrauchte er sich nur solcher un-
bescheidener Worten, solte sich versichert halten, daß wir an
gehörigen Ort. dises underlhänig berichten werden, und wan er
mit dem Herrn Superintendenten, als seinem Obern auß diser
Bachen vorher communicirt nette, wie er zu thun schuldig ge-
wesen, würde selbiger ihm andere und bessere Information ge-
geben haben, maßen dan ander anderm zum Exempel referirt ward,
ohnangesehen Chur-Trier Condominus zu Ober-Rospach wehre,
daß doch der Pfarrer in specie vor selbigen nicht bitten dörffte.
Ille: Er respectirte den Herrn Superintendenten als einen
alten vornehmen Theologum, aber als seinen Obern zu respec-
tiren, dessen hette er keinen Befelch, auch hette D. Steuberus
sei. selbigen als einen Obern niemahls agnoscirt, wie dan auch
der Herr Landcommenthur nicht nachgeben wollen, daß er sich
alhir in der Stattkirchen hette ordiniren lassen dörffen, sondern
hette ehei' naher Franckfurt reisen, und daselbsl sich ordiniren
lassen sollen.
Nos: Der Carlstadische Vertrag brächte clärlich mil sich,
daß Serenissimus Landsfürst weine, und in dero Land das jus
eniscopale hette. Item daß die Prediger in St. Elisabethen Kirchen
nach der fürstlichen Hessischen Kirchenordnung sich reguliren
müsten, hette nun Serenissimus das jus episcopale und kein
an ler, so würde er auch Serenissimum und diejenige, welche
Ihre F. Gn. an dero statt verordnet, als seinen Superiorem halten
und erkennen müssen, und hette ihme daramb gar nicht gebüret,
ein absonderliches Gebet zu machen, und gantz neuerlich den
Teutschen Meisler und andere Ordens Personen, darin zu setzen,
weniger vor sich eine absonderliche Bettstund anzuordnen, son-
dern hette er erstgedachten Carlstadischen Vertrag besser be-
obachien sollen.
Ille: Der Carlstadische Vertrag würde ihn nichl selig machen,
noch am jüngsten Tag verantworten, Er hette seine erhebliche
Ursachen zu solchem gemachtem Anstalt, insonderheil aber wehre
ihm beweglich zu gemühl gangen, daß auf den Soniag im Teut-
Bchen Hauß nur eine Predig und zwar des Morgens umb Sechs
Uhr gehalten und darauf der gantze Ta^ entweder mil Fressen
und Saunen, Müßiggang und sonsten das sextum praeeeptum zu-
bracht werde, item daß die Armen in ihrem Chris tenthum so
schlecht erbawet wehren, daß über zwey oder drey das Vatter
unser nicht rechl beten könten, disem allem nun hette Er, so viel
312 Wilhelm Diehl.
möglich vorbawen, auch daran sein wollen, daß die arme Leuthe
besser hetten beten lernen sollen.
Nos: Seine Intention würde von uns gar nicht improbirt,
sondern er hette einen andern modum gebrauchen, und es mit
Vorbewust Serenissimi oder der f. Regirung anstellen, und dem
fürstl. Hauß Hessen zu Praejuditz und dem Pabstumb zu Vortheil
gereichende Newrung nicht vornehmen sollen.
Ille: Er hette mit den Herrn Theologis auß diser Sachen com-
municirt, die hetten sich ja solches belieben lassen.
Herr D. Hannekenius: Sagt Ja, Er hette mit Ihme geredel,
auch das abgefaste Gebet, zu censiren geschickt, darmit es ge-
I rucket werden möchte, Er hette aber mit dem Herrn Superinten-
denten und andern seinen Herrn Collegis in Facultate Theologica
communicirl, welche nebens ihm darvor gehalten, es wehre nicht,
zuzugeben, daß das Gebet sonderlich mit der Ueberschrift auf
Anordnung des Herrn Landcommenthurs getrucket würde, so er
Herrn L. Schuppen angezeigt, und darbey errinnert. Er wüste
nicht, ob es slyli wehre, daß man vor den Teutschmeister und
Landcommenthur also bäte und solte Lic. Schupp sich darinn
wol fürsehen. Item es würde sich nicht schicken, daß man nur
in genere vor die regirende Fürsten in Hessen bähte und unsers
gnedigen Fürsten und Herrn in specie nicht gedächte, sintemahl
wir ja mehr vor Ihre f. Gn. als vor die Fürstin zu Cassel zu bitten
hetten : Kern Herr Lt. Schupp hette referirt, das Gebet solte im
Hospital abgelesen und verrichtet weiden, und wehre der Kirchen
nicht gedacht worden.
Ille: Wann er wissen solte, daß es ihm Unc;eley,enheit
geben solte, wolte er lieber den Dinst gahtz resigniren, hette doch
nicht so viel darvon, daß er einer Magd lohnen könne.
Herr D. Hannekenius: Er solte sich hedencken, was er
redete, es ließ sich nicht thun, daß man unserm Herrn Gott den
Stul wolte vor die Thür setzen.
Nos: Das wehre keine Ursach, den Dinst zu resigniren, dann
daß wir die Errinnerung thäten, und zwar nicht unbillich, vor
unserm gnedigen Fürsten und Herrn, exclusis Magistro et mini-
stris ordinis Teutonici allein zu bitten, das wehre die Ursach.
weil Ihre f. Gn. Landsfürst wehre, und dan auch nicht die Teut-
schen Ordensherrn die Intraden zu Underhaltung der Armen, deren
die Teutschen Herrn Pflegere wehren verschaffet, sondern die
Fürsten von Hessen nach und nach alles hergeben Indien, Er
solle seihst, hedencken, was vor gefehrliche Inconvenientien dar-
außer entstehen könnten wann der Anstalt mit der Bettstunde
bey dem Landcommenthur stehen, oder man vor dem 'Deutschen
Meister und die Teutschen Ordens Personen in der Kirchen beten
wolle, und daß sich solche und dergleichen nachdenekliche Sachen
ohne Ihrer F. (in. Vorbewust nicht anstellen ließen, wie dan wir
niehi nachgeben könten noch wollen, daß er die Betstunde ferner
halten möchte, sondern solle warten, biß Unser gnediger Fürsl
und Herr von der Sachen underthämig berichtel wehre, und sich
daran!' gnedig resolvirl helle.
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 313
*.
Hirauff hal "Herr Superintendens per discursum gedacht,
wie so vielmahl Errinnerung geschehen, daß ein Prediger im
Teutschen Hauß, wan er die Beicht hörete und das Abendmahl
des Herrn halten wolte, außer den Ordenspersonen und Dienern,
Niemand weiter admittiren, sondern die Bürger und Bürgerin
remittiren solto, dessen aber unerachtet, vernehme man, daß
noch immer fort sehr viel Bürgersleuthe in der St. Elisabethen
Kirchen zum Tisch des Herrn gingen.
llle: Er \yüste nicht, was das vor Picquen wehren, daß man
solches verbieten wolle.
Herr Superintendens: Ey wie er doch darzu komme,
und dise Erinnerung Picquen nennen möchte, die Geistliche in
der Stattkirchen hetten ihre befugte gnugsam erhebliche Ursachen,
und hetten selbige allein wegen der Bürger curam animarum
und wehre billich. wo einer hingepfarret wehre, daß er auch
daselbst zum Tisch des Herrn gehen müste, maßen dan die
fürstl. Erleuterungs Puncten über die Kirchenordnung solches
austrucklich erfordern.
Ille: Es wehre ihm leid, daß soviel Personen bey ihm im
Teutschen Hauss zum Tisch des Herrn gingen, und wüste er
nicht, wie er solche zurückweisen könte, Er sehe selbst, daß es
eine Confusion gebe und wüste er wohl, daß die Bürger in der
Statt seine Schaafe nicht wehren.
Nos: Dieweil die Bürger in der Statt seine Schaafe nicht
wehren, so solte er Sie auch nicht weiden, und könte er der
Sachen leichtlich rahten, wan er die Bürgersleuthe von sich ab,
und zur Stattkirchen wiese, wann man aber die Leuthe gleichsam
an sich reitzete, und Ursach darzu gebe, so gienge es alsdan
alsoher, und hetten wir vernommen, daß verwichenen Newen
Jahrsfag Er einen Pfarrer von Seelheim zu sich genommen,
welcher nebens ihm die Beicht hören helffen, welches gleichfalls
niemals erhöret worden wehre.
Ille: Er wehre ein Ordenspfarrer, den würde er ja zu ge-
brauchen Macht haben.
Nos: Das geben wir nicht nach, sondern (sicut Dn. Super-
intendens äddebat, der Pfarrer von Selheimb M. Happel helle
seine Vocationem naher Sehlheimb und nicht anhero) und seye
(dien die Ursach, daß die Bürgers Leuthe so heuffig in der St.
Elisabethen Kirchen zum Tisch des Herrn u;ieiia;en. Er solle bey
des Ordens Leuthen bleiben, und die andere zur Haubtkirchen
remitliren, zumal er verschiedene Leuthe admittire, umb welcher
Thim die Stattprediger und Kirchen Seniores offtmals solchen
Bericht hetten, daß selbige allezeit so schlechthin nicht zu ad-
mittiren wehren. Er hefte die Kirchenordnung und die Erklärungs-
puneten, darnoch solte er sich achten.
Ille: Er hotte kein Exemplar, Herr I). Steuber hette zwey
Exemplafia gehabt, und wüste er nicht, wo solche hinkommen
wehren.
Nos: Wir wollen schon darauf bedacht sein, daß Er ein
Exemplar bekommen solle.
314 Wilhelm Diehl.
XIV.
Memorial Schupps an den Landgrafen, Anfang 1645.
(Darmstadt, Staatsarchiv. V. 7, 46.)
Memorial.
1. Daß Ao 1632, als das Studium Eloquentiae lange Zeyt
auf dieser Academi darnieder gelegen, und ich von fremden Uni-
versitäten kommen, und exercitii gratia memoriter perorit und
ein collegium historico-Geographicum angeschlagen, Herr Cantzlar
Wolf wider meine Gedancken mich zu sich erfordert, und nach
gethanen grosen promissen mich adhortirt, daß ich mit dem
Studio Theologico das Studium Oratorium fleißig treiben, in
ihre fürstl. Gnaden Dinst mich begeben, und nicht allein mit
den Stipendiaten, sondern auch mit andern Studiosis allerhand
exercitia anstellen solte. Dafür wollen Ihre fürstl. Gnaden mir
nicht allein ein jährliches Recompens geben, sondern auch 2 oder
3 Jahr auf ihrer fürstl. Gnaden Unkosten auf frembde Univer-
sitäten schicken.
2. Als aber ich solches eine Zeit lang angetrieben, undt darauf
in Holland gereyst, da heutiges tags die beste Oratores lehen,
ist die böse Zeyt eingefallen, und sonderlich nach der Nörd-
linger Schlacht, das Land durch Pest und Krieg sehr ruinirt
worden, Herr Cantzlar Wolf auch meyste Zeyt außerhalb Lands
dem Pacificationswesen abgewartet, also daß sich niemand meiner
angenommen, da ich dann meinem genädigen Landsfürsten, dem
Vatterland und der Universität zu ehren, von meinen eygnen Un-
kosten dieß Studium continuirt, und nun hören muß, daß man
mir diese wohlangewendete sumptus an meinem patrimonio ab-
kürtzen wolle.
3. Im Anfang meiner Profession hab ich mich bey rechter
Pferdtsarbeyt mit 140 fl. Besoldung contentirt, biß endlich ihre
fürstl. Gn. meinen Fleis und Treuw mit genädigen Augen ange-
sehen und mir die Besoldung vermehrt. Da aber alsobalt die
Weymarische Armee ins Land kommen, und bishero die Besoldung
ins Stecken gerathen.
4. Was ich durch Gottes Beystand bey der Profession gethan,
davon werden die zeugen können (wann sie aufrichtig wollen
zeugen) die sich meiner Inventionen gebraucht, mit meinen
Federn geschmückt undt in oder auser dem Land, in DinsteB
sitzen oder sonsten noch sich qualificirt machen.
5. Weil ich aber mit dem Ding et quidem docendo nun über
12 Jahr zubracht, nichl allein in Academiis, sondern auch in
officio das meinige drüber zugesetzt, meine beste Zeyt damit
verderbt und mich in meinem studio theologico gehindert, da
hiergegen andere so auf Ihrer fürstl. Gnaden Unkosten studirt,
haben ruhig sitzen und ihrer facultati superiori abwarten können,
undt nun die unuinbgangliche Nothurfft erfordert, daß ich mich
mit ernst und allem Fleiß aufs Studium theologicum lege.
Neue Beiträge zur Geschichte Schupps. 315
6. Als ersuche Ihre fürstl. Gnaden ich unterthänig und de-
mütig, sie wollen meiner genädig eingedenck seyn, und mich als
ein mühdes Pferd genädig ausspannen, utidi zu einem officio
ecclesiastico genädig befordern lassen, da ich meines Lebens
ehrlichen Unterhalt und Occasion haben könne, im Prediger
und andern exercitiis sacris mich unice zu üben. Es mag sonst
das officium so unansehnlich und gering seyn als es woll.
7. Unterdessen bitt ihre fürstl. Gnaden ich demütig und unter-
thänig, sie wolten der Professionis Eloquentiae mich in genaden
erlassen, und biß zu eröfnung anderer Promotion mich bey
der Universität schützen, und inzwischen die Anordnung thun
lassen, daß mir alle Viertheil Jahr der vierdte theil meiner aus-
stehenden Bestallung geliefert werde.
8. Dagegen versprech Ihrer fürstl. Gnaden ich in Unter-
tänigkeit, daß ich das opus hisboricum, darauf ich bißhero
meine meditationes geschlagen, unter der Zeyt mundiren, undt
alle Viertheil Jahr ein Stück davon uberschicken. auch kein
Gelt fordern wolle, die Arbeyt sey dann schon da.
9. Weyl etzlichen unter den fürstlichen Herrn Käthen bekant,
daß mir gantz und zumahl unmöglich falle, meine familiam rebus
sie stantibus alhier in die Läng zu führen, undt vielleicht in-
zwischen sich keine Beförderung zu einem officio ecclesiastico
diesen Oertern eröfnen möchte, alß will ich hoffen Ihre fürstl.
Gnaden werden es für keine perfidiam ausdeuten, wann ich
andern meinen fautoribus exlra patriam meine Noth klage, und
deren Beförderung entweder suche oder aeeeptire. Ihre fürstl.
Gnaden verobligir ich mich in Unterthänigkeit, daß krafft einmahl
gethanen juramenti ich derselben treuw verbleiben wolle hiß in
mein (irab, und dofern ihre fürstl. Gnaden hinfuro meiner wenigen
Person wider begehrten ich gehorsamlich wider folgen wolle.
10. Weil ich auch vernehme, daß das Werck mit der im
deutschen Haus angefangenen Bethstund ungleich aufgenommen
worden. Alß bitt ich unterthänig ihre fürstl. (Inadeu wollen
etwa durch dero Hofräth mich hören und de,n rechten Grund
vernehmen lassen. Ich binn in meinem Hertzen und Gewissen
versichert, daß ich neque in ipsa re neque in modo peccirl hab,
sondern vermög meines Ampts und desen dem deutschen Orden
ubergebenen Revers weniger oder mehr nichl hab thun können.
Ich bah alzeyt b' Wochen zuvor, nichl nur mit einem sondern
mit unterschiedenen Ihrer fürstl. <in. geystlichen und weltlichen
vornehmen Dienern davon geredt, welche mir von keinem Interesse
gesagt, das Ihre fürstl. Gnaden hey dieser Sachen haben, also
hab ich dafür gehalten, ich hab keinen Beruf dazu, in dieser
Sachen mehr oder weniger zu thun. Wollen ihre fürstl. Gnaden
mich in geheym genädig abhören lassen, so will ich mein ein-
fältiges Bedencken hierin lerner eröfnen, welches in Schrifften zu
thun ich liedelickens lr;i-e.
316 Wilhelm Dielil.
XV.
.Memorial Schupps, Anfang 164Ö.
(Dannstadt, Staatsarchiv, IV, 1. 8.)
Memorial.
1. Nachdem ich solche Wort, deren ich gestern hab hören
müssen, nicht mehr hören kann oder will, alß will ich mit
Gottes g. Hülf, omni diligentia« impetu mich über bewuste arbeyt
machen, daß ich davon komme, und soll mir unterweilens die
Sonn so früh nicht aufgehen, daß ich nicht schon will drüber
seyn, soll auch keine Woch oder keine Post furbey gehen, da ich
nicht etwas davon uberschicken will, sobalt nur bewuste com-
mission, welche den 22. Aprilis angestellt, abgelegt ist. Welche
mir so zu thun macht, daß an deren guten oder bösen Fortgang,
ein gros Stück meines zeytlichen Glücks oder Unglücks dependirt.
2. Ich will aber verhoffen, ich wer le meine Zahlung, wie mir
versprochen, erlangen. E. E. hab ich meinen elenden Zustand ent-
deckt. Er kann leicht schließen, was einer bey solchem Zustand
für influentz habe. Frigent carmina quae scribuntur ab aquae po-
toribus, sagt jener. Protestir, daß, wo mir nicht mit meinem aus-
stand nach und nach geholten wird, so kann ich solche arbeyl
mit keiner Dexterität verrichten.